silvae

Freitag, 24. Mai 2024

Original? Kopie?

Dieses schöne Familienbild einer Dame mit zwei Söhnen aus dem Jahre 1844 ist 2009 im Auktionshaus Lempertz für knapp 10.000 Euro verkauft worden. Ist es unbedingt wert. Aber wenn wir jetzt noch den Namen des Malers dazu sagen, hätte man vielleicht mehr erwartet. Denn es gibt Bilder von diesem Maler, die Millionen wert sind. Mehrere Millionen. Für ein Bild von ihm, das gerade bei Christie's verkauft wurde, wurden 45 Millionen Dollar bezahlt. Es war auf 12 bis 15 Millionen geschätzt. Es muss ein besonderes Bild gewesen sein. Wenn ich jetzt den Namen des Malers verraten würde, wüssten Sie sofort, von welchem Bild ich rede.

Der Maler heißt Emanuel Leutze, er wurde am 24. Mai 1816 in Schwäbisch Gmünd geboren, ist als kleiner Junge mit seinen Eltern in die USA gekommen, ist aber mit fünfundzwanzig Jahren zurückgekommen nach Düsseldorf. Das damals ein Zentrum der deutschen Malerei war. Sein berühmtestes Bild hat er hier gemalt. Das hat den Titel Washington Crossing the Delaware, es hat hier natürlich schon einen Post. Der Maler Emanuel Gottlieb Leutze hat hier natürlich auch schon einen Post, und er wird in 22 weiteren Posts erwähnt. Das 1850 gemalte Bild wäre bei einem Atelierbrand beinahe verbrannt, Leutze restauriert es. 

Er hatte das Bild versichert, jetzt gehört es der Kölner Brandversicherung Colonia, die stellt es in Köln im Gürzenich aus. Die Brandversicherung holt sich über die Eintrittspreise ein wenig Geld zurück. Von Köln wandert das Bild nach Berlin, auch dort muss man Geld bezahlen, um das Bild zu sehen. 1863 kauft die Kunsthalle Bremen das Bild für 900 Goldtaler. Dort wird es 1942 bei einem britischen Bombenangriff zerstört. Alles dazu können Sie auf der sehr guten Seite WK Geschichte, der Bremer Zeitung Weser-Kurier lesen. Der Historiker David Hackett Fischer schreibt: It became part of the permanent collection of the Bremen Art Museum. There it stayed until September 5, 1942, when it was destroyed in a bombing raid by the British Royal Air Force, in what some have seen as a final act of retribution for the American Revolution. Ein kleiner Racheakt der Engländer dafür, dass sie den Revolutionskrieg verloren haben? Das ist ein kleiner perverser Gedanke. David Hackett Fisher hat mit seinem Buch Washington's Crossing das ultimative Buch über das wichtige Ereignis der amerikanischen Geschichte geschrieben. Und zu Recht dafür den Pulitzer Preis bekommen. Sie können hier die ersten Seiten lesen, besonders das erste Kapitel The Painting.

Leutze wird von dem französischen Kunsthändler Adolphe Goupil dazu gedrängt, eine zweite Fassung des Bildes anzufertigen. Dafür richtet Leutze ein neues Atelier ein und malt das Bild mit der Hilfe seiner amerikanischen Malerfreunde Worthington WhittredgeEastman Johnson und Albert Bierstadt in der Größe von 3,78 m  × 6,47 m. Der berühmte Düsseldorfer Landschaftsmaler Andreas Achenbach malt auch noch an dem Bild mit. Kaum ist es fertig, wird es nach Amerika verschifft. Vom September 1851 bis Januar 1852 werden es 50.000 Amerikaner in New York bestaunen. Henry James war acht Jahre alt, als er das Bild sah. Er wird später schreiben: no impression was half so momentous as that of the epoch-making masterpiece of Mr. Leutze, which showed us Washington crossing the Delaware, in a wondrous flare of projected gaslight and with the effect of a revelation. Noch mehr Bewunderer wird das Bild haben, wenn es ab April 1852 in der Rotunde des Kapitols hängt. 1897 gelangt es in das Metropolitan Museum, wo es bis heute hängt.
 
Aber was ist das für ein Bild, das 2022 bei Christie's für 45 Millionen Dollar verkauft wurde? Es gibt da eine dritte Version, die viel kleiner ist als das Bremer Original und die Version des Metropolitan Museums. Sehr viel kleiner. Und das Bild ist auch nicht von Leutze, es ist ein Werk von Eastman Johnson. Der Schüler und Mitarbeiter Leutzes hatte 1851 eine kleine (101.6 cm mal 172.7 cm) Version angefertigt, die der Kunsthändler Adolphe Goupil gerne als Vorlage für die Anfertigung von Stichen und Drucken haben wollte. Das Bild tauchte 1973 zum ersten Mal im Kunsthandel auf, als es bei Sotheby Parke-Bernet für 260,000 Dollar an einen anonymen Sammler verkauft wurde. Das war damals die höchste Summe, die für ein amerikanisches Gemälde bezahlt worden war. Der anonyme Sammler stellte es dem Weißen Haus als Leihgabe zur Verfügung. Dort hat es von 1979 bis 2014 die Räume geziert. 1973 war es als ein Bild von Eastman Johnson, after Emanuel Leutze verkauft worden, bei der Auktion von Christie's war es jetzt ein Leutze. 

