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Der große Ulrich Mühe – überwacht bis zum Tod

Feuilletonredakteur
Ulrich Mühe ist tot Ulrich Mühe ist tot
Quelle: dpa
Im Rückblick scheint sein Leben auf besondere Weise mit seinen Filmrollen verwoben zu sein. Im Oscar-prämierten Film "Das Leben der Anderen" spielt Mühe einen Stasi-Offizier. Ihm selbst stellten Paparazzi nach, bis er starb. Doch sein Dasein endete versöhnt.

Als Ulrich Mühe im Frühjahr 2006 eine juristische und publizistische Fehde mit seiner Ex-Ehefrau Jenny Gröllmann ausfocht, wunderten sich viele über die Unerbittlichkeit seines Zorns. Denn Jenny Gröllmann war schon todkrank und verbrachte ihre letzten Lebensmonate damit, sich gegen Gerüchte zu wehren, sie habe ihren ehemaligen Gatten während der Ehe für die Stasi bespitzelt. Am Ende wurde diese Behauptung gerichtlich verboten. Nun, da Ulrich Mühe selbst mit nur 54 Jahren an Krebs gestorben ist, scheint manches klar: Bei dem Todkranken war vielleicht der Wunsch nach Wahrheit und eiliger Aufarbeitung drängender als jede Rücksichtnahme. Auf jeden Fall aber offenbart diese Geschichte noch einmal, wie viel Wahrhafigkeit im oscargekröntem Film „Das Leben der Anderen" lag – bei allen Einwänden, gegen manche Details. Mühes Film zeigte genauso wie sein Leben, was das Drecksland DDR seinen geradlinigsten und moralisch skrupulösesten Bürgern und Künstlern antat und wie lange das Gift der Diktatur noch in die privatesten Bereiche hinein nachwirkte.

Die Hauptrolle in Florian Henckel von Donnersmarcks Film war Mühes Eintrittskarte für die Unsterblichkeit: Niemand, der „Das Leben der Anderen“ gesehen hat, vergisst je das Gesicht des linientreuen Stasi-Offiziers, der zum Systemfeind wird, als sich ihm bei einer Abhöraktion im Künstlermilieu eine völlig neue Welt eröffnet.

Besuch von Tom Cruise

Es hätte der Beginn einer internationalen Karriere werden können. Noch kürzlich bekam Mühe Besuch von Tom Cruise. Mehrere Stunden unterhielten sich die beiden mit Hilfe eines Übersetzers übers Kino, über Politik und über eine Mitwirkung im Stauffenberg-Film, den der Hollywood-Star gerade in Berlin dreht. Aber der an Magenkrebs erkrankte Mühe konnte nicht mehr.

Er hatte auch vor „Das Leben der Anderen“ schon in großen Kinofilmen mitgewirkt. Sein Durchbruch im Westen war 1989 die Rolle des fiesen Opportunisten Theodor Lohse in Bernhard Wickis „Das Spinnennetz“ – dort waren sogar Leute wie Klaus Maria Brandauer und Armin Müller-Stahl für ihn nur das, was auf Englisch „Supporting Actors“ heißt. In „Schtonk“ spielte er 1992 den Verlagschef jenes Magazins, das die gefälschten Hitler-Tagebücher veröffentlichte.

In den Neunzigerjahren, als Michael Haneke – mittlerweile ein Star-Regisseur des französischen Kinos – noch auf Deutsch drehte, wurde Mühe dessen bevorzugter Darsteller: In „Bennys Video“, „Das Schloss“ und „Funny Games“ spielte er oft zusammen mit seiner dritten Frau Susanne Lothar.

Als Gerichtsmediziner im Fernsehen bekannt

So wie der Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler ihn in der ganzen Welt bekannt gemacht hat, verdankte Mühe seine Berühmtheit in deutschen Wohnzimmern der Rolle des Dr. Robert Kolmaar. Den Gerichtsmediziner aus „Der letzte Zeuge“ spielte er seit 1998 in mehr als 60 Folgen. Die mehrfach preisgekrönte ZDF-Serie ist ein glückliches Beispiel dafür, wie Fachkräfte aus der DDR nach der Wende das deutsche Fernsehen manchmal zum Besseren beeinflussten: Neben Mühe, seinem TV-Partner Jörg Gudzuhn als Kommissar und vielen Nebendarstellern gehörte zu ihnen auch Drehbuchautor Gregor Edelmann und Regisseur Bernhard Stephan.

Zum Untergang der DDR hat Mühe selbst beigetragen: Er gehörte zu den Organisatoren und Rednern jener Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, bei der sich ein letztes Mal die Hoffnung auf einen „anderen Sozialismus“ artikulierte, die aber vor allem die Panik des alten Regimes beschleunigte.

