Kool Savas: „Berlin ist ein Haifischbecken“

Kool Savas: „Berlin ist ein Haifischbecken“

Kool Savas gilt seit über zwei Dekaden als „King of Rap“. Ein Gespräch über die Grenzen des Sagbaren, das Leben in Berlin und die Fürsorge für seinen Sohn.

Kool Savas hat mit „Aghori“ sein sechstes Soloalbum veröffentlicht.<br><br>
Kool Savas hat mit „Aghori“ sein sechstes Soloalbum veröffentlicht.

Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Die Geschichte des HipHop in Deutschland kann nicht ohne diesen Berliner erzählt werden: Kool Savas. Um die Jahrtausendwende machte sich Savas Yurderi auf den Weg, um sich mit selbst beweihräuchernden Battle-Texten zum „King of Rap“ zu krönen. Seitdem gilt der 46-Jährige als einer der einflussreichsten Rapper hierzulande, der seinen Status mit erfolgreichen Alben zementiert hat und den viele Musiker der jüngeren Generation als ihr Vorbild nennen – der aber mit seinen Texten auch immer wieder für Kontroversen sorgte.

Mit „Aghori“ erscheint nun eine neue Platte. Der Titel geht auf eine uralte religiöse Gemeinschaft im Hinduismus zurück und bedeutet wörtlich übersetzt „die Furchtlosen“. Zeit für ein Gespräch über Yurderis Werteverständnis im Leben, Frauen im Rap und über die Frage, warum er nicht möchte, dass sein Sohn auf seine alte Schule in Berlin geht.

Herr Yurderi, auf „Aghori“ hört man aus vielen Stücken den von Ihnen bekannten Battle-Rap heraus. Ist diese Form noch immer Ihr größter Antrieb beim Musikmachen?

Ja, das ist immer noch komplett mein Ding. So wie Ferrari Sportwagen macht, mache ich eben Battle-Rap. Für mich gibt es keinen Grund, etwas anderes zu machen. Ich möchte mich nicht auf jedem Album neu erfinden, sondern immer eine bessere Version von mir in diesem Bereich sein. Diese Art von Musik gefällt mir und ich optimiere das gerne für mich selbst.

Rap ist mittlerweile im Mainstream angekommen. An welchen konkreten Punkten machen Sie das fest?

Es ist die meistgestreamte Musik. Vom Frühstücksfernsehen bis zu „Galileo“ läuft Rapmusik im Hintergrund. In jedem Auto hört man es.  Es ist großartig, dass Rap mittlerweile angekommen ist und vielen Leuten die Möglichkeit gibt, Geld damit zu verdienen.

Wie nehmen Sie Rap von Frauen wie beispielsweise SXTN oder Loredana wahr?

Frauenrap war früher kein Thema, aber SXTN oder Loredana haben für eine Revolution gesorgt. Sie haben einfach gemacht, worauf sie Bock hatten und sich in einer bis dato männerdominierten Szene durchgesetzt.

Wenn man erfolgreicher Rapper werden will, ist es inzwischen nicht mehr so wichtig, eine bestimmte Stadt wie Berlin im Rücken zu haben. Viele Ihrer Kollegen kommen aus kleineren Städten. Bringt Berlin noch guten Rap hervor?

Auf jeden Fall. Berlin hat einen speziellen Vibe. Wenn du aus Berlin bist und es schaffst, groß und bekannt zu werden, heißt das, dass du dich erst mal gegen vier Millionen potenzielle Konkurrenten durchgebissen hast. Pashanim und Symba verkörpern das in der neuen Generation sehr gut. 

Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie „Feminist bis zu einem gewissen Maße“ seien. Wie passt das mit manchen Ihrer früheren Texte zusammen, für die Sie auch viel Kritik bekommen haben, weil diese als pornografisch, homophob oder frauenverachtend wahrgenommen wurden?