Das Auktionshaus sagte dazu: Christie’s consulted the recognized scholars in this field and their assessment is that Leutze created this painting with help from a studio assistant, just as Leutze did on the Metropolitan Museum version. The painting at Christie’s is signed by Leutze, was exhibited and sold under his name during his lifetime, and is correctly characterized as such. Der Name Eastman Johnson taucht hier überhaupt nicht auf. Das ist kunsthistorisch ein unseriöses Vertretergeschwätz. Aber bei dem Auktionshaus weiß man natürlich, dass man einen Leutze, der mal im Weißen Haus hing, für Millionen verkaufen kann. Einen Eastman Johnson nicht. Alles über die Entstehung des Bildes von Eastman Johnson können Sie auf dieser hervorragendenSeite lesen.

So präsentiert sich Leutzes Bild heute im American Wing des Metropolitan Museums. Es hing nicht immer da. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man moderne Kunst sehen, keine Historienschinken aus dem 19. Jahrhundert. 1950 lieh man das Bild Washington Crossing the Delaware an das Dallas Art Museum aus, 1952 wanderte es zum Washington Crossing State Park. Die hätten das Bild gerne behalten und waren in jahrelangen Verhandlungen mit dem Met Museum. Als die das Bild 1970 zurückgeben mussten, ließen sie eine→Kopie anfertigen. Die kann man da, wo Washington den Delaware überquerte, heute noch sehen. Das Bild, das Leutze und seine Freunde in einer Gemeinschaftsarbeit gemalt hatten, hatte beinahe hundert Jahre einen anderen, schlichteren Rahmen. Erst im Jahr 2007 fand man Photos von Mathew Brady aus dem Jahr 1864, die das Bild im Originalrahmen zeigten. Die Firma Eli Wilner & Company schuf nach dieser Vorlage den neuen Prunkrahmen. Ich habe dazu hier auch noch ein einstündiges Video. 2007 hatte man das Bild auch vier Jahre von der Wand genommen, um es Quadratzentimeter für Quadratzentimeter zu restaurieren. Sie können alles dazu in dem Buch Washington Crossing the Delaware: Restoring an American Masterpiece bei Google Books lesen.

Der goldene Adler, der das Gemälde krönt, ist beinahe vier Meter breit. Unter seinen Krallen kann man lesen: First in war, first in peace, first in the hearts of his countrymen. Das hatte Henry Lee, der Vater von Robert E. Lee in seiner Grabrede auf Washington gesagt. Das kleine Bild von Eastman Johnson hat keinen Prunkrahmen, der würde das Bild zerstören. Der Käufer, der 45 Millionen Dollar für das Bild bezahlt hat, bleibt im übrigen anonym. Genauso anonym, wie der letzte Besitzer des Bildes, der es zur Auktion bringen ließ.

Anonym bleibt auch der Besitzer dieses Bildes. Leutze hatte es 1850 angefangen, aber nicht zu Ende gemalt. Das Bild war hier schon einmal in dem Post Emanuel Leutze zu sehen. Irgendwie ist es ja auch ein schönes Bild, konzentriert sich auf das Wesentliche, das reicht doch. Alles andere können wir uns vorstellen. Und die Wirklichkeit war Weihnachten 1776 sowieso anders. In allen Details ist Leutzes Bild eine Fälschung der historischen Wirklichkeit. Aber das ist bei den meisten Historienbildern des 19. Jahrhunderts so. Ich zitiere gerne noch einmal den Satz, der in dem Post Emanuel Leutze steht: Eine der Maximen von Leutzes Historienbildern (wahrscheinlich der Historienmalerei überhaupt) scheint diese 'willing suspension of disbelief ' zu sein, von der Coleridge gesprochen hat.

Dienstag, 21. Mai 2024

Gettysburg, wow


Donald Trump sitzt jetzt vier Tage der Woche im Gerichtssaal, meistens schläft er da. Wenn er nicht im Gerichtssaal ist, macht er Wahlkampf. Im letzten Monat war er in Schnecksville in Pennsylvania. Er hielt eine einstündige Rede, die Siehier lesen können. Wenn Sie wollen.

Ganz zum Schluss hatten ihm seine Ghostwriter noch etwas über die Bedeutung von Pennsylvania für die amerikanische Geschichte aufgeschrieben: Pennsylvania where our founding fathers declared American independence. So much history. I mean, you have so much history here. Just think of it. It’s where the Army weathered its brutal winter. We’re sort of weathering it right now, but I don’t think… Theirs was much worse. It’s where the Army weathered its brutal winter at Valley Forge, where General George Washington led his men on a daring mission across the Delaware, and where our Union was saved by the immortal heroes at Gettysburg. So weit, so gut. Aber jetzt, in der 56. Minute scheinen ihn seine geistigen Kräfte verlassen zu haben. Und was er jetzt über Gettysburg sagt, ist der abenteuerlichste Unsinn:

Gettysburg, what an unbelievable battle that was. It was so much, and so interesting, and so vicious and horrible, and so beautiful in so many different ways—it represented such a big portion of the success of this country. Gettysburg, wow—I go to Gettysburg, Pennsylvania, to look and to watch, And the statement of Robert E. Lee, who's no longer in favor—did you ever notice it? He's no longer in favor. 'Never fight uphill, me boys, never fight uphill.' They were fighting uphill, he said, 'Wow, that was a big mistake,' he lost his great general. 'Never fight uphill, me boys,' but it was too late." 

