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Kopf des Tages Alfred von Tirpitz

Auf seiner Fehlkalkulation beruhte Deutschlands Flottenpolitik

Von 1897 bis 1916 leitete Alfred von Tirpitz das Reichsmarineamt des Deutschen Reiches. Doch seine gesamte Tätigkeit beruhte auf einer strategischen Fehlkalkulation – und führte zu einem fatalen Wettrüsten mit der Royal Navy.
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Tirpitz, Alfred von Großadmiral Küstrin 19.3.1849 – Ebenhausen (heute Schäftlarn) 6.3.1930. Porträtaufnahme, um 1910. Tirpitz, Alfred von Großadmiral Küstrin 19.3.1849 – Ebenhausen (heute Schäftlarn) 6.3.1930. Porträtaufnahme, um 1910.
19. März 1849: Alfred von Tirpitz (gest. 1930), nur echt mit dem Doppelspitz-Vollbart, wird geboren
Quelle: picture alliance / akg-images

Für ihre Töchter wollen Väter gewöhnlich nur das Beste: eine schöne Kindheit, eine gute Ausbildung, eine glückliche Partnerschaft. Eher ungewöhnlich ist, wenn ein Vater seine Töchter in ein anderes Land auf die Schule schickt, das er für den Hauptfeind seines eigenen Landes hält.

Das aber tat Alfred von Tirpitz (1849–1930): Einerseits legte er als gerade neu berufener Marine-Staatssekretär (damals einem der drei wichtigsten Militärs des Kaiserreiches) im Sommer 1897 eine (interne) Denkschrift vor, in der es hieß: „Für Deutschland ist zurzeit der gefährlichste Gegner zur See England. Es ist auch der Gegner, gegen den wir am dringendsten ein gewisses Maß an Flottenmacht als politischer Machtfaktor haben müssen.“ Andererseits schickte er wenige Jahre später seine Töchter Ilse (geboren 1885) und Margot (geboren 1888) auf das teure Internat Cheltenham Ladies’ College zwischen Bristol und Birmingham.

SMS_Musquito
Die SMS "Musquito" war das erste Schiff, auf dem Tirpitz Dienst tat
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Tirpitz, geboren am 19. März 1849 als Sohn eines Rechtsanwaltes in der brandenburgischen Provinz, hatte eine steile Karriere hinter sich. In der Schule eher mäßig erfolgreich, schlug er fast zufällig die Karriere als Marineoffizier ein – weil er einem Freund nacheiferte. 1865, mit 16 Jahren, wurde der junge Alfred Kadett in Kiel – und nach wenig mehr als einem Jahr schon war er in einen ersten Kriegseinsatz verwickelt: Auf der in einer britischen Werft gebauten und von Preußen gekauften Brigg SMS „Musquito“, einem der (damals noch wenigen) Schiffe der preußischen Marine, patrouillierte er während des nur im Mittelmeer von Preußens Bündnispartner Italien geführten Krieges gegen Österreich.

Ab 1869 als Unterleutnant zur See offiziell Offizier der Marine zuerst des Norddeutschen Bundes, dann ab 1871 des Deutschen Kaiserreichs, machte Tirpitz eine stetige Karriere mit fünf Beförderungen bis 1895. Unter anderem kommandierte er 1878/79 das Torpedoboot SMS „Zieten“, ebenfalls ein in London gebautes Schiff.

SMS Zieten
Das erste Versuchstorpedoboot der Kaiserlichen Marine war die in Großbritannien gebaute SMS "Zieten"
Quelle: Wikimedia / Public Domain

Tirpitz setzte sich besonders für die neue Waffe Torpedo ein, wurde 1879 als Dezernent für Torpedoangelegenheiten bei der Kaiserlichen Admiralität dafür verantwortlich und versenkte am 28. Juli 1880 mit einem von der „Zieten“ abgefeuerten scharfen Torpedo die veraltete Dampffregatte SMS „Barbarossa“, übrigens ebenfalls ein im Vereinigten Königreich gebautes Schiff, um die Wirkung der neuen Waffe zu demonstrieren.

Mit 38 Jahren erhielt Tirpitz 1888 die Beförderung zum bis dahin jüngsten Kapitän zur See der Kaiserlichen Marine. Dazu qualifizierte ihn neben seinen Erfolgen bei der Torpedo-Entwicklung vor allem seine Fähigkeit, komplexe technisch-taktisch-strategische Zusammenhänge überzeugend darzustellen.

Drei Jahre später folgte die entscheidende Begegnung: Der junge Kaiser Wilhelm II. wurde bei einem Besuch der Marinestation in Kiel auf Tirpitz aufmerksam. Dessen Ziele deckten sich weitgehend mit den eher vage formulierten Vorstellungen des Monarchen über die zukünftige Rolle des Reichs in der Welt. Jedoch analysierte der Marineoffizier im Gegensatz zum sprunghaften Kaiser die Bedeutung von Seemacht präzise.

