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* 18.05.1919 in Eschringen (Kreis St. Ingberg), † 22.06.1996 in München ∎ bedeutender deutscher Betriebswirtschaftler ∎ Begründer und wichtigster Vertreter der entscheidungsorientierten Theorie der BWL

Leben & Karriere

  • Nach dem Abitur, das Heinen 1937 in Saarbrücken abgelegt hatte, nahm er sein Studium in Aachen auf und führte es in Danzig fort.

  • 1939 unterbrach er das Studium und nahm am Zweiten Weltkrieg teil.

  • 1943 geriet H. in amerikanische Kriegsgefangenschaft, in der er im Fernstudium Business Economics an der University of Minnesota studierte.

  • Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft studierte H. Betriebswirtschaftslehre an der Universität Frankfurt a. M., u. a. bei → Erich Gutenberg. Nachdem er 1948 das Studium mit dem Grad eines Diplomkaufmanns abgeschlossen hatte, ging er nach Saarbrücken.

  • An der Universität des Saarlandes in Saarbrücken war H. an der Gründung und dem Aufbau der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beteiligt. Die Einrichtung des dortigen Studienganges der BWL geht auf sein Engagement zurück. 1949 erwarb er dort den Doktorgrad und habilitierte sich zwei Jahre später. 1954 wurde er planmäßiger außerordentlicher Professor für BWL.

  • Drei Jahre später (1957) verließ er Saarbrücken und folgte einem Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität in München auf einen Lehrstuhl für BWL, wo er das Institut für Industrieforschung gründete und bis zu seiner Emeritierung Ende 1987 wirkte. Sieben Rufe an Universitäten des In- und Auslandes lehnte H. ab.

  • Für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt H. mehrere Auszeichnungen und Würdigungen, u. a. wurden ihm das Bundesverdienstkreuz und der bayerische Verdienstorden verliehen. 1987 wurde er zum Ehrenmitglied des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft ernannt.

Werk & Wirkung

  • Heinens wissenschaftliche Leistung, die zur Weiterentwicklung der deutschen BWL beitrug, beruht auf zwei Gebieten: Zunächst sind seine Beiträge zur Produktions- und Kostentheorie sowie zur Kostenrechnung zu nennen. Er entwarf eine differenzierte Produktionsfunktion vom Typ C und entwickelte eine darauf aufbauende Kostentheorie. Damit hat er „diese traditionsreichen Kerngebiete der Betriebswirtschaftslehre weiterentwickelt und durch neuartige Aspekte bereichert“ (Picot, S. 427). Weitaus bedeutsamer für die wissenschaftliche Weiterentwicklung der BWL ist jedoch sein Ende der 1960er-Jahre entwickeltes Konzept der sog. „entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre“, in dem H. das Entscheidungsproblem in den Vordergrund rückt und dessen Bedeutung für die Analyse und Gestaltung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen hervorhebt. Dieser neuartige Ansatz führte auch zu einer interdisziplinären Öffnung der BWL (z. B. zur Psychologie und den Sozialwissenschaften), die bis dahin im Wesentlichen durch → E. Gutenberg dominiert wurde. Somit wurde auch der vorherrschende neoklassische Ansatz, der auf dem Menschenbild vom „homo oeconomicus“ basiert (und implizit auch dem Gutenberg’schen System zugrunde liegt), abgelehnt: „Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre entlässt … den ‚homo oeconomicus‘ der klassischen Mikroökonomie in das Reich der Fabel“, schreibt H. in seinen Grundfragen (S. 395). Der entscheidungsorientierte Ansatz berücksichtigt vielmehr ein realistisches menschliches Verhalten und geht nicht mehr nur vom modellhaften, rational denkenden Nutzenmaximierer aus.

  • In seiner 1972 erstmals herausgegebenen Industriebetriebslehre erläutert Heinen das Konzept der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre so:

    „Die Betriebswirtschaftslehre befaßt sich wie andere Sozialwissenschaften mit dem menschlichen Handeln. Gegenstand betriebswirtschaftlicher Forschung sind die Grundlagen, Abläufe und Auswirkungen menschlicher Entscheidungen auf allen Ebenen betriebswirtschaftlicher Organisationen. Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft ist es, den Organisationsmitgliedern bei der Lösung ökonomischer Problemstellungen zu helfen.

