Siw Malmkvist Fanpage | Interview - deutsch

 

Deutsche Übersetzung von Christine Leemhuis Lachend

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"Sängerin war gar nicht mein Traumjob - ich wollte beim Zirkus arbeiten !"

Als Kind wollte Siw Malmkvist immerzu im Mittelpunkt stehen - sei es, von Eisscholle zu Eisscholle im Wallgraben zu springen, auf dem Brückengeländer zu balancieren, akrobatische Überschläge zu machen, auf dem Dachboden Theater zu spielen oder vom Bootssteg zu tauchen. Aber als ich mit hartgesottenen Musikern auftreten sollte, da war nichts mehr viel von der Göre übrig - dann war ich ein richtiger Feigling.

"Doch, es ist das gleiche Geländer, sagt Siw Malmkvist. Siehst du, es hat genau die richtige Breite ! Hier bin ich auf dem Brückengeländer über den Wallgraben balanciert !"

Wir befinden uns in Siw's Geburtstadt Landskrona. Ein paar hundert Meter weiter liegt das kinderreiche Haus, in dem Siw und ihre Geschwister in einer Dreizimmerwohnung lebten und wo ihr kleiner Bruder beinahe im Wallgraben ertrunken wäre, als sie auf ihn aufpassen sollte.

- Da gab es noch keinen Zaun hier, sagt sie.

Als ihr Papa Albert in der Phosphatfabrik Arbeit bekam, haben Siw's Eltern das Arbeiterdasein in Borstahusen, unweit von Landskrona, verlassen, um in die Stadt zu ziehen, oder wie Siw es in ihrem breiten Landskronadialekt ausdrückt "der Mist..."

Als Siw als 6. Kind von 9 geboren wurde, wollte ihr Papa mit dem Bus ins Krankenhaus fahren, doch Mama Sigrid weigerte sich. Sie wollte nicht unnötig Geld rauswerfen  und ging die 3 Kilometer zu Fuß ins Krankenhaus, obwohl es Silvester war und bitterkalt.

Siw erzählt die Geschichte in ihrer gerade erschienenen Biografie "Dünne Scheiben von mir".

- Ich habe eine Verwandte, die sich sehr für Familienforschung interessiert und die hatte regen Briefwechsel mit den Geschwistern meiner Großmutter (väterlicherseits) und einem von ihnen, der nach Amerika ausgewandert ist. Leider hatte ich nur die Post, die nach Amerika ging, die andere hatte niemand aufgehoben. Aber das reichte aus, um Siw's Interesse zu wecken.

- Ich las das über meine Großomutter und dachte "jetzt schreib ich etwas für meine Kinder und Enkel über die Großeltern auf, d. h. über mich, meinen Vater, meine Mutter und deren Verwandte. Ich begann zu schreiben und dachte, das ist so schön und schrieb weiter über meine Kindheit. Da riefen sie vom Verlag Norstedt an und fragten, ob ich meine Memoiren schreiben wollte.

Ereignisreiches Leben

Siw hat ein langes und sehr ereignisreiches Leben bisher gehabt. Ihr Debüt gab sie als Fünfjährige, als sie auf einem Tisch stand und "Rum and Coca-Cola" sang. 1955 gewann sie den Talentwettbewerb "Die Fliege" (Flugan) der Zeitschrift Wochen-Revue, obwohl sie im Finale über ein Mikrofonkabel stolperte und 1959 wurde sie TV-Assistentin bei Lennart Hyland in "-Die große Umarmung" (Stora famnen).

Im selben Jahr gewann sie das Melodiefestival mit "Augustin". Aber er war nicht der einzige Kerl in Siw's Leben. Es begann mit Uffe und ging weiter mit Heikki in Umeå, bevor sie den schwedisch-finnischen Musiker Lasse Mårtensson heiratete, bis sie allmählich ihre große Liebe in dem Schauspieler Fredrik Ohlsson fand. Zwei Kinder hat sie auch noch geschafft  - Tove mit Lasse und Henrik mit Fredrik. Und jede Menge Hits natürlich - "Tunna skivor", "Flickor bak i bilen", "Slit och släng", "Mamma är lik sin mamma". Aber auch mehr ungewöhnliche Dinge wie den Spielfilm "Verliebt in Kopenhagen", die Musicals "Irma la Douce" und "Nine", den Riesenerfolg als "Pippi Langstrumpf" sowie zuletzt in der Rolle als Frau Schneider in "Cabaret".

