Steffi Kühnert ist „Die Frau, die sich traut“: Schaut auf diesen Menschen!

Steffi Kühnert ist „Die Frau, die sich traut“: Schaut auf diesen Menschen!

Beate tut alles für ihre Familie. Vielleicht wird sie gerade deswegen schlecht behandelt von ihren Kindern. Es kündet von erstaunlicher Verachtung, wenn der längst erwachsene, aber kostenlos mit der schwangeren Freundin bei ihr lebende Sohn empört feststellt: „DIE wäscht nicht mehr.“ DIE. Nicht „sie“ oder „Mutter“. Der junge Mann hat eines Morgens kein frisches Hemd mehr vorgefunden; auf die Idee, tatsächlich mal selbst eine Maschine mit seinen stinkenden Klamotten zu füllen, kommt er nicht.

Beates unangekündigte Weigerung, immer für alle da zu sein, trifft auch bei der 30-jährigen Tochter auf Unverständnis. Die ist es gewohnt, ihre kleine Tochter bei der Mutter zu parken, was sie nicht daran hindert, die fassungslose 50-Jährige lautstark verantwortlich zu machen für die schlechten Schulnoten des kleinen Mädchens. In der Wut der Kindsmutter, einer Langzeitstudentin, entlädt sich die ganze Verachtung einer egozentrischen Bildungsaufsteigerin für die einfache Herkunft. Denn Beate ist „nur“ Wäschereifacharbeiterin. Eine Frau, die sich zu viel Mühe gibt, es den anderen leicht und recht zu machen.

Klein und kolossal

Dass eines Tages Schluss ist mit diesem ohne Zweifel auch enervierenden Altruismus hat einen furchtbaren Grund, den Beate allerdings für sich behält. Denn sie ist nicht nur ein fürsorglicher und stiller, sondern auch sturer Mensch, bis zur Verbocktheit. Dass die ehemalige DDR-Leistungsschwimmerin nun als Doping-Langzeitfolge an einem Tumor erkrankt ist, erzählt sie auch der besten Freundin Henni erst nach Wochen. Keiner wusste, was mit Beate los ist, aber dass etwas nicht stimmte, war spätestens klar, als sich die kleine Frau nach dem Fitnesskurs nahezu bewusstlos geduscht hat. Und jetzt hat Beate diese Schnapsidee: Sie will über den Ärmelkanal schwimmen. In ihrem Alter, mit diesem Tumor!

Beate ist „Die Frau, die sich traut“ im gleichnamigen Spielfilm von Marc Rensing, der sich auch viel traut (u.a. „Parkour“). Vielleicht ist der Titel nicht ganz glücklich gewählt: Es geht hier keineswegs darum, dass sich eine Frau endlich mal was gönnt, sich Zeit nimmt für sich selbst á la Fitness-Selbstfindung oder Jodel-Diplom.

Nein, das hier ist ein Drama, ein herzzerreißendes, und wer es trockenen Auges übersteht, sollte sich vielleicht fragen, was nicht stimmt mit ihm. Bewegend ist dabei gar nicht so sehr das Schicksal, die Krankheit, die Beate durchaus zu verdrängen sucht. Und auch nicht das Ideal einer Frauenfreundschaft, dass dieser Film so gekonnt ausreizt, dass man sich als Zuschauerin zwangsläufig selbst eine Freundin wünscht wie Henni, der Jenny Schily alle Facetten kritischer Solidarität zuspielt.

Nein, die Tränen kommen einem in Wahrheit wegen Steffi Kühnert, dieser unfassbar großartigen Schauspielerin in der Titelrolle! Steffi Kühnert, 1963 in Ostberlin geboren, verkörpert Beate grandios als einen austernhaften Menschen, der lange Zeit nicht wahrnehmen will, dass es im Leben vielleicht auch eigene Leerstellen und Wünsche zu bearbeiten gilt. Man kann gewiss wütend sein auf Beate, weil sie so gar nicht wütend ist. Aber das würde ihr Gewordensein herabsetzen, sogar ignorieren.

Rensing hat seinen neuen Film in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt, an der Ostsee, und in dieser Titelheldin ist wohl auch eine ostdeutsche, nun tradierte Frauen-Haltung zusammen gefasst, die sich durchaus noch unterscheidet von der westlichen. Ost-Frauen vereinbarten ohne großes Aufhebens Vollzeitarbeit und Mutterrolle, weil sie es einfach mussten; Kinder „liefen quasi mit“, wie man zu DDR-Zeiten mitunter sagte. Es war kein leichtes Leben, manchmal ein selbstverleugnendes. Doch aus der gleichzeitigen Meisterschaft von Beruf und Elternschaft sowie der finanziellen Unabhängigkeit wurde großes Selbstbewusstsein gewonnen.

Scheu und stur

Das also macht Beate aus. Aber Steffi Kühnert! Man schätzt sie nicht erst seit den Filmen von Andreas Dresen, zuletzt „Halt auf freier Strecke“; man kennt sie vom Theater her und aus Fernsehproduktionen. Der Regisseur Marc Rensing aber tut, was schon lange fällig war: Er gibt der großen Kühnert eine Kino-Hauptrolle in einem Film, den sie wunderbar trägt. Diese kleine, zierliche Frau mit den braunen Augen kann die Lippen in ungefähr hundert Varianten zusammenpressen, um erst Beates Verwunderung, dann den Unmut und zuletzt den Ärger über die Anspruchshaltung ihrer Kinder zu offenbaren. Kühnert vermag ihre Schultern auf mindestens fünfzig Arten hochzuziehen, um zu vermitteln, dass Beate in Ruhe gelassen werden will.

Steffi Kühnert kann alles gleichzeitig: scheu, zupackend und stur sein. Und sie zeigt uns hier eine Frau, die mit ihrem Traum vom Durchschwimmen des Ärmelkanals noch einmal anzuschließen versucht an das, was sie hätte werden können, wenn sie sich gegen das erste Kind entschieden hätte. Olympia-Siegerin in Moskau. – Beate wollte sich, wie viele solcher Frauen, durchaus mitteilen. Aber außer Henni hat ihr niemand zugehört.

Die Frau, die sich traut, Dtl. 2013. Regie: Marc Rensing, Drehbuch: Annette Friedmann, Marc Rensing, Kamera: Tom Fährmann, Darsteller: Steffi Kühnert, Jenny Schily u.a.; 98 Min., Farbe. FSK ab 6.