Rezension zu "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.1, Der Zauber Platons" von Karl R. Popper
Wir müssen eher verlangen, daß jedermann das Recht haben soll, sein eigenes Leben zu gestalten, wie er will, solange dies nicht zu stark das Leben anderer beeinträchtigt. (Seite 197)
Meine Meinung
Das erste Mal ist mir der Name Karl Popper vor einer halben Ewigkeit in der Schule begegnet, 11. oder 12. Klasse im Religionsunterricht. Davon sind zwei Dinge hängen geblieben: er ist der Begründer des kritischen Rationalismus und als Christ muß man Popper selbstverständlich ablehnen. Das war dann für lange Jahre meine Meinung, bis ich irgendwann zwischen 1998 und 2002 die „Bekenntnisse eines Philosophen“ von Bryan Magee las - und vor allem das Kapitel über Karl Popper äußerst interessant fand. Ich besitze davon die Erstauflage mit dem vollständigen Text; die Erben von Karl Popper haben später Schwärzungen durchgesetzt, weil sie mit der Darstellung von Magee nicht einverstanden waren. Dabei war es genau diese Beschreibung Poppers und seiner Philosophie, die mein Interesse geweckt hat.
Wenige Monate später schrieb der Verlag Mohr Siebeck eine neue Werkausgabe Poppers zur Subskription aus. Ohne den von den Erben Poppers beanstandeten Beitrag hätte ich selbige nie bestellt (dieses oder nächstes Jahr soll der letzte noch fehlende Band erscheinen). Und wieder dauerte es Jahre, bis ich endlich den lange gehegten Vorsatz in die Tat umsetzte, eben dieses Buch zu lesen. Dabei habe ich mich auf den eigentlichen Text beschränkt und die Anmerkungen, die etwa den gleichen Umfang wie der Text aufweisen, nur peripher beachtet. Diesen werde ich mich widmen, wenn das Buch - was ich unbedingt tun will - ein zweites Mal gelesen wird.
Die Übersetzung ist hervorragend, selten habe ich ein so gutes und verständliches Deutsch mit wenig Fremdwörtern und „Fachchinesisch“ gelesen wie dieses - meine Hochachtung vor Autor und Übersetzer. Ein großes Lob verdient auch die herstellerische Verarbeitung. Seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich kein Buch mehr in der Hand gehabt, das von solch hoher Qualität war (Druck, Bindung, Gestaltung) wie dieses. Durchgelesen - und der Rücken ist immer noch so gerade wie beim neuen Exemplar. Das gibt es heute praktisch kaum noch - hier schon.
Ich maße mir nicht an, über den Inhalt urteilen, ihn kommentieren oder gar hier wiedergeben zu können. Nur auf einige Punkte möchte ich eingehen.
Über längere Zeit hinweg habe ich nicht so ganz verstanden, weshalb Popper ein ganzes Buch über Platon schreibt; doch je weiter ich kam, um so deutlicher konnte ich die Argumentation nachvollziehen. Platon plädiert - vereinfacht gesagt - für einen starren Staat mit einer „geschlossenen“ Gesellschaft (kurz: Klassengesellschaft, zwischen den Klassen gibt es keine Auf- bzw. Abstiegmöglichkeit, diese müssen stets voneinander getrennt sein) auf der Ebene des Stammes. Gerechtigkeit besteht für ihn darin, daß jeder auf dem Platz bleibt, der ihm zugewiesen ist. Es ist also mit anderen Worten nach seinem Verständnis gerecht, wenn ein Sklave ein Sklave, ein Adeliger ein Adeliger bleibt. Ungerecht ist, wenn ein Sklave seine Klasse verlassen und beispielsweise aufsteigen will. Hiergegen argumentiert Popper sehr nachdrücklich und ausführlich, in dem er für die offene Gesellschaft (kurz: alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, eben keine Klassengesellschaft), frei von Rassismus, eintritt und die Demokratie als die nicht unbedingt fehlerfreie, jedoch gewißlich beste Staatsform beschreibt. Genau die Staatsform, die Platon so heftig abgelehnt hat. Dabei räumt er quasi nebenbei mit dem Vorurteil, Demokratie sei die „Herrschaft des Volkes“ auf, denn dieses regiert „doch selbst niemals in irgendeinem konkreten praktischen Sinn.“ (vgl. S. 149) Da fiel mir als aktuelles Beispiel gleich die ungelöste Frage der Straßenbeiträge in Hessen ein. Das Volk will etwas - doch die Regierung beschließt etwas ganz anderes. Von „Herrschaft des Volkes“ trotz Demokratie wahrlich weit und breit nichts zu sehen.
Entstanden in den Jahren ab etwa 1938, erstmals erschienen 1945, ist es erstaunlich, wie aktuell die Ausführungen Poppers sind. Vielleicht wäre der Begriff „erschütternd“ in diesem Zusammenhang zutreffender, denn der Übergang von der geschlossenen Stammes- hin zur offenen Gesellschaft ist, sieht man sich in der heutigen Welt um, offensichtlich immer noch nicht vollzogen. Und so manches, was damals aktuell war, ist es heute immer noch (oder auch wieder).
Um mit Popper zu schließen: „Wir müssen ins Unbekannte, ins Ungewisse und ins Unsichere weiterschreiten; wir müssen die Vernunft benutzen, die uns gegeben ist, um, so gut wir es eben können, für beides zu planen: für Sicherheit und für Freiheit.“ (S. 239)
Dieses Buch gibt einen hervorragenden Wegweiser für diesen Weg.
Mein Fazit
Durchaus anspruchsvoll, aber gut verständlich geschrieben sicherlich eines der besten Plädoyers für einen demokratischen Staat, für Sicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Letztlich für ein lebenswertes Leben aller Menschen.