Ich bin als Feminist erzogen worden. Für meine Mutter war klar – sie hat mir diese Werte so auch weitergegeben –, dass eine Frau alles machen darf, was auch ein Mann machen darf. Da gibt es keinen Unterschied. Meine Kunst, gerade auch früher, war meine Art der Kreativität, meine Art von Humor. Humor oder Sarkasmus funktionieren oft nur, indem man manchmal die Grenzen durchbricht und vielleicht auch die Grenzen der eigenen Überzeugung überschreitet. Meine Eltern sind hochpolitisch und so wurde ich auch erzogen. Ich habe politisch unkorrekte Sachen gesagt, nicht nur in meiner Musik, auch in meiner Freizeit. Ich mache das aber bis heute. Wenn ich einen Witz machen will, der meine Frau schockiert, dann sage ich natürlich auch mal etwas, was ein wenig drüber ist. Das ist nicht immer korrekt, aber oftmals entsteht daraus für mich der Witz.

Wo liegt die Grenze des Sagbaren?

Die Grenze definiert sich immer über den Kontext und vor allem über den Raum, in dem etwas gesagt wird. Ich finde, wenn man mit Freunden zusammensitzt, kann man Sachen ganz anders sagen, als wenn man etwas auf Twitter oder Instagram schreibt. Dort gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es ist zum Provozieren gedacht oder es ist meine Meinung. In einem Song kann ich das als kreatives Tool nutzen, da kann ich Statements machen, die ich auf Twitter nicht machen könnte, weil sie dort in einem ernsten Zusammenhang wahrgenommen werden und man sich vielleicht fragt: Was soll das denn, ist das jetzt seine Meinung? Ich könnte in einem Song sagen: Ich mache einen Dreier mit meinem Bruder Trump und Melania. Jeder würde sagen, das ist einfach eine asoziale Zeile. Wenn ich das auf Twitter schreibe und Trump meinen Bruder nenne, wird man wahrscheinlich sagen: Entweder der trollt uns oder der meint das ernst.

Humor oder Sarkasmus funktionieren oft nur, indem man manchmal die Grenzen durchbricht und vielleicht auch die Grenzen der eigenen Überzeugung überschreitet.

Kool Savas

Fehlt Ihnen das Analoge manchmal?

Ja. Im Netz findet kein echter Austausch statt. Früher war dieser Fakt den Menschen noch bewusst. Heute sind wir an dem Punkt angelangt, wo du eine computergenerierte Figur erstellen kannst. Du kannst ihr einen Namen oder ein Image geben und hast dann ein virtuelles Wesen, das auf einmal zu den Leuten spricht. Die Leute nehmen das als eine Meinung wahr, die existiert. Das ist Blödsinn. Du kannst nicht sagen, dass ein sprechender Hase eine ernsthafte politische Message verkünden kann. Das ist die abstrahierte Version von Donald Trump. Das war auch keine wirklich politische Message, die dieser Typ über all die Jahre abgeliefert hat.

Mit „AMG“, einem Ihrer neuen Songs, geben Sie anderen Menschen Hoffnung und Zuversicht. Kann man als Musiker die Gesellschaft verändern?

Ich glaube, jedes Wort, das die Menschen erreicht, kann etwas verändern. Ohne hyperesoterisch klingen zu wollen: Ich glaube auch, dass es eine Art unsichtbaren Äther gibt, wo man diese ganze Energie reinschickt. Wenn man negative und boshafte Messages in die Welt schickt, kann das etwas Negatives anrichten. Genauso ist es mit positiven Messages: Sie bewirken Gott sei Dank oftmals positive Dinge.

Was ist der größte Unterschied zwischen Ihnen als Rapper und Privatperson?

In dem Moment, wo ich als Rapper unterwegs bin – vor allem auf der Bühne –, habe ich schon ein Darstellungs- und Geltungsbedürfnis, das ich im Privatleben nicht habe. Privat bin ich eher zurückhaltender und schüchterner, als die Leute es erwarten würden.

Sie sind privat nicht so selbstbewusst wie in Ihrer Musik?

