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Der Jurist, der mit Ostdeutschen handelte

Leitender Redakteur Geschichte
Rund einer Viertelmillion DDR-Bürgern vermittelte der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel einen Weg in die Freiheit – als enger Vertrauter von SED-Chef Honecker. Zugleich hat er fast 34.000 Gefangene aus DDR-Haft im Wege eines modernen Menschenhandels verkauft. Jetzt ist Vogel im Alter von 82 Jahren gestorben.

Das Tor zur Freiheit lag in Berlin-Friedrichsfelde, genauer gesagt in der Reiler Straße 4. Hier, in der Anwaltskanzlei von Wolfgang Vogel, gaben sich jahrzehntelang Menschen die Klinke in die Hand, die dem „Arbeiter- und Bauern-Paradies“ den Rücken kehren wollten. Offiziell ging das nicht, denn die DDR-Gesetze sahen Freizügigkeit für die eigenen Staatsbürger nicht vor, und eine mörderisch gefährliche Grenze teilte Deutschland. Wohl aber inoffiziell – im Wege der Familienzusammenführung und des Freikaufs politischer Häftlinge durch die Bundesregierung. Für beides war auf SED-Seite Wolfgang Vogel zuständig.

„Advocarus Diaboli“ („Anwalt des Teufels“) hat der US-Journalist Craig R. Whitney seine Biografie über Vogel genannt – eine treffende Beschreibung. Denn der seit 1964 als „Beauftragter der DDR für humanitäre Fragen“ tätige Vogel hat zwar die Ausreise von etwa 215.000 Menschen zu ihren Verwandten in die Bundesrepublik vermittelt. Aber er hat zugleich genau 33.755 Gefangene aus DDR-Haft im Wege eines modernen Menschenhandels verkauft – für Sachleistungen und Geld im Gesamtwert von umgerechnet mehr als anderthalb Milliarden Euro. Wolfgang Vogel war jedoch kein Held der Freiheit, sondern ein Täter und Profiteur der SED-Diktatur – und ist dafür außer mit gut einem halben Jahr Untersuchungshaft und einem sich hinziehenden und schließlich niedergeschlagenen Verfahren nie bestraft worden.

Vogel, Jahrgang 1925, begann unmittelbar nach Kriegsende in Jena Jura zu studieren, absolvierte sein Referendariat und arbeitete 1952 bis 1954 im DDR-Justizministerium. In der Zeit knüpfte er nicht ganz freiwillig erste Kontakt mit dem DDR-Staatssicherheitsdienst: Sein juristischer Mentor Rudolf Reinartz war nach der Niederschlagung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 in den Westen geflüchtet, hatte dort schwere Vorwürfe gegen die neue DDR-Justizministerin Hilde Benjamin erhoben – und seinen Schüler Vogel davon vorab unterrichtet. Für den jungen Juristen gab es jetzt nur zwei Möglichkeiten: selbst in die Freiheit gehen – oder sich der Stasi offenbaren und damit zum Handlanger der Diktatur werden.

Der Mann für die besonderen Deals

Wolfgang Vogel entschied sich für den zweiten Weg. Laut seiner Stasi-Akte über sein Verhältnis zu Reinartz: „Und wenn er mich noch zehnmal anschreibt, würde ich nicht nach West-Berlin gehen.“ Vogel wurde als IM verpflichtet und konnte wenig später eine Praxis als Rechtsanwalt in Ost-Berlin eröffnen. In der gespannten Atmosphäre des schon geteilten, aber noch nicht vom Todesstreifen durchschnittenen Berlin wurde Wolfgang Vogel zum Aktivposten der DDR. Er wurde 1957 auch an West-Berliner Gerichten zugelassen, konnte dort also die Interessen der DDR vertreten wie Friedrich Karl Kaul, der Kronjurist der DDR.

Der ruhigere Vogel wurde im Gespann der DDR-Anwälte zum Mann für die Deals hinter den Kulissen, Kaul übernahm weiterhin die großen öffentlichen Auftritte. Seien Qualität als verschwiegener Vermittler bewies Vogel erstmals 1961/62 beim ersten Agentenaustausch auf der Glienickerbrücke im Südwesten Berlins. Der amerikanische U-2-Pilot Francis Powers wurde gegen den KGB-Oberts Rudolf Abel ausgetauscht.

Es war der Beginn einer in der DDR einzigartigen Karriere: Am Austausch von rund 150 echten oder vermeintlichen Agenten – oft auch nur Gegnern der kommunistischen Regimes, die wegen Spionage verurteilt wurden – war er beteiligt. Der wohl berühmteste derartige Austausch fand 1986 abermals auf der Glienicker Brücke statt: Der Dissident Anatoli Schtscharansky und drei andere Häftlinge aus Ost-Gefängnissen durften gehen, die Ost-Geheimdienste bekamen fünf Agenten zurück. Das ganze fand vor den Kameras der Weltpresse statt.

Er fuhr einen goldenen Mercedes

Während diese Tätigkeit durchaus verdienstvoll war, sah das bei Vogels anderen Betätigungsfeldern anders aus. Nach ersten, 1962 geknüpften Kontakten, durch die DDR-Gefangene in die Freiheit kommen konnten, übernahm Vogel das Geschäft mit dem Häftlingsfreikauf. Ein Vierteljahrhundert lang spielte er auf DDR-Seite die Hauptrolle beim Verschachern von Menschen. Nicht wenige Fälle wurden von der Stasi sogar mit dem Ziel festgesetzt, sie verkaufen zu können. Vogels Stasi-Akte war längst geschlossen, denn dem SED-Regime war sein Vermittler viel zu wichtig, als ihn eventuell durch eine IM-Tätigkeit zu diskreditieren.

Vogel profitierte auch selbst von seiner Rolle beim Menschenhandel. Er fuhr einen goldenen Mercedes und durfte dank Diplomatenkennzeichen frei über die innerstädtische Grenze hin und her fahren. Wichtiger als das aber war ihm wohl, jedenfalls kann man seine eigenen seltenen Äußerungen nach 1990 so gegen den Strich lesen, seine Machtposition. Wolfgang Vogel entschied buchstäblich über das Lebensglück zehntausender Menschen. Viel deutet darauf hin, dass er sich dabei auch persönlich bereichert hat – indem er Mandanten, die seine Hilfe bei Familienzusammenführung in Anspruch nehmen wollten, drängte, ihr Eigentum in der DDR unter Preis zu verkaufen. Jedoch endete ein entsprechendes Verfahren 1998 letztinstanzlich einen Freispruch. Vogel, der seine Zulassung als Anwalt schon Ende 1990 zurückgegeben hatte, lebte zuletzt in Schliersee in Bayern, und hier ist er am Donnerstag gestorben.

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