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1 Einleitung

Wir danken Anastasia Vishnevskaya-Mann und Belinda Nüssel herzlich für ihre Hilfe mit Recherche- und Formatierungsaufgaben.

Am 24. Februar 2022 überfiel Russland zum zweiten Mal die Ukraine. Anders als 2014 war die erneute russische Invasion nicht verdeckt, sondern breit und offen auf die Vernichtung des unabhängigen ukrainischen Staates angelegt. Die Beziehungen der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer westlichen Verbündeten zu Russland waren bereits 2014 durch die Annexion der Krim und den Krieg im Donbas erheblich beschädigt worden. Mit dem nicht-provozierten Angriff auf den Nachbarstaat brachte das Putin-Regime sie endgültig zum Einsturz.

Die amerikanisch-russischen Beziehungen waren immer in erster Linie von Sicherheitsfragen geprägt. Eine militärische Eskalation zwischen den beiden größten Nuklearmächten könnte einen großen Teil der Welt vernichten. Damit ist dieses bilaterale Verhältnis für die globale Sicherheit von immenser Bedeutung. Anders als im Falle vieler europäischer Staaten entwickelte sich zwischen den USA und Russland weder vor noch nach dem Ende der Systemkonfrontation ein intensiver wirtschaftlicher Austausch. Auch gesellschaftliche Kontakte, z. B. durch Hochschulkooperationen und Studierendenaustausch, Tourismus oder zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, waren begrenzt und sind seit über einem Jahrzehnt rückläufig. Auf der politischen Ebene spiegelte sich das in schwacher Institutionalisierung: Versuche, das bilaterale Verhältnis durch regelmäßige Regierungskontakte, gemeinsame Kommissionen und Arbeitsgruppen abzustützen, waren nie von langer Dauer. Die politische Konjunktur war deshalb immer vom persönlichen Verhältnis zwischen den jeweiligen Staatsoberhäuptern abhängig (Stent 2019, S. 303).

Die innenpolitische Dynamik in beiden Staaten spielte immer eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Beziehungen. Russland wurde in seiner post-sowjetischen Geschichte von drei Präsidenten regiert: Boris Jelzin (1992–1999), Wladimir Putin (2000–2008, seit 2012) und Dmitri Medwedew (2008–2012). Unter Wladimir Putin hat sich seit Beginn der 2000er-Jahre ein hyperzentralisiertes, personalisiertes autoritäres System entwickelt, das durch eine starke Machtvertikale mit Putin an der Spitze gekennzeichnet ist.Footnote 1 Das politische System ist mit dem erneuten Überfall auf die Ukraine von der Autokratie in die Diktatur abgerutscht.

In den USA haben vier demokratische Wechsel an der Staatsspitze stattgefunden: von George H.W. Bush (senior) zu Bill Clinton 1992; von Bill Clinton zu George W. Bush 2000; von George W. Bush zu Barack Obama 2008; von Barack Obama zu Donald Trump 2016 und von Donald Trump zu Joseph Biden 2020. Ihre Persönlichkeiten haben den russisch-amerikanischen Beziehungen unterschiedliche Stempel aufgedrückt. Das vorliegende Kapitel unterteilt die Geschichte der amerikanisch-russischen Beziehungen deshalb nach den US-Administrationen seit 1991. Die innenpolitische Situation in den USA ist in den letzten zehn Jahren immer fragiler geworden. Eine erneute Kandidatur Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen 2024 könnte die Polarisierung der Gesellschaft auf die Spitze treiben – mit bislang noch kaum absehbaren Folgen für die internationale Ebene. Die Zukunft der russisch-amerikanischen Verhältnisses und des internationalen Systems in Gänze wird außerdem davon bestimmt werden, wie die Politik Chinas und die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sich entwickeln.

2 Die USA und die Sowjetunion während des Ost-West-Konflikts

Das Hauptmerkmal des Ost-West-Konflikts war das bipolare Spannungsverhältnis zwischen einem westlichen und einem östlichen Block von Staaten unter der Führung der Supermächte USA und Sowjetunion. Mit der Blockkonfrontation ging eine ideologische Systemkonkurrenz zwischen westlicher Demokratie und Marktwirtschaft einerseits und Kommunismus/Sozialismus und Planwirtschaft andererseits einher (vgl. Gaddis 2005; LaFeber 2008).

Das grundlegende Merkmal des Ost-West-Konflikts war konfrontative Stabilität angesichts der sicheren gegenseitigen Vernichtung (Mutually Assured Destruction, MAD) im Falle eines Atomkrieges. Dennoch zeichneten sich die Jahrzehnte zwischen 1945 und 1989/1991 durch hohe Dynamik und einen Wechsel zwischen Phasen der AnspannungFootnote 2 und der EntspannungFootnote 3 ab. Die Politik der USA und der Sowjetunion war während des Ost-West-Konflikts darauf ausgerichtet, das strategische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Die Machtprojektion der Supermächte auf allen Kontinenten und zahlreiche Stellvertreterkriege verliehen dem Konflikt eine globale Dimension. Handel und gesellschaftlicher Austausch blieben nachrangig. Die USA und die UdSSR waren politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich weitgehend voneinander abgeschottet.

