Eine Katastrophe bahnte sich an – und genau zwei Stunden und 25 Minuten nach dem Beginn der Landung musste über das weitere Vorgehen entschieden werden. Um 6.30 Uhr morgens am 6. Juni 1944 waren Soldaten zweier Regimenter der US Army nach einem Trommelfeuer aus Schiffsgeschützen am Omaha Beach an Land gegangen. So nannten die Planer der alliierten Invasion den rund zehn Kilometer langen Strandabschnitt zwischen den Dörfern Vierville-sur-Mer und und Coleville-sur-Mer in der Normandie.
Doch von Anfang an ging an diesem Dienstag fast alles schief: Die Schwimmpanzer, die den Sturm der Infanterie decken sollten, gingen unter. Die meisten Landungsboote kamen an anderen als den vorgesehenen Landestellen an und lagen schnell in heftigem Abwehrfeuer. Denn die Artillerievorbereitung des Sturms durch die alliierten Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer vor der Küste hatten die Verteidiger der deutschen 352. Infanteriedivision in ihren Bunkern weitgehend überstanden.
Der Verlauf der Landung war derartig desaströs, dass dem Oberbefehlshaber der 1. US-Armee Omar N. Bradley (1893–1981) die Nerven flatterten. Jedenfalls überlegte er um 8.55 Uhr ernsthaft, Omaha Beach aufzugeben. Selbst entscheiden wollte er das allerdings nicht: Bradley schickte einen eiligen Funkspruch an den Oberbefehlshaber der alliierten Truppen General Dwight D. Eisenhower im südenglischen Southwick House.
„Dieser Antrag erreichte das Oberste Hauptquartier allerdings erst zu einem Zeitpunkt, zu dem er bereits gegenstandslos geworden war“, schrieb der britische Militärhistoriker Douglas Botting. Ab etwa neun Uhr nämlich wendete sich nämlich das Blatt auf Omaha Beach, und 90 Minuten später war der Landekopf hier gesichert – trotz enormer US-Verluste von rund 2000 Toten in vier Stunden auf wenigen Kilometern Frontlänge.
Eisenhower zog aus dieser Episode, die kein besonders gutes Licht auf einen Drei-Sterne-General wie Bradley warf (Entscheidungen selbst zu treffen war und ist nun einmal die Hauptaufgabe eines so hohen Offiziers) keine negativen Konsequenzen – und stärkte gerade damit seinen wichtigsten amerikanischen Untergebenen. Bradley dankte es ihm, indem er sich zum zurückhaltenden, aber für den alliierten Vormarsch enorm wichtigen Chefstrategen entwickelte – ganz im Gegensatz zum Panzer-General und Haudrauf George S. Patton.
1893 in einfachen Verhältnissen als zweites Kind eines Kleinstadtlehrers in Missouri geboren, schlug Omar Bradley die Offizierslaufbahn ein und absolvierte 1911 bis 1915 die Militärakademie West Point. Schon hier lernte er Eisenhower kennen, der zum selben Lehrgang gehörte, obwohl er zweieinhalb Jahre älter war.
Beide Nachwuchsoffiziere kamen, im Gegensatz zu Patton, 1918 in Europa nicht mehr zum Einsatz. Eisenhower machte eine Karriere als sehr organisationsbegabter Stabsoffizier, während Bradley als Offiziersausbilder in West Point blieb. Seit Anfang 1941 Brigadegeneral, erhielt er zwei Jahre später in Nordafrika sein erstes Frontkommando – und bewährte sich als solider Truppenoffizier.
Noch war er dem sieben Jahre älteren Patton unterstellt – doch als der sich durch seine ruppige Art Soldaten gegenüber selbst disqualifizierte, rückte Bradley auf. Nach dem Beinahe-Versagen am 6. Juni 1944 gelangen ihm die meisten Vorstöße. Mit der „Operation Cobra“ leitete er den wichtigen Ausbruch aus der Normandie, und anschließend übernahm er die 12. Army Group – nie zuvor und nie danach befehligte ein General so viele amerikanische Soldaten: vier Armeen mit elf Armeekorps und zeitweise bis zu 1,3 Millionen Soldaten. Bradley war damit nach Eisenhower der wichtigste US-General in Europa und rangierte deutlich vor seinem Konkurrenten Patton.
Nach Kriegsende übernahm Bradley die Aufgabe, die Betreuung für die im Krieg verwundeten Veteranen aufzubauen. Gut zwei Jahre bewährte er sich in dieser wichtigen, aber wenig glanzvollen Funktion, bevor er Ende 1947 als Nachfolger von Eisenhower Stabschef der US Army und ab 1949 erster Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs aller US-Streitkräfte wurde.
Parallel damit übernahm er die militärische Top-Position der neu gegründeten Nato; in diesem Zusammenhang wurde er als bisher letzter US-Offizier zum Fünf-Sterne-General befördert, was dem britischen Rang eines Field Marshal entspricht. 1953 verabschiedete Bradley sich aus seiner Funktion, wurde aber ehrenhalber weiter als aktiver Soldat geführt. Im Gegensatz zu Eisenhower, inzwischen US-Präsident, strebte er keinen Wechsel in die Politik an.
Nach einer unauffälligen, aber einträglichen Zeit in der Privatwirtschaft zog er sich im hohen Alter in eine auf seine Zeit als Veteranenbeauftragter zurückgehende Institution in Texas zurück. 1979 sprach Bradley, inzwischen 86 Jahre alt, zum 35. Jahrestag des D-Day, am 20. Januar 1981 nahm er als Ehrengast an der Amtseinführung von US-Präsident Ronald Reagan teil.
Knapp drei Monate später starb Omar Bradley in New York. Mit (offiziell) 69 Jahren, acht Monaten und sieben Tagen im aktiven Dienst hielt und hält er den Rekord für die längste Zugehörigkeit zur US Army.
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