Dieter Reiter: Ein Sendlinger Bub regiert die Stadt | Abendzeitung München

Dieter Reiter: Ein Sendlinger Bub regiert die Stadt

Mit 55 Jahren wird Dieter Reiter zum Nachfolger von Christian Ude gewählt – wie aus dem Verwaltungsbeamten und SPD-Außenseiter der neue Münchner Oberbürgermeister wurde.
| Willi Bock
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Ein Kuss für Ehefrau Petra: Dieter Reiter bei der SPD-Wahlparty nach seiner Wahl zum Münchner Oberbürgermeister
dpa Ein Kuss für Ehefrau Petra: Dieter Reiter bei der SPD-Wahlparty nach seiner Wahl zum Münchner Oberbürgermeister

München - Ein Mann steht ganz still und bescheiden am Rand, als der Saal in der SPD-Zentrale unter frenetischen „Dieter, Dieter“-Rufen zum Tollhaus wird, als Petra die Tränen kommen und Christian Ude ganze Alpenketten von Steinen vom Herzen fallen, weil er wirklich einen roten Nachfolger hat: Der pensionierte Kämmerer Klaus Jungfer, der vor Urzeiten den frechen und intelligenten Jungspund Dieter Reiter entdeckte und auf die Beamten-Karriereleiter schob. Ohne Jungfer und seinen Nachfolger Ernst Wolowicz gäbe es heute keinen OB Dieter Reiter.

Mit 50 Komma X Prozent wäre Dieter Reiter (55) in der Stichwahl zufrieden gewesen, und 56,7 Prozent sind es für den Münchner Polit-Neuling in der Stichwahl geworden (bei der mit 38,5 Prozent niedrigsten Wahlbeteiligung aller Zeiten). Damit liegt er 13,4 Prozent vor dem schwersten Gegner, den die Münchner CSU in den vergangenen 20 Jahren nach Peter Gauweiler jemals aufzubieten hatte. 20.000 rote Rosen säumen Reiters mühsamen Wahlkampfweg. Alle waren am Sonntag zum Feier-Abend da – inclusive der gesamten Prominenz der Grünen und der Rosa Liste.

Jetzt ist der Bub aus Sendling als gstandnes Mannsbild dort angekommen, wohin er sich das bei seiner trockenen Beamtenkarriere nie hätte träumen lassen: An der Spitze der Stadt. Und als neuer Liebling der SPD, die den Quereinsteiger inzwischen in ihr Herz geschlossen hat. Nicht nur da ist Dieter Reiter anders als sein Ziehvater Christian Ude, der schon als Bub Oberbürgermeister werden wollte. Damit steht Dieter Reiter in der ewig beschworenen Tradition Münchner SPD-Oberbürgermeister: Thomas Wimmer, Hans Jochen Vogel, Georg „Schorsch“ Kronawitter und Christian Ude. Eine schwere Bürde.

Bis Dieter Reiter dorthin gekommen ist, war es für den Außenseiter ein erstaunlich kurzer und dafür sehr schwerer und schmerzhafter Weg: Erst Im Herbst 2011 hatte ihn die SPD zum OB-Kandidaten ausgerufen. Bis dahin hatte ihn niemand auf dem Plan, weil er in München nie aktiv gewesen war. Er lebte mit seiner kleinen Familien inzwischen in Straßlach und hielt in der Kämmerei das Geld zusammen. Da war Josef Schmid schon seit fünf Jahren aktiv.

Dabei war Reiter anfangs eigentlich nur die zweite Wahl. Denn jahrelang hatte Christian Ude die Partei vertröstet, ein Franz Maget, Julian Nida-Rümelin, eine Christine Strobl und wer sonst noch alles würde seine Nachfolge antreten. Taten sie aber nicht. Die Unterstützung der Partei und der erschlafften Stadtratsfraktion war am Anfang unterirdisch und die Umfragen ein Desaster. Dieter Reiter hatte eben nicht den Stallgeruch der Münchner SPD – das machte es leichter und schwerer.

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Leichter: Weil er noch nicht in die Eifersüchteleien und Feindschaften verstrickt war. Schwerer: Weil er den zähen Apparat der SPD und die Befindlichkeiten nicht kannte und deshalb so manche ärgerliche Überraschung erlebte.

