Homecoming: Kritik zur neuen Amazon-Serie von Sam Esmail und mit Julia Roberts in der Hauptrolle
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Homecoming: Kritik zur neuen Amazon-Serie mit Julia Roberts

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„Homecoming“ Amazon Prime Video
„Homecoming“ Amazon Prime Video © ??Homecoming“ (c) Amazon Prime Video

Die neue Amazon-Prime-Video-Serie Homecoming mit Julia Roberts in der Hauptrolle entpuppt sich nach einem verhaltenen Auftakt als ein vielschichtiges Charakterdrama mit aufregenden Thrillerelementen, dessen spezielle Machart die Zuschauer unentwegt auf Trab hält. Das Resultat: ein intelligenter Sleeper-Hit, dem man definitiv eine Chance geben sollte.

Spoilerwarnung - diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!

Diese Kritik bezieht sich auf die komplette erste Staffel von „Homecoming", beinhaltet jedoch keine relevanten Spoiler in Bezug auf die Handlung.

Auf dem Papier klingt Homecoming, die neue Amazon Prime Video-Produktion von Mr. Robot-Schöpfer Sam Esmail, basierend auf dem gleichnamigen Podcast von Gimlet Media, nach einer recht gewöhnlichen Serie. In dem Thrillerdrama geht es um eine Angestellte eines Unternehmens, das mit der US-Regierung zusammenarbeitet, um eine sorgenfreie und problemlose Reintegration von Soldaten in die amerikanische Gesellschaft zu gewährleisten, die gerade erst aus dem Auslandseinsatz zurückgekehrt sind. Unser Hauptcharakter, die von Julia Roberts gespielte Heidi Bergman, übersieht diesen wochenlangen Prozess, bei dem den Militärangehörigen via diverser Therapiesitzungen, Gruppenübungen und Medikation geholfen werden soll.

Das Ziel: Den Kriegsveteranen soll eine Möglichkeit gegeben werden, traumatische Erlebnisse zu vergessen und nach ihrem Dienst an der Waffe ein neues Leben in ihrer alten Heimat anfangen zu kommen. „Homecoming“ eben. Doch wie man sich als Zuschauer bereits im Vorfeld denken kann, ist dies nur die halbe Wahrheit, was in der Pilotepisode der Serie mehr als deutlich gemacht wird, in der innerhalb kürzester Zeit etliche Fragen aufgeworfen werden - für uns als Publikum und für unsere zentrale Figur Heidi Bergman, deren Position als unzuverlässige Erzählerin wir fortan immer wieder einnehmen. Was ist wirklich das Ziel dieses Programms der undurchsichtigen Geist Group, deren Name schon fast bezeichnend ist. Immerhin schwebt das dubiose Unternehmen doch permanent wie ein undefinierbares, nicht greifbares Gespinst über der Handlung der Geschichte, die sich Episode für Episode immer mehr entwirrt.

Doch ich bleibe dabei: „Homecoming“ ist an und für sich eine gewöhnliche, einfache Serie, deren Prämisse uns nicht nur vertraut, sondern auch leicht durchschaubar vorkommt. Die meisten Zuschauer werden nach der ersten Folge eine ziemliche genaue Vorstellung davon haben, wohin die Reise hier gehen wird - und die Wahrscheinlichkeit, dass sie richtig liegen, ist alles andere als gering. Sam Esmail, der gemeinsam mit Eli Horowitz und Micah Bloomberg, den beiden Produzenten des „Homecoming"-Podcasts (sehr hörenswert und im Grunde genommen eine Vorlage, an die man sich nicht allzu sklavisch hält), dieses Format entwickelt hat, will die Zuschauer jedoch nicht mit einer Geschichte kitzeln, die wir in dieser oder so ähnlicher Form schon sehr oft gesehen, gehört oder gelesen haben. Es ist die Art und Weise, wie diese einfache Geschichte erzählt wird, was „Homecoming“ so sehenswert macht.