Während des Schreibens hatte Siw die Hilfe ihrer Tagebücher. Lange Zeit schrieb sie jeden Tag ins Tagebuch. Ich habe unter anderem ein Tagebuch von 1960 - 61 und das ist nicht ganz gescheit, wieviel ich gearbeitet habe ! Wenn ich das heute lese, denke ich "zum Teufel - ich muss Ameisen im Kopf gehabt haben". Ich arbeitete fast jeden Tag, das ganze Jahr - es war alles von Bromölla bis Amsterdam. An anderes kann sie sich nicht so gut erinnern.

- Wie kam es dazu, dass ich mit Orchestern zu singen begann  Das weiß ich nicht ! Ich habe immer gesungen und dachte, dass das lustig ist. Meine Eltern hatten sehr schöne Stimmen und alle in der Familie sangen, aber wir bildeten nie einen Chor - wir sangen nur ! Ich dachte, dass es etwas besonderes war - und dachte ich das nicht, hab ich es auch nicht gemacht !

Sängerin zu werden, war kein Job, der mir vorschwebte. Künstler, das waren die, die im Zirkus arbeiteten. DAS wollte ich werden - da würde ich zeigen, was ich kann. Purzelbäume schlagen und am Trapez hängen !

Liebte Gymnastik

Siw war sehr gelenkig als Kind, liebte Gymnastik und war eine zeitlang beim Leistungsturnen.

- Aber es war viel lustiger, Künste draußen auf dem Rasen zu machen, sagt sie, und zeigt auf das kinderreiche Haus. Beim Leistungsturnen ging es vor allem darum, mit einem Ball zu balancieren und sowas. Das war nicht mein Ding ! Ich wollte Künste machen, Brücke schlagen und Saltos. Wir rechneten, wieviele Saltos und Radschläge wir schafften, ich und "die Fliege" - er wurde so genannt, weil er klein wie eine Fliege war.

- Als Kind wollte Siw immerzu im Mittelpunkt stehen. Sie erfand allerhand Streiche - sei es über Eisschollen im Wallgraben zu springen, am Brückengeländer balancieren, akrobatische Saltos zu machen, Theater auf dem Dachboden spielen oder vom Bootssteg in Borstahusen zu tauchen.

- Das verschwand in den späteren Teenagerjahren glaub ich, sagt Siw nachdenklich. Als die Karriere begann. Da fühlte ich mich oft ganz wertlos ! Das einzige, was noch saß war, dass ich waghalsig war, solange es sich um körperliche Dinge handelte. Als ich aber mit hartgesottenen Musikern auftreten sollte, war nicht mehr viel von der Göre übrig - da war ich ein richtiger Feigling !

Siw mochte es, in den Fünfzigern aufzuwachsen. Die Wirtschaft blühte und es gab überall Jobs. Man konnte eine Woche lang auf einer Stelle arbeiten und dann sagen "nee, zum Teufel" und den nächsten Job nehmen. "Hoppjerka" wurde man genannt, ein unsteter Mensch, der oft den Arbeitsplatz wechselte - und das war ich. Man nahm den Tag, wie er kam - es gab Arbeit und man konnte immer Geld verdienen.

Plötzlich bekam sie zu hören, dass sie sich vor Jungs in acht nehmen sollte.

- Ich verstand nichts - ich hatte mich früher nie vor den Jungs in acht genommen ! Aber ich verstand, dass etwas passierte, als sie begannen, an mir rumzufummeln. Man sollte sich vor Jungs in acht nehmen und nicht schwanger werden. Meine beiden besten Kumpels wurden früh schwanger - eine war 16 und die andere 17. 

