Psychologie: Warum nicht nur Verbrecher ihr Tun oft leugnen, sondern auch wir im Alltag

Warum nicht nur Verbrecher ihr Tun oft leugnen, sondern auch wir im Alltag

Alle Kriminellen haben eine innere Rechtfertigung für ihre Verbrechen. Oft verharmlosen sie die Taten oder stellen sie als alternativlos dar. Das hat Gründe.

Nur wer die eigene Schuld akzeptiert, übernimmt auch die Verantwortung für das eigene Handeln.
Nur wer die eigene Schuld akzeptiert, übernimmt auch die Verantwortung für das eigene Handeln.YAY Images/Imago

Eigentlich sind alle Kriminellen irgendwie unschuldig, die einen verleugnen ihre Taten schlichtweg oder schweigen vor Gericht dazu. Andere geben nur das zu, was ihnen nachgewiesen werden kann. Ein klares und reuiges Schuldeingeständnis steht nur selten am Anfang eines Gerichtsprozesses.

Die meisten Täter – egal, ob kleine Ladendiebe, notorische Raserinnen, betrügerische Konzernchefs oder verbrecherische Politikerinnen – haben endlose Ausreden und Ausflüchte, Begründungen und Beschwichtigungen, Erklärungen und Entschuldigungen.

Die Frage nach der Schuld ist auch ein zentrales Motiv in einem der eindrücklichsten Gefängnisfilme. In „Die Verurteilten“ nach einer Geschichte von Stephen King wird die Unschuldsbehauptung zu einem zentralen Leitmotiv. Da sprechen die Gefangenen mehrfach darüber, warum sie einsitzen. Der Grundtenor: „Ich bin unschuldig, mein Anwalt hat mich reingeritten.“ Das Leugnen gehört auch bei Profis dazu, bei der Mafia, der Organisierten Kriminalität, den kriminellen Clans, den umherziehenden Einbruchsbanden.

Vor Gericht schweigen die Täter oft: Die einen ärgern sich, dass sie erwischt wurden, die anderen fürchten die Strafe. Und auch jede kleine Diebin hat sich für ihre Taten eine Rechtfertigung zurechtgelegt. Das muss nicht die berühmte schwere Kindheit sein, da reicht auch der Satz: „Ich habe kein Geld.“

Viele Täter sind gar keine Profis, sondern Laien, Gelegenheitstäter, Ersttäterinnen. In Berlin wurden zuletzt 756 sogenannte Intensivtäter gezählt – fast alles Männer –, aber auch die können nicht für alle 535.697 registrierten Straftaten verantwortlich gemacht werden. Oft sind die Täter „ganz normale“ Leute. Noch vor 15 Jahren wurden nach Schätzungen nur etwa 35 Prozent aller Verurteilten ein zweites Mal straffällig, heute soll die Zahl etwas höher liegen. Zur Wiederholung neigen vor allem Verkehrssünder, Schwarzfahrer, Schläger und Diebe – jeglichen Geschlechts. Bei Morden sind geschätzt mindestens die Hälfte reine Beziehungstaten.

Nach der Tat: Auch das Verdrängen ist klassisch

Die meisten schämen sich für ihre Taten. Scham ist ein unangenehmes Gefühl. Es hat eine innere Wächterfunktion: Wir schämen uns, weil wir ein Gesetz oder die sozialen Spielregeln gebrochen haben. Das Gefühl soll uns beim nächsten Mal daran hindern, diesen Fehler noch einmal zu machen. Doch das wirkt nicht immer. Viele empfinden Schuldgefühle als belastend und verdrängen die Tat einfach. Das Verdrängen ist ein klassischer Abwehrmechanismus, um unangenehme Empfindungen fernzuhalten. Und so leugnen die Ersttäter genau wie die Profis.

Da niemand in der Öffentlichkeit oder vor Gericht schlecht dastehen will, blenden die Täterinnen und Täter die negativen Aspekte der Tat oft bewusst aus und bagatellisieren sie: „So viel Schaden habe ich doch gar nicht angerichtet.“ Oft „rationalisieren“ sie sich hinterher die Gründe für ihre Taten zurecht und stellen sie als alternativlos dar: „Ich war in einer ausweglosen Situation.“

Nur wer die eigene Schuld akzeptiert, würde auch die Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Doch auch im Alltag suchen die meisten die Schuld nicht so gern zuerst bei sich, sondern bei anderen. „Ich wurde von falschen Freunden verleitet“ oder gar der Vorwurf: „Das Opfer hat mich provoziert.“ Dazu passt das Zitat des Psychologen Carl Rogers: „Die einzige Person, der nicht geholfen werden kann, ist diejenige, die anderen die Schuld gibt.“

Rechtfertigungen sind leider höchst menschlich – im Gerichtssaal wie im Alltag. Nicht nur Mörder rechtfertigen sich so, auch Steuerbetrüger, Raser oder wir alle – die angeblich etwa 35-mal pro Tag lügen oder flunkern. Meist um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, mit der Polizei, den Chefs oder in der Beziehung. Wir sind also alle schuldig – aber hoffentlich meist nicht kriminell.