Kaiser Wilhelm Ii, 1859-1941. Emperor Of Germany And King Of Prussia, 1888-1918. Helmuth Von Moltke, (1848-1916) German Army Chief Of Staff, 1906-1914 And Admiral Alfred Von Tirpitz (1849-1930)
Kaiser Wilhelm mit seinen höchsten Offizieren Helmuth von Moltke (r.) und Tirpitz
Quelle: picture alliance / Design Pics

Seit 1892 Stabschef beim Oberkommando, formulierte Tirpitz 1894 in einer Dienstschrift seine Grundgedanken zur künftigen Seestrategie. Die „natürliche Bestimmung einer Flotte“ sei „die strategische Offensive“. Daher plädierte Tirpitz für eine Flotte aus Schlachtschiffen anstelle von Kreuzern, die, in Geschwadern zu jeweils acht Schiffen organisiert und in Linie operierend, die Seeherrschaft erringen könnten. Nur so eine „Risikoflotte“ konnte seiner Meinung nach die politische und wirtschaftliche Zukunft des Reichs garantieren.

Anfang Mai 1896 beförderten sein Ehrgeiz und seine Überzeugung Tirpitz ins Abseits: Er wurde als Chef des Kreuzergeschwaders in den Fernen Osten versetzt. Als jedoch der Staatssekretär des Reichsmarineamtes, faktisch der Oberbefehlshaber (natürlich unter Wilhelm II.) Admiral Friedrich von Hollmann im Reichstag im Frühjahr 1897 mit den Flottenplänen des Kaisers scheiterte, wurde Tirpitz zurückgerufen.

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Mit der ihm eigenen Energie und Durchsetzungskraft machte er sich den Plan eines „Platzes an der Sonne“ für Deutschland zu eigen, den der Staatssekretär des Äußeren und designierte Reichskanzler Bernhard von Bülow betrieb. Das führte zur endgültigen Abwendung von Bismarcks Politik des Ausgleichs hin zu einer expansiven Außenpolitik. Damit trat das Kaiserreich mit Großbritannien, der führenden Welt- und Seemacht, in Konkurrenz. Gleichzeitig besuchten Tirpitz’ Töchter ein englisches Internat.

Reichsfinanzreform / Karik.1909 /Wahr.J. Deutsches Reich / Reichsfinanzreform 1909. / - "Nach der Reichsfinanzreform. Donnerwetter, es ist schon wieder kein Geld da!" (Karikatur auf die Ruestungs- ausgaben unter Alfred v.Tirpitz und Karl v.Einem). - Zeicnung von Vanselow. Aus: Der Wahre Jacob, Nr.600, Stuttgart (P.Singer) 20. Juli 1909, S.6307. Berlin, Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte.
Tirpitz und Kriegsminister Karl von Einem haben 1909 die Reichskasse für die Aufrüstung geplündert (Karikatur aus "Der Wahre Jacob")
Quelle: picture-alliance / akg-images

Mit fünf Flottengesetzen von 1898 bis 1912 setzte der Admiral schrittweise den Bau von 61 Großkampfschiffen, 40 Kleinen Kreuzern, 144 Torpedo- und 72 U-Booten durch. Er ging dabei von einer direkten Konfrontation mit der Royal Navy aus, wie er schon im Juli 1897 formuliert hatte: „Unsere Flotte muss demnach so eingerichtet werden, dass sie ihre höchste Kriegsleistung zwischen Helgoland und der Themse entfalten kann.“ Daraus schloss Tirpitz: „Die militärische Situation gegen England erfordert Linienschiffe in so hoher Zahl wie möglich.“

Das löste ein Wettrüsten aus, in dem das Kaiserreich unterliegen musste. Zwar ist unter Historikern umstritten, wie sehr diese Politik den tatsächlichen politischen Gegensatz zwischen Großbritannien und Deutschland beförderte. Klar aber ist: Friedensfördernd war diese unnötige Konkurrenz keinesfalls.

Mit Kriegsbeginn 1914 zeigte sich die doppelte Fehlkonzeption von Tirpitz’ Plan. Erstens hatte die Royal Navy ihre quantitative Überlegenheit erfolgreich verteidigt. Zweitens sperrten die Briten die Nordsee zwischen Schottland und Südnorwegen und schnitten das Kaiserreich damit fast vollständig vom Nachschub aus Übersee ab; nur einzelne Blockadebrecher wie Felix Graf Luckner mit der SMS „Seeadler“ und U-Boote kamen durch. Die Idee einer Abschreckung durch eine „Risikoflotte“ erwies sich als Hirngespinst.

Nur einmal kam es zur erhofften großen Konfrontation von Royal Navy und Hochseeflotte: Die Skagerrakschlacht Ende Mai 1916 endete mit einem taktischen Unentschieden, das beide Seiten mit unterschiedlichen Argumenten als Sieg beanspruchten. Strategisch war das Treffen eine klare Niederlage von Tirpitz, denn fortan rosteten seine Großkampfschiffe in ihren Häfen vor sich hin.

Er selbst war schon im März 1916 zurückgetreten. Als vermeintlicher Privatmann unterstützte er 1917/18 die expansionistische Deutsche Vaterlandspartei und nach der demokratischen Revolution von 1918/19 die radikalen Antirepublikaner. 1924 bis 1928 saß Tirpitz als Rechtsaußen der ohnehin reaktionären Deutschnationalen Volkspartei im Reichstag und starb 1930. Seine in England ausgebildete Tochter Ilse übrigens hatte den Diplomaten Ulrich von Hassell geheiratet, der im September 1944 als Hitler-Gegner hingerichtet wurde. Zwei Monate später versenkten britische Bomber das größte Schlachtschiff des Dritten Reichs, die „Tirpitz“, in einem norwegischen Fjord.

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