Damals probte Ulrich Mühe am Deutschen Theater gerade mit Heiner Müller „Hamlet/Maschine“. Der regieführende Dramatiker und sein Hauptdarsteller hatten beide längst einen Reisepass, aber sie wollten Ost-Berlin noch nicht verlassen. Dabei war Mühe bereits als junger Mann bei den DDR-Grenztruppen krank geworden, weil er die Dummheit und Gemeinheit dort unerträglich fand. Zwei Drittel seines Magens wurden ihm schon damals wegen Geschwüren entfernt.

Doppelbödiges "Klugscheißen" auf DDR-Bühnen

Doch das Leben als Künstler bot gewisse Nischen, vor allem am Deutschen Theater, der Renommierbühne des Landes, deren Ensemble der in Grimma (Sachsen) geboren Mühe seit 1983 angehörte. Hier hatte das „Hamlet“-Stück über ein von innen zerfallendes Land, das am Ende dem äußeren Feind Fortinbras ganz ohne dessen Zutun in die Hände fällt, im März 1990 Premiere. Und es wurde zum Bühnen-Requiem auf die DDR.

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Auf den Proben diskutierten die Theaterleute untereinander und nach den Vorstellungen mit dem Publikum. Später schrieb Mühe über das damalige Verhältnis zwischen Bühnenkünstlern und Zuschauern: „Wir hatten so viele Jahre kluggeschissen von da oben, und sie haben uns dafür geliebt und sicher oft beneidet. Jetzt wollten sie mehr, sie hatten nur ihre Sprache, ihren Ausdruck noch nicht.“

Die Kunst des poetisch-doppelbödigen „Klugscheißens“, bei dem die Zuschauer auf kleinste systemkritische Anspielungen lauschten, hatte Mühe in der Zusammenarbeit mit dem großen Geschichtszyniker Heiner Müller perfektioniert. Als Müller 1995 starb, las Mühe an seinem Grab als Requiem das Gedicht „Berlin“ von Gottfried Benn – eigentlich ein sowohl für Müller als auch für Benn ganz untypischer Hymnus an die Unsterblichkeit der Kultur: „Wenn die Häuser leer geworden,/ wenn die Heere und die Horden / über unseren Gräbern sind... / wenn die Mauern niederbrechen,/ werden noch die Trümmer sprechen / von dem großen Abendland.“ Gegen die Sterblichkeit der Müllerschen Dramen hat Mühe zuletzt tapfer fast im Alleingang gekämpft: 2005 inszenierte er Müllers „Der Auftrag“ im Haus der Berliner Festspiele mit prominenter Besetzung. Dieser Erinnerung an den toten Freund und geistigen Übervater war kein großes Echo beschieden.

Zum Schluss von Paparazzi überwacht

Theater hat Mühe in den Neunzigerjahren nur noch gelegentlich gespielt, zuletzt in der Berliner Schaubühne an der Seite von Katharina Schüttler in Sarah Kanes „Zerbombt“ (Regie: Thomas Ostermeier). Doch am beeindruckendsten war er in einem anderen Kane-Stück: In „Gesäubert“ (Regie: Peter Zadek) verbreitete er als Dr. Tinker das faszinierend kalte Grauen eines poetischen Schlächters, der den Menschen, die ihn lieben, die Gliedmaßen amputiert. Es ist überhaupt ein gruseliger Zufall, wie oft er Rollen spielte, die mit Tod und Medizin zu tun hatten: 1997 trat er im Sat1-Thriller „Sterben ist gesünder“ sogar als moribunder Krebskranker auf.

Eine böse Pointe seines Lebens und Sterbens war, dass er zuletzt wieder unter totaler Überwachung lebte. Rund um die Uhr lauerten ihm Paparazzi auf, die Wind von seiner Krankheit bekommen hatten. Wenn er das Haus für kurze Spaziergänge verlassen wollte, mussten die Fotografen mit mehreren Autos, die nacheinander das Grundstück verließen, abgelenkt werden, und Mühe versteckte sich, geduckt auf einer der Rückbänke.

Am vergangenen Wochenende trat er eine zweifache Flucht an. Die eine führte nach vorne, in die Öffentlichkeit: „Ja, ich habe Krebs. Ich hoffe, dass es mir bald wieder besser geht“ “ sagte er der „Berliner Morgenpost“. Mit der anderen Flucht suchte er Ruhe auf dem Lande, in Walbeck (Sachsen-Anhalt). Dort ist er am Sonntag, als die Nation schockiert die Nachricht von seiner Krankheit zur Kenntnis nahm, bereits gestorben, und gestern in aller Stille im engsten Familienkreis beerdigt worden.

„Ich verbringe sehr viel Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau“, hatte er in dem Interview gesagt. Vor wenigen Wochen gab es in einem Dorf bei Berlin noch ein Familientreffen mit allen fünf Sprösslingen aus drei Ehen. Bei dem wurden auch Wunden geheilt, die der Stasi-Zwist in der Familie gerissen hatte. Er starb versöhnt.

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