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Kopf des Tages Mahdi-Aufstand 1898

„Es war der Kriegs- und Sterbegesang von 50.000 Derwischen“

Um den Aufstand der Mahdisten endlich niederzuschlagen, zog Horatio Kitchener mit einer anglo-ägyptischen Armee 1898 in den Sudan. Vor Omdurman entfesselte der Brite mit Kanonenbooten und Maschinengewehren den modernen Krieg.
After the battle of OMDURMAN, the defeated Khalifa flees the battlefield Date: 2 September 1898 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung After the battle of OMDURMAN, the defeated Khalifa flees the battlefield Date: 2 September 1898 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung
2. September 1898: Eine anglo-ägyptische Armee siegt bei Omdurman über die Mahdisten
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Pi
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„Ich hatte mir in London eine automatische Mauserpistole gekauft, damals das letzte und neueste seiner Art. Mit dieser Waffe also beschloss ich zu kämpfen“, beschrieb Winston Churchill später seine Vorbereitungen vor Omdurman. Kurz darauf sollte sich zeigen, dass die Mauser „der hochgepriesenen ,blanken Waffe’“ deutlich überlegen war. Diesen Schluss zog auch der General, unter dessen Kommando der damals 21-jährige Kavallerieleutnant und spätere Premierminister kämpfte: Horatio Herbert Kitchener (1850–1916). Auch er setzte auf eine Waffe „der neuesten Art“, Maxim-Maschinengewehre. Mit ihnen zog er in die Entscheidungsschlacht gegen die Anhänger des Mahdi, die seit Mitte der 1880er den Sudan kontrollierten.

Obwohl es eine Art Kolonialkrieg war, haben Historiker den Kampf vor Omdurman am 2. September 1898 zur historischen Wendemarke erklärt. Hier fand eine der letzten großen Reiterattacken der Geschichte statt. Und hier wurde erstmals in großem Stil die Wirksamkeit des Maschinengewehrs bewiesen, das wenige Jahre später die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs beherrschen sollte.

Horatio Herbert Kitchener, 1st Earl Kitchener, British Field Marshal, diplomat and statesman, 1902. Kitchener (1850-1916) regained the Sudan for Egypt by his victory at the Battle of Omdurman (1898). He was commander of British forces during the Boer War (1899-1902) and served as War Minister from 1914 to 1916. His portrait was used on a famous World War I army recruitment poster. Kitchener drowned when HMS Hampshire, carrying him to Russia, was sunk by a German mine in the North Atlantic in 1916. Portrait from "Celebrities of the Army", published by George Newnes, (London, 1902).
Horatio Herbert Kitchener (1850–1916), britischer Feldherr
Quelle: picture-alliance / /HIP

Dass Kitchener das richtige Auge dafür hatte, verdankte er nicht zuletzt seinem Elternhaus. Sein Vater stammte aus bürgerlichen Verhältnissen und hatte sich in der Army zum Oberstleutnant hochgedient. Feudale Traditionstümelei war ihm fremd. Das mag erklären, dass er seinen Sohn in der Royal Military Academy Woolwich unterbrachte, in der der Krieg als moderne Wissenschaft gelehrt wurde. Nach der Teilnahme als Freiwilliger auf französischer Seite im Deutsch-Französischen Krieg 1870 verließ Horatio Kitchener die Akademie 1871 als Leutnant des Ingenieurkorps.

Sein erster Karriereschritt wurde der Einsatz als Topograf in Palästina und auf Zypern. Dabei lernte er auch die Sprachen der Länder, was ihm die nächste Tür öffnete. Kitchener schloss sich den Truppen an, die 1882/83 in Ägypten den Urabi-Aufstand gegen die zunehmende französische und vor allem britische Durchdringung niederschlugen. Damit wurde das Nilland, das formal von einem osmanischen Vizekönig weitgehend autonom regiert wurde, zu einer Art englischem Protektorat. Zu den Offizieren, die den Neuaufbau einer loyalen Armee organisierten, gehörte auch Kitchener.

Als ab 1884 der Mahdi-Aufstand die britische Position im Sudan erschütterte, gehörte er zu den Truppen, die den ägyptischen Gouverneur in Khartum, Charles Gordon, entsetzen sollten. Sie erreichten die Stadt zwei Tage nach ihrer Eroberung durch die Mahdisten. Von da an wurde es – mit Unterbrechungen – zu Kitcheners Aufgabe, den Sudan zurückzugewinnen. 1892 zum Sirdar (Oberbefehlshaber) der ägyptischen Armee ernannt, gab ihm die Regierung in London 1896 dafür grünes Licht.

Im Gegensatz zu anderen englischen Generälen, die zuvor gegen die Mahdisten den Kürzeren gezogen hatten, setzte Kitchener auf die Möglichkeiten moderner Rüstungsindustrie. Dampfgetriebene Kanonenboote wurden herangeschafft. Das Problem des Nachschubs durch die Wüste wurde mit einer neuen Bahnlinie gelöst. 8200 britische und 17.600 ägyptische Soldaten wurden zusammengezogen. 1897 setzten sie sich nach Süden in Bewegung.