Dies änderte sich ab 1986, als Michail Gorbatschow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, bahnbrechende interne Reformen initiierte und begann, die Beziehungen zwischen der UdSSR und der westlichen Welt umzugestalten. Abrüstungsverhandlungen mit den US-Administrationen von Ronald Reagan und George H.W. Bush führten zu den Schlüsselverträgen, die dreieinhalb Jahrzehnte das strategische Verhältnis der USA und Russlands bestimmten.Footnote 4

Ende 1991 zerfiel die Sowjetunion. Die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik trat 1992 die Rechtsnachfolge der Sowjetunion auf internationaler Ebene an und übernahm die Verantwortung für die sowjetischen Atomwaffen und den sowjetischen Sitz im UN-Sicherheitsrat. In den folgenden Jahren waren Washington und Moskau unter teils chaotischen Bedingungen mit der Neuordnung ihres Verhältnisses beschäftigt.

3 Männerfreundschaft und wilde Jahre – Russland und die USA, Bill Clinton und Boris Jelzin in den 1990ern

Als Bill Clinton Anfang 1993 die US-amerikanische Präsidentschaft übernahm, war Boris Jelzin bereits seit anderthalb Jahren im Amt. Die Beziehung zwischen den beiden Männern wirkte sich in den nächsten sieben Jahren maßgeblich auf das Verhältnis zwischen den von ihnen geführten Staaten aus. Clinton unterstützte Jelzin, als dieser das russische Parlament im Herbst 1993 attackierte, trotz des ersten Tschetschenienkriege 1994–1996 und während der sehr umstrittenen russischen Präsidentschaftswahl 1996. Jelzin seinerseits tolerierte Handlungen der USA, die schon damals in Russland heftigen Widerstand hervorriefen.

In der vergleichsweise offenen und vertrauensvollen Atmosphäre der 1990er-Jahre riefen die beiden Präsidenten die Gore-Chernomyrdin-Kommission ins Leben. Geleitet vom US-amerikanischen Vize-Präsidenten und dem russischen Premierminister, sollte dieses Gremium die Beziehungen in einer Reihe von Feldern voranbringen, wie z. B. Weltraumaktivitäten, Verteidigungskooperation, Energiefragen und Handelsbeziehungen. Die Idee bestand unter anderem darin, dass in vielen Bereichen US-amerikanische Firmen den entsprechenden Akteuren in Russland Know-how beibringen und gleichzeitig ihre eigenen Geschäftsinteressen verfolgen könnten. Dies gelang wesentlich schlechter als erwartet. Die Kommission hinterließ keine nachhaltigen Ergebnisse.

Die Politik der USA konzentrierte sich in dieser Phase auf die sicherheitspolitischen Folgen des sowjetischen Zerfalls. Die US-amerikanische Seite war insbesondere daran interessiert, die Gefahr der Proliferation von Nuklearwaffen einzudämmen, indem man sicherstellte, dass Russland ein Monopol über die verbleibenden sowjetischen Atomwaffen besaß. Es gelang der Clinton-Administration, andere postsowjetische Staaten darauf zu verpflichten, ihre Nuklearwaffen an die Russische Föderation abzugeben, damit diese in Russland vernichtet würden.Footnote 5 Darüber hinaus stand die Frage nach einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur auf der Tagesordnung. Um die erste NATO-Osterweiterung für Russland verträglicher zu gestalten einigten sich die NATO und Russland unter aktiver Vermittlung von Bill Clinton 1996 auf die NATO-Russland Grundakte und die Bildung eines sogenannten Permanent Joint Council.Footnote 6

Schließlich förderten die USA die Demokratisierung Russlands in der Annahme, dass das Land sich der westlichen Welt im politischen wie im wirtschaftlichen Sinne anpassen würde.Footnote 7 Die amerikanische Politik war dabei durchaus ambivalent. Präsident Clinton und andere Akteure waren bereit, schwere Brüche im russischen Demokratisierungsprozess hinzunehmen, weil sie die Folgen einer Machtübernahme der Kommunisten befürchteten. Demokratieförderung wurde v. a. von US-amerikanischen NGOs betrieben und konzentrierte sich insbesondere auf den Aufbau von politischen Parteien sowie auf Techniken für das Monitoring von Wahlen. Diese Bemühungen hatten einen begrenzten Effekt, der sich kaum auf die russische politische Elite und die Struktur des politischen Systems auswirkte. Sie stellten aber eine wichtige Unterstützungsquelle für russische Aktivist innen dar (Mendelson 2001, S. 68–106).

Ab der Mitte der 1990er-Jahre erstarkten konservative politische Kräfte in Russland; die Spielräume für US-amerikanische und westliche Demokratieförderung begannen zu schrumpfen. Weite Teile der russischen politischen Elite hegten großes Misstrauen gegenüber den USA und nahmen den asymmetrischen Charakter der Beziehungen als Demütigung wahr.

Das Misstrauen steigerte sich drastisch, als die NATO im Frühjahr 1999 im Zuge des Kosovo-Krieges Serbien bombardierte, das in Russland als traditioneller Verbündeter wahrgenommen wurde. Waren Washington und Moskau Mitte der 1990er-Jahre noch in der Lage gewesen, ihre Divergenzen über die jugoslawischen Zerfallskriege und die Neuordnung des Balkans durch Verhandlungen zu überbrücken, kam es nun zum offenen Konflikt. Die Luftschläge der NATO wurden in Russland als Zeichen interpretiert, dass die USA sich über die UNO stellten und sich anmaßten, unilaterale Entscheidungen zu treffen – auch in Bereichen, in denen Russland nach eigenem Empfinden eine entscheidende Rolle zu spielen hatte. Zusammen mit der NATO-Erweiterung um Polen, Ungarn und die Tschechische Republik im März 1999 beschädigte der Kosovo-Krieg nicht nur die Beziehung zwischen den beiden Präsidenten Clinton und Jelzin schwer, sondern stellte auch Weichen, die für die Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten von entscheidender Bedeutung waren und sind (Averre 2009, S. 575–591).

4 Vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus zur Konfrontation über die Nachbarschaft: Bush und Putin in den 2000ern

George W. Bush, im Januar 2001 zum 43. Präsident der USA inauguriert, und Wladimir Putin, seit Mai 2000 Präsident der Russischen Föderation, begegneten sich erstmals im Juni 2001 im slowenischen Brdo. Bush hatte die Präsidentschaftswahl 2020 sehr knapp gegen den Demokratischen Kandidaten und Vizepräsidenten der Clinton Administration, Al Gore, gewonnen. Wladimir Putin war im Sommer 1999 praktisch aus dem Nichts vom Geheimdienstchef zum Premierminister befördert worden. Im Herbst 1999 wurde Russland von einer Serie verheerender Bombenanschläge auf Wohnhäuser in mehreren Städten erschüttert, für die islamistische Gruppierungen aus dem Nordkaukasus verantwortlich gemacht wurden. Im Dezember 1999 marschierten zum zweiten Mal seit dem Ende der Sowjetunion russische Truppen in Tschetschenien ein. Wladimir Putin positionierte sich in diesen Monaten als entschlossener Führer und starker Mann. Dieses Image trug wesentlich zu seinem Wahlsieg in den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen im März 2000 bei, die Boris Jelzin mit seinem vorzeitigen Rücktritt herbeigeführt hatte.

Die Bush-Administration brachte neue außenpolitische Prioritäten ins Weiße Haus. Sie schrieb Russland wesentlich geringere Bedeutung zu als die Vorgänger-Administration und verwarf die Kernidee der Gore-Chernomyrdin-Kommission, permanente institutionelle Kontakte auf verschiedenen Regierungsebenen zu unterhalten. Die Bush-Administration stand außerdem jeder Form von multilateraler Rüstungskontrollpolitik skeptisch gegenüber. Sie setzte früh darauf, das Projekt eines strategischen Raketenabwehrsystems wiederzubeleben. Washington kündigte im Dezember 2001 seinen Rückzug aus dem ABM-Vertrag an, mit dem die USA und die Sowjetunion sich 1972 verpflichtet hatten, keine solchen Systeme zu entwickeln.

Die gewaltige Wirkung dieses Schritts wurde zunächst durch die präzedenzlos enge Zusammenarbeit beider Seiten nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 verdeckt. Wladimir Putin war der erste Staatschef, der den USA an diesem Tag seine Unterstützung zusicherte. Als die USA ihre Militäroperation gegen die afghanischen Taliban (Enduring Freedom) begannen, öffnete Russland seinen Luftraum für US-Flugzeuge auf dem Weg zu Militärbasen in Zentralasien und stellte Geheimdienstinformationen zur Verfügung. Die russische Führung betrachtete diese Kooperation als Ausdruck eines gemeinsamen Kampfes gegen den internationalen islamistischen Terrorismus, zu dem sie auch den russischen Krieg in Tschetschenien zählte und in dem sie Russland als gleichberechtigter Partner neben den USA sah.

Die neue Freundschaft zwischen Moskau und Washington hielt jedoch nicht an. Bereits ab Mitte 2002 traten neue und alte Meinungsverschiedenheiten deutlich hervor. Moskau verstand den amerikanischen Rückzug aus dem ABM-Vertrag und das erklärte Ziel der Bush-Administration, ein Raketenabwehrsystem zu entwickeln, von Beginn an als gegen Russland gerichtet. Washingtons Beteuerungen, es handele sich um eine Schutzmaßnahme gegen nach atomarer Bewaffnung strebenden „Schurkenstaaten“ (rogue states), trafen in Russland auf taube Ohren. Je weiter sich beide Seiten ab 2002 voneinander entfernten, desto näher sah sich auch Russland in die Nähe der sogenannten „Schurkenstaaten“ gerückt und von den US-amerikanischen Raketenabwehrplänen unmittelbar gefährdet. Auch der SORT-Vertrag, den Washington und Moskau im Mai 2002 schlossen, konnte diese Entwicklung nicht aufhalten.Footnote 8 Die US-Invasion in den Irak 2003 löste in Moskau heftige Proteste aus.

Der Streit um die Erweiterung der NATO wurde mit immer größerer Härte geführt. Nachdem 1999 Polen, die Tschechische Republik und Ungarn beigetreten waren, sicherte die Allianz 2002 auch den baltischen Staaten die Mitgliedschaft zu. Mit der Aufnahme von drei ehemaligen Sowjetrepubliken wurde aus russischer Perspektive eine rote Linie überschritten. Die Aufwertung des Permanent Joint Council zum NATO-Russland Rat 2002 half kaum, das wachsende Misstrauen der russischen politischen Elite zu beruhigen. Der Konflikt trat offen zu tage, als die Bush-Administration mit der Unterstützung großer Teile des Kongresses ab 2004 begann, sich für einen NATO-Membership Action Plan (MAP) für Georgien und die Ukraine einzusetzen.