Robert E. Lee hat niemals Never fight uphill, me boys gesagt. ✺Fernsehkommentatoren und Historiker haben Trumps Unsinn auseinandergenommen. The Atlantic schrieb: The world still judges Lincoln by his Gettysburg Address. Now, it may judge Donald Trump the same way—but with strikingly different results. Es gibt Trumps Rede inzwischen schon als Buch und als Oper. Die zwei Minuten und siebenundvierzig Sekunden sollten Sie sich unbedingt ansehen.

Wenn Sie mehr über die Schlacht von Gettysburg wissen wollen, dann lesen Sie Gettysburg, Pennsylvania. Und wenn Sie wissen wollen, was Trump vor Jahren über Lincolns Gettysburg Address sagte, dann empfehle ich den Post Richtigstellung.

Montag, 20. Mai 2024

königlich


Dass ich mir eine King Seiko (KS56) gekauft habe, steht schon in dem Post Goldplättchen. Meine anderen Seikos finden sich in dem Post die goldene Seiko. Ein richtiger Seiko Sammler bin ich nicht, ich bin jetzt aber mit dieser fünfzig Jahre alten King Seiko in die Oberliga aufgestiegen. Die Firma Seiko hat seit 2020, dem hundertvierzigsten Jahrestag der Firma, das Modell King Seiko wieder im Programm. Diese neuen Uhren haben aber nicht mehr den Charme der siebziger Jahre. Sehen nicht mehr nach der Super Constellation, dem Flügeltüren-Mercedes, der geschrubbten Flunderausgehungerten Windhunden oder der Corvette Stingray von Joan Didion aus.

Dem Uhrensammler sagt die Abkürzung KS56 schon etwas. Das KS steht für das Modell King Seiko, die Zahl 56 steht für die Werkgruppe 5600, das beste Automatikwerk, das Seiko vor fünfzig Jahren baute. Das sich in den Modellen Grand Seiko und King Seiko findet. Diese Uhren wurden zwischen 1968 und 1975 gebaut und waren das Beste, das Seiko herstellte. Diese Uhren konnten mit besten Schweizer Erzeugnissen konkurrieren. Angefangen hatte man auf dem Weg nach ganz oben 1960 mit einem Handaufzugswerk für das Modell Grand Seiko, einem Armbandchronometer. Dies hier ist das verbesserte Kaliber 4402 von 1965. Die Uhr hatte 28 Steine, beinahe jedes Lager hatte eine Diafix Kappe, das ist ein gefederter Deckstein. Die Unruhe wird von einer Brücke gehalten, nicht von einem Kloben, das verspricht Stabilität. 

Seiko hat das mit der Brücke bei manchen Uhren beibehalten. Dies hier ist das Werk der Seiko 850 Alpinist, dem Zwilling von meiner SeahorseRolex macht das mit der Brücke als einer der wenigen Hersteller immer noch so. Die erste Grand Seiko von 1960 mit dem Kaliber 3180 hatte noch einen Unruhkloben gehabt.

Aber Unruhkloben wie hier bei der ersten Grand Seiko oder Brücke, es war egal. Beide Werke waren Chronometer. Wenn man bedenkt, dass Seiko noch fünf Jahre zuvor Uhrwerke aus der Schweiz von Moeris bezogen hat, dann stellt diese erste Grand Seiko einen Quantensprung dar. Und sie war die Basis für das, was Seiko wollte: Präzisionsuhren bauen, die alle leicht ein Chronometerzertifikat erhielten. Ob in Neuchâtel (wo Seiko seit 1963 Uhren zur Prüfung einreichte), Genf oder bei der Sternwarte von Kew. 

Eine Grand Seiko mit einem Automatikwerk gab es noch nicht. Mit den Automatikwerken hatte sich Seiko schwergetan. Ihre erste Automatik bezogen sie 1955 aus der Schweiz von Adolph Schild (Kaliber AS 1382). Das nächste Automatikwerk kam von der ETA oder war ein ETA Nachbau, das weiß man nicht so genau. Danach offerierte Seiko eine eigene Automatik mit einem magic lever. Das war aber nichts anderes als die Kopie der genial einfachen Konstruktion der Uhrenrohwerke Otto Epple Otero aus dem Jahr 1954. Die ihrerseits nichts anderes getan hatten, als den von Albert Pellaton für die IWC erfundenen Exzenterwechsel zu vereinfachen. Lesen Sie mehr zu den Automatikwerken in dem Post automatisch.

