„Der Horla“ überzeugte in Kassel mit dramatischem Irrsinn
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„Der Horla“ überzeugte in Kassel mit dramatischem Irrsinn

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Jens Thomas beugt sich über den geöffneten Flügel und schaut ins Innere. Mattias Brandt sitzt rechts von dem Klavier, hält einen Zettel und spricht ins Mikrofon.
Von der Reise in den Irrsinn: Jens Thomas (links) und Matthias Brandt stellen die Novelle „Der Horla“ von Guy de Maupassant in den Mittelpunkt ihrer musikalischen Lesung. © Pia Malmus

Matthias Brandt und Jens Thomas präsentierten ihr neues Programm „Der Horla“ in Kassel. Eindrücklich stellten Wahnsinn und dessen Folgen dar.

Kassel – Der Wahnsinn kommt leise, pirscht sich heran, umkreist sein Opfer, das sich mit aller Macht des Geistes dagegenstemmt. Doch siegt am Ende die Krankheit über Geist und Identität. Der Horla, das fremde Wesen, nur in der Fantasie des Protagonisten existierend, behält die Oberhand.

Guy de Maupassant erzählt in seiner Novelle „Der Horla“ von der Reise in den Irrsinn, von der Auslöschung des Willens und der Persönlichkeit, aber auch dem Aufbegehren. Tragischerweise verfiel Maupassant selbst dem Wahn.

Das neue, gleichnamige Projekt des Schauspielers Matthias Brandt und des Jazz-Pianisten und Sängers Jens Thomas basiert auf Maupassants Novelle.

Die Bedrohung des Irrsinns untermalten die Künstler musikalisch

Beide sind Garanten für hochkarätige Wort- und Tonkunst, wie auch diesmal wieder im mit 400 Besuchern fast ausverkauften Schauspielhaus zu erleben war.

Sie ergänzen sich kongenial. Das Klavier wummert bedrohlich, Tonwiederholungen und Cluster illustrieren die sich verfestigenden Wahnvorstellungen: die Rose, die der unsichtbare Dritte pflückt, die Buchseiten, die sich scheinbar von selbst umblättern.

„Horla, il est la“, singt Thomas; er falsettiert, raunt, flüstert und haucht. Aus dieser Dopplung entsteht die Personifizierung des Irreseins.

Der Kontrollverlust über den eigenen Geist geht unter die Haut

Matthias Brandt verinnerlicht den Staccatostil Maupassants ohne Kompromisse. Er überlässt sich der Getriebenheit, und es ist markerschütternde Rezitationskunst, wenn in der scheinbaren Besserung des Zustands des Helden dennoch der Kontrollverlust über den Geist in jedem Gelächter aufblitzt. Das kriecht unter die Haut.

Eine „wuchernde Schmarotzerpflanze“ ist das Wesen, das von draußen ins Innere drängt und den Willen auslöscht, analysiert der Held.

„Ich kann nicht mehr wollen, aber jemand will für mich, und ich gehorche“, heißt es in der Novelle, deren Sprache, obwohl vor knapp 140 Jahren entstanden, modern anmutet, wie auch der Gedanke, es gäbe im Universum eine noch intelligentere Spezies, die sich anschickt, die Welt zu beherrschen.

Brandt und Thomas steuern mit höchster Eindringlichkeit aufs Finale, die Kapitulation des Helden vor dem Wahn, zu: die Selbstauslöschung als letzten Notausgang. Die Ovationen nahmen beide am Ende freundlich und routiniert entgegen. (Susanna Weber)

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