Bis zu jenem Herbst 2011 war Dieter Reiter auch nur ein unbekannter und intern fachlich und menschlich hochgeschätzter Verwaltungsbeamter: Er war „zur Stadt“ gegangen, genauso wie sein Vater, er war in der Kämmerei gelandet, genauso wie sein Vater. Nur hat er eine steilere Karriere gemacht – nachdem Kämmerer Klaus Jungfer ihn 1993 als vielversprechenden Pressesprecher und Büroleiter an seine Seite geholt hatte. Reiter wurde später Kämmerei-Vize und im Jahre 2000 kam der von Ernst Wolowicz angeschobene Aufstieg zum PR-trächtigen Wirtschafts- und Wiesn-Referenten. In diesen zweieinhalb Jahren seit seiner Kandidatur hat er sich enorm entwickelt und hat viel dazu gelernt. Auch über München. „Ich habe den Unterschied zwischen dem geografischen ,Auskennen’ und einem bayerischen ,dass di auskennst’ erfahren.“

Sein Typ hilft ihm da. Reiter kommt sympathisch daher und geht auf Menschen zu. So ist er vom spröden Zahlenjongleur zu einem Redner geworden, der die einfachen Menschen genauso unverkrampft anspricht wie die Großkopferten, und er kann sozialdemokratische Herzen erwärmen. Ein Christian Ude hat dazu viel länger gebraucht. Man darf sich aber bei seinen Charme und seiner Freundlichkeit nicht vertun.

"Dann mach ich eben den Bösewicht"

Das hat schon so mancher gebüßt. Denn er ist genauso energisch gegen mächtige Wiesnwirte, er zerpflückt den Jahresbericht des Flughafens, kürzt radikal die Zuschüsse für die Messe oder zitiert die selbstbewussten Stadtwerkechefs in den Stadtrat. Da kann Reiter ganz schön robust werden, wenn ihm etwas nicht passt. „Dann mach ich eben den Bösewicht“, sagt er und hält das auch aus.

Auch dann, wenn die eigene SPD im Stadtrat gegen seinen Willen den Wirten mal wieder gnädig sein will. Als sein Wahlkampf in die Schieflage kam, weil eine Hiobsbotschaft um Kliniken oder leerstehende Wohnungen die andere jagte, da bekam so mancher den Unfreundlichen zu spüren. „Ich habe vor Wut fast in den Hörer gebissen“, erzählt er über den Moment, als er vom Skandalhaus in der Pilotystraße erfuhr. Die zuständige Referentin Brigitte Meier hat er deswegen in der Fraktionssitzung rund gemacht.

Auch ein Christian Ude blieb nicht verschont. Als sich der OB im Landtagswahlkampf aus München verabschiedet hatte, stellte sich Reiter breitbeinig hin: „Die Kliniken würde ich zur Chefsache machen.“ Auch Reiters majestätskritisches 100-Tage-Programm erfuhr Ude aus der Zeitung.

"Ich bin ein Schmidt-Typ"

Soviel Selbstbewusstsein muss schon sein. Da scheint auch sein Vorbild durch: Der robuste Alt-Kanzler Helmut Schmidt. „Ich bin ein Schmidt-Typ“, gibt er zu. Also gern zupackend, autoritär, klug, penibel und Respekt fordernd. Vor wem hat Reiter denn selber Respekt? Vor starken Frauen! „Man muss sich nur mal einen Generalstreik der Frauen vorstellen, was dann hier los wäre.“

Wie ein Schorsch Kronawitter betont Dieter Reiter seine Herkunft aus kleinen Verhältnissen: „Meinen Eltern ist nichts in den Schoß gefallen, und wir mussten jede Mark zweimal umdrehen.“ Die Familie lebte zu sechst in Sendling in einer Genossenschaftswohnung, 110 Quadratmeter für 110 Euro, und Klein Dieter durfte die Hosen der Brüder auftragen.

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Das ist auch die Wurzel für sein Wahlkampf-Motto: „Letztlich war die alles beherrschende Frage: Kann ich mir ,mein' München auch morgen noch leisten?“ Da spricht Dieter Reiter auch ein richtiges Münchnerisch – wie es seit Thomas Wimmer kein Münchner SPD-OB mehr getan hat. Reiter setzt den Dialekt auch gezielt in seine Reden ein und erzählt Anekdoten über seine Erlebnisse mit den kleinen Leuten auf der Straße: „I bin da Dieda, und da bin I dahoam.“

Sein „dahoam“ ist bei ihm schon sehr bunt: Vor der Kandidatur lebten die Reiters im eigenen Haus in Straßlach. Eine Patchwork-Familie, weil er und seine Frau Petra zusammen drei (inzwischen erwachsene) Kinder mit in die Ehe gebracht haben. Seit der Kandidatur wohnen sie wieder in Sendling, gleich beim Harras. „Dahoam“ kann er sich fallen lassen – und in sich versunken entspannen. „Zum Leidwesen meiner Umwelt spiele ich Gitarre - gern auch mal laut“, erzählt er verschmitzt. Dann versucht er so zu spielen wie sein Idol Mark Knopfler.

Ein Pragmatiker, kein Ideologe

Jetzt braucht Dieter Reiter den langen Atem, den er immer seiner Umgebung predigt. Die Stadt muss große Probleme lösen, und als Oberbürgermeister, der noch ohne eigene Mehrheit ist, steht er vor schweren Aufgaben. Und er weiß, dass er angesichts der von den Wählern erstarkten CSU jetzt die ganze Stadt zusammenhalten muss. Da kommt ihm zugute, dass er ein kühl rechnender Pragmatiker ist, kein Ideologe.

Kann er das? „Des kriang ma scho hi.“

 

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