Sahra Wagenknecht wird auf dem ersten großen Parteitag ihrer neuen Partei BSW gefeiert. Im ehemaligen DDR-Kino „Kosmos“ spielt sie auf der vollen Klaviatur des Linkspopulismus. Das BSW beschwört die Rolle als Vertretung des einfachen Bürgers.
Sie musste erst eine eigene Partei gründen, um wirklich geliebt zu werden. Durch den Seiteneingang schreitet Sahra Wagenknecht in den großen Saal des ehemaligen DDR-Kinos „Kosmos“ in Berlin. Ganz in Rot gekleidet, begleitet von ihrem Ehemann Oskar Lafontaine und unter lautstarkem Applaus der knapp 400 Parteimitglieder. An diesem Samstag tagt der erste große Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „So, liebe Sahra. Schön, dass du da bist“, grüßt Generalsekretär Christian Leye von der Bühne.
„Etwas Neues zu beginnen, das Gesicht ganz vorne in den Wind zu halten, das erfordert Mut“, sagt Wagenknecht. Im Herbst letzten Jahres kündigte sie die Parteigründung an, zuvor eskalierte der Streit mit der Linken. Im Bundestag sitzen nunmehr zwei „Gruppen“ mit weniger parlamentarischen Rechten als eine Fraktion, das BSW ist dort zu zehnt. Im Juni will die Partei ins Europaparlament einziehen – dort gibt es keine Prozent-Hürde und damit die Aussicht auf einen Wahlerfolg. Aus dem Polit-Start-Up soll bis zu den wichtigen Ost-Landtagswahlen im September eine breit aufgestellte Partei werden.
Es gibt an diesem Samstag viele Blumen und viel Applaus für Wagenknecht, sogar ein „Friedenspreis“ wird ihr überreicht. Und die Parteichefin teilt aus. Gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der das einfache Leben der Leute nicht kenne und ihnen eine Wärmepumpe aufdrücke. Gegen Grünen-Chefin Ricarda Lang, die bei „Markus Lanz“ die Höhe der durchschnittlichen Rente nicht kannte. Gegen FDP-Politikerin „Marie-Agnes Strack-Rheinmetall“. Gegen Friedrich Merz (CDU) und seinen „Privatjet“. Und gegen Wolodymyr Selenskyj, den Präsidenten der Ukraine, der, so Wagenknecht, mit deutschen Raketen bald bis Moskau schießen könne.
Friedenspolitik, Kritik an Corona-Maßnahmen, Begrenzung von Zuwanderung – all das gelte fälschlicherweise als rechts, so die 54-Jährige. Auch die Bauernproteste: „Weil man irgendwo neben einem Traktor oder hinter einem Misthaufen doch im Ernst einen Rechtsradikalen gesichtet hat“, spottet Wagenknecht unter Gelächter. Dass es Bestrebungen einer rechtsextremen Unterwanderung der Proteste gab, bleibt unerwähnt.
Wagenknecht spielt auf der vollen Klaviatur des Linkspopulismus. Es geht gegen „verwöhnte Jungpolitiker“, die Ampel-Koalition sei die „dümmste Regierung Europas“. Politiker inszenierten sich als „hochmoralische Gutmenschen“ und litten „mit jedem im Käfig gehaltenen Huhn und mit jeder Kröte am Straßenrand“, erhöhten aber zugleich „frierenden Menschen“ die Heizkosten.
Eine „Hybridpartei“ nennt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier das BSW. Es verbinde eine Politik des starken Staates in der Wirtschafts- und Sozialpolitik mit traditionell konservativen Werten. Dies bediene eine enttäuschte linke Wählerklientel, treffe also durchaus die von Wagenknecht so oft benannte „Repräsentationslücke“.
Abkehr vom Westen und den USA
Das einstimmig beschlossene Europawahlprogramm will eine Abkehr vom Westen und den USA, fordert eine Einstellung aller Waffenlieferungen an die von Russland überfallene Ukraine, will die Corona-Maßnahmen aus den Pandemiejahren aufarbeiten. Unumstritten war die Wahl des Ex-Linken Fabio De Masi und des ehemaligen Oberbürgermeisters von Düsseldorf, Thomas Geisel, als EU-Spitzenkandidaten. Folgen sollen der Ex-UN-Diplomat Michael von der Schulenburg, der Corona-Maßnahmen-Gegner Friedrich Pürner und der Neurochirurg Jan-Peter Warnke.
Das BSW beschwört die Rolle als Vertretung des einfachen Bürgers. Ein bunter Querschnitt der Gesellschaft sei die Partei, betont Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali. Unter den rund 380 Anwesenden befänden sich Handwerker, Schriftsteller, Polizisten, Theologen, Profisportler, Gewerkschafter, Unternehmer.
Ein Blick durch den Raum verriet: Die junge Partei hat eine alte Mitgliederbasis. Junge Parteimitglieder finden sich kaum. Überhaupt wolle man verhindern, dass Querulanten und Extremisten in die Partei kommen, hieß es aus der Parteiführung. Deshalb prüft das BSW jeden Mitgliedsantrag, im ersten Schritt steht Interessierten nur die Rolle als Unterstützer offen. Laut Politikwissenschaftler Jun ist das ein in deutschen Parteien unbekanntes Vorgehen: „Der Führungsanspruch Wagenknechts soll unangetastet bleiben.“
„Wir sind keine Linke 2.0“
„Wir sind keine Linke 2.0“, beteuert Wagenknecht. Doch im BSW herrscht noch sehr viel Linke. Die zentralen Positionen werden von Genossen aus Wagenknechts Ex-Partei besetzt – nur nennt sie die Weggefährten jetzt „Freundinnen und Freunde“ und nicht mehr „Genossinnen und Genossen“. Das gilt insbesondere für den Parteivorstand, für die von De Masi angeführte Europaliste und die BSW-Landesbeauftragten, etwa für die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann aus Sachsen.
Tatsächlich schafft es das BSW, einen professionellen Parteitag abzuhalten. Vorschläge und Kandidaten des Parteivorstands werden nahezu einstimmig durchgewinkt. Die Kontrolle über die Mitglieder im Vorfeld, der Ausschluss von Störern, die Vorgespräche mit Parteitagsteilnehmern – es hat geholfen. Wagenknechts Projekt „Aufstehen“ war 2018 nicht zuletzt an seiner schlechten Organisation gescheitert. Davon war diesmal keine Spur.