FormalPara Sprache

nordamerikanisch

FormalPara Übersetzung

Das Leben des Frederick Douglass als Sklave in Amerika, von ihm selbst erzählt (1986)

FormalPara Übersetzer/in

D. Haug

FormalPara Hauptgattung

Epik / Prosa

FormalPara Untergattung

Memoiren / Biographie / Autobiographie

1845 erschienen, ist dies die erste und zugleich bekannteste der insgesamt drei Autobiographien, die der ehemalige Sklave und wortgewaltige Agitator der von William Lloyd Garrison und Wendell Phillips angeführten abolitionistischen Bewegung verfasste. Wie für die meisten Autoren der um die Mitte des 19. Jh.s in großer Zahl entstandenen ‚Slave Narratives‘ gab es auch für Frederick Douglass handfeste politische Motive, seine Erfahrungen unter der Sklaverei sowie die Umstände, die 1838 zur Flucht in den ‚freien‘ Norden der USA, nach New Bedford, geführt hatten, in Form eines glaubhaften und knappen Erlebnisberichts niederzuschreiben. So sollte der 1845 von der Boston Anti-Slavery Society herausgegebene Text nicht nur um Unterstützung und Sympathien im Kampf um die Aufhebung der Sklaverei werben, sondern auch den zunehmend lauter werdenden Gerüchten Einhalt gebieten, ihr schon nach wenigen Jahren zugkräftigster und international anerkannter Mitstreiter könne sich seine außergewöhnlichen intellektuellen und rhetorischen Fähigkeiten unmöglich in so kurzer Zeit angeeignet haben, weswegen zu bezweifeln sei, dass es sich bei Frederick Douglass tatsächlich um einen geflüchteten Sklaven handle.

Neben ihrer wichtigen Funktion als anschauliche, authentische Dokumentation des Unrechtssystems der Sklaverei markieren die ‚Slave Narratives‘ auch einen entscheidenden Abschnitt in der Entwicklung der afroamerikanischen Literatur, deren auffällige Symbiose von autobiographischen, gruppenspezifischen und auf Widerstand gegen den offenen Rassismus der dominanten Kultur zielenden Elementen hier bereits vorgeprägt ist. Gerade in dieser Hinsicht erlangt die Lebensbeschreibung von Frederick Douglass, deren literarische Qualität inzwischen kaum noch bestritten wird, ihren herausragenden Stellenwert.

Gemäß den Konventionen der autobiographischen Form versucht Douglass, den Leser zunächst über Umstände, Zeit und Ort seiner Geburt – natürlicher Anfang jeder Lebensgeschichte – aufzuklären. Doch die gezielte Nichtaufnahme von Sklaven in das öffentliche Geburtenregister, die ihm für immer die Möglichkeit zur exakten Datierung dieses Ereignisses und damit seines Lebensalters nimmt, stellt ihn nicht nur außerhalb der historischen Kontinuität seiner Umgebung, sondern verhindert gerade jenes Bewusstsein von Individualität und Persönlichkeit, das als Voraussetzung autobiographischen Schreibens eigentlich unerlässlich ist. Konsequent beschreibt Douglass deshalb die Situation seiner Leidensgenossen als die von Arbeitstieren, deren Dasein allein vom Rhythmus der Jahreszeiten bzw. von den Zyklen agrarischer Produktion bestimmt wird. Dem totalen Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft setzt die Narrative dann allerdings eine ebenso radikale wie scharfsichtige Analyse der Psychologie des Sklavenhalters entgegen, die den Autor – stellvertretend für alle Sklaven – im selben Maße als kognitiv und menschlich überlegen erweist, in dem das kulturelle, ethische und religiöse Wertesystem seiner Unterdrücker sich zur bloßen Farce, zur Fassade entmenschlichter, pervertierter Kreaturen reduziert.