Im Jahre 1959 wird die Firma Seiko sich zweiteilen in die Produktionsstätten Suwa Seikosha und Daini Seikosha. Die beiden Fabriken sind jetzt in einem Konkurrenzwettbewerb. Wer wird die beste Uhr bauen? Das Ergebnis dieses Wettbewerbs sind die Grand Seiko und King Seiko mit dem 5600er Automatikwerk, die von 1968 bis 1975 gebaut werden. Suwa Seikosha stellte die Grand Seiko Uhren her, die Schwesterfabrik Daini Seikosha baute die King Seiko als Konkurrenz zur Grand Seiko. Die kostete etwas weniger, sollte aber genauso gut sein. Die Uhr hat 25 Steine und wie die Eternamatic Uhren einen kugelgelagerten Rotor, der in beide Richtungen aufzieht. Die Unruhe hat eine Feinregulierung und (was man hier unter dem Rotor nicht sehen kann) noch eine zweite Feinregulierung für die Spiralfeder. Auf dem Zifferblatt steht Hi-Beat, damit sind 28.800 Halbschwingungen pro Stunde der Unruhe gemeint. Das Experiment mit den 36.000 Halbschwingungen hatte man aufgegeben. 

Ich glaube, es ist ziemlich egal, ob da Lordmatic, Grand Seiko oder King Seiko auf dem Zifferblatt steht, Seiko hatte mit dem 5600er Werk ein Uhrwerk geschaffen, das mit den besten europäischen Uhren mithalten konnte. Es gibt unglaublich viele →Automatikwerke von Seiko, das Standardwerk für automatische Armbanduhren von Heinz Hampel widmet der japanischen Firma vierzig Seiten, voll illustriert. So gut das Uhrwerk mit der Datumsschaltung und der Stoppsekunde ist (und meine fünfzig Jahre alte King Seiko erreicht immer noch die Chronometernorm), es hat einen kleinen Konstruktionsfehler.

Wenn man bedenkt, welchen Anspruch man bei Seiko hatte, ist das ein richtig doofer Fehler. Das Schaltrad für Wochentag und Datum ist aus Plastik. Das hält kein halbes Jahrhundert. Auf meiner Seiko Sea Lion funktioniert nur noch das Datum, der Wochentag erscheint nicht mehr. Auf diesem Bild können Sie das Schaltrad sehen, das ist das kleine runde Teil mit vier Spitzen unter den beiden Zahnrädern. Obgleich Seiko dieses Problem hätte kennen können, haben sie noch dreißig Jahre lang Plastikräder in ihre Uhren eingebaut. Seriöse Händler tauschen das Plastikteil gegen eins aus Stahl und sagen das ihrem Kunden. Die Firma Tokei Japan, von der ich meine Uhr bei kleinanzeigen gekauft habe, hat das Plastikteil gegen ein neues Schaltrad der Firma VTA getauscht. 

Was die beiden konkurrierenden Seiko Firmen jetzt produzieren, bekommt ein Design von einem Mann namens Taro Tanaka, der 1962 ein Grammar of Design entwickelte. Eine Art ästhetischer japanischer Philosophie, wie Seiko Uhren aussehen sollen. Tanaka hat gesagt: As I looked in one of the showcases I saw many watches sparkling brilliantly. Then I looked on the other side and saw watches that had a rather uneven gleam; the difference was all too apparent. The brilliantly sparkling watches were Swiss and those with the duller finish were by Seiko. Er will erreichen, dass die Seiko Uhren auch brilliantly sparkle, deshalb werden sie viele hochglanzpolierte Flächen und scharfe Kanten haben. Klare Linien, keine Schnörkel. Bauhaus statt Gelsenkirchener Barock. Wenn Sie ein Bild von den King Seikos der siebziger Jahre haben wollen, dann klicken Sie dieses Video an. Aber etwas so Scheußliches wie die King Seiko Vanac Linie, die von 1972 bis 1974 hergestellt wurde, kann Taro Tanaka eigentlich nicht gemeint haben. Das ist eher Walt Disney als fernöstliche Philosophie. Viele Uhren dieser Vanac Linie sehen so aus wie die klobigen Klötze, die ich in dem Post was Fettes am Arm beschrieben habe.

Meiner Seiko King habe ich ein anderes Band spendiert. Diese handgemachten Bänder mit den Abnähern sind zwar gerade große Mode, passen aber nicht zu der Uhr. Die Uhr ist 36 Millimeter groß, wirkt aber kleiner. Weil das Zifferblatt nur 30 mm groß ist. Das Glas sitzt mit einem Sprengring in einem kleinen Rehaut über dem Gehäuse. Das hat sich Taro Tanaka mit seiner Designphilosophie so gedacht. Dadurch wirkt die Uhr cool und abgemagert, so wie die im ersten Absatz erwähnten ausgehungerten Windhunde. Die Uhr hat einen Schraubboden, die ersten KS Modelle hatten ein Monocoque Gehäuse (wie auch die Sea Lion). Hätte ich die Grand Seiko Tamago「たまご mit der Eierform nehmen sollen? Sam Wong von der Firma Tokei Japan in Stuttgart hatte mir einen guten Preis gemacht. Ich habe sie noch auf der Merkliste, gucke sie mir jede Woche mal an. Die King Seiko gab es noch als Chronometer, als Special oder mit dem Zusatz V. F. A. (Very Fine Adjusted). Mir reicht das KS auf dem Zifferblatt dieser völlig unauffälligen Uhr.