Wie bereits in Esmails „Mr. Robot“ ist es der sehr eigenwillige, einmalige Stil, die ideenreiche, intelligente Inszenierung und das Vertrauen in das Publikum, das diese Geduld mitbringt und sukzessive in die packende, anachronistische Erzählung eingespannt wird, was „Homecoming“ auszeichnet und zu einem der Serienstarts des Jahres 2018 macht, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Das mag mit Blick auf die zurückhaltende Pilotepisode und die ersten paar Folgen der zehnteiligen ersten Staffel, die ab heute, den 2. November komplett auf Amazon Prime Video zu sehen ist, etwas seltsam klingen. Der Auftakt von „Homecoming“ gestaltet sich nämlich ein wenig schleppend, wenn nicht sogar geradezu zäh. Die Macher wollen irritieren und uns eine ähnlich ratlose, überforderte Sicht der Dinge einnehmen lassen, in der sich auch Protagonistin Heidi Bergman mehrfach wiederfindet.

Nicht nur, dass hier munter das Bildformat gewechselt wird - die Szenen in der Gegenwart werden in 4:3 dargestellt, der Blick zurück in die nicht so weit entfernte Vergangenheit im normalen Breitbildformat -, was unterbewusst zu dem Gefühl beiträgt, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Nein, auch der audiovisuelle Stil an sich, siehe die tristen, matten Farbtöne, die klinische Inszenierung und des oft mechanisch wirkende Sounddesign tragen dazu bei, dass man sich mehr als einmal die Frage stellt, woran man in „Homecoming“ eigentlich ist. Was soll das alles? Und wir haben noch nicht einmal die teilweise sehr speziellen Charaktere erwähnt - mitunter stark überzeichnete Karikaturen, bei denen sich erst im Laufe der Staffel zeigt, was oder wer sich tatsächlich unter ihrer sonderbaren Hülle verbirgt.

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Amazon Prime Video
Amazon Prime Video © Amazon Prime Video

Homecoming hat Spaß daran, ein Rätsel zu sein und genießt es förmlich, seine gewöhnliche Ausgangslage andersartig und alles andere als der Norm entsprechend zu verpacken. Ein ganz fabelhafter Trick, der Zeit braucht - und davon eine ganze Menge - bis er die Zuschauer vollends erreicht. Dadurch, dass sich die einzelnen Episoden jedoch stets bei einer Laufzeit von ungefähr 30 Minuten einpendeln, ist man gewillt, der Serie diese Zeit zu geben. Nicht wenige werden in den ersten vier Folgen der Staffel immer wieder durchpusten, vielleicht sogar ein wenig angestrengt durchschnaufen. Doch dieser slow burn zahlt sich aus. Ist man einmal mittendrin in diesem schiefen Bild, das von Esmail, Horowitz, Bloomberg und dem meisterhaften Kameramann Tod Campbell erschaffen wurde, hat man einmal den Zugang zu diesen emotional verwundbaren Charakteren gefunden, dann ist man vollends gebannt.

Man könnte vieles in „Homecoming“ als Gimmick abstempeln. Die verschiedenen Bildformate. Die skurrilen Figuren. Die wechselhafte musikalische Untermalung, die von dezenten Klängen gerne mal ohne große Ankündigung in hochdramatische, orchestrale Musikstücke umschwingt. Doch all diese Stilmittel dienen der Handlung und der Entwicklung der Charaktere, die sich einem von Minute zu Minute mehr erschließen. Ja, die Verantwortlichen wollen ihr Publikum definitiv auf dem falschen Fuß erwischen. Sie nutzen die Instrumente, um diesen Effekt der totalen Desorientierung zu erzielen, aber auch dafür, einen schwer in Worte zu fassenden Zugang zu dieser einzigartigen Welt zu kreieren. Manchmal kommt einem „Homecoming“ wie ein Relikt vergangener Tage vor, wie eine graue Serienmaus aus den 70er Jahren, die nicht wirklich der Rede wert ist. Doch das äußere Erscheinungsbild ist trügerisch.