Eine solche Option war nach den sogenannten Farbrevolutionen in Kyjiw und Tbilisi in den Bereich des Denkbaren gerückt, in deren Folge Georgien und die Ukraine ihren Beitritt zu NATO und EU zu prioritären außenpolitischen Zielen erklärten. In Moskau lösten diese Entwicklungen Panik aus. Die russische politische Elite sah die Ereignisse in den beiden Nachbarstaaten, bereits ganz im Lichte der sich verschlechternden Beziehungen mit den USA und der NATO, als vom Westen gesteuerte Umstürze mit dem Ziel, russischen Einfluss in der ehemaligen Sowjetunion zurückzudrängen – und letztendlich auch in Russland einen Regimewechsel herbeizuführen.

Die innenpolitischen Entwicklungen in Russland lieferten ebenfalls zunehmend Stoff für Meinungsverschiedenheiten zwischen Moskau und Washington. Hatte die Präsidentschaft Putins mit Gesten nach Westen und einigen vor allem wirtschaftlichen Reformen begonnen, so nahmen autoritäre Tendenzen im politischen System bereits in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre spürbar zu. Der russische Staat ging nicht nur gegen Oligarchen, sondern auch zunehmend gegen unabhängige Medien, zivilgesellschaftliche Organisationen und Oppositionelle vor. In den USA riefen diese Entwicklungen scharfe Kritik hervor. Moskau beobachtete seinerseits amerikanische Organisationen, die in Russland Demokratieförderung betrieben, mit immer größerem Argwohn.

Die zunehmenden Spannungen artikulierten sich in Wladimir Putins berühmter Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007. Hier formulierte er in aller Klarheit den Vorwurf, die USA versuchten, ein unipolares internationales System zu errichten und beschuldigte Washington, russische Interessen zu verletzen. Putin kündigte an, Russland werde sich dem amerikanischen Streben nicht unterwerfen und reziprok auf die Politik der USA reagieren (Präsident Russlands 2007). Dies ist bis heute die Grundlinie der russischen Haltung geblieben. Mit dem russisch-georgischen Krieg im August 2008, wenige Monate vor dem Ende der zweiten Administration George W. Bushs, erreichten die russisch-amerikanischen Beziehungen ihren vorläufig tiefsten Punkt.

5 Obamas „Reset“ und sein Scheitern

2008 war nicht nur ein Jahr der Krise in den russisch-amerikanischen Beziehungen, sondern auch ein Zeitpunkt der innenpolitischen Veränderungen in beiden Staaten. Im März gewann Dmitri Medwedew die russische Präsidentschaftswahl. Vor dem Hintergrund der im Herbst 2008 einsetzenden Wirtschaftskrise verkündete er ein breites Modernisierungsprogramm sowie die Bereitschaft zu „Modernisierungspartnerschaften“, was im Westen große Erwartungen hervorrief (Medwedew 2009). Der Sieg Barack Obamas in den Präsidentschaftswahlen zum Ende des Jahres schien ein neues Möglichkeitsfenster zu öffnen für ein besseres Verhältnis zwischen zwei reform- und kooperationsorientierten Staatsoberhäuptern. Die ersten Begegnungen ab April 2009 und besonders der amerikanisch-russische Gipfel in Silicon Valley im Juni 2010 schienen dies zu bestätigen.

Obama und sein Team versuchten, ähnlich wie die Clinton-Administration, das amerikanisch-russische Verhältnis zu institutionalisieren. Hierfür wurde eine Bilaterale Präsidentielle Kommission eingerichtet, die, wie ihre Vorgängerin, die Gore-Tschernomyrdin-Kommission der 1990er-Jahre, die Kooperation von Aktivitäten im Weltraum über Gesundheitsfragen bis hin zu wirtschaftlichen Themen auf eine breitere Basis stellen sollte (Rojansky 2010). Die Kommission war eine zentrale Komponente des sogenannten „Reset“ in den amerikanisch-russischen Beziehungen. Washington hoffte, die Beziehungen dauerhaft auf ein qualitativ neues Niveau heben und so in wichtigen internationalen Fragen besser mit Moskau kooperieren zu können. Die russische politische Führung hingegen sah das Reset eher als eine nötige Kurskorrektur seitens der USA (Stent 2014, S. 260).

Trotz des Versuchs, die bilaterale Themenpalette zu erweitern, lag der Fokus weiter auf Sicherheitsthemen, insbesondere der Rüstungskontrolle, Afghanistan, Iran und Syrien. Die Haupterrungenschaft dieser Jahre war das New START-Abkommen, das 2011 den SORT Vertrag von 2002 ablöste. Es reduzierte die Atomwaffenarsenale der beiden Staaten in Schlüsselbereichen und etablierte, im Gegensatz zu SORT, Verifizierungsprozeduren. Auch zu Afghanistan trafen die USA und Russland effektive Vereinbarungen, die den Transport von Truppen sowie Ausrüstung über Russland (und Zentralasien) nach Afghanistan über das sogenannte Northern Distribution Network für mehrere Jahre sicherstellten.

