FormalPara Sprache

mittellateinisch

FormalPara Übersetzung

Proslogion (1995)

FormalPara Übersetzer/in

F. S. Schmitt

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Sachliteratur

FormalPara Untergattung

Religion / Theologie

Mit diesem um 1077/78 entstandenen philosophisch-theologischen Traktat, in dem der berühmte ‚ontologische Gottesbeweis‘ niedergelegt ist, wollte Anselm die vielen Beweisgänge des kurz zuvor entstandenen Monologion durch ein einziges Argument ersetzen, das er nach langer Suche in einer plötzlichen Erleuchtung gefunden hatte. Er kleidete den Beweis in eine „Ansprache“ an Gott oder die Seele – das Monologion hatte noch die Form eines Selbstgesprächs – und gab ihm die rhythmische Form eines Gebets oder einer Betrachtung, die ihm von seinen vorher verfassten Gebeten her geläufig war. Der Beweis geht von dem Glaubensdogma aus: ‚Gott ist etwas, über dem sich nichts Größeres denken lässt.‘ In dem Prädikat dieses Satzes – ‚etwas, über dem sich nichts Größeres denken lässt‘ – liegt das eine Argument.

Anselm von Canterbury argumentiert folgendermaßen: Ein so definiertes Wesen kann nicht nur im Verstand sein, sondern muss auch in Wirklichkeit existieren. Denn wenn es nur im Verstand wäre, könnte man sich ein in Wirklichkeit existierendes Wesen denken, das größer ist als das bloß gedachte, und zwar deshalb, weil es gedacht werden kann und zugleich in Wirklichkeit existiert; dann also wäre das bloß Gedachte nicht das, über dem sich nichts Größeres denken ließe. Also muss es ein Wesen geben, sowohl im Verstand als auch in Wirklichkeit, über das sich nichts Größeres denken lässt. Ja, es lässt sich nicht einmal denken, dass es nicht existierte. Denn sonst könnte man argumentieren, dass etwas, das als nicht existierend gedacht werden kann, größer ist, als was als existierend gedacht werden kann. Der Schluss lautet ähnlich wie oben: Gott muss auch aus diesem Grund etwas Größeres sein, als gedacht werden kann.

Mit demselben, einzigen Argument beweist Anselm alle anderen Eigentümlichkeiten Gottes, die er im Monologion behandelt hatte (die Trinität, die dort einen so großen Raum einnimmt, wird hier in einem kurzen Kapitel zusammengefasst). Zugleich versucht er eine Reihe von Antinomien, z. B. die der Gerechtigkeit Gottes, der dem, der ewigen Tod verdient, ewiges Leben schenkt, auszugleichen. So ist z. B. derjenige besser, der zu den Guten und Bösen gut ist, als der, der es allein zu den Guten ist; und derjenige mächtiger, der auch aus Bösen Gute macht, als der, der solche nur aus Nicht-Guten macht.

Die Schlüssigkeit des Anselmischen Gottesbeweises aus der Idee Gottes ohne Rekurs auf die Erfahrungswelt wurde schon von seinem Zeitgenossen, dem Mönch Gaunilo von Marmoutier, mit der Begründung angegriffen, aus der Idee eines Dinges lasse sich nicht seine extramentale Existenz beweisen. Anselm suchte den Einwand in einer Replik hauptsächlich mit dem Hinweis zu entkräften, dass es sich bei Gott als dem notwendigen Sein nicht wie bei den anderen Dingen verhalte. Ähnlich wie Gaunilo lehnten später auch Thomas von Aquin und Kant (von dem die Bezeichnung ‚ontologisch‘ herstammt) den Beweis ab, während Bonaventura mit der Franziskanerschule sowie Descartes, Leibniz und Hegel ihm positiver gegenüberstanden. Die Diskussion um dieses Argument setzt sich bis heute fort, so dass mehr als die Hälfte der Literatur über Anselm sich mit dessen Gottesbeweis befasst. Im Gegensatz zu Karl Barth, der den Anselmischen Gottesbeweis als theologischen verstehen will, gewinnt die traditionelle Auffassung, dass Anselm einen philosophischen Beweis intendierte, immer mehr die Oberhand.

Das Proslogion hat nicht nur die Philosophie durch die Jahrhunderte befruchtet, es ist zugleich auch ein literarisches Kunstwerk hohen Ranges, das in Sprache, Form und Aufbau ein eigenes Gepräge hat. Während Anselm den philosophischen Hauptteil in gehobenem Prosastil schrieb, hat er die Gebetsteile in einer rhythmisierten, durch Parallelismen der Satzglieder, Antithesen und Anaphern gekennzeichneten Kunstprosa abgefasst. Der Aufbau der Kapitel – meist gegliedert in Titel, Fragestellung, Auflösung der Frage, Begründung der These und Folgerung – bildet eine unmittelbare Vorstufe zu der Form der späteren scholastischen Summen.