Kurt Masur : „Es gibt für mich nur eins: Weitermachen“ - WELT
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Bühne und Konzert Kurt Masur

„Es gibt für mich nur eins: Weitermachen“

Kurt Masur geht es nicht gut. Er hat Parkinson, erholt sich nur schwer von einer Hüftoperation und hat sein erstes Konzert danach vom Rollstuhl dirigiert. Aber: Ans Aufhören denkt er nicht.

Kurt Masur wird von seiner Frau Tomoko geschoben. Nach mehreren Stürzen und einer Hüftoperation, von der er sich nur schwer wieder erholt hat, sitzt der 86-Jährige im Rollstuhl. Als Gewandhauskapellmeister prägte Masur fast 30 Jahre lang das Musikleben der Stadt Leipzig, wo er heute lebt. Durch den Aufruf „Keine Gewalt!“ im Oktober 1989 gilt er als Schlüsselfigur beim friedlichen Prozess der Wiedervereinigung. Von 1991 bis 2002 war er Chefdirigent des New York Philharmonic. Seit November letzten Jahres trat er nur noch einmal als Dirigent auf – vor zweieinhalb Wochen in der Berliner Philharmonie. Kurz nach unserem Interview wurde bekannt, dass Masur das ihm gewidmete Geburtstagskonzert beim Orchestre National de France in Paris absagen musste. Es wäre das zweite Mal gewesen, dass in Europa ein Dirigent vom Rollstuhl aus ein Orchester geleitet hätte.

Die Welt: Herr Masur, im Oktober 2012 gaben Sie bekannt, dass Sie an Parkinson erkrankt sind. Wie geht es Ihnen mittlerweile?

Kurt Masur: Ich habe eine sehr schwierige Phase hinter mir. Schwierig nicht nur für mich, sondern auch für meine Frau. Unser Beieinander ist heute das Entscheidende für mich.

Die Welt: Geht es wieder aufwärts?

Kurt Masur: Ich sehe, dass ich nicht mehr einfach so weitermachen kann, wie ich es jahrzehntelang gewohnt war. Durch die Krankheit bin ich in die Gefahr eines Stillstands geraten. Aber ich habe festgestellt: Für mich gibt es nur eines – weitermachen.

Die Welt: In Berlin haben Sie kürzlich vom Rollstuhl aus dirigiert. Waren Sie sicher, je wieder aufs Podium zurückkehren zu können?

Kurt Masur: Sicher nicht. Aber ich kenne mich. Kurz bevor ich tot bin, komme ich wieder. Und ich war ... halb tot.

Die Welt: Spielt auch Ehrgeiz eine Rolle?

Kurt Masur: Nein, aber das Gefühl und die Angst: „Wenn du loslässt, wird man dich vergessen. Wenn du von selbst darauf vertraust, dass alles weitergeht, wirst du verlieren.“ Das andere war die Frage, wie es mit der jungen Generation weitergeht. Ich gehöre einer Altersgruppe an, die glaubte, etwas weitergeben zu müssen.

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Die Welt: Wäre es für Sie denkbar, weiter im Rollstuhl zu dirigieren?

Kurt Masur: Es hat mir große Freude bereitet. Es war auch das erste Mal, dass wir wirklich eine Lösung gefunden hatten. Zuvor hatte ich mal halb stehend dirigiert. Dann wurde ein Stuhl gebaut. Entscheidend ist, ob es für die Orchester funktioniert. Ich werde nicht unendlich leben. Es geht mir darum, mir einen Sinn zu geben für die Zeit, die mir noch bleibt.

Die Welt: Nur sehr wenige Dirigenten sind freiwillig abgetreten. Tatsächlich ein schwerer Schritt?

Kurt Masur: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass man als Dirigent vor einem Orchester ein unerhört erfülltes Gefühl des eigenen Lebens hat. Wer irgend kann, versucht sich dieses Gefühl zu bewahren.

Die Welt: Ihr Aufruf zur Gewaltfreiheit im Jahr 1989 war auch in Ihrem eigenen Leben ein Wendepunkt. War Ihnen diese Tragweite damals klar – oder sind Sie im Nachhinein vor der eigenen Courage erschrocken?

Kurt Masur: Nein, ich habe das sehr bewusst getan, und zwar mit kälterem Blut, als ich selber dachte. Ich habe erst später bemerkt, woher das gekommen ist – aus den Jahren davor, in denen man immer das Gefühl hatte, es gibt keine allgemeine Lösung für die Situation.

Die Welt: Weil alles so ausweglos erschien?

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Kurt Masur: Ja. Die Teilung Deutschlands erschien als besiegelte Sache, die Welt stagnierte in ihren unveränderlichen Problemen. Übrigens hatten wir auch immer wieder Probleme, unser Orchester zusammenzuhalten. Auf West-Reisen blieben regelmäßig einige Musiker weg. Daraus ergab sich für mich das Gefühl, dass dieser Aufruf notwendig ist. Und es verband sich damit auch eine Hoffnung: nämlich ein Ausweg aus der scheinbaren Ausweglosigkeit.

Die Welt: War die friedliche Revolution in Ihren Augen tatsächlich die Errungenschaft einer revoltierenden Bevölkerung? Oder auch die Kapitulation einer erschöpften Regierung?

Kurt Masur: Es war beides. Es gab auf der einen Seite eine Bevölkerung, die fähig war, ohne Gewalt die Änderung der Verhältnisse zu bewirken. Und es gab, glaube ich, auch aufseiten der Regierung die Erkenntnis, dass eine Verpflichtung gegenüber der Bevölkerung besteht. Immerhin.

Die Welt: Sie galten als „Karajan des Ostens“. Hörten Sie das gern?

