An Klarheit ließ das Kommuniqué nichts zu wünschen übrig – ein klarer Kontrast zu dem Geschwurbel, das sonst meist bei Gipfeltreffen herauskommt. Besonders galt das für den ersten und den letzten Satz der Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945. „Wir sind übereingekommen“, hieß es da am Anfang des 660 Wörter langen Textes, „Japan die Gelegenheit zu geben, diesen Krieg zu beenden“. Und am Ende stand unmissverständlich: „Die Alternative für Japan ist die prompte und völlige Zerstörung.“
Zwischen diesen beiden klaren Sätzen skizzierten die Unterzeichner, US-Präsident Harry S. Truman, der allerdings gerade von seinen Landsleuten abgewählte britische Premierminister Winston Churchill und der nicht anwesende, aber telegrafisch eingebundene Präsident der nationalchinesischen Regierung, Tschiang Kai-schek, wie sie sich das Ende des Krieges im Pazifik vorstellten: Japan solle alle seine Eroberungen aufgeben und bis zum Beweis seiner vollständigen Abrüstung besetzt werden; Kriegsverbrecher würden von alliierten Gerichten zur Verantwortung gezogen.
Unklar blieb, was mit dem japanischen Gottkaiser geschehen sollte, hieß es doch im sechsten Punkt der Erklärung: „Es muss für alle Zeiten die Autorität und der Einfluss derjenigen beseitigt werden, die das japanische Volk getäuscht und in die Irre geführt haben, um die Welteroberung zu beginnen.“
Wohl nicht zuletzt wegen dieser Unklarheit reagierte die kaiserliche Regierung in Tokio, in Wirklichkeit längst ein Militärregime, ablehnend. Obwohl intern über eine mögliche Annahme diskutiert wurde, verkündete Premierminister Kantaro Suzuki am 28. Juli 1945 Tokioter Zeit, keine 36 Stunden nach der Veröffentlichung der „Potsdam Declaration“ zunächst per Nachrichtenagenturen und im Hörfunk, bald auch in Übersetzung mittels rasch gedruckter und über Japan abgeworfener Flugblätter: „Meiner Meinung nach ist diese Erklärung praktisch identisch mit der früheren Erklärung (gemeint: der „Cairo Declaration“ vom 1. Dezember 1943, die Red.). Die japanische Regierung betrachtet sie nicht als entscheidend. Wir ignorieren sie einfach.“ Stattdessen werde Japan den Krieg bis zum Ende fortsetzen.
Der pensionierte Admiral Suzuki, der stets dem Eroberungskrieg im Pazifik skeptisch gegenübergestanden hatte und als Gegner des Premiers und Kriegsministers der Jahre 1941 bis 1944, Hideki Tojo, galt, hatte die Formulierung „mokusatsu suru“ verwendet, was wörtlich „töten durch Schweigen“ bedeutet. Mehrere Minister der japanischen Regierung drängten darauf, dies als „ignorieren“ ins Englische zu übersetzen; entsprechend wurde die Formulierung in Washington (und bei Truman in Potsdam) verstanden.
Doch manches deutet darauf hin, dass zumindest Suzuki etwas anderes hatte sagen wollen. Denn die etwas altertümliche Formulierung „mokusatsu suru“ konnte auch als „sich einen Kommentar vorbehalten“ verstanden werden. Darauf wies 1950 der japanische Anglist Kazuo Kawai hin, der im Krieg die staatliche englischsprachige Zeitung „Nippon Times“ in Tokio herausgegeben hatte und inzwischen an der Stanford University in Kalifornien fernöstliche Geschichte lehrte.
In der Tat gab es, das haben Archivstudien belegt, im japanischen Kabinett durchaus Stimmen für eine Annahme der Potsdamer Erklärung – allerdings ebenso scharfe Ablehnung. Vermutlich wollte Suzuki mit seiner Wortwahl möglichst viele Optionen offenhalten. Allerdings ging dieses Spiel, wenn es denn so beabsichtigt gewesen sein sollte, gründlich schief.
Das lag nicht zuletzt an den Umständen der letzten Juliwoche 1945. Die „großen Drei“ konferierten seit dem 17. Juli in Potsdam über die Zukunft des besiegten und besetzten Deutschlands. Josef Stalin hatte Truman und Churchill mit ihren Delegationen eingeladen und pokerte um eine möglichst günstige Ausgangsposition für kommende Konflikte.
