Maja Göpel: „Mein Ghostwriter wollte nicht genannt werden“

Maja Göpel: „Mein Ghostwriter wollte nicht genannt werden“

Göpel äußert sich zu Ghostwriter-Vorwürfen, die ihr jüngst in einem Zeit-Artikel gemacht wurden, und spricht über ihr neues Buch „Wir können auch anders“.

Maja Göpel in Berlin
Maja Göpel in BerlinBenjamin Pritzkuleit

Maja Göpels Job ist schwer zu definieren, weil sie so viele verschiedene Dinge tut. Sie ist Autorin, Wissenschaftlerin, Rednerin und Politikberaterin, man könnte diese Liste fortführen. All ihre Tätigkeiten drehen sich aber letztendlich um die Lösung der großen Frage: Wie kann unsere Wirtschaft nachhaltig transformiert werden? Ihr neues Buch wurde in der Wochenzeitung Die Zeit angegriffen, bevor es überhaupt veröffentlicht war. Göpel habe die Mitarbeit eines Ghostwriters verschwiegen. Die Transformationsforscherin spricht mit der Berliner Zeitung über ihr neues Buch, die Ghostwriting-Debatte und die Halbwertzeit von Lösungen in einer sich rasant verändernden Welt.

Frau Göpel, in einem Zeit-Artikel wird Ihnen vorgeworfen, die Mitarbeit eines Journalisten an dem 2020 erschienen Buch „Unsere Welt neu denken“ nicht transparent genug gemacht zu haben. Unter anderem spricht der Autor Stefan Willeke von „Verlogenheit“. Wurde die Kritik, die Herr Willeke vorträgt, schon früher mal an Sie herangetragen?

Nein. Ich bin damit, dass ich beim Buch Hilfe hatte, offen umgegangen, soweit das möglich war. In keinem dieser Gespräche hat das jemand hinterfragt. Hilfe von einem anonymen Ghostwriter zu bekommen ist – wie ich jetzt von Menschen, die sich mit Verlagsgeschäft auskennen, erfahren habe – im Sachbuch eine übliche Praxis. Außerdem hatte ich ja versucht, Marcus Jauer davon zu überzeugen, im Buch genannt zu werden. Er wollte das nicht, das war vertraglich seine Option, und das habe ich dann auch respektiert.

Sie haben bei Veranstaltungen und Gesprächen immer wieder erwähnt, dass Sie das Buch unter Mitarbeit eines Journalisten geschrieben haben. Wäre es besser gewesen, auch in das Buch zu schreiben, dass Sie von jemandem Hilfe bekamen, der anonym bleiben möchte?

Es war mein erstes Sachbuch, und ich wurde von Agentur und Verlag beraten. Diese Option kam dabei nie auf den Tisch.

Ihr Buch aus dem Jahr 2020 bezeichneten Sie im Untertitel noch als „eine Einladung“. Das neue Buch liest sich nun eher wie eine Anstiftung. Sie werden konkreter – auch in Ihrer Kritik am ökonomischen System.

Anstiftung. Passt. Ich will mit dem neuen Buch erklären, wie die Einladung angenommen werden kann. Nach „Unsere Welt neu denken“ habe ich auch die Rückmeldung bekommen, dass sich bei vielen Leserinnen und Lesern die Frage stellte, wie wir die Veränderung nun anpacken können.

Kein Festhalten an der Normalität mehr

Sie sagen, die ökologische Transformation sei im Kern eine kulturelle Frage. Was meinen Sie damit?

Unsere innere Software braucht ein Update, um mit den Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts zusammenzupassen. Die kulturelle Seite der Nachhaltigkeitstransformation wird häufig weichgespült und zu wenig berücksichtigt. Dabei sind wir geschichtenerzählende Wesen, die ihre Handlungen daran orientieren. Deshalb ist Umdenken so wichtig: Noch immer liegt die Beweislast auf der falschen Seite. Menschen, die tiefgreifende Veränderungen fordern und das wirtschaftliche System kritisieren, müssen das viel stärker argumentativ rechtfertigen als diejenigen, die versuchen den Status quo zu erhalten. Das bremst uns aus.

Das klingt, als bräuchten wir tiefgreifendere Änderungen unseres Lebensstils, als man vielleicht wahrhaben möchte.