Sonntag, 19. Mai 2024

Pfingsten


Der Dichter Gustav Falke (hier auf einem Gemälde von Ernst Eitner, den man einmal den Monet des Nordens genannt hat) ist heute so gut wie vergessen. Er war einmal sehr berühmt. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag setzte die Hansestadt Hamburg ihm wegen seiner Verdienste um die deutsche Literatur einen lebenslangen Ehrensold von dreitausend Mark im Jahr aus, der zehn Jahre später auf fünftausend Mark erhöht wurde. Er konnte seinen Beruf als Klavierlehrer aufgeben und kaufte sich in Groß Borstel, das damals noch weit draußen lag, ein Grundstück mit einer kleinen Villa. Er machte sich Garten und Wiesen zu seinem kleinen Paradies: Wie hatte ich es nur solange in der Stadt aushalten können? Wo der Blick immer gegen Mauern prallt, und wo das vielfache Getöse des Tages, zu einem wirren, kaum mehr beachteten Lärm verschlungen, sich bis in die Nacht fortsetzt und uns wahnsinnig machen würde, wenn wir nicht dagegen abstumpften. Hier draußen war Friede und Stille, ein weiter Himmel, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, alle Jahreszeiten im sanften Wandel, hier war helles Grün des Sommers und leuchtender Schnee des Winters, war der violette Geist des erwachenden Frühlings und waren die tausend Farben des noch einmal beim lauschenden Abschiedsfest aufjubelnden Herbstes; hier war der ganze Kreis des holden Lebens geschlossen, und der Mensch, teilnehmend, leidend und wirkend, mitten darin.

Ich habe Gustav Falke aus dem Grabbelkasten der vergessenen Autoren geholt, weil er ein schönes Pfingstgedicht geschrieben hat, das sich in seinem Buch Hohe Sommertage findet. Wenn Sie den Titel anklicken, können Sie das ganze Buch lesen. Lesenswert ist auch seine Autobiographie Die Stadt mit den goldenen Türmen, die es auch beim Projekt Gutenberg gibt.

Pfingstlied

Pfingsten ist heut, und die Sonne scheint,
Und die Kirschen blühn, und die Seele meint,
Sie könne durch allen Rausch und Duft
Aufsteigen in die goldene Luft.

Jedes Herz in Freude steht,
Von neuem Geist frisch angeweht,
Und hoffnungsvoll aus Thür und Thor
Steckt´s einen grünen Zweig hervor.

Es ist im Fernen und im Nah´n
So ein himmlisches Weltbejah´n
In all dem Lieder- und Glockenklang,
Und die Kinder singen den Weg entlang.

Wissen die Kindlein auch zumeist
Noch nicht viel vom heiligen Geist,
Die Hauptsach spüren sie fein und rein:
Heut müssen wir fröhlichen Herzens sein.

 

Donnerstag, 16. Mai 2024

Hannelies Taschau zum Geburtstag (nachträglich)


Die deutsche Schriftstellerin Hannelies Taschau ist im letzten Monat siebenundachtzig geworden. Da hätte ich gratulieren und ein Gedicht von ihr einstellen sollen, weil hier ja der Poetry Month war. Das habe ich leider verschusselt. Aber es gibt in diesem Blog seit 2013 schon den Post Hannelies Taschau, der viele tausend Leser gefunden hat. Und sie wird in acht weiteren Posts erwähnt. Ich gratuliere mal nachträglich zum Geburtstag und stelle ein Gedicht hier ein, das sie 1969 für ihren Freund Nicolas Born geschrieben hat:

Freunde tragen 
schwer am Wohlbehagen ihrer 
Freunde
die zurückgezogen wie Piloten
lange aufsteigend
winken von einer Hochebene
mit bloßen Händen
Und in Gesellschaft von Wildhütern
und Teerkochern
ihren Beruf überleben

Ich habe beinahe alle Gedichtbände von Hannelies Taschau. Die sind leider teuer, manche sogar sehr teuer. Kann dreistellig sein, wenn es von der Eremiten Presse kommt und aufwendig gedruckt ist. Viele ihrer Gedichtbände hatten nur eine kleine Auflage; von Weg mit dem Meer gibt es, glaube ich, nur tausend Exemplare. Ihre Romane kann man ganz billig bekommen. Ab 25 Cent bei booklooker. Das ist eine erstaunliche Sache. Ich suchte noch nach ihrem ersten Gedichtband, der 1969 beim Christian Wegner Verlag im Hamburg erschienen war, ein schmales Bändchen. Ich fand den Band endlich für sechs Euro bei buchfreund, das ist so etwas Ähnliches wie das ZVAB. Ich kaufte das Buch, bezahlte per PayPal und bekam eine Bestätigung über den Kauf. Meine Bestellung wurde weitergeleitet an das Antiquariat Uwe Berg. Kannte ich nicht, guckte ich aber mal im Netz nach. Da packte mich blankes Entsetzen. Das sind Rechtsradikale, die die ganze Nazi Literatur auf Lager haben. Alle Reden von Adolf Hitler lieferbar. Unglaublich. Wie sich der Gedichtband von Hannelies Taschau in diesen Laden verirrt hat, das weiß ich nicht. Die haben glücklicherweise auch kein zweites Buch von ihr.