    In der Betriebswirtschaftslehre hat in den letzten Jahren der entscheidungsorientierte Ansatz zunehmend an Bedeutung gewonnen … „Entscheidungsorientiert“ nennt sich dieser Ansatz, weil in erster Linie die den ausführenden Tätigkeiten vorgelagerten Prozesse des Auswählens oder Entscheidens das Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre bilden. Dieses Vorgehen geht auf die Tatsache zurück, daß letztlich jede ausführende Tätigkeit – in Betriebswirtschaften ebenso wie in anderen Organisationen – aus irgendeiner Entscheidung resultiert. Die Betrachtung erfordert naturgemäß einen weitgefaßten Entscheidungsbegriff, der rationale Entscheidungen ebenso einschließt wie Zufallsentscheidungen. Es ist demgemäß keine Tätigkeit denkbar, die nicht vorab Gegenstand einer Entscheidung war.

    Der entscheidungsorientierte Ansatz beschränkt sich indessen nicht nur auf den unmittelbaren Wahlakt; vielmehr bezieht er sämtliche mit einer Wahlhandlung verbundenen Aktivitäten in die Überlegung ein: das Problemerkennen ebenso wie die Alternativensuche und -auswahl, deren Durchsetzung und Kontrolle. Eine entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre analysiert somit die spezifischen Verhaltensweisen der in Betriebswirtschaften tätigen Wirtschaftssubjekte. Diese auf das menschliche Verhalten ausgerichtete Konzeption sieht Betriebswirtschaften als Sozialsysteme, d. h. als Mehrheiten von Personen, zwischen denen – bedingt durch die Arbeitsteiligkeit – vielfältige Beziehungen bestehen. Das Entscheidungsverhalten der Mitglieder einer Betriebswirtschaft läßt sich nur unter Berücksichtigung solcher Beziehungen sowie der externen und individuellen Einflüsse erfassen. Dies erfordert ein begriffliches Instrumentarium, das ohne Rückgriff auf Erkenntnisse anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen wie z. B. Psychologie, Sozialpsychologie oder Politologie kaum zu entwickeln ist. Eine in diesem Sinne entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre ist daher notwendigerweise interdisziplinär angelegt. (E. Heinen (Hrsg.): Industriebetriebslehre, 6. Aufl., Wiesbaden 1978, S. 25 f.)

    Die nachstehende Abbildung (vgl. Abb. 72.1) soll den Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre verdeutlichen. Das breite obere Rechteck kennzeichnet den Aktivitätsbereich der Betriebswirtschaftslehre, das untere Rechteck deutet ihre interdisziplinäre Verbundenheit an. (E. Heinen (Hrsg.): Industriebetriebslehre, 8. Aufl., Wiesbaden 1990, S. 12)“

  • Heinen kommt das Verdienst zu, dass durch sein neues Konzept die BWL eine Öffnung erfahren hat. Seine entscheidungsorientierte BWL trug wesentlich dazu bei, das bis dahin von Gutenberg dominierte Fach interdisziplinär zu öffnen und andere Wissenschaften miteinzubeziehen. Schanz betont, „dass das heuristische Potenzial dieses Ansatzes beträchtlich ist. Indem die einseitig ökonomi(sti)sche Betrachtung des betriebswirtschaftlichen Erkenntnisobjekts in Gestalt einer im Kern sozialwissenschaftlich ausgerichteten Perspektive Konkurrenz bekommen hat, sind der Betriebswirtschaftslehre neue und wichtige Zugangsmöglichkeiten zu bislang verschlossen gebliebenen Problemfeldern eröffnet worden“ (S. 62).

Abb. 72.1
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Der Forschungsansatz der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. (Quelle: E. Heinen (Hrsg.): Industriebetriebslehre, 8. Aufl., Wiesbaden 1990, S. 12)

Wichtige Publikationen

  • Zum Problem des Zinses in der industriellen Kostenrechnung, 1952

  • Die Kosten – ihr Begriff und ihr Wesen

  • Anpassungsprozesse und ihre kostenmäßigen Konsequenzen, 1957

  • Handelsbilanzen, 1958

  • Betriebswirtschaftliche Kostenlehre, 1959

  • Die Zielfunktion der Unternehmung, 1962

  • Betriebswirtschaftslehre heute – Die Bedeutung der Entscheidungstheorie für Forschung und Praxis, 1966

  • Das Zielsystem der Unternehmung, 1966

  • Das Kapital in der betriebswirtschaftlichen Kostentheorie, 1966

  • Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 1968

  • Zum Wissenschaftsprogramm der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre. In: ZfB, 39 Jg., 1969, S. 207–220

  • Industriebetriebslehre. Entscheidungen im Industriebetrieb, 1972

  • Kosten und Kostenrechnung, 1975

  • Unternehmenskultur, 1977