Davor war ich zu Tode erschrocken, aber gleichzeitig hatte ich keine Ahnung von Verhütungsmittel. Es gab ja Kondome, aber ich wusste nicht, wozu man sie haben sollte - es war lustig, sie aufzublasen !

Der Umgang zwischen den Geschlechtern war anders in den fünfziger Jahren.

- Man durfte gern fummeln, sich küssen und streicheln, aber dann ging es nicht weiter - nee, nee, nee.

Gewann Talentwettbewerb

1955 kam ein Talentwettbewerb der Wochen- Revue nach Landskrona und Siw meldete sich an - sie wollte Gunilla Pontèn und die anderen Modells sehen, die Teenagerkleidung zeigten, ohne dass sie dafür Eintritt bezahlen brauchte.

- Es gab da ja keine Teenagermode, sagt Siw. Man kaufte Damenkleidung, die man sich selbst zurecht herrichtete - schaute Bilder an, knotete das Kopftuch so um den Hals, dass man aussah wie Brigitte Bardot. Doch dann kam die Teenagerkleidung - und das war es, was ich sehen wollte.

Doch sie gewann. Nachdem sie auch das Finale in Stockholm gewonnen hatte, veränderte sich das Leben völlig für Siw "Sibben" Malmkvist. Der erste Preis, die  Schellackplatte "Tweedlee Dee", wurde zwar kein Hit, aber gab ihr Arbeit als Sängerin bei bekannten Namen wie Arne Domnérus.

Beinahe nahm die Karriere ein Ende, als sie sich verliebte und sich entschloss nach Umeå zu ziehen.

- Es war schrecklich langweilig, Bewohner eines möblierten Zimmers in Stockholm zu sein und in Umeå bekam sie sofort einen Job ! Ich schrieb Rechnungen auf der Schreibmaschine, nahm Diktate auf und antwortete am Telefon, "Umeå Autohandelsgesellschaft, einen Moment bitte" und dann hab ich das Telefongespräch verbunden - das war prima ! An Wochenenden sang ich mit Berndt Egerbladh und den Jungs und verdiente ein bisschen Extrageld ! Ich fühlte mich wohl in Umeå und hatte eine eigene Wohnung !

Alice Babs hatte gerade Metronome verlassen und die brauchte nun einen neuen Star. Die Plattengesellschaft wollte auf Siw setzen, doch dafür musste sie nach Stockholm ziehen. Siw konterte mit einer "unmöglichen" Forderung:  "Beschafft mir eine Wohnung, dann komm ich !" einige Wochen später bekam sie ihre Wohnung und zog um - widerwillig.

- Ich sag dir, meine Sachen standen lange unausgepackt, doch ich bin immer pflichtbewusst gewesen. 

Viele Hits

1959 gewann Siw das Melodiefestival mit Augustin, ihrem 1. Hit. Im selben Jahr wurde sie Assistentin in "Stora famnen", bekam noch einen Hit mit "Flickor bak i bilen" und 1960 nahm sie "Tunna skivor" auf - widerwillig.

Siw dachte, es klang wie ein Lied der Heilsarmee und Lennart Hyland dachte, der Text sei gefährlich und verbot ihr, das Lied in seinem Programm zu singen. Trotzdem wurde es ein Riesenhit - mit über 100 000 verkauften Exemplaren !

Bald waren es drei Männer, die Siw's Leben ganz dominierten. Anders Burman, er wählte die Lieder aus, die sie aufnehmen sollte, Börje Ekberg war ihr Manager und der kulturschaffende Lasse Mårtensson ihr Mann.

- Ich hätte die Musik selber steuern können, sagt Siw. Aber ich war so feige. Ich dachte, wenn ich ein Lied vorschlage, würde Anders vielleicht sagen, dass es Mist war - aber er könnte genauso gut gesagt haben "super - das machen wir !"

Es wurde nicht besser davon, dass Siw oft dachte, dass sie Schundlieder aufgenommen hat.

- Anders sagte immer "Siw mag es nicht - dann wird es ein Hit !" Und so war es jedes Mal !