1989 hat es mal einen Brandanschlag auf das Bergsche Antiquariat gegeben, der nie aufgeklärt wurde. Das erinnert mich ein wenig an die rechtsradikale Buchhandlung Nordwind hier in der Wilhelminenstraße. Da hat mal jemand in der Nacht ein ganzes Fuder Mist vor der Buchhandlung von Dietmar Munier abgeladen. Fand ich sehr witzig, ist aber auch nie aufgeklärt worden. Das Versandantiquariat Uwe Berg und Muniers Nordwind sind Einzelbeispiele, aber es gibt viel, viel mehr. Erst im letzten Jahr war der Grossist Libri (vorher Lingenbrink) bereit, rechtsradikale Titel in seinem White Label Shop zu sperren.

Hannelies Taschau hat nun nichts, aber auch gar nichts mit dieser Buchhandlung zu tun, bei der ich ihren ersten Gedichtband kaufte. Wahrscheinlich würde Sie über die Geschichte lachen. Oder ein Gedicht darüber schreiben. Für die Demokratie ist sie ja immer eingetreten. Auf der Rückseite des Buches ist ein schönes Photo von ihr, das sich leider nicht im Internet findet. Ein Bild des Buches gibt es auch nicht im Internet. Ich stelle hier mal ein anderes Jugendbild ein. Als der Schriftsteller W. Christian Schmitt sie kennenlernte, sah sie wahrscheinlich so aus. In seiner Autobiographie Willkommen in der Aula der Erinnerungen schreibt er über sie:

Hannelies Taschau (Jg. 1937) sagte am Telefon: 'Wir treffen uns vorm Bahnhof, Erkennungszeichen knallgrüne Bluse, blaue Hose, und am besten gehen wir irgendwohin eine Tasse Kaffee trinken...'. Also reiste ich nach Hameln, um mit dem Mitglied des 'Redaktionskomitees der Bertelsmann Autoren Edition' über die Autorin, ihre Arbeit und 'das Komitee' zu sprechen. In der HAZ schrieb ich unter der Überschrift 'Es ist ja alles ganz anders' am 12. Juli 1973 über die etwas kompliziert verlaufende Begegnung u.a.: Die Sache ist gebongt. Hannelies Taschau also: lässig, locker, spontan, sporadisch. Wer ihre Bücher kennt, kennt schon fast die ganze Hannelies Taschau, die Tabubrecherin, die Reporterin, das Agitprop-Mäuschen, die Kämpferin an der täglichen Demokratiefront, die Chiffrenschreiberin, die Unterhalterin, die Sprach-, Laut-, Wortverliebte. Bisweilen hat sie das Bedürfnis, all das, was sie unmittelbar entdeckt, weiterzugeben. Unbekümmert, nicht genau bedenkend, dass es vielleicht schon bekannt sein könnte. Als die Wohmann seinerzeit mit dem Schreiben anfing, hätte man sich die Taschau als deren literarische Schwester vorstellen können. Die Wohmann ist sich und ihrem Stil treu geblieben. Hannelies Taschau hat sich auf den langen Marsch zu sich selbst begeben und Phasen herrlich belangloser Verklärungen durchlaufen. Das alles scheint vorbei. Hinter sich gelassen hat sie auch einen Teil der spektakulären Erfolge und Kritiken anlässlich ihres Romans 'Die Taube auf dem Dach'. Die FAZ schrieb, über den vierblättrigen Klee lobend: 'Die Autorin registriert im gleichen Atemzug Wesentliches und Unwesentliches... registriert sachlich und unbewegt wie eine Filmkamera'. Und Nicolas Born schrieb über Taschaus Gedichte: 'Sie sind ein Muster der Unruhe. Bedeutungen zwischen den Zeilen gibt es nicht'.... Gut ein halbes Jahr später erreicht mich mit Datum vom 11. Februar 1974 ein Brief von Hannelies Taschau aus Hameln, in dem u.a. in vorwurfsvollem Ton zu lesen ist: 'Sieht man sich nun mal generell Ihre Interviews an, fällt einem auf, dass Sie gern, wohl der Einfachheit halber, drei, vier sog. Zitate der Interviewten aneinanderreihen, allenfalls durch ... verbunden, die offensichtlich nicht zusammengehören. Sie machen sich ́s überhaupt in vielem zu leicht...'.

Auf dem Buchdeckel ihres ersten Gedichtbandes, unter dem schönen Photo dieser schönen Frau, stehen einige Zeilen von Nicolas Born. Der ebenso wie sein Freund Rolf Dieter Brinkmann ganz früh gestorben ist: Hannelies Taschau verläßt sich nicht auf ihre Sensibilität. Auf ihre Aufmerksamkeit kann sie sich verlassen. Ihre Gedichte sind moderne Genrebilder, kreisen um entfremdetes Interieur, zeigen gestörte Beziehungen zwischen Menschen, das Zumutbare und das Unzumutbare, reflektieren Abhängigkeit, Mißtrauen, Angst, legen sich an mit privaten und öffentlichen Ärgernissen. Sie sind weder Abhub noch Endprodukt von Erfahrungen, sie sind diese Erfahrungen selbst.