Genau. Ein Festhalten an den Gewohnheiten, die wir gerne Normalität nennen, kann es nicht mehr geben. Die technologische Effizienzsteigerung wird es nicht richten, solange sie in bisherigen Geschäftsmodellen vorangetrieben wird. Es ist Zeit, dass wir uns dieser Realität stellen.

Können Sie da konkreter werden? Sie reden über Verzicht. Aber in welchem Maße werden wir verzichten müssen?

Ich frage mich, warum wir in einer der reichsten Nationen der Welt über Verzicht reden. Wir sollten viel mehr über Versorgungssicherheit sprechen. Wir sind mehr als sicher versorgt, sicherer als jemals in der Menschheitsgeschichte. Wir sind in einem Zustand von Überproduktion und Überkonsum gelandet, daher kommt auch die Vermüllung unseres Planeten. Zu sagen: Wir wollen nicht hinter unser Konsumlevel zurück, ist unökonomisch, zumal die Sozialwissenschaften klar zeigen, dass noch mehr shoppen uns nicht froher macht. Warum sollte man dann so viel verschwenden und zerstören? Lebensqualität entsteht in großem Ausmaß aus guten Beziehungen, daraus, wie wir miteinander umgehen, wie wir uns relativ zu anderen fühlen, wie gut wir unseren Körper und Geist kennen und gesund bleiben. Hier können wir wachsen, ohne dass es uns den Planeten kostet.

Die Lösungen von heute werden schnell die Probleme von morgen

Das hört sich so an, als würden Sie den Kapitalismus an sich kritisieren.

Die heutige Form des Finanzkapitalismus ist keine Lösung für eine nachhaltige Welt. Ich habe aber für mich festgestellt, dass ich diese Debatten über große Ismen als unkonstruktiv und hinderlich empfinde. Darüber zu debattieren, ob der Kapitalismus schuld ist oder diejenigen Kommunisten sind, die ihn kritisieren, bringt uns nicht weiter. Interessant wird es doch, wenn wir ganz konkret benennen, welche Treiber Ursprung unserer Probleme sind, und wie wir diese verändern können: zum Beispiel an den Preisen, die nicht die ökologische Realität widerspiegeln. Wenn Preise den Ressourcenverbrauch abbilden, ist das absolut kapitalismuskonform – und dennoch ergibt sich daraus eine Neukonfiguration des Systems: Märkte müssen sich neu organisieren, der Staat eine andere Rolle übernehmen, CO₂-intensive Geschäftsbereiche verabschiedet werden. Damit kommen auch Verteilungsfragen in den Fokus und welche Maßnahmen hier für Chancengerechtigkeit sorgen können. Hier mit möglichst wenig Ideologie vorzugehen, baut Brücken. Wir müssen ins Handeln kommen, anstatt Lager zu zementieren. Fast alle tragfähigen Lösungen sind Mischformen typischer Instrumente. Ob das mittelfristig dann noch Kapitalismus heißt, ist doch egal.

Sie warnen in Ihrem Buch aber auch vor Lösungen. Sie schreiben an vielen Stellen, dass die Lösungen von heute schnell die Probleme von morgen werden. Können Sie das erklären?

Es geht nicht darum, Dinge nicht auszuprobieren und zu verbreiten, sondern um die Bereitschaft, sie weiter anzupassen und auch wieder aufzugeben. Lösungen haben Halbwertzeiten, wenn die Welt sich rasant verändert. Dann kann eine ehemals gute Idee zum Treiber von Problemen werden. Kulturell geht es zu häufig darum, dauerhaft recht zu behalten, und zu selten darum, wirklich konstruktiv am Puls der Zeit zusammenzuarbeiten.

Fehlt in Deutschland eine Kultur für das Scheitern?

Ja. Sogar für das Einfach-anders-Machen. Nur, für Innovation müssen wir raus aus der Komfortzone. Idealerweise nicht bis in die Panikzone, wo Angst eher zu Paralyse oder Fehleinschätzungen führt. Fehler machen dürfen, ohne als Versager oder Misfit dazustehen, ist wichtig für eine lernende Gesellschaft.