Erst im Sommer des folgenden Jahres erreichte die anglo-ägyptische Armee Atbara gegenüber der Einmündung des gleichnamigen Nebenflusses in den Nil. Von da aus waren es rund 350 Kilometer bis zur Residenz des Mahdi in Omdurman bei Khartum. Nach dem Tod von Muhammad Ahmad, der sich 1881 zum Mahdi – zum von Allah gesandten Führer der muslimischen Gemeinde – erklärt hatte, war deren Leitung auf Abdallahi ibn Muhammad übergegangen. Der begründete ein Kalifat, in dem die Scharia das Gesetz und der Sklavenhandel wieder erlaubt waren. Zwar waren seine Vorstöße nach Ägypten zurückgeschlagen worden, aber weite Teile des Sudan wurden vom Kalifen kontrolliert.

Von den Mahdisten ungestört, konnte Kitchener am 25./26. August die Höhen von Shabluka umgehen und rückte von da in voller Gefechtsformation auf das nur noch 90 Kilometer entfernte Omdurman vor. Ihm stellte sich der Kalif am 2. September 1898 entgegen. Ob es wirklich 50.000 bis 60.000 Kämpfer waren, wie Churchill und andere Augenzeugen behaupteten, oder nur 30.000, wie manche Historiker angeben, steht dahin.

Battle of Omdurman, Friday, september 2, 1898. Conquête de Soudan par Kitchner en 1898.
Das Schlachtfeld von Omdurman
Quelle: picture-alliance / Leemage
OMDURMAN The charge of the 21st Lancers Date: 2 September 1898 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung
Attacke britischer Kavallerie
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Pi

Auf jeden Fall hat sich der Aufzug der „breiten und tiefen Schlachthaufen der in weiße Gewänder gehüllten Derwische“ den europäischen Augenzeugen tief eingeprägt. „Der Gesang, die Kriegspauken und Tamtams waren bald deutlich zu hören und erfüllten die Luft mit tosendem Lärm; zeitweise vereinigten sich die Stimmen zu einem langgezogenem ,Allahuuu“, erinnerte sich der deutsche Militärattaché Adolf von Tiedemann. „Es war der Kriegs- und Sterbegesang von 50.000 Derwischen.“ Mit Todesverachtung stürmten sie in das Feuer der Artillerie und Schnellfeuergewehre.

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Die Briten machten wenige Gefangene. Churchill entschuldigte dieses Verhalten, „da es für die Sicherheit und Bewegungsfreiheit der Truppen nötig schien“. Denn viele Gegner stellten sich tot, um sich plötzlich zu erheben „und ihr Gewehr in die Reihen der an ihnen vorüber oder über sie weg marschierenden Truppen abzufeuern“, schreibt Tiedemann. Allerdings sollen es vor allem Ägypter und Marodeure gewesen, die sich dazu hinreißen ließen, schränkt Churchill ein.

Die Verluste bestätigten Kitcheners Konzept. 500 tote und verwundete Briten und Ägypter standen 20.000 Verluste der Mahdisten gegenüber. „Schmutz, Hitze, Gestank, Leichen und Fliegen – das war Omdurman“, fasste Tiedemann seine Beobachtungen zusammen. Kitchener zog in das unverteidigte Omdurman ein, wo er die Leiche des Mahdi aus seinem Grab holen und verstümmeln ließ. Kurz darauf erreichte ihn ein Auftrag aus London, der zwar viel mit kolonialer Expansion aber wenig mit dem Grauen eines Kolonialkrieges zu tun hatte. Weiter südlich bei Faschoda hatte eine französische Expedition unter dem Kommando von Jean-Baptiste Marchand am Nil die französische Fahne gehisst.

Die sogenannte Faschoda-Krise brachte Frankreich und England an den Rand eines großen Krieges. Dass Kitchener sie entschärfte und den Sudan zum Teil des Empire machte, war ein weiterer Baustein zu seiner Karriere. Nach Stationen als Stabschef im Burenkrieg (wo er den Aufbau von Konzentrationslagern betrieb), als Oberbefehlshaber in Indien und Vizekönig in Ägypten-Sudan wurde er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 zum Kriegsminister berufen.

Auch in dieser Funktion bewies er, dass er die Gesetze des modernen Maschinenkrieges begriffen hatte. Anstatt der britischen Tradition zu folgen und den Krieg mit Berufssoldaten zu führen, stampfte er Dutzende von „Kitchener Divisionen“ aus Freiwilligen aus dem Boden. Deren Vernichtung in der Somme-Offensive ab Juli 1916 erlebte er nicht mehr. Am 5. Juni lief der Kreuzer, der ihn zu Gesprächen nach Russland bringen sollte, auf eine Mine und riss Kitchener und seinen Stab in die Tiefe.

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