Der Schauspielerin Regine Lutz zum 75. Geburtstag: Mit Herzklopfen, aber exquisit

Mit Herzklopfen, aber exquisit

Größer hätte der Kontrast am Beginn ihrer Karriere kaum sein können: Die Basler Professorentochter Regine Lutz geriet 1949, noch nicht volljährig, in die Theaterboheme des zerstörten Berlin. Brecht hatte sie an das Berliner Ensemble geholt, nachdem ihm ihr Dienstmädchen Polja in "Wassa Schelesnowa" am Zürcher Schauspielhaus aufgefallen war. Rasch avancierte Regine Lutz zum Jungstar des Ensembles, als Yvette in "Mutter Courage und ihre Kinder", Gustchen im "Hofmeister", Eve in "Der zerbrochne Krug", Elli in "Katzgraben", Virginia im "Galilei", Polly in der "Dreigroschenoper". Ihr Spiel kennzeichnet eine eigene Kombination von Eleganz, Naivität, Anmut, lasziver Sinnlichkeit, Vitalität und Komik bis hin zum Chargenhaften. Brecht notierte, Regine Lutz habe die Rolle der Obristin Starhemberg, weiland Lagerhur Yvette, "mit Herzklopfen, aber exquisit" gespielt. Was für manch einen wie eine Naturbegabung aussieht, beruht auf Disziplin und einer konzentrierten Arbeit an Dramaturgie und Rolle. Dass das keineswegs Abwesenheit von Leichtigkeit, Wärme und Witz bedeutete, belegen Brechts "Anmerkungen" zum "Hofmeister": Die Szene, in der Gustchen aus dem Teich gerettet wird, kann etwas Komik vertragen, so schrieb er. Als die vorgeblich Lebensmüde aus dem Wasser getragen wird, gestattete ihr der Regisseur Brecht "in den Armen des gerührten Vaters, ein kleines vergnügtes Wippen der Füßchen", womit er einen Einfall Regine Lutz aufgriff.Ihr Abschied vom BE war nicht politisch motiviert. Sie wusste: Die Lehrjahre kamen zum Ende, jetzt reizte die freie Wildbahn. 1960 spielte sie parallel am Schiffbauerdamm im Osten und bei Rudolf Noelte im Westen, danach war sie auf Bühnen in ganz Westdeutschland engagiert. Sie gab die "Hebamme" in der Uraufführung von Hochhuths Stück, sie spielte Dürrenmatt in der Regie des Autors, die Alice in der Basler Uraufführung von "Play Strindberg" und die Claire Zachanassian in "Der Besuch der alten Dame". Von 1979 bis 1985 gehörte sie zum Ensemble des Schillertheaters. Immer häufiger war Regine Lutz in Film und Fernsehen zu sehen.In ihrem anderen Beruf ist Regine Lutz Schauspieldozentin in München, Salzburg, Berlin, Rostock und anderen Städten. Vielleicht hatte Brecht diese zweite Karriere im Sinne, als er ihr sagte: "Regine, Ihre große Zeit beginnt erst nach ihrem sechzigsten Lebensjahr." Dass die Kurse der Lutz so begehrt sind, beruht auf ihrer Liebe zu ihren Schülern und ihrem Engagement. Ihre Erfahrungen schrieb Regine Lutz 1993 im Buch "Schauspieler - der schönste Beruf" auf.Man muss gehört und gesehen haben, wie Regine Lutz das "Lied der verderbten Unschuld beim Wäschefalten" in der Vertonung Rudolf Wagner-Régenys singt. "Ich weiß: noch vieles kann kommen", beginnt die siebte Strophe. So redet eine Erfahrene, die ihr Talent gebraucht und ihrem Publikum geschenkt hat. Regine Lutz feiert heute in München ihren 75. Geburtstag.HAINER HILL Regine Lutz als Eve, 1952 mit Brecht bei Proben am Berliner Ensemble