Kurt Masur: Es war eigentlich ein Witz, aber gestört hat es mich nicht. Vor allem, weil ich viel von Karajan selber gehalten habe.

Die Welt: Sie haben sich selbst nie als Star gesehen?

Kurt Masur: Dieses Image habe ich nie gemocht. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal zum Fotografen geschickt wurde, um Bilder von mir machen zu lassen. Da habe ich alles, was man mir zeigte, zurückgehen lassen. Ich fand das Bild furchtbar, das man mir als Dirigent verpassen wollte. Und habe von da an jedes Mal wieder gesagt: Macht bitte bloß keinen Star aus mir!

Die Welt: Waren Sie in der Ausübung Ihres Berufes grundsätzlich von Sicherheit getragen? Oder gab es ein Moment der Unsicherheit?

Kurt Masur: Ich muss sagen, ich habe mich nie sehr sicher gefühlt in meiner Karriere.

Die Welt: Worin, glauben Sie, hat sich das geäußert?

Kurt Masur: In den Problemen, die ich beim Wechsel vom einen zum nächsten Orchester hatte. Ich fragte mich jedes Mal: „Hast du sie überzeugt? Wird man dir die eigene Ungeduld nachsehen?“ Ich hatte das Gefühl, immer wieder ganz von vorne anzufangen. Bis ich irgendwann entdeckt habe, dass ich mich nur so lange frei fühle, wie ich kreativ bleibe und mir eben genau die Freiheit nehme, eine Beethoven-Partitur jedes Mal ganz von Neuem zu durchdenken.

Die Welt: Der größte Schritt in Ihrer Karriere war der nach New York. Auch der schwerste?

Kurt Masur: Ja. Aus der DDR kommend, musste ich mit vollkommen neuen Bedingungen klarkommen. Nicht nur mit der neuen Stadt und mit der Sprache. Sondern mit den Gewerkschaften, mit dem „Board“ und all dem, was ich aus Leipzig nicht gewohnt war. Ich musste mich auch an die Idee gewöhnen, dass nicht alle dort unbedingt meine Freunde waren. Es war ein Gefühl, wie ins kalte Wasser zu springen.

Die Welt: Damit dürfte Sie das gute Orchester aber versöhnt haben, oder?

Kurt Masur: Ja, aber mich hatten vorher alle Kollegen in Europa vor dem New York Philharmonic gewarnt. Pierre Boulez bezeichnete das Orchester als „Dirigentenkiller“. Klaus Tennstedt sagte mir rundheraus: „Du begehst Selbstmord, wenn du das machst!“ Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, es tun zu müssen.

Die Welt: Woher kam dieses Gefühl des Müssens?

Kurt Masur: Es war ein notwendiger Schritt, denn ich konnte nicht davon ausgehen, dass ich ein anderes Orchester finden würde. Europa war für mich damals irgendwie ein bisschen versperrt. Ich war damals eben doch kein Stardirigent. Und ich wollte es ja auch nicht sein. Deshalb dachte ich, dass ich diese Herausforderung einfach annehmen müsse.

Die Welt: Das Gewandhausorchester hatten Sie bereits 1970 übernommen. Hatte es schon damals seinen typisch „deutschen“ Klang?

Kurt Masur: Ja, und dieser deutsche, das heißt dunkle Klang kam vom Gewandhausorchester selbst. Man war stolz auf ihn und achtete darauf, dass er nicht verloren geht.

Die Welt: Auch Sie haben darauf geachtet?

Kurt Masur: Ja, ich fand das richtig so. Das Gewandhausorchester sah diesen dunklen Klang beinahe als eine Art Ausdruck seiner demokratischen Struktur an. Der Klang war aus der Gemeinsamkeit der Orchesterarbeit heraus entstanden und war vielleicht auch die beste Methode, um in den verschiedenen Räumen, in denen man auftrat – eben nicht nur im Gewandhaus, sondern auch in der Oper und in verschiedenen Kirchenräumen –, die eigene Identität zu bewahren. Es blieb immer unser Bestreben, keinen zu hellen Klang zu bekommen. Also: keine grellen Instrumente. Auch zum Beispiel keine französischen Trompeten oder ähnliches.

Die Welt: Es gab schon zur Zeit der DDR immer wieder prominente West-Besucher, zum Beispiel die Sopranistin Jessye Norman für die berühmte Aufnahme der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss. Wie war das überhaupt bezahlbar?

Kurt Masur: Einzig und allein durch die Schallplattenfirmen, die das jeweilige Projekt aufzeichneten. Aus eigener Tasche hätten wir Jessye Norman tatsächlich in der DDR nicht bezahlen können. Auch andere wie Anna Tomowa-Sintow oder René Kollo kamen aufgrund der Schallplattenfirmen, die das finanziert haben.

Die Welt: Betrachten Sie das Gewandhausorchester immer noch als Ihr Werk?

Kurt Masur: Es ist für mich immer noch eines der vertrautesten Orchester. Ich bin im Geiste des Gewandhauses aufgewachsen, bei dem der stärkste Akzent immer auf der Vorbereitung lag. Es herrschte ein Geist der Demokratie, und man war stolz darauf, diesem Orchester anzugehören. Eine verschworene Gemeinschaft! Und „Kapellmeister“ war ein Ehrentitel, den man hütete.

Die Welt: Wie sehen Ihre nächsten Pläne aus?

Kurt Masur: Wir haben tatsächlich viele Pläne, aber es ist zu früh, darüber schon zu reden. Ich befinde mich zum ersten Mal in einer Situation, in der ich mich weiterentwickeln muss, um überhaupt überleben zu können. Sie können mir glauben, dass ich alles tun werde, um diese Chance nicht zu verpassen.

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