Ich hinterfrage mich privat viel mehr. Wenn es um meine Musik geht, gibt es nichts zu hinterfragen. Ich habe dort meine Errungenschaften und alle Sachen genauso gemacht, wie ich sie machen wollte. Im Privatleben sehe ich mich immer noch als Suchenden oder Reisenden und versuche, jeden Tag irgendetwas mitzunehmen. Ich höre mir alle Meinungen, Erlebnisse und Lebenskonzepte von Leuten an, ohne dass ich sofort verurteile.

In „Der stärkste Mann“, einem weiteren neuen Song, erzählen Sie die Geschichte Ihres Vaters. Sie rappen: „Ich wäre gerne so ein Mann wie du“. Was zeichnet Ihren Vater aus?

Mein Vater ist der geradlinigste Mensch, den ich kenne. Er hat seine moralischen Grundsätze und hält sich an den Sachen fest, die er weiß oder glaubt. Dem ordnet er alles unter – manchmal sogar sein eigenes Seelenheil. Er hatte schon öfter Situationen, in denen er vielleicht gerne anders gehandelt hätte, aber dann sagt er sich: Nein, das ist für mich nicht das Richtige. Mein Vater ist jemand, dem man Millionen für etwas auf den Tisch legen könnte, aber wenn er nicht an die Sache glaubt, die er dafür machen soll, macht er sie für kein Geld der Welt. Er ist unbestechlich und würde sich nicht umdrehen lassen. Gleichzeitig ist er eine absolute Autoritätsperson, aber nie unterdrückend, nie unfair, nie bösartig und nie zu seinem eigenen Nutzen. Für ihn ist das Wichtigste, dass es seiner Familie gut geht.

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BLZ/Markus Wächter
Zur Person
Savas Yurderi, 46, wurde in Aachen geboren, zog aber kurze Zeit später mit seinen Eltern in die Türkei. Als Yurderi elf Jahre alt war, fand die Familie in Berlin-Kreuzberg ihr Zuhause. Dort widmete er sich in seiner Jugend Graffiti und Rap.

Seine ersten Songs erschienen rund um die Jahrtausendwende, sein Debütalbum „Der beste Tag meines Lebens“ veröffentlichte Yurderi 2002. Mit „Aura“ und „Märtyrer“ folgten Goldplatten sowie Zusammenarbeiten mit Sido und Rea Garvey. Nach einigen Umzügen lebt Yurderi inzwischen wieder in Berlin.

Was davon fehlt Ihnen?

So straight wie er bin ich nicht. Der Mann war fünf Jahre in der Türkei im Gefängnis, wurde monatelang gefoltert und hat dem Tod mehrmals ins Auge geblickt. Er hat aber nicht einen seiner Genossen verraten, obwohl er gehört hat, wie Leute neben ihm in den Zellen verraten wurden. Das kann man sich fast nicht vorstellen. Um an diesen Punkt zu kommen, musst du absolut gefestigt sein.

Ihr Vater war ein linkspolitischer Aktivist in der Türkei und musste während Ihrer Kindheit ins Gefängnis. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Das war sehr einschneidend. Ich hatte meine Ängste, die manchmal völlig unbegründet aus dem Nichts kamen, als Jugendlicher und auch noch als Erwachsener. Das war eine Weiterführung dieser Urangst, dass der Vater stirbt, denke ich mir. Über diese Angstzustände rappe ich auch auf dem Titelsong „Aghori“.

Steckt aufgrund der politischen Kämpfernatur Ihres Vaters auch eine gewisse Form der Rebellion in Ihren Texten?

Vielleicht ist meine Rebellion ein Ausdruck gegen die politische Haltung meiner Eltern. Vielleicht war ich deswegen auch so unpolitisch. Aber die Wut und der Schmerz in den Texten – und ich glaube, die Wut hört man heute noch, selbst wenn nicht alle Songs ein wütendes Thema haben – ist, glaube ich, schon der Grund, warum Leute mit meiner Musik zusammengewachsen sind. Es emotionalisiert auf eine gewisse Art und Weise. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die Kraft gehabt hätte, das alles so durchzuziehen, wenn ich ein behütetes, entspanntes Leben ohne Flucht oder Angst um meinen Vater gehabt hätte.