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Benjamin Pritzkuleit
Maja Göpel
Maja Göpel ist 1976 geboren und wuchs in einem Dorf in der Nähe Bielefelds auf. 2007 promovierte sie an der Universität Kassel auf dem Gebiet der politischen Ökonomie. Heute ist
Göpel Transformationsforscherin, Politökonomin und Mitbegründerin von Scientists4Future. Als Rednerin spricht sie häufig zum Thema Nachhaltigkeit und Transformation. In Berlin eröffnete sie mit einem Redebeitrag die re:publica 2022.

Was bedeutet das konkret für die Politik?

Dass sie den Rahmen für gesellschaftliches Lernen steckt. Weg von dem Zickzackkurs, dass Ziele und Strategien wieder infrage gestellt werden, sobald die Parteifarbe wechselt. Wir brauchen mehr langfristige Richtungssicherheit, die Risiken reduziert und Umbauprozesse in Wertschöpfungsketten legitimiert. Anstatt beispielsweise immer wieder Gründe zu finden, Verbrennungsmotoren oder Kohle doch noch zu erhalten und den Green Deal zu stoppen. Eine klare Ansage hilft dabei, die Ressourcen und Aufmerksamkeit gebündelt und klar auf etwas Neues zu legen. Auch psychologisch ist das oft einfacher, um Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die fokussierte Energie brauchen wir für eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit.

Warum wir uns alle als „Wirks“ verstehen sollten

Die starre parteipolitische Situation lässt einen daran zweifeln, dass wir es rechtzeitig schaffen, diesen Weg einzuschlagen, bevor alles zu spät ist. Ist die kulturelle Veränderung, die Sie fordern, schnell genug, um die Klimakatastrophe zu stoppen?

Eine Demokratie erfordert nun einmal, Mehrheiten zu schaffen, um einen neuen Weg einzuschlagen. In Deutschland bekommen im Moment immer mehr Menschen das Gefühl, dafür genügen Lobbyinteressen. Maskendeals, Corona-Hilfen, Energiepolitik haben hier auch eine Kulisse geboten. Wir brauchen in der Gesellschaft ein Klima der Transparenz, sodass die Wirkung politischer Maßnahmen klarer wird. Zum Beispiel ist es oft kontraproduktiv, staatliche Maßnahmen gegen den Markt auszuspielen: Wenn die Politik keinen CO₂-Preis vorgibt, woher soll er kommen? Und für ein solches politisches Signal brauchen wir Mehrheiten, die wiederum daraus entstehen, dass Bürger:innen die Beweggründe und Verteilungswirkungen von Maßnahmen verstehen.

Dann bliebe nur noch das Problem der langen Legislaturperioden, in deren Rhythmus sich das Wahlverhalten niederschlägt. Brauchen wir mehr direkte Demokratie?

Es gibt viele Wege, Bürger:innen in Richtung Mehrheitsentscheidungen zusammenzubringen, das geht auch außerhalb des Parlamentes – manchmal sogar besser, weil sie direkt und nicht repräsentativ in Austausch mit Andersdenkenden gelangen. Bürgerräte, Zukunftskonvente, partizipative Haushalte, Quartiersmanagement sind auch mögliche Variationen der direkteren Partizipation. Es geht darum, die Selbstwirksamkeit in der gesellschaftlichen Gestaltung wieder zu erhöhen, sich als Wirk zu verstehen.

Als Wirk? Diesen Begriff benutzen Sie in Ihrem Buch.

Ja! Wir sollten uns alle als Wirks verstehen, unsere Wirkung auf andere Menschen und die Gesellschaft wahrnehmen und anerkennen – um dann entsprechend zu handeln, ohne sich von einem medial orchestrierten Pessimismus zu sehr ins Bockshorn jagen zu lassen. Ich erlebe so viele Menschen, die großartige Ideen haben, die einfach loslegen, weil es jetzt dran ist. So entsteht Transformation.

Literatur LIVE: Maja Göpel  im Gespräch mit Anke Engelke, Bjarne Mädel und Fridtjof Detzner über ihr Buch „Wir können auch anders. Aufbruch in die Welt von morgen“, Ullstein Verlag 2022. Sonntag, 18. September 2022, 11 Uhr, im Kino International, Karl-Marx-Allee 33. Karten-Tel. 030-24756011. Das Buch hat 208 Seiten und kostet 19,99 Euro.