Anhaltende Meinungsverschiedenheiten hinderten Moskau und Washington daran, eine stabile Kooperation im Hinblick auf den Iran aufzubauen. Auch wenn die russische Führung die nukleare Bewaffnung des Iran im Prinzip verhindern wollte, waren gute Beziehungen zu Teheran aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen dennoch von hoher Priorität. In der ersten Amtszeit Obamas blieb die russisch-amerikanische Zusammenarbeit deshalb sporadisch. Ab 2012 intensivierte sie sich jedoch trotz wachsender Spannungen in den russisch-amerikanischen Beziehungen insgesamt nicht zuletzt aufgrund intensiver europäischer Verhandlungsbemühungen. Im Juli 2015 wurde der sogenannte Joint Comprehensive Plan Of Action (JCPOA) zwischen Iran einerseits und den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und China andererseits beschlossen. Die Vereinbarung sah die Aufhebung der bisherigen Sanktionen gegen den Iran vor. Im Gegenzug verpflichtete sich Teheran, seine nuklearen Fähigkeiten teilweise abzubauen und dies transparent zu gestalten.

Das Thema Raketenabwehr blieb auch in den Obama-Jahren ein Zankapfel zwischen Washington und Moskau. Das Misstrauen der russischen Seite konnte nicht ausgeräumt werden. Obama verschob zwar die Stationierung relevanter Komponenten in Polen und der Tschechischen Republik. Moskau befürchtete aber weiterhin die Schwächung seines Abschreckungspotenzials. Versuche, die NATO in die Abwehrpläne einzubeziehen und den NATO-Russland-Rat für Verhandlungen darüber einzuspannen, scheiterten (Stent 2014, S. 225–229).

Zu den Differenzen im Sicherheitsbereich kamen wachsende Divergenzen über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hinzu. Nach den Dumawahlen 2011 kam es zu einem heftigen Schlagabtausch. Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton kritisierte die Durchführung der Wahl als weder frei noch fair. (Noch) Premierminister und Präsidentschaftskandidat Putin warf den USA daraufhin vor, die Massendemonstrationen für demokratische Wahlen in russischen Städten im Winter 2011/2012 inszeniert zu haben (Herszenhorn und Barry 2011). Auch außerhalb Russlands sah die russische Führung Anzeichen für illegitime Handlungen der USA. Die Tötung von Muammar Ghaddafi in Libyen, der „arabische Frühling“ in Nordafrika und im Nahen Osten sowie der „Euromajdan“ in der Ukraine waren für Moskau Ergebnisse US-amerikanischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Sie steigerten das russische Misstrauen gegenüber den USA und erhöhten Moskaus Bedürfnis, die Souveränität und Unverwundbarkeit Russlands zu schützen.

Den Todesstoß erhielt die Reset-Initiative der Obama-Administration aber durch die Krimannexion und die russische militärische Intervention im Donbas im Frühjahr 2014. Washington hatte im Zuge seines „pivot to Asia“ der Region Osteuropa vor der Eskalation des russisch-ukrainischen Konflikts immer weniger Beachtung geschenkt und die Entwicklungen dort den europäischen Partnern überlassen. Nun rückte die Bedrohung der europäischen Sicherheit durch Moskau jedoch wieder in den Vordergrund.

Die USA antwortete auf die russische Aggression gegen die Ukraine, zunächst in enger Koordination mit den europäischen Partnern, mit einer Kombination von Unterstützung für Kyjiw und Sanktionen gegen Russland. Die Obama-Administration sah jedoch davon ab, der Ukraine tödliche (sogenannte letale) Waffen zu liefern, um den Eindruck eines Stellvertreterkriegs mit Russland und eine weitere Eskalation des Krieges zu vermeiden.

Die russische Militärintervention im syrischen Krieg ab September 2015 versetzte dem ohnehin schwer beschädigten amerikanisch-russischen Verhältnis einen weiteren Schlag. Moskau zielte darauf ab, seine Stellung als globale Macht hervorzuheben und die USA zu Verhandlungen „auf Augenhöhe“ zu zwingen. In der Tat verschob die russische Intervention nicht nur das militärische Gleichgewicht in Syrien, sondern auch das geopolitische Gleichgewicht im gesamten Mittleren Osten wesentlich zuungunsten der USA und ihrer Verbündeten. Moskau baute seine Rolle immer weiter aus und hielt so den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad an der Macht.

Die Bilanz der Obama-Administration in Bezug auf das Verhältnis zu Russland fällt also sehr gemischt aus. Die ursprünglichen Erfolge des Resets (New START, Kooperation in Afghanistan, JCPOA) wurden zunehmend überschattet durch die Konflikte über die Ukraine und Syrien. Zum Ende der Amtszeit Barack Obamas hatten die amerikanisch-russischen Beziehungen den tiefsten Punkt seit dem Ende des Ost-West-Konflikts erreicht.

6 Konfrontation statt Männerfreundschaft – das amerikanisch-russische Verhältnis unter Donald Trump

Die Übernahme der Präsidentschaft durch Donald Trump im Januar 2017 schien eine neue Wende in den Beziehungen zwischen den USA und Russland einzuleiten. Trump hatte sich im Wahlkampf jovial positiv über die Qualitäten Wladimir Putins als Person und Politiker geäußert und setzte auf persönliche Treffen mit dem russischen Präsidenten, um einen Wandel im Verhältnis herbeizuführen. In der komplexen innenpolitischen Situation, die sich aus seiner Wahl ergeben hatte, konnte diese Rechnung allerdings nicht aufgehen. Der Vorwurf, dass Russland zugunsten Donald Trumps massiven Einfluss auf den US-amerikanischen Wahlkampf genommen habe und es sogar Absprachen zwischen Moskau und Trumps Wahlkampfteam gegeben habe, löste in der US-amerikanischen politischen Elite ein tiefes Trauma aus.Footnote 9 Das Verhältnis zu Russland wurde zum zentralen Streitpunkt in der extrem polarisierten amerikanischen Innenpolitik. Im Kongress entstand nach der Wahl ein parteiübergreifender Konsens gegen das Vorhaben des Weißen Hauses, eine russlandfreundlichere Politik zu betreiben.