Ich habe zum Schluss noch ein kleines böses Gedicht von Hannelies Taschau, das den Titel Objekt hat:

Er schläft leicht ein
du mußt ihm die Augen offenhalten
Er ißt gern lange
Wenn man ihn kalt anfasst schrumpft
er
aber das kennst du
das ist bei allen gleich
Nimm ihn bis Freitag kannst du ihn
haben
zum Wochenende hätte ich ihn
gerne zurück

Das Gedicht findet sich in dem Band Gefährdung der Leidenschaft, der 1984 bei Luchterhand erschien. Ist aber auch in Wundern entgehen: Gedichte 1957–1984 (auch bei Luchterhand) mit drin. Das wäre ein Buch, mit dem man anfangen könnte, wenn man ihre Gedichte lesen will. Ist auch nicht so teuer, gibt es bei booklooker sehr preiswert. Das Wikipedia Lexikon spendiert Hannelies Taschau mal gerade acht mickrige Zeilen. Ein klein wenig bedeutender ist sie schon. Der Katalog der deutschen Nationalbibliothek verzeichnet neununddreißig Bücher von ihr, der Wikipedia Artikel zehn weniger. Sie hat mit Richard Hey, Uwe Timm und dem Bertelsmann Lektor Andreas Hopf die AutorenEdition bei Bertelsmann hochgezogen. Sie hat Literaturpreise und Stipendien bekommen, und Karl Otto Conrady hat sie in seine Lyriksammlung aufgenommen. Als ich in der Vorlesung von Professor Conrady über den deutschen Expressionismus saß, fing Hannelies Taschau an zu schreiben. Sie wurde in Hamburg geboren, hat aber die Bombardierung Hamburgs nicht erleben müssen, weil die Familie nach Schwaben evakuiert worden war. Sie hat zwei Jahre in Paris gelebt, zwischen zwei Etagen In der Rue Cassette Ohne Stuhl und Tisch. Sie hat viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt. Heute lebt sie in Hameln, die Weser kommt in manchen ihrer Gedichte vor. In der Stadtbücherei Hameln hat sie auch zwei Interviews über ihr Leben und ihr Werk gegeben. Sie können diese zwei Gespräche hier hören, dann kennen Sie sie schon ein bisschen besser.

Dienstag, 14. Mai 2024

Goldplättchen


Man kann den Gehäuseboden einer Uhr ja immer irgendwie verzieren. Die alte Omega Constellation hatte eine Sternwarte und Sterne auf dem Boden. Die Seamaster hat ein seltsames Seeungetier, die Seiko Seahorse ein kleines Seepferdchen. Die Sea Lion hat natürlich einen Seelöwen. Auf dem Boden der Enicar Sherpa Seapearl war eine geöffnete Muschel mit einer Perle. Favre-Leuba hatte das Firmenlogo, eine stilisierte Sanduhr, auf dem Boden, Moeris das verschlungene Firmensignet FM. Bei den Uhren, die Mauthe an Volkswagen geliefert hat, ist natürlich das VW auf dem Boden. Bei neueren Uhren sind der Geschmacklosigkeit keine Grenzen gesetzt. Ich meine damit das James Bond 007 Collectors Piece von Omega, mit dem Schriftzug 007 und einer Pistole auf dem Boden. Wer kauft sich so etwas? Solch eine Uhr gab es von der Firma Moeris 1966 ja schon einmal. War auch nicht sehr geschmackvoll. Kostete aber keine tausende von Euros.

Die meisten Uhrenfirmen lassen den Boden frei, damit man noch etwas darauf gravieren kann, wenn die Uhr ein Geschenk sein soll. Wenn Uhrenfabriken einem Modell eine besondere Note geben wollen, dann versehen sie den Boden mit einem kleinen Goldplättchen. Auf dem Boden der Eterna KonTiki ist das Floß von Thor Heyerdahl auf einem 18-karätigen Goldmedaillon zu sehen. Die Eternamatic Super Kontiki hat natürlich auch dieses Goldplättchen. Japans Spitzenprodukt, die Grand Seiko mit dem 5600er Werk, hatte 1971 auch ein Goldplättchen. Die King Seiko, die der Grand Seiko eigentlich in nichts nachsteht, hatte von 1972 bis 1973 auch ein Goldplättchen, auf dem KS steht.

Meine neue coole King Seiko aus dem Jahre 1974, über die ich demnächst einmal schreiben werde, hat allerdings kein Goldplättchen mehr. Da steht nur noch der Firmenname, die Kalibernummer und Water Resistant auf dem Boden. Vielleicht hätte ich doch die Grand Seiko nehmen sollen, die mir der nette Händler zu einem Sonderpreis angeboten hatte. Aber das war das Modell Tamago, was auf japanisch Ei heißt. Und wie ein plattgeklopftes Ei sah sie auch aus. Was unförmige Uhren betrifft, reicht mir meine Eternamatic 1000 Concept 80, die schon in dem Post was Fettes am Arm zu sehen ist. Die Eterna Werbung sprach 1970 nicht von potthässlicher Eierform, sondern von futuristischer Eleganz.

