Wiktor Juschtschenko: Absetzung von Leonid Kutschma wurde bei Treffen in Moskau nicht besprochen – DW – 23.10.2002
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Wiktor Juschtschenko: Absetzung von Leonid Kutschma wurde bei Treffen in Moskau nicht besprochen

23. Oktober 2002

Führer des Bündnisses "Unsere Ukraine" weist INTERFAX-Meldung als Provokation zurück

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Köln, 23.10.2002, DW-radio / Ukrainisch

Eine Meldung aus Moskau hat gestern (22.10.) für Verwunderung gesorgt, und das nicht nur unter Journalisten. Die Nachrichtenagentur Interfax berichtete, dass in der russischen Hauptstadt mit Wiktor Juschtschenko vereinbart worden sei, dass die ukrainische Opposition nicht mehr den Rücktritt von Präsident Leonid Kutschma fordern werde.

Einleitend dazu ein Zitat: "Am Dienstag ist bei Verhandlungen zwischen den Führern der Fraktion ‚Union rechter Kräfte‘, Boris Nemzow und Irina Chakamda und dem Führer der Parlamentsfraktion ‚Unsere Ukraine‘, Wiktor Juschtschenko, vereinbart worden, dass die ukrainische Opposition den Rücktritt von Präsident Leonid Kutschma nicht fordern werde. ‚Wir unterstützen Kutschma nicht, aber sein vorzeitiger Rücktritt wäre für die Ukraine katastrophal‘, sagte vor Journalisten Irina Chakamda nach Abschluss des Treffens". Das meldete Interfax.

Mehrere Dinge verwundern gleichzeitig. Erstens, warum wurde ein Rücktritt des ukrainischen Präsidenten mit der Fraktion der russischen Duma erörtert? Zweitens, Wiktor Juschtschenko ist ein bedeutender ukrainischer Politiker, aber er vertritt nicht die gesamte Opposition und kann nicht in deren Namen mit irgendjemandem etwas vereinbaren. Drittens, woher weiß Irina Chakamda, was der Ukraine nach einer Absetzung des Präsidenten droht? Und viertens, wie soll man sich gegenüber dem Volk verhalten, das irgendwelche möglichen Vereinbarungen nicht akzeptieren könnte?

Dazu sagte Wiktor Juschtschenko in einem Interview für die ukrainische Redaktion der Deutschen Welle folgendes: "Diese Frage stand nicht zur Debatte. Wissen Sie, es gibt Fragen, die ausschließlich im ukrainischen Kompetenzbereich liegen und dies wäre erniedrigend gewesen, deswegen wurde dies hier in Russland überhaupt nicht besprochen. Das ist eine Provokation, die ich kategorisch zurückweise. Unser politisches Konzept und unsere politischen Ansichten als Fraktion ‚Unsere Ukraine‘ sind im Entwurf des politischen Abkommens formuliert, das eine Antwort darauf gibt, wie die Situation in der Ukraine in der Zeit zwischen den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stabilisiert werden könnte. Diese Position vertreten wir im ukrainischen Parlament bereits seit mehreren Monaten, sie ist unverändert und es gibt nichts hinzuzufügen."

Komisch: Interfax ist als seriöse und verlässliche Informationsquelle bekannt. Aber in dieser Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder haben unsere Moskauer Kollegen verdrehte Informationen verbreitet, was manchmal passieren kann, oder Wiktor Juschtschenko selbst will nicht, dass die heiklen Einzelheiten der Gespräche der Öffentlichkeit bekannt werden.

Auch eine andere Meldung unserer Moskauer Kollegen der Nachrichtenagentur weckte unser Interesse. Dabei handelt es sich um die Erklärung von Boris Nemzow, der nach Angaben von Interfax gesagt haben soll, "die Union rechter Kräfte ist über die Mitgliedschaft ukrainischer Nationalisten im Bündnis ‚Unsere Ukraine‘ unzufrieden".

Das von Wiktor Juschtschenko und seinem Bündnis gezeichnete Bild erscheint auch den russischen Bürgern als etwas verdreht. Dazu unser Moskauer Korrespondent Anatolij Dozenko:

Der Vorsitzende der Vereinigung der Ukrainer in Russland, Oleksandr Rudenko-Desnjak, ist der Ansicht, dass die russischen Medien das Bild von Wiktor Juschtschenko verdrehen. "Ich bin darüber erstaunt, wie Juschtschenko in den russischen Medien dargestellt wird", sagte er. "Ich denke, dass über Juschtschenko in den russischen Medien nicht adäquat berichtet wird. Ihm wurden radikaler Nationalismus und einfach verschiedene dumme Dinge vorgeworfen. Irgendwann wurde dieses Vorurteil geschaffen, ich weiß nicht, wem das dient. Aus Juschtschenko wurde aus irgendwelchen Gründen ein Politiker gemacht, der Russland gegenüber feindlich eingestellt ist. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Wiktor Juschtschenko zu treffen und ihm das Problem kurz schildern. Er sagte, jeder reale ukrainische Politiker müsse heute den russischen Faktor berücksichtigen."

Was die Erklärung von Boris Nemzow betrifft, so baten wir Wiktor Juschtschenko selbst dazu Stellung zu nehmen. Zuallererst machte er darauf aufmerksam, dass im Bündnis verschiedene Kräfte vereint seien. Es gehe jedoch nicht um rechte oder linke Kräfte, sondern um das Gesamtbild, das von gewissen politischen Gruppen, so Wiktor Juschtschenko, bewusst verdreht werde:

Wiktor Juschtschenko: "Ich denke, ein bedeutender Teil der Kreise, und ich schließe politische nicht aus, vertritt die Mythen und die falschen Informationen, die seit den Wahlen zum ukrainischen Parlament systematisch auf dem russischen Informationsmarkt verbreitet wurden. Ich weiß, dass das Bündnis ‚Unsere Ukraine‘ als anti-russisch, faschistisch, oder als eine politische Stiftung mit einer solchen Ausrichtung verkauft wurde. Zweifelsohne, in einem falschen Kontext ist auch über unsere Position zur Lösung des politischen Konflikts in der Ukraine selbst berichtet worden, aber auch zur Lösung einer Reihe von Problemen in den bilateralen Beziehungen. Das ist ein verdrehtes Bild, das durch das Monopol auf die Beziehungen zu Moskau und zu den russischen politischen Kräften entsteht, das gewisse politische Kräfte haben. Ich erkläre deutlich, dass wir keine anti-russische politische Kraft sind." (MO)