Nicht nur der Kongress, sondern auch Trumps Minister und Berater spielten eher eine eingrenzende Rolle. State Department und Pentagon betrachteten Russland als eine wesentlich größere Gefahr als Trump. Auch hochrangige Wechsel, wie der auf Außenministerebene von Rex Tillerson zu Mike Pompeo, brachten keine wesentlichen Änderungen in den Positionen der Institutionen. In der Nationalen Sicherheitsstrategie 2017 wurde Russland entsprechend dieser eher harten Linie als Konkurrent und revisionistische Macht eingestuft (White House 2017).

Donald Trump wurde mit seinen russlandpolitischen Ambitionen also innenpolitisch weitgehend blockiert. Es war der Kongress, der in der amerikanischen Russlandpolitik den Ton angab. Im August 2017 wurde z. B. das CAATSA-GesetzFootnote 10 mit einer solch großen Mehrheit verabschiedet, dass ein präsidentielles Veto unmöglich war. CAATSA schrieb die seit 2014 bestehenden Sanktionen gesetzlich fest und erweiterte sie maßgeblich. Sie können seitdem nicht mehr durch präsidentielles Dekret aufgehoben, sondern müssen vom Kongress widerrufen werden.

Die Beziehungen erodierten ganz besonders in der Sicherheitssphäre. Nach jahrelangen Vorwürfen, dass Russland seine Verpflichtungen im Rahmen des INF-Vertrags verletzt habe, kündigten die USA den Vertrag im Februar 2019 (Arms Control Association 2019). Der INF-Vertrag endete offiziell im August 2019, und mit ihm die Begrenzung für den Bau atomarer Mittelstreckenraketen. Damit wuchs die Gefahr eines atomaren Wettrüstens und eines nuklearen Einsatzes in Europa. Die USA gingen außerdem dazu über, der Ukraine letale Waffen zu ihrer Verteidigung zur Verfügung zu stellen – ein Schritt, den die Obama-Administration vermieden hatte, um die Spannungen zwischen Russland und den USA nicht zu verschärfen.

Im Handelsbereich dämpften die von den USA verhängten Sanktionen sowie Zollerhöhungen auf beiden Seiten das ohnehin niedrige Handelspotenzial weiter (Russell 2018). Auch im Energiebereich ergaben sich zunehmend Probleme dadurch, dass die USA immer mehr Interesse am Export von Erdgas nach Europa entwickelten. Selbst Donald Trump stellte sich deshalb gegen den Bau der Pipeline Nord Stream 2, die aus russischer Sicht mittelfristig die Ukraine als Gastransitland überflüssig machen sollte. Hier zogen der Kongress und der Präsident an einem Strang, da die bisherigen vom Kongress angeordneten Sanktionen Möglichkeiten für die Bestrafung auch nicht-russischer Firmen eröffneten, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt waren.

Entgegen ursprünglichen Erwartungen entwickelte sich das bilaterale Verhältnis während der Trump-Präsidentschaft nicht nur negativer als erwartet, sondern es entstand eine qualitativ neue Situation. Die amerikanisch-russischen Beziehungen wurden in den USA nach der russischen Einmischung in die Präsidentschaftswahl 2016 zu einem der kontroversesten innenpolitischen Themen. Die Verschlechterung des Verhältnisses erwies sich als irreparabel.

7 Die Präsidentschaft von Joe Biden: dauerhafter Tiefpunkt im Lichte des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine

Joe Biden war kein unbeschriebenes Blatt in den amerikanisch-russischen Beziehungen, als er im Januar 2021 Donald Trump im Weißen Haus in Washington ablöste. Er blickt auf eine lange politische Laufbahn zurück, in der Außenpolitik immer eine wesentliche Rolle spielte. Als Vizepräsident unter Barack Obama gestaltete er die US-amerikanische Politik gegenüber Russland von 2009 bis 2017 und die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression ab 2014 maßgeblich mit. Seine Verbindungen in die Ukraine waren Gegenstand des extrem aggressiv geführten Präsidentschaftswahlkampfs 2020. Donald Trump sah sich einem Impeachment-Verfahren ausgesetzt, weil er in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij versucht hatte, diesen zu einer Untersuchung der wirtschaftlichen Aktivitäten von Bidens Sohn, Hunter Biden, in der Ukraine zu bewegen und so seinem Konkurrenten um das Präsidentenamt zu schaden. So wurde die Ukraine unter negativen Vorzeichen zum Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen, was Bidens Handlungsspielraum zu Beginn seiner Präsidentschaft einschränkte. Russland schien davon zunächst zu profitieren.