Schon bei dem vorangegangenen Gipfel in Jalta im Februar 1945 hatte er die beiden westlichen Regierungschefs, damals noch der gesundheitlich stark geschwächte Franklin D. Roosevelt und Churchill, über den Tisch gezogen. Weil Roosevelt unbedingt Stalins Unterstützung für seinen Traum eines neuen Völkerbundes, der Vereinten Nationen, wollte, konnte der Kreml-Herr weitgehende Zugeständnisse durchsetzen.
Jetzt in Potsdam war an die Stelle des verstorbenen Roosevelts sein erst seit Januar 1945 amtierender Vizepräsident Truman getreten, ein international wenig erfahrener, aber eisenharter und nervenstarker Mann. Jedoch war Churchill, genauer: seine Konservative Partei, von den Briten abgewählt worden. Am 26. Juli 1945 war das Ergebnis der Unterhauswahlen drei Wochen zuvor offiziell bekannt gegeben worden – ein Erdrutschsieg für die linke Labour Party und ihren Kopf Clement Attlee. Durchgesickert war das mutmaßliche Ergebnis schon in den Tagen zuvor.
Unmittelbar nach der formalen Verabschiedung der Potsdamer Erklärung trat Churchill als britischer Premier zurück und flog für die Amtsübergabe nach London zurück; sein Nachfolger wurde Attlee, der am 28. Juli in Potsdam eintraf. Damit fehlte Truman auf einmal der erfahrene Partner, den er in dem Ringen mit Stalin unbedingt gebraucht hätte.
In dieser Situation war Truman klar, dass er Stärke zeigen musste. Er hatte darüber am 25. Juli reflektiert, während der abschließenden Beratungen über die Potsdamer Erklärung. In sein Tagebuch schrieb der Präsident an diesem Mittwoch: „Ich habe Stimson angewiesen, die Bombe so zu benutzen, dass militärische Anlagen, Soldaten und Seeleute die Ziele sind, nicht Frauen und Kinder.“
Henry Stimson, der Kriegsminister, gab diesen Wunsch des Präsidenten weiter nach Washington, wo er in die Form eines militärischen Befehls gegossen wurde und nun lautete: „Die 509. Bomber-Gruppe wird ihre erste Spezialbombe nach dem 3. August 1945, sobald das Wetter einen Angriff auf Sicht ermöglicht, abwerfen auf eines der folgenden Ziele: Hiroshima, Kokura, Niigata oder Nagasaki.“
Denn das verbarg sich hinter der in der Potsdamer Erklärung angedrohten „prompten und vollständigen Zerstörung“ Japans: der Einsatz von Atombomben, intern stets nur „special bombs“ genannt. Die erste war am 16. Juli 1945 in New Mexico erfolgreich getestet worden. Zwei Stück standen in der ersten Augustwoche 1945 im östlichen Pazifik zur Verfügung, zwei weitere würden einige Tage später eintreffen.
Truman und Churchill berieten die Formulierung ihres Ultimatums an Japan in kleiner Runde am Rande der Konferenz in Potsdam. Am frühen Abend des 24. Juli, als das Gerüst der Erklärung schon stand und wohl auch die Formulierung „prompte und völlige Zerstörung“ bereits, informierte Truman nach dem Ende einer Plenarsitzung der Konferenz den ungeliebten Partner.
In sein Tagebuch schrieb der US-Präsident: „Ich erwähnte Stalin gegenüber beiläufig, dass wir eine neue Waffe von ungeheuerlicher Zerstörungskraft hätten. Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse. Alles, was er sagte, war, er freue sich, das zu hören, und hoffe, wir würden ,guten Gebrauch davon gegen die Japaner machen‘.“
Nach dieser Reaktion Stalins konnte Truman nicht mehr anders, als die Atombomben tatsächlich einzusetzen, falls Japan nicht umgehend einlenkte. Hätte er es nicht getan, wäre die Glaubwürdigkeit der USA gegenüber der Sowjetunion dahin gewesen. Nun bekamen die Worte „mokusatsu suru“ eine wahrlich tödliche Brisanz.
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