Sie haben einige Ausbildungen angefangen, aber keine davon zu Ende geführt, sondern alles auf die Karte „Rap“ gesetzt. War Ihnen früh klar, dass Sie mit Musik Ihren Lebensunterhalt bestreiten können?

Nein. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich mit Rap Geld verdienen kann. Ich habe aber gespürt, dass ich niemals ein guter Tischler werden kann, solange Rap meine Leidenschaft ist. Wenn ich einen Job als Straßenfeger hätte oder Kioskbesitzer wäre, würde ich heute trotzdem rappen.

Welche Erwartungen hatten Sie früher ans Erwachsenwerden?

Ich hatte wahrscheinlich ein komisches Bild vom Erwachsenwerden, weil ich geglaubt habe, dass man dann aufgehört haben muss, sich selbst zu verwirklichen oder finden zu wollen. Ich habe aber immer noch viel zu viele Fragen und nie das Gefühl, dass ich jetzt endlich so richtig angekommen bin. Meine Verantwortung, gerade in Bezug auf meinen sechsjährigen Sohn, nehme ich sehr ernst. Aber so richtig erwachsen fühle ich mich noch nicht.

Welche Aufgaben fallen Ihnen als Vater leicht – und welche nicht?

Früher habe ich mich schwergetan, Businessentscheidungen zu treffen, weil ich nicht egoistisch erscheinen wollte. Jetzt bin ich aber der Manager meines Sohnes. Wenn ich am Tisch sitze und das Angebot nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt habe oder wir keinen vernünftigen Kompromiss finden, dann mache ich es nicht. Ich weiß, was meine Marke wert ist und mache das für meinen Sohn. Komplett abzuschalten und mal 14 Tage weg zu sein dagegen, kann ich nicht mehr gut. Wenn ich weiß, dass es meinem Sohn oder meiner Frau schlecht geht, dann komme ich lieber früher von einer Reise zurück.

Nach einer langen Zeit, die Sie in Berlin gelebt haben, sind Sie im letzten Jahrzehnt häufiger innerhalb Deutschlands umgezogen. Was steckte dahinter?

In erster Linie wollte ich mit einer in die Brüche gegangenen Beziehung abschließen. In Berlin hätte ich mir wahrscheinlich kein schönes neues Leben aufbauen können, weil man doch oft mit dem alten Leben konfrontiert wird. Für mich war es absolut gesund, wegzuziehen, verschiedene Menschen kennenzulernen, mich zu öffnen und selbst zu verstehen.

Vor einigen Jahren sind Sie dann zurück nach Berlin gezogen. Was bedeutet Ihnen die Stadt?

Mir ist bewusst, welchen Einfluss sie auf mich hatte. Ich bin aber nicht der größte Berlin-Fan. Die menschliche Komponente ist hier sehr schwierig. Ich habe ein Studio in einem Dorf in der Nähe von Bamberg. Da spürst du einfach, dass es eine Gemeinschaft gibt. Die Leute mischen sich nicht in alles ein, aber es gibt ein Bett, auf das du dich zurückfallen lassen kannst und du wirst gewissermaßen getragen von den Leuten. Da ist es nicht egal, was mit dem Nachbarn ist. Vielleicht redet man ein paar nette Worte mit ihm und gibt ihm das Gefühl, dass jemand da ist. In Berlin existiert das nicht. Diese Stadt ist ein Haifischbecken. Es wird hier immer oberflächlicher. Berlin entspricht nicht mehr dem, was ich für meinen Sohn möchte. Ich würde ihn hier ungerne auf meine alte Schule schicken, weil das zu viel negativen Einfluss auf ihn hätte.

Wo würden Sie eines Tages gerne leben?

Ich schlage meiner Frau öfter München vor. Wenn sie einwilligt, könnten wir innerhalb kürzester Zeit umziehen. Bislang ist das aber noch kein Thema für sie.

Kool Savas: „Aghori“ (Essah Entertainment/Sony Music)