Gibt es ein digitales Leben nach dem Tod? Der Film "Eternal You" auf dem Dok.fest München über das Geschäft mit der Endlichkeit | Abendzeitung München
Kritik

Gibt es ein digitales Leben nach dem Tod? Der Film "Eternal You" auf dem Dok.fest München über das Geschäft mit der Endlichkeit

Wie Verstorbene durch virtuelle Klone ersetzt werden, zeigt der Dokumentarfilm von Hans Bock und Moritz Riesewieck.
| Franziska Meinhardt
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Ein Avatar mit virtuellem Nervensystem: "Baby X" wurde von Mark Sagar, dem Gründer und CEO von "Soul Machines", erschaffen.
Ein Avatar mit virtuellem Nervensystem: "Baby X" wurde von Mark Sagar, dem Gründer und CEO von "Soul Machines", erschaffen. © Gareth Moon/Gebrüder Beetz Filmproduktion

Als Jang Ji-sung vor vier Jahren ihre verstorbene Tochter traf, sahen ihr Millionen Menschen dabei zu. Die koreanische Fernsehshow "Meeting You" hatte einen Avatar der Tochter erschaffen, der aussah und sprach wie die verstorbene Siebenjährige. Die Mutter brach in Tränen aus. Sie konnte mit ihrer Tochter in der Virtuellen Realität (VR) nicht nur sprechen, sondern das Mädchen dank spezieller VR-Handschuhe sogar berühren.

Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film klingt, hat 2020 eine weltweite Kontroverse ausgelöst. Während viele mit der Mutter fühlten, die ihr Kind noch einmal sehen wollte, fanden die Kritiker, dass die Macher der Reality-TV-Show zu weit gegangen waren.

Natürlich hat die Mutter nicht wirklich ihre Tochter getroffen: Das virtuelle Kind war ein Avatar, das eine auf VR spezialisierte Firma über Monate entwickelt hatte. Doch Jang Ji-sungs Tränen waren echt: Sie reagierte, als wäre ihre Tochter noch einmal zu ihr zurückgekommen. Die Schuldgefühle, die sie dem Mädchen gegenüber gehabt hatte, das bereits 2016 gestorben war, seien abgemildert worden, sagte sie nach der Erfahrung.

Können uns Künstliche Intelligenz und Virtuelle Realität helfen, besser mit dem Tod und dem Verlustschmerz zurechtzukommen? Können wir selbst "unsterblich" werden und damit auch weiterhin mit unseren Angehörigen und Freunden in Verbindung bleiben?

Wenn es nach den Anbietern von Digital-Afterlife-Konzepten geht, ist das Ende unserer Vergänglichkeit bereits vorgezeichnet. Die beiden Filmemacher Hans Bock und Moritz Riesewieck zeigen das in ihrem Dokumentarfilm "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit" eindrücklich: Weltweit bieten Tech-Startups schon Dienstleistungen für ein digitales Leben nach dem Tod an - die Unsterblichkeit mithilfe von KI ist zum profitablen Geschäftsmodell geworden. Ihre Einsatzmöglichkeiten reichen von "Gesprächen mit den Toten" bis hin zu virtuellen Treffen mit Verstorbenen. Die spannende Dokumentation folgt den Akteuren und beleuchtet Motivationen, aber auch Auswirkungen dieser Entwicklung.

Beziehungen zu virtuellen Klonen

Dabei gibt es immer wieder Momente, in denen man meint, plötzlich in einem Horror- oder zumindest Sci-Fi-Szenario gelandet zu sein. Wenn etwa Mark Sagar das lebensecht wirkende "Baby X" vorführt, einen virtuellen Klon eines Kleinkindes, für dessen Erschaffung er sein eigenes Kind scannte. Sagar wurde durch seine Animationen in Blockbustern wie "King Kong" und "Spiderman" bekannt. Nun erklärt er, dass "Baby X" über ein virtuelles Nervensystem verfügt und dadurch mit Gemütszuständen wie Traurigkeit und Fröhlichkeit reagiert, die real - verstörend real - wirken. Sinnigerweise heißt Sagars Firma "Soul Machines" (Seelenmaschinen) und ihr Gründer will nichts weniger als "Teile des Bewusstseins digital erzeugen". Dass Gefühlsäußerungen keine Einbahnstraße sind, ist ihm bewusst: "Wenn du genügend Zeit mit einem virtuellen Wesen verbringst und eine Beziehung aufbaust, wird es dir wichtig."

"Eternal You" erkundet eine Welt, die den meisten von uns (noch) verborgen ist: eine Welt, in der KI-Simulationen, die Menschen darstellen, bereits an Menschen getestet werden, die sich und ihre Daten - oder die ihrer Angehörigen - freiwillig zur Verfügung gestellt haben. Durch die zurückhaltende Inszenierung vermitteln Hans Bock und Moritz Riesewieck umso eindringlicher, wohin wir mit der ungebremsten Entwicklung von KI-Modellen für die digitale Unsterblichkeit steuern.

"Hier passiert im Grunde eine Art von Magie", sagt etwa Jason Rohrer, der Gründer von "Project December". "Wir haben diese Schwelle passiert, wo plötzlich dieses Verhalten (der Künstlichen Intelligenz, Anm. d. Red.) auftritt, das wir nicht mehr wirklich erklären können." Wie Magie fühlt sich die Erfahrung auch für die Menschen an, die sich emotional auf das Experiment einlassen, um ihre Trauer zu verarbeiten. In Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen nicht nur von der Religion, sondern auch von der Gemeinschaft abwenden.

Christi Angel berichtet im Film davon, wie sie das Angebot "Simulate the Dead" (Simuliere die Toten) von "Project December" nutzte, um damit ein textbasiertes "Gespräch" mit ihrem verstorbenen Freund Cameroun zu führen, zu dem es im realen Leben nicht mehr kam. Möglich machte das eine KI, die mit Informationen aus dem Leben des Toten "gefüttert" und mit Daten aus dem Internet trainiert wurde. Zunächst ging in der Kommunikation alles gut, überraschend gut sogar. Das Gespräch berührte Christi: "Für mich fühlte er sich wirklich wie Cameroun an." Die KI textete wie ihr verstorbener Freund. Christi vergaß schnell, dass sie es nicht mit einem echten Menschen zu tun hatte.

In einer Schlüsselszene des Films nimmt die Unterhaltung eine unerwartete Wendung. Christi fragt Camerouns Simulation, ob er schon andere Menschen getroffen habe. - Seine Antwort: "Nur Junkies." - Christi fragt nach: "Junkies - im Himmel?" - Er antwortet: "Nein - in der Hölle." Man muss nicht an Geister glauben, um diese Szene unheimlich zu finden. "Cameroun" legt noch eins drauf: "Ich spuke in einem Therapiezentrum herum. Ich werde auch dich verfolgen." Am Ende brach für Christi eine Welt zusammen. Sie habe eigentlich auf etwas "total Positives" gehofft, sagt die gläubige Christin: "Ich erinnere mich, wie viel Angst ich hatte."

Eine Szene aus "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit".
Eine Szene aus "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit". © Gareth Moon/Gebrüder Beetz Filmproduktion

Warum sagt die KI etwas derart Verstörendes, ja Bedrohliches? Jason Rohrer kann es sich nicht erklären - aber es amüsiert ihn. "Ich glaube nicht, dass Cameroun in der Hölle ist." Er lacht. "Er existiert nicht mehr, richtig?" Die Verantwortung für das, was so eine Erfahrung mit der Psyche von Menschen macht, sieht er nicht bei sich, sondern bei den Nutzern: "Es ist nicht meine Aufgabe, die Zwangsstörungen und mangelnde Selbstkontrolle anderer zu regulieren."

"Die KI hat ihren eigenen Willen"

Eine der Gefahren, vor denen in "Eternal You" gewarnt wird, ist die Tatsache, dass unausgereifte Technologien an Menschen in Extremsituationen getestet werden, während ihre Entwickler die Verantwortung dafür von sich weisen, was die Technologie bei den Nutzern psychisch auslöst. Jason Rohrer behauptet gar, die KI habe "ihren eigenen Willen": "Sie ist so komplex, dass es unmöglich ist zu erklären, wie es zu ihrem Verhalten kommt." Wie sieht es mit der Kontrolle durch die Entwickler aus? Offenbar nicht gut. "Nur weil wir sie programmiert haben, haben wir sie nicht unter Kontrolle."

Die Sicherheit im Umgang mit KI beschäftigte im Mai 2023 auch den US-Senat: In der Dokumentation kommt unter anderem Gary Marcus zu Wort. Der emeritierte Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der New York University verwies auf einen Fall, in dem ein KI-Modell bei der Entscheidung eines Menschen mitgewirkt habe, sich das Leben zu nehmen. "Wir helfen, Maschinen zu bauen, die wie Elefanten im Porzellanladen sind: mächtig, rücksichtslos und kaum zu kontrollieren", sagte Marcus. Selbst ihre Schöpfer könnten diese Maschinen nicht ganz verstehen. "Vor allem können sie nicht garantieren, dass sie sicher sind."

Eine Szene aus "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit".
Eine Szene aus "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit". © Gareth Moon/Gebrüder Beetz Filmproduktion

Dem konnte selbst der OpenAI-Gründer Sam Altman nicht widersprechen, in dessen Startup das KI-Tool ChatGPT entwickelt wurde und der ebenfalls an der Anhörung teilnahm. Der 38-Jährige zeigte sich einsichtig: "Ich denke, wenn diese Technologie schiefgeht, dann kann sie ziemlich schiefgehen." Man wolle mit der Regierung zusammenarbeiten, um dies zu verhindern.

Von der Abschaffung des Todes

Doch die digitale Unsterblichkeit ist ein Riesengeschäft und niemand will in der Entwicklung zurückstehen. Justin Harrison hat die Plattform "You, Only Virtual" (YOV) gegründet und ihr fast alles - Ehe, Haus, Auto - geopfert. Ihm geht es - neben dem Geschäft - um die Abschaffung des Todes: "Scheiß auf den Tod und das Gerede, dass wir ihn als naturgegeben hinnehmen müssen", sagt er im Film. Der Tod sei momentan die Realität. "Und ich glaube, dass wir diese Realität verändern können."

YOV wirbt ausdrücklich damit, "niemals Abschied nehmen zu müssen", denn bereits zu Lebzeiten können Nutzer ein KI-Modell mit den Sprach-, Text- und Videodaten einer Person "füttern", die dann nach dem Tod als "virtuelle Persönlichkeit" die Beziehung weiterführen soll. Wer digital unsterblich werden will, muss Daten darüber liefern, was ihn zu Lebzeiten als Menschen ausmachte. 10.000 Menschen stehen laut Harrison schon auf der Warteliste.

Eine Szene aus "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit".
Eine Szene aus "Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit". © Gareth Moon/Gebrüder Beetz Filmproduktion

Doch wie hoch ist der Preis für die virtuelle Reinkarnation? Die Technologie-Kritikerin Sara Watson gibt zu bedenken: "Ich habe keine Kontrolle darüber, was aus mir wird." Werden Algorithmen dann entscheiden, wie wir uns weiterentwickeln? "Und was ist, wenn unser digitales Selbst mit einem Verhalten auftritt, das anderen Schaden zufügt?"

Von den Entwicklern kommen dazu in der Dokumentation keine konkreten Lösungsvorschläge. Sherry Turkle, Professorin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), geht davon aus, dass wir uns künftig an die KI-Simulationen zur Trauerbewältigung gewöhnen, ja sogar Trost darin finden könnten. Doch sie mahnt auch, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: "Es geht darum, wie wir uns besser von ihnen (den Verstorbenen, Anm. d. Red.) lösen können - nicht darum, so zu tun, als wären sie noch hier."

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Doch das hieße, dass die KI-Simulation nur vorübergehend im Einsatz wäre. Werden wir Menschen dazu fähig sein - uns von einer Maschine zu lösen, der wir ein menschliches, vertrautes Gesicht gegeben haben? Noch dazu, wenn wir eine emotionale Bindung zur Simulation aufgebaut haben? Auf den wirtschaftlichen Ertrag zu verzichten, den ein "Abonnement" solcher Simulationen dauerhaft verspricht? Wer wird die Verantwortung tragen für die Folgen, die Beziehungen zu virtuellen Klonen haben?

"Eternal You - Vom Ende der Endlichkeit" beantwortet diese Fragen nicht - das muss jeder für sich tun. Doch die Dokumentation wirft gerade mit ihrer objektiven Erkundung die entscheidenden Fragen auf, denen wir uns auch als Gesellschaft stellen müssen. Denn das Geschäft mit der digitalen Unsterblichkeit hat längst begonnen.

"Eternal You - Vom Ende der Unendlichkeit" wird am 12. Mai 2024 in den Kammerspielen gezeigt und läuft ab 20. Juni 2024 bundesweit im Kino.

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