Zentrale Momente dieser Menschwerdung sind zum einen die Tatsache, dass Douglass es verstand, sich heimlich und autodidaktisch das Lesen und Schreiben beizubringen, zum anderen aber sein physischer Widerstand gegen den ‚negro breaker‘ Covey, einen armen und als besonders brutal bekannten weißen Farmer, an den Douglass, zu Gunsten seines Besitzers, für ein Jahr zur Feldarbeit ausgeliehen worden war. Äußerst wirkungsvoll stehen sich in dieser Szene die heuchlerische Religiosität des Weißen, der ihn nach einem Fluchtversuch zunächst unbehelligt lässt (es ist Sonntag und die Zeit des Kirchgangs), und die brüderliche Hilfe und Solidarität eines in Magie bewanderten Mitsklaven (Sandy) gegenüber. Als Douglass am folgenden Morgen erwartungsgemäß ausgepeitscht werden soll, entschließt er sich, möglicherweise auch aufgrund der suggestiven Wirkung einer Wurzel, die ihm Sandy zum Schutz vor Bestrafung mitgegeben hatte, spontan zur Gegenwehr. In der verzweifelten Auflehnung gegen den ihm physisch unterlegenen Aufseher gelingt es ihm schließlich, eine der entscheidenden, systemimmanenten Prämissen der Sklaverei zu durchbrechen: die weitreichende Demoralisierung ihrer Opfer.

Für seine anschließende Flucht und tatsächliche Befreiung nicht weniger bedeutsam ist die Kenntnis des Alphabets. Als ihn glückliche Umstände in das relativ durchlässige, großstädtische Milieu Baltimores verschlagen, wo er einige Jahre bei Verwandten seines Herrn verbringt, nutzt er die Gelegenheit, sich trotz zahlreicher Schwierigkeiten und massiver Verbote im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Damit aber sind ihm nicht nur die instrumentellen Voraussetzungen einer erfolgreichen Flucht – das Ausstellen gefälschter Papiere – an die Hand gegeben, sondern, noch weitaus entscheidender, die Mittel zu ihrer Rechtfertigung. Geschickt eignet er sich anhand der von Hass erfüllten Südstaaten-Tiraden auf den vorwiegend im Norden agierenden Abolitionismus die für ihn existenzielle Bedeutung dieses Begriffs an und sucht begierig alle verfügbaren Zeitschriften und Bücher nach Hinweisen darauf ab. Mit der Erfahrung, dass es sich bei der ‚Peculiar Institution‘, wie die Sklaverei verharmlosend genannt wurde, um keine gottgewollte, den Schwarzen aufgrund einer Urschuld von Gott aufgebürdeten Einrichtung, sondern vielmehr um ein durchaus veränderbares und in anderen Teilen der USA heftig kritisiertes System der Profitmaximierung handelt, waren schließlich jegliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Flucht, denen selbst ein rebellischer Geist wie Frederick Douglass sich lange nicht entziehen konnte, aus dem Weg geräumt.

Die beiden später erschienenen Autobiographien, beziehen neben den Erlebnissen in der Sklaverei auch sein vielfältiges Engagement für den Abolitionismus, die Meinungsverschiedenheiten mit Garrison und eine Begegnung mit dem Anarchisten John Brown – in My Bondage and My Freedom, 1855 (Ein Stern weist nach Norden, 1965) – sowie seine Reisen nach Europa, seine Tätigkeit als Herausgeber mehrerer Zeitschriften und schließlich als Generalkonsul der USA in Haiti – in Life and Times of Frederick Douglass, 1881, erweitert 1892 (Leben und Zeit des Frederick Douglass) – mit ein. Im Gegensatz zu diesen späteren Biographien beschränkt sich die Narrative auf wenige, für ihren Gegenstand symptomatische Ereignisse und arbeitet auch formal mit einer äußerst knappen, elliptischen Diktion. Als politisches Instrument im Kampf für die Beendigung der Sklaverei verlangt die autobiographische Erzählung zwar nach größtmöglicher Authentizität, Douglass vermeidet jedoch Details und Namen überall dort, wo sie ehemalige Helfer gefährden bzw. Fluchtwege verschließen könnten. Das vorrangige Anliegen der Narrative, und hierin unterscheidet sie sich von den späteren Versionen, ist somit weniger die Darstellung eines sich allmählich ausdifferenzierenden Einzelschicksals, wie die autobiographische Form zunächst vermuten lässt, sondern die kritische Auseinandersetzung mit der religiösen Heuchelei sowie den psychologischen Mechanismen und kulturell vermittelten Stereotypen, die die institutionalisierte, kollektive Unterdrückung der Afroamerikaner erst ermöglichten.