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Literatur Historischer Justizmord

Joseph Süskind – der Mann, aus dem die Nazis „Jud Süß“ machten

Joseph Süß wartet auf seine Hinrichtung, Kupferstich von 1750 Joseph Süß wartet auf seine Hinrichtung, Kupferstich von 1750
1738: Joseph Süß wartet auf seine Hinrichtung
Quelle: brandstaetter images/Austrian Archiv/picture-alliance
Joseph Süßkind Oppenheimer hat Literatur- und Filmgeschichte geschrieben. Der reale „Hofjude“ war Finanzberater des Herzogs von Württemberg. Dann wurde er umgebracht. Jetzt erinnert eine Reportage an den historischen Justizmord.

Kaum eine Figur der grausam-tragischen Geschichte der deutschen Juden ist derart häufig und derart unterschiedlich zum Gegenstand von Literatur, Theater, Film und sogar Oper geworden wie Joseph Süßkind Oppenheimer. Raquel Erdtmann nimmt sich den Aufsehen erregenden Fall des 1738 hingerichteten „Hofjuden“ und herzoglichen Finanzberaters aus einer ungewöhnlichen – und ungewöhnlich reizvollen – Perspektive vor. Erdtmanns schriftstellerische Spezialität ist nämlich nicht der Historienroman, sondern die Gerichtsreportage. Und als solche, wenn auch sehr ausführliche, legt sie den Justizmord an Joseph Süs Oppenheimer (so die Schreibweise der Autorin im Buch) auch an.

Im Unterschied zu Lion Feuchtwangers berühmten Roman, der mit erotischen Eskapaden und einer rührseligen Tochtergeschichte die Fakten ins Literarische umbiegt, bewegt sich die Darstellung Erdtmanns auf wissenschaftlich gesichertem Terrrain, wobei es der Autorin zugute kommt, dass sie Rituale, Gebete und Gebote der jüdischen Tradition bestens in die barocke Alltagsgeschichte des „Alten Reichs“ einzuordnen versteht. So wird das Ausmaß des Skandals, als welcher das Schaffen Süs Oppenheimers als Selfmademann und Finanzgenie zu seinen Lebzeiten bereits Juden wie Christen erscheinen mochte, noch drastischer.

Eigentlich war einem deutschen Juden ein Werdegang zum zweitmächtigsten Mann im Herzogtum Württemberg versperrt. Juden wurden damals zumeist unter erbärmlichen Umständen in Ghettos eingepfercht und grotesk diskriminiert; sie mussten sich vor der christlichen Mehrheitsaggression wegducken.

Erdmann schildert nun – meist lakonisch, zuweilen etwas schnoddrig, aber sachlich stets angemessen –, wie der Exzentriker Süs Oppenheimer aus dem kurpfälzischen Mannheim nur durch die eigennützige Unterstützung des württembergischen Herzogs Karl Alexander so hoch steigen konnte. Im Potentaten aus einer Nebenlinie und im ehrgeizigen Modernisierer aus dem Ghetto hatten sich zwei Außenseiter nicht gesucht, aber gefunden. Raquel Erdtmann versteht das wunderliche Duo souverän dazustellen. Karl Alexander hatte als habsburgischer Verwalter ausgerechnet in Serbien erprobt, ein rückständiges Agrarland mit Subventionen, Zöllen, Steuern und Krediten absolutistisch umzubauen.

Im ständestaatlichen Schwaben, in dem protestantische Stadtbürger und Pfarrer aufs Blut ihre feudalen Prärogativen verteidigten, stieß der Herzog mit denselben Methoden freilich auf Granit. Daher musste der mal profitabel privilegierte, mal Geld zuschießende „Hof- und Kriegsfaktor“ Süs Oppenheimer die Gesetze umschiffen und mit vorkapitalistischer Kreativität seinem Herrn immer mehr Geld für Luxus, Militär und Landesausbau herbeizaubern.

Als der Herzog starb, eskalierte der Hass

Als der Herzog 1737 plötzlich starb, wurde der jüdische Favorit zum idealen Sündenbock der sofort einsetzenden Restauration. In der Person des „Hofjuden“ ließ sich bei den gedeckelten Staatsdienern, beim evangelischen Konsistorium und gewiss auch bei weiten Teilen der einfachen Bevölkerung ein dreifacher Hass kanalisieren: der auf die herzogliche Willkür, der auf die Modernisierung und der auf das Judentum, obgleich sich Süs Oppenheimers Glaubensgenossen in der Regel vorsichtig von seinem gesellschaftlichen Kometenflug ferngehalten hatten.

Raquel Erdtmann zeigt auch die Ambivalenz des erfolgreichen Händlers und Bankiers für die anderen Juden, die er bei einer gewissen religiösen Laxheit bis in den Tod niemals verleugnete: Der Weg aus Not und Marginalisierung bedeutete immer auch ein Exponiertsein, für das den Juden jederzeit eine blutige Rechnung präsentiert werden konnte.

Die Hinrichtung des Finanzberaters Joseph Süßkind Oppenheimer, Kupferstich von 1744
Die Hinrichtung des Finanzberaters Joseph Süßkind Oppenheimer, Kupferstich von 1744
Quelle: bpk

Dass der lange Prozess gegen Süs Oppenheimer eine Farce mit vorher feststehendem Todesurteil und prunkvoller Jahrmarktshinrichtung war, arbeitet die Autorin minutiös aus den Quellen heraus, indem sie den Opportunismus der juristischen Schranzen ebenso zitiert wie die genüsslichen Darstellungen der Entrechtung, Demütigung, Enteignung und Entmenschlichung des Opfers.

Dieses individuelle Schicksal angesichts einer Willkürjustiz in einem Land furchtbarer Juristen und eifernder Pfaffen erinnert nicht grundlos an das kollektive Los, welches Millionen Juden in ganz Europa zweihundert Jahre später von den Nachfahren der Täter von 1738 bereitet wurde.

Raquel Erdtmann: Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord. Steidl, 272 Seiten, 24 Euro

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