Budgetansatz: Prof. Dr. Manuel Frondel, Leiter des Bereichs Umwelt und Ressourcen, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen; außerplanmäßiger Professor an der Ruhruniversität Bochum

Prof. Dr. Manuel Frondel, Leiter des Bereichs Umwelt und Ressourcen, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen; außerplanmäßiger Professor an der Ruhruniversität Bochum (Bildquelle: RWI)

„et“: Fangen wir mit den Grundlagen an: Welche Größe spielt beim sog. Budgetansatz die wichtigste Rolle?

Frondel: Der globale CO2-Budget-Ansatz, der gestattet, noch bis zum Jahr 2050 Treibhausgase auszustoßen solange eine gewisse Obergrenze (Budget) nicht überschritten wird, hängt an erster Stelle von dem Temperaturziel ab, das mit der Beschränkung der Treibhausgasemissionen erreicht werden soll. Das Intergovernmental Panel on Climate Chang (IPCC) nennt dazu zwei globale Temperaturanstiege, die gegenüber dem Beginn der Industrialisierung in Zukunft nicht überschritten werden sollten: Ein Anstieg von 2 Grad Celsius oder besser möglichst 1,5 Grad Celsius. Hierzu ist zu bemerken, dass das 2-Grad-Ziel auf eine Publikation des Nobel-Gedächtnispreisträgers William Nordhaus aus den 1970er Jahren zurückzuführen ist und sich seither in der Diskussion um den Klimawandel immer stärker als politisches Temperaturziel manifestiert hat. Beim Budgetansatz werden die historischen Emissionen nur insoweit berücksichtigt, wie sie das künftige Restbudget bestimmen.

„et“: Was kommt danach, welches ist die zweitwichtigste Größe?

Frondel: Die zweite wesentliche Größe zur Bestimmung des globalen CO2-Budgets ist neben dem Temperaturziel die Wahrscheinlichkeit, mit dem dieses Ziel erreicht werden soll. Ausgehend von den drei Wahrscheinlichkeiten 33 %, 50 % und 67 % hat das IPCC beim Budgetansatz die normative Entscheidung getroffen, dass das 2-Grad-Ziel mit 67 % Wahrscheinlichkeit eingehalten werden solle, das 1,5-Grad-Ziel mit 50 % Wahrscheinlichkeit. Nach Berechnungen mit Hilfe sog. Impact-Assessment-Modelle entspricht die 50 %ige Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels einem globalen CO2-Budget von 580 Mrd. t ab dem Jahr 2018. Zum Vergleich: Der weltweite CO2-Ausstoß belief sich im Jahr 2018 auf rund 42 Mrd. t. Bliebe dieser Ausstoß jedes Jahr unverändert, wäre das genannte Budget bereits um das Jahr 2030 herum aufgebraucht.

„et“: Wie hoch sind die Unsicherheiten dabei?

Frondel: Mit dem Wert von 580 Mrd. t ist eine sehr hohe Unsicherheit verbunden, da die Modelle, mit denen dieser Wert ermittelt wurde, die Wirklichