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„Dann würde hier innerhalb von einer Stunde der Krieg ausbrechen“

Korrespondentin für Türkei, Griechenland, Balkan
Bosnisch-serbische Kämpfer fahren 1995 durch die leeren Straßen von Srebrenica Bosnisch-serbische Kämpfer fahren 1995 durch die leeren Straßen von Srebrenica
Bosnisch-serbische Kämpfer fahren 1995 durch die leeren Straßen von Srebrenica
Quelle: picture alliance/dpa/EPA/Igor Dutina
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Das Massaker von Srebrenica gilt als eines der größten Kriegsverbrechen der vergangenen Jahrzehnte. Jetzt soll es durch eine UN-Resolution offiziell als Genozid anerkannt werden. Der Chef des serbischen Landesteils droht mit Eskalation – und könnte eine unkontrollierbare Lage heraufbeschwören.

Es ist alles da. Die Aufzeichnungen des Militärs, die beweisen, wie die Täter die Morde systematisch planten und ausführten. Die Knochen, anhand derer die Opfer identifiziert wurden. Und das Urteil des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. Was sich in Srebrenica vor 29 Jahren abspielte, war bewiesenermaßen ein Genozid.

Weiße Grabsteine, die wie Pfeile in den Himmel deuten, erinnern heute an die rund 8000 mehrheitlich muslimischen bosniakischen Jungen und Männer, die hier ihr Leben verloren. Weil sie in den Augen der Täter am falschen Ort der falschen Ethnie angehörten. Ringsum grüne Hügel, die Idylle vorgaukeln.

Srebrenica liegt im serbischen Landesteil Bosnien-Herzegowinas, der Republika Srpska. Kürzlich wurde ein Platz in dem Ort ausgerechnet nach der Republik umbenannt, deren Armee unter der Führung des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic einst zusammen mit Polizei und serbischen Paramilitärs den Völkermord beging.

Quelle: Infografik WELT

Munira Subasic verlor damals ihren Mann, ihren jüngsten Sohn und Dutzende weitere Familienmitglieder. Mit den „Müttern von Srebrenica“ kämpft die Mitte-70-Jährige für Anerkennung und Gerechtigkeit. Sie trägt ihr weißes Haar zurückgebunden. Die anderen Frauen nennen sie „unsere Heldin“.

Die Heldin gibt sich kämpferisch, ihre Worte ernüchtern. Die Politik des Genozids, sagt sie, dauere in dem polarisierten Landesteil an. Es sei endlich an der Zeit, die Leugnung des Völkermords und die Glorifizierung von Kriegsverbrechen zu stoppen.

Genozid-Überlebende Munira Subasic mit anderen Frauen aus der Gruppe der „Mütter von Srebrenica“
Genozid-Überlebende Munira Subasic (2 v.r.) mit anderen Frauen aus der Gruppe der „Mütter von Srebrenica“
Quelle: Carolina Drüten

Zu diesem Zweck haben Ruanda und Deutschland auf Vorschlag des bosnischen Botschafters der Vereinten Nationen eine Resolution in die Vollversammlung eingebracht. Ebenso wie der Holocaust und der Völkermord an den Tutsi in Ruanda sollen die Gräueltaten in Srebrenica international als Genozid anerkannt werden, mit dem 11. Juli als Gedenktag.

Am kommenden Donnerstag wird darüber abgestimmt. Berlin rechnet mit einer Annahme. Doch die Gegner der Resolution drohen mit Eskalation.

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Allen voran Milorad Dodik, der Präsident des serbischen Landesteils. Seit Jahren will er seine Serbenrepublik vom bosnischen Gesamtstaat abspalten, in den vergangenen Wochen dringt er darauf vehementer als zuvor. Sollte die Resolution angenommen werden, sagte er, ziehe man sich aus den Entscheidungsprozessen des bosnischen Staats zurück. Es wäre eine de-facto-Abspaltung. Unterstützt wird er von Russlands Präsident Wladimir Putin.

„Wenn Dodik die Sezession ankündigt, würde hier innerhalb von einer Stunde der Krieg ausbrechen“, sagt Camil Durakovic. Er ist einer von Dodiks zwei Stellvertretern, ein Bosniake, so wie es die Verfassung vorschreibt, und erklärter Gegner der Spaltungspolitik. Nur kann er politisch nichts ausrichten – außer vor Dodik und dessen Leuten zu warnen. Aufrichtig besorgt sei er, sagt Durakovic, und so klingt er auch.

Camil Durakovic
Camil Durakovic
Quelle: Carolina Drüten
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Bosnien ist der fragilste Staat auf dem westlichen Balkan und in seiner schwersten Krise seit dem Jugoslawienkrieg. Jeder Konflikt könnte einen Flächenbrand nach sich ziehen, wie schon in den 90er-Jahren. Damals hatte die Auflösung Jugoslawiens und der Kampf um Territorien zehn Jahre blutigen Kriegs zur Folge. In Bosnien wurden die Kampfhandlungen damals durch das Friedensabkommen von Dayton beendet – das aber gleichzeitig einen unregierbaren Staat erschuf.

Weil auch die Unterschrift des Kriegsverbrechers und früheren jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic nötig war – der das Land zuvor aufteilen wollte –, wurden zahlreiche Kompromisse geschlossen, die die Unterschiede zwischen den Ethnien zementierten. Dem serbisch-bosnischen Landesteil, der Republika Srpska, wurde weitreichende Autonomie zugestanden.

Hindernisse für einen EU-Beitritt

Ob Dodik mit seinen Drohungen Ernst macht, ist fraglich. Manche sagen, er wolle lediglich den Europäern und Amerikanern Zugeständnisse abringen, weil er politisch unter Druck steht. Die USA haben Sanktionen gegen Dodik erlassen, zudem muss er sich vor Gericht verantworten. Andere meinen, Dodik sei kein Ideologe, lediglich ein korrupter Opportunist, der seine komfortable Position wahren will.

Auch Durakovic glaubt, dass Dodik einen politischen Überlebenskampf führt. Er ist aber überzeugt, dass sein einziger Ausweg der Konflikt ist. „Die internationale Gemeinschaft muss eingreifen“, sagt er.

Hinter den Kulissen geben westliche Regierungsvertreter offen zu, dass die Entwicklungen in Bosnien-Herzegowina – sowie auf dem gesamten westlichen Balkan – in eine gefährliche Richtung gehen. Die Region soll eines Tages der EU beitreten, um langfristig Frieden und Sicherheit im Herzen des Kontinents zu wahren. Doch Korruption, Autoritarismus und organisierte Kriminalität lähmen den Prozess, hinzu kommen die politischen Krisen.

So streiten sich Serbien und das Kosovo um die Staatlichkeit des letzteren, wobei es immer wieder zu Ausschreitungen in der Grenzregion kommt, meist ausgehend von serbischen Paramilitärs. Bosnien wird einzig durch die internationale Präsenz – die EU ist etwa mit der Militärmission Eufor vor Ort – vor einem gewaltsamen Zerfall bewahrt. Und Russland manipuliert die Menschen in der Region mit Desinformation.

Vucic ist der Schlüsselakteur in der Region

Auch Belgrad unterstützt den Kurs der Republika Srpska. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic verlangte, die Genozid-Resolution nicht in die Vollversammlung einzubringen, sondern im UN-Sicherheitsrat zu behandeln – wohl wissend, dass ein ähnliches Vorhaben 2015 an dem Veto Russlands scheiterte.

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„Serbien destabilisiert Bosnien-Herzegowina“, sagt der bosnische Außenminister Elmedin Konakovic im Gespräch mit WELT AM SONNTAG. Er nennt die Reaktion Vucic‘ auf die Resolution schockierend – und fordert die Bundesregierung auf, ihren wirtschaftlichen Einfluss auf Serbien geltend zu machen. „Deutschland sollte mehr Druck ausüben“, sagt er.

Denn Vucic sei der Schlüsselakteur in der Region. „Ich mache mir Sorgen, dass wir auf eine größere Krise zusteuern, als wir sie jemals hatten“, so Konakovic.

In der vergangenen Woche protestierten tausende Dodik-Unterstützer in Banja Luka gegen die Resolution. Einige schwenkten Medienberichten zufolge Poster, die Putin zeigten. Auch das Gesicht von Mladic, der für den Genozid verantwortlich ist und in Den Haag als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, soll auf einem Banner zu sehen gewesen sein.

Während der Abstimmung über die Resolution in New York in der kommenden Woche wollen sich Dodik und seine Regierung zum Entsetzen der bosniakischen Bewohner ausgerechnet in Srebrenica versammeln.

„Am zweiten Mai werden Mütter ihre Kinder aus Srebrenica wegschicken“, sagt die Überlebende Munira Subasic. „Aus Angst um ihre Sicherheit.“ Wieder einmal.

Die Recherche zu diesem Artikel fand teils im Rahmen einer Journalisten-Reise statt, die das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bosnien-Herzegowina organisiert hat. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.com/de/werte/downloads.

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