Der Mangel an Selbstvertrauen wurde noch deutlicher, als sie Stellung nehmen sollte zu neuen Jobs.

- Ich hab immer gesagt nein, das kann ich nicht. Ich bin wertlos - und dann ist es ein großer Erfolg geworden. Doch ich setze voraus, dass es ein Fiasko wird...

Im Buch gibt sie einen 3 Seiten langen, maschinegeschriebenen Brief von Börje Ekberg wieder, mit Anweisungen, wie sie reisen muss, wo sie das Flugzeug wechseln soll, wann die Züge fahren, ob sie Taxi fahren soll, wie sie gekleidet sein soll, welche Lieder sie singen soll, wann sie zum Frisör soll und an was sie sich erinnern soll, wenn er nicht dabei war. Ohne Börje wäre es vielleicht keine Karriere geworden. Er war es, der puschte und antrieb.

- Er kümmerte sich um alles, sagt Siw heute. Er ist fantastisch. Hielt einfach alles in Ordnung.

Wenn ich heute so diese Anweisungen lese, wird mir ganz schwindlig ! Es ist nicht richtig !

Doch es war nicht immer ganz konfliktfrei.

In Deutschland, wo sie zeitweise mehr Platten verkaufte als in Schweden, glaubten sie, dass er der "verflixte Börje" hieß, weil Siw ihn immer so nannte.

Heute fällt es ihr schwer zu verstehen, wie sie sich überreden lassen konnte, ihren 4 Monate alten Sohn mit auf Tour zu nehmen in der stickigen Sommerwärme.

 - Warum hab ich das getan ? sagt sie überwältigt. Ich feige, die nicht sagen konnte "ich fahre nicht mit einem Kind, das 4 Monate alt ist". Ich war so verduzt. Ich erinnere mich, dass ich zuhause saß und darüber schimpfte und fluchte, dass ich ja gesagt habe und es dennoch gemacht habe - anstatt anzurufen und zu sagen: "Ich kann nicht !"

Konfrontationsangst

Sie erkennt, dass sie Konfrontationsangst hat.

- Sehr. Und das war noch schlimmer. Das ist jetzt besser geworden - jetzt kann ich praktisch absagen. Doch zu der Zeit lächelte ich nur und sagte "jaaa" ( mit weichlicher Stimme) - kannst du dir denken, dass aus einem so mutigen und kecken Menschen, der ich mal war, ein solcher Trottel wird ? Wie schrecklich, nein, ich war sehr, sehr ängstlich vor Konfrontation ! Weiß der Teufel, woher das kam - es musste eine Art Autoritätsangst gewesen sein ! Zuhause hab ich nie solche Schwierigkeiten gehabt - da war immer alles gerade heraus !

An Silvester wird Siw 74, aber der Takt ist immer noch hoch.

2005 erwachte Siw mit einem fürchterlichen Krampf im Bein. Am Tag darauf merkte sie, dass sie mit einer Hand Probleme hatte und 2 Tage später bestätigten die Ärzte einen leichten Schlaganfall. Sie hörte sofort auf zu Rauchen - "das war gar nicht schwer " - und heute hat sie keine Probleme mehr, außer, dass sie mit der linken Hand etwas langsamer ist.

- Aber die Psyche hat sich verändert. Es fällt mir schrecklich leicht herzlich zu lachen - ich kann mich totlachen - doch genauso kann ich weinen wegen nichts !

Wenn sie auf ihr Leben zurückblickt, ist da nicht viel, was sie bereut.

- Ich bereue, dass ich nicht ein bisschen schlauer war, sagt sie. Dass ich nicht verstand, was eine Karriere beinhaltet und dass ich das nicht ein wenig ernster genommen habe. Manchmal denke ich, dass ich wirr im Kopf war ! Aber es ist ja dennoch gut gegangen ! Man kann nicht wegen verschütteter Milch weinen.

 

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Das Buch ist ab sofort erhältlich ! Bisher allerdings nur in schwedischer Sprache !

Bei Fragen bitte mailen an :

krissysiw-malmkvist.de


Bild: Norstedt Katalog