The Bomb | Kritik | Film | critic.de

The Bomb – Kritik

Die totalitäre Fantasie der Atombombe. Ein experimenteller Film über die Nuklearwaffe macht die Aufhebung des Einzelnen erfahrbar.

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Die aberwitzige Naivität der Aufklärungsprogramme über die Atombombe, wie sie nicht nur, aber reichlich im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurden, liegt nicht ausschließlich an ihren hilflos werteorientierten Inszenierungsweisen; etwa sieht man die Schüler einer Schulklasse, wie sie mit einsetzendem Bombenalarm unter die Tische kriechen und die Hände über die Köpfe falten, oder einen stattlichen Familienvater, der sich die Radioaktivität mit Waschpulver von der Haut putzt, während die Familie zusieht, um es anschließend dem Vorzeigepapa nachmachen zu können. Die Naivität liegt möglicherweise noch nicht einmal in der gravierenden Fehleinschätzung der Langzeitrisiken. Sie liegt vielleicht in allererster Linie darin, den Menschen in diesen Clips einen Namen zu geben, darin, ein Schutznarrativ zu entwerfen, das einen einzelnen, sich auf dem Arbeits- oder Schulweg befindlichen Menschen ins Zentrum nimmt. Die Auswirkungen der Atombombe sowie die Maßnahmen des Schutzes auf die Erzählung eines Einzelnen herunterzukochen, kann letztlich keine Erzählung über die Atombombe und ihre ultimative Negativität sein. Die Atombombe ist die Auslöschung des Namens, die Verbelanglosigung des Einzelnen. Sich angesichts der totalitären Massentötungsfantasie, wie sie die Atombombe verwirklicht, noch auf den Einzelnen zu beziehen, ist restlos naiv.

Zwingende Ausschließlichkeit

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Vor dieser Folie ist die experimentelle Found-Footage-Arbeit The Bomb von Kevin Ford, Smriti Keshari und Eric Schlosser eine Art Neuauflage solcher Aufklärungsprogramme. Dieser Film ist von keinem explikatorischen Impuls geleitet, er ist auch nur an der Oberfläche mit historischer Kausalität befasst (etwa deshalb, weil sein Material chronologisch aus der Gegenwart bis in die ersten Erfindungsschritte der Bombe hinein zurechtsortiert ist); er vermittelt kein begriffliches Wissen über Entstehung und Auswirkung der Nuklearwaffe. Dieser Film und die Organisation seines Materials sind ausschließlich – mit zwingender Ausschließlichkeit – damit befasst, die totalitäre Fantasie ästhetisch erfahrbar zu machen. Die ersten Bilder sind Aufnahmen aus dem All: Wir sehen den Globus, das erdatmosphärische Geschehen, Lichtflecken und Dunkelzonen. Von hier aus auf den Einzelnen zu zoomen wäre maßlos. Dann sehen wir Aufnahmen von Militärparaden – russische, indische, japanische massenornamentale Aufmärsche von Soldatenbataillonen. Auch hier ist der Einzelne vollumfänglich eingegangen in den Massenkörper, der ihn letztlich abschafft.

Massenverkörperung

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Dieser Massenköper ist es, auf den es The Bomb anlegt. Es geht genau darum, das Publikum als Masse zu verkörpern. Insofern ist die dröhnende elektro-musikalische Komposition der Band The Acid, die live zur Vorführung des Films aufgeführt gehört, sinnvoll, durchaus rational und kalkuliert gewählt. Diese sich aus melodiösen Figuren in den Lärm und aus dem Lärm in melodiöse Figuren einschälende Musik rhythmisiert die Bildermontage erst. Von zwei Seiten, müsste man sagen, wird hier ein Publikum eingeklemmt und entsprechend verpresst. Die Gemeinschaft, die wir bilden, die wir gemeinsam sehen und hören, ist eine Zwangsgemeinschaft; jeder ist gleichermaßen gefangen im autoritären Rhythmisierungszusammenhang zwischen Leinwand und aufgeführter Musik. Der mit harten Schlägen getaktete Klang dringt mit unterschiedsloser Gewalt in jeden Körper. Und besonders in den erhabenheitsästhetischen Bildern sich endlos und uferlos aufbäumender Atompilze mag die Schönheit, die wir in ihnen sehen und zu der wir vielleicht auch gezwungen werden, uns mit der Idee beruhigen oder beunruhigen, dass wir eine zur Masse gegossene Sterbegemeinschaft bilden. Die Bombe stellt nicht nur mich in Frage, sie stellt auch meinen Tod in Frage, den Tod, den ich sterbe, den ein Ich stirbt.

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