Gegenüber Russland wählte Biden anfänglich einen zweigleisigen Ansatz. Einerseits verfolgte er begrenzte Kooperation in einigen sicherheitspolitischen Fragen, machte aber andererseits unmissverständlich klar, dass die USA Russland für seine aggressive Politik und Verstöße gegen internationales Recht zur Rechenschaft ziehen würden (Pifer 2021). An seinem ersten Tag im Amt erklärte Biden, den New START-Vertrag verlängern zu wollen. Moskau willigte ein und die Verlängerung von New Start kam kurz vor dem Ablaufdatum am 4. Februar 2021 zustande. So wurde ein wichtiger Pfeiler der nuklearen Rüstungskontrolle bestätigt. Der Schritt galt als verhalten positives Signal für die weitere Entwicklung der Beziehungen. Biden war außerdem viel daran gelegen, das während der Trump-Jahre schwer gebeutelte Verhältnis zu wichtigen europäischen Verbündeten zu reparieren. Unter anderem einigte er sich im Juni 2021 mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf eine Duldung der Nord-Stream 2 Pipeline – solange Russland Energie nicht als Waffe einsetzte. Zwar wurden der Ukraine zum Ausgleich eine Milliarde US-Dollar als „grüner Fonds“ versprochen. In erster Linie sicherte der Deal aber die Fortführung des Projekts Nord Stream 2, das zu Moskaus ersten Prioritäten gehörte.

Schon in den ersten Monaten nach Bidens Amtsantritt setzte eine negative Dynamik ein, die sich im Laufe des Jahres 2021 unaufhaltsam beschleunigte (Rutland 2022). Im Frühjahr 2021 verhängten die USA neue Sanktionen gegen Russland. Anlass war zum einen die Verhaftung des oppositionellen Politikers Aleksej Navalny. Zum anderen wiesen die Spuren eines Cyber Angriffs auf das in Texas ansässige Unternehmen SolarWinds laut amerikanischen Untersuchungsbehörden nach Russland. Mit seiner Aussage, Putin sei ein „killer“, löste Joe Biden in Russland einen Sturm der Entrüstung aus. Über allem lag noch immer der Schatten der russischen Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl 2016, zu der Biden weitere Untersuchungen anordnete.

Im April 2021 zog Moskau etwa 100.000 Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenze zusammen. Diese Drohgebärde löste in Kyjiw und westlichen Hauptstädten große Besorgnis aus. Moskau behauptete, es handle sich um eine militärische Übung, zog jedoch nach deren erklärtem Ende seine Truppen nicht vollständig zurück. Putin erreichte auf diese Weise Bidens Einwilligung zu einem Gipfeltreffen, das im Juni 2021 in Genf stattfand. Die Präsidenten besprachen verschiedene Sicherheitsfragen, von der nuklearen Rüstungskontrolle bis zur Cybersicherheit. In Bezug auf die Ukraine gab es keine Fortschritte. Im Gegenteil, die Verlautbarungen aus Moskau zu diesem Thema wurden immer aggressiver. Kurz nach dem russisch-amerikanischen Gipfel im Juli sprach Putin in einem langen „historischen“ Essay auf der Website des Kremls der Ukraine explizit das Existenzrecht ab (President of Russia 2021). In Moskau hinterließ der chaotische westliche Truppenabzug aus Afghanistan im August den Eindruck ultimativer Schwäche des westlichen Bündnisses und ermutigten die politische Führung, die „Ukraine-Frage“ ein für alle Mal zu „lösen“.

Im November kam es zu einem noch massiveren russischen Truppenaufmarsch an der russisch-ukrainischen Grenze. In zwei Entwürfen für „Verträge über Sicherheitsgarantien“ mit den USA und der NATO stellte Wladimir Putin Washington und Brüssel schließlich im Dezember 2021 ein Ultimatum: Die NATO sollte sich mit allen Waffen bzw. Militärbasen aus den Staaten zurückziehen, die vor Mai 1997 der NATO nicht angehörten, also aus allen Staaten, die vor 1991 unter sowjetischen Einfluss standen. Die USA und die NATO sollten sich zusätzlich dazu verpflichten, dass die NATO sich nicht weiter nach Osten ausdehnen würde. Die Ukraine wurde in diesem Zusammenhang explizit erwähnt (Ministry of Foreign Affairs 2021). Moskaus diplomatische Offensive löste eine Phase intensiver Verhandlungen aus. Die USA und ihre Verbündeten lehnten das russische Ansinnen, Europa wieder in eine amerikanische und eine russische Einflusszone aufzuteilen, strikt ab. Sie versuchten, an die wenigen kompromissfähigen Elemente in den Vertragsentwürfen anzuknüpfen. Aber Putin war nicht bereit, auf seine Maximalforderungen zu verzichten. Die Verhandlungsbemühungen brachen kurz vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine ergebnislos ab.