Im Inneren verbergen sich nämlich hochkomplexe Figuren, die sich in bizarren, unerklärlichen Situationen wiederfinden, unermüdlich nach Antworten suchen und nebenbei auch einfach nur Mensch sein wollen. Julia Roberts führt dieses hervorragend Ensemble beispielhaft an und liefert eine derartig nuancierte, feinfühlige Darbietung ab, wie man es schon eine ganze Weile nicht mehr von ihr gesehen hat. Unglaublich nuanciert sind tatsächlich alle in ihrer Performance, ob nun Stephan James als US-Soldat Walter Cruz, Shea Whigham als investigativer Regierungsbeamter Thomas Carrasco oder Bobby Canavale als aalglatter Strippenzieher für die Firma Geist. Alle drei bringen komplett verschiedene Facetten mit sich - charismatische Unschuld, unumstößliche Entschlossenheit, eiskaltes Kalkül - und sind als vermeintliche Nebencharaktere so fein ausgearbeitet, dass es eine schiere Freude ist, die Wege, die sie einschlagen, intensiv zu verfolgen.

Hier liegt auch ein Grund, warum diese an und für sich so gewöhnliche Serie am Ende doch so schön außergewöhnlich ist: die Hingabe der Macher auf allen Ebenen, sei es bei der Figurenzeichnung, der Inszenierung, dem Musik- und Setdesign, einfach alles. Man merkt der gesamten Produktion an, wie viel Vorbereitung und Einsatz in die Verwirklichung des Formats geflossen sind, eine vergleichbare Präzision und Akribie lässt sich zum Beispiel in Better Call Saul finden, bei dem eine ähnlich hohe Bereitschaft und Verpflichtung zur Perfektion spürbar ist. Und so kann man eben auch die einfachste Geschichte auf ein ganz anderes Niveau heben - mit Sinn, Verstand, originellen Einfällen sowie einer klaren Vision, was man letztlich erreichen möchte.

„Homecoming“ spricht audiovisuell eine deutliche Sprache, die eigentümliche Reizpunkte setzt, vergisst dabei aber nie das Herz jeder guten Erzählung: facettenreiche Charaktere, deren nachvollziehbare Entwicklung und deren Kampf mit ihrer Umwelt uns letztlich fesseln und berühren können. Dieses Plädoyer für „Homecoming“ klingt im Endeffekt vielleicht etwas zu hochtrabend, doch ich selbst bin extrem überrascht, welche wunderbare Richtung die Serie letztlich eingeschlagen hat und wie viel sie doch an Themen und Aspekten hergibt, über die man sehr lange nachdenken kann. Neben vielen schockierenden, berührenden und unfreiwillig komischen Momenten verkommt der Amazon-Neustart zwischenzeitlich eben auch zu einem hervorragenden Thriller der alten Schule, bei dem selbst Großmeister Alfred Hitchcock aufmerken würde (die offensichtliche Einflüsse sind teilweise eklatant).

In dieser Hinsicht macht die Serie sogar auf ganz simple Art und Weise Spaß, siehe die ausgefallenen Kamerawinkel und perspektivischen Spielereien, dazu noch die stellenweise schrecklich opulente musikalische Begleitung. Homecoming hat sehr viel zu bieten. Man muss eben nur an den Punkt kommen, an dem man all diese Dinge wertzuschätzen weiß. Dieser Punkt kam bei mir erst nach vier, fünf Folgen, so ehrlich möchte ich sein. Doch diese zwei Stunden „Wartezeit“ habe ich gerne in Kauf genommen. Und Ihr solltet es gegebenenfalls auch tun. Eine zweite Staffel von „Homecoming“ wurde von Amazon Prime Video übrigens gleich mitbestellt. Eine gute Sache. Doch schaut man sich die letzte, fabelhafte Szene dieser ersten Staffel an, dann fragt man sich kurz, ob diese spezielle Reise nicht genau hier enden könnte, weil es eigentlich nicht besser werden kann und der perfekte Abschluss gefunden wird. Auch das spricht für die hohe Qualität von „Homecoming“.

Die erste Staffel von „Homecoming" ist seit Freitag, den 2. November komplett auf Amazon Prime Video zu sehen.

Die deutsche Synchronfassung der US-Serie wird ab dem 22. Februar 2019 auf Amazon Prime Video verfügbar sein.

DerTrailerzu „Homecoming":

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