Von dem Modell mit der futuristischen Eleganz habe ich jetzt zwei. Wollte ich eigentlich nicht, aber es hat sich so ergeben. Ich sah diese Eterna bei ebay, und auf den Photos sah sie schlimm aus. Ich schickte dem Verkäufer meinen Post über die unförmigen 1970er Jahre Uhren und gab ihm gute Ratschläge, wie man die Uhr in einen präsentablen Zustand versetzen könne. Das versiffte Edelstahlband abnehmen und in das Ultraschallbad oder den Geschirrspüler tun. Manche schwören auf ein Bad in Coca Cola. Oder eine Kukident Tablette in einem Glas Wasser. Die Kratzer auf dem Glas kann man wegpolieren, aber das dauert. Das Gehäuse kann man auch vorsichtig polieren, da braucht man Zeit und Geduld. Der Verkäufer las meinen Uhrenblog, und der gefiel ihm. Er hatte aber offenbar keine Lust auf Bastelarbeiten. Er bot mir die Uhr, die schon preiswert war, noch preiswerter an. Das brachte mich nun in Verlegenheit, aber nach einem Tag Nachdenken nahm ich den Vorschlag an. Den Ausschlag gab das Zifferblatt der Uhr, das je nach Licht anders aussieht. Manchmal scheint es dunkelgrau zu sein, aber in Wirklichkeit ist es ein dunkles Lila.

Als die Uhr ankam, sah sie viel besser aus als auf dem Photo. Diese Makro Handyphotos verzerren die Wirklichkeit ein wenig. Ich hatte damit gerechnet, dass ich eine Woche mit Waschen und Polieren verbringen würde, es war nur ein Tag. Die schlimmsten Kratzer habe ich auch schon aus dem Glas raus. Ich bedankte mich herzlich beim Verkäufer. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, eine Uhr gekauft zu haben. Ich habe im letzten Jahr ein halbes Dutzend Uhren an Freunde verschenkt. Da kann ich mir mal wieder eine kaufen. Jetzt habe ich eine Uhr, mit der ich in bin und kein LSD mehr zu nehmen brauche. Das sagte auf jeden Fall die französische Eterna Werbung 1970, wo man so etwas lesen konnte: Nicht derjenige ist 'in', der Barrikaden erstürmt, Marihuana raucht oder LSD nimmt. Modern ist, wer den Schritten des Fortschritts folgt, und jeder Fortschritt hat seine Grundlage in der Tradition. In jedem Fall sind Sie mit dem Concept 80 'in'. Concept 80 verkörpert mit Gehäuse und Zifferblatt die Linie der Zukunft. Das berühmte, weltweit anerkannte, kugelgelagerte Automatikwerk der Eterna Matic bietet Ihnen mit seinem Uhrwerk Sicherheit und vorbildliche Präzision. Der Werbetexter scheint für diesen dusseligen Text ein wenig zu viel LSD genommen zu haben.

Aber zurück zu den Goldplättchen. Ich habe eine alte Waltham Golden Eagle, die auch ein Goldplättchen mit einem goldenen Adler auf dem Boden hatte. Das Verb ist hatte. Als ich sie kaufte, hatte irgendjemand das bisschen Gold abgekratzt. Der Boden sah furchtbar aus, deshalb kostete sie auch nur zehn Euro. Mein Uhrmacher hat mir einen neuen Schraubboden draufgedreht. Ohne Adler. Ein kleiner gelber Adler ist auf dem Zifferblatt zu sehen. Und die Aufschrift 30 Jewels. Wer braucht so viele Rubine? In der Uhr ist ein Automatikwerk von Adolph Schild; es ist auch keine echte Waltham, weil es die amerikanische Firma gar nicht mehr gibt. Die Uhr ist von der Firma Rado und war für den asiatischen Markt bestimmt, wo man gerne viele Steine in der Uhr hat. Ich mag die Uhr, weil sie ein tiefschwarzes Zifferblatt und ein sehr gutes beads of rice Armband hat. Auch wenn der goldene Adler fehlt. Viele Dinge im Leben werden erst richtig gut, wenn etwas fehlt.

Sonntag, 12. Mai 2024

Nord und Süd

Ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Erst patzt Manuel Neuer, dann der Schiedsrichter: Das unglückliche Aus im Halbfinale stürzt den FC Bayern in tiefe Schockstarre. Ein höchst emotionaler Thomas Tuchel schwankt zwischen Trauer, Wut und Verzweiflung, schreibt Florian Kinast im Spiegel. Bayern ist jetzt ganz raus, aus dem DFB Pokal, aus der Meisterschaft und nun auch noch aus dem internationalen Geschäft. Auf Facebook gratulierte jemand ironisch zum Triple. Und die Frauen des FC Bayern haben auch gegen Wolfsburg verloren, es ist traurig. Sehr traurig. Wenn Bayern heute noch gegen Wolfsburg verliert, wird es noch trauriger.

Hier oben im Norden sieht die Welt ganz anders aus. Dass Kiel in die erste Liga aufsteigt, das hörte ich nicht im Radio, nicht im Fernseher. Das hörte ich im Wohnzimmer. Ich hatte die Fenster offen, um die schöne Frühlingsluft hereinzulassen. Und mit der schönen Frühlingsluft kam auch der Jubel. Bis zum Holstein Stadion sind es von hier aus anderthalb Kilometer Luftlinie. Da höre ich bei jedem Heimspiel, wenn ein Tor fällt. Aber jetzt war das etwas lauter als der normale Torjubel, jetzt war es richtig laut. Ich schaltete den Fernseher ein und konnte lesen, dass der Kieler SV Holstein in die erste Bundesliga aufsteigt. Da dürfen sie dann mal gegen Bayern München spielen. Mal sehen, wie das ausfällt. Ich halte die Fenster offen.