Die USA hatten, wie auch Großbritannien, schon seit Herbst 2021 Geheimdienstinformationen publik gemacht, nach denen eine Aggression kurz bevorstand. Washington drohte, ebenso wie die EU, mit präzedenzlosen Sanktionen, sollte Moskau den Konflikt mit der Ukraine erneut eskalieren. Die Russland-Sanktionen der USA und ihrer Verbündeten seit Februar 2022 sind die härtesten Strafmaßnahmen, die jemals gegen ein Land verhängt wurden. Die USA und die EU koordinieren ihre Sanktionspolitik und ihre Positionen sehr eng. Die US-Sanktionen gehen aber in einigen Bereichen weiter als die Sanktionen der EU. Das betrifft den Energiehandel, wo die EU aufgrund ihrer Abhängigkeit von Russland nicht mit der gleichen Geschwindigkeit und Entschlossenheit agieren kann wie die USA. Die USA verhängen außerdem anders als die EU auch extraterritoriale Sekundärsanktionen, die Drittstaaten treffen können, wenn sie Russland helfen, an amerikanische Güter zu kommen oder amerikanische Sanktionen zu umgehen. Die USA sind zudem der größte Unterstützer der Ukraine mit Waffen und spielen eine zentrale Rolle bei der Koordination der internationalen Antwort auf die russische Aggression in multilateralen Foren wie den Vereinten Nationen, der NATO, der G7 oder der G20.

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat die Rüstungskontroll- und Nonproliferationsbemühungen, in die die USA und Russland gemeinsam involviert waren, vorerst zum Erliegen gebracht. Die Gespräche über eine Wiederbelebung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) zur Verhinderung einer nuklearen Bewaffnung des Iran liegen auf Eis. Iran ist im Zuge der russischen Isolation zu einem noch wichtigeren Partner für Russland geworden. Der totale Vertrauensverlust zwischen Washington und Moskau macht eine produktive Entwicklung in diesem Bereich unwahrscheinlich. Im Februar 2023 kündigte Wladimir Putin die einseitige Unterbrechung der russischen Beteiligung am ein Jahr zuvor verlängerten New Start Abkommen an. Auch hier ist keine positive Entwicklung absehbar; stattdessen droht ein beschleunigtes nukleares Wettrüsten.

Moskau beschuldigt den „kollektiven Westen“ unter amerikanischer Führung, in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg mit Russland zu führen. Der Krieg überschattet alle anderen Bereiche der Beziehungen und hat die meisten früheren Kontakte und Verbindungen unmöglich gemacht. Der bisherige Schulterschluss zwischen Russland und China, der durch den Besuch von Xi Jinpings in Moskau im März 2023 unterstrichen wurde, bekräftigt die Etablierung von zwei sich gegenüberstehenden Blöcken, zumal die Beziehungen zwischen den USA und China sich zusehends verschlechtern.

Einzig im Sicherheits- und Verteidigungsbereich werden sporadische Kontakte aufrechterhalten bzw. in Krisensituationen genutzt, wie zum Beispiel nach der Kollision eines russischen Kampfjets mit einer US-amerikanischen Drohne im März 2023. Insgesamt aber ist die Kommunikation zwischen den beiden Staaten auf ein Minimum geschrumpft. Die russische Aggression hat einen tiefen Bruch in den Beziehungen zu den USA bewirkt, der in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach nicht überwunden wird.

8 Schlussfolgerungen: Kein Ende des Antagonismus in Sicht

Nach den frühen 1990er-Jahren, in denen entspannte Beziehungen und enge bilaterale und multilaterale Kooperation zwischen Russland und den USA möglich schienen, haben sich die russisch-amerikanischen Beziehungen spätestens seit 1999 kontinuierlich verschlechtert. Alle Versuche, das Verhältnis auf personeller und institutioneller Ebene zu normalisieren, zu verbessern und zu stabilisieren, sind bislang gescheitert. In Russland scheint sich ein konservativer, anti-amerikanischer Konsens in politischer Elite und Bevölkerung fest etabliert zu haben, der sich im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine wesentlich verstärkt hat. In den USA ist die Russlandpolitik mehr denn je zu einer innenpolitischen Frage geworden. Die russische Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen hatte die Atmosphäre bereits vergiftet, dann kam die russische Aggression gegen die Ukraine dazu, die (zumindest bislang) die allermeisten amerikanischen politischen Akteure um die Unterstützung Kyjiws vereinigt hat.

Die Fronten haben sich also verhärtet. Die russische Aggression gegen die Ukraine hat tiefe Risse im russisch-amerikanischen Verhältnis offengelegt und verstärkt. Diese betreffen sowohl die Prinzipien von staatlicher Souveränität und territorialer Integrität als auch die Bedingungen, unter denen militärische Mittel zum Einsatz kommen dürfen. Es geht zudem um die Unterschiede zwischen autoritären und demokratischen Regimen sowie um die Ausgestaltung der transatlantischen Sicherheit. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass Putin einen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine veranlassen wird. Die USA unter Biden haben bislang dafür gesorgt, dass die Ukraine ausreichend militärische Unterstützung erhält, um den Kampf gegen Russland weiterzuführen. Es erscheint höchst wahrscheinlich, dass sich der Krieg noch einige Monate oder gar Jahre fortsetzen wird. Der Antagonismus zwischen Moskau und Washington wird in absehbarer Zeit kaum überwunden werden können. Auch wenn Donald Trump die Präsidentschaft wieder übernehmen sollte, bleibt ein freundschaftliches Verhältnis zu Russland unwahrscheinlich. Unter Putin ist es nicht vorstellbar, dass die Beziehungen zu den USA sich verbessern könnten. Aber auch unter einem anderen russischen Präsidenten werden sich die Einstellungen und Ansätze in absehbarer Zeit vermutlich kaum verändern. Die Beziehungen werden wohl mittel- bis langfristig extrem angespannt bleiben, vor allem wenn die derzeitige gegenseitige Annäherung zwischen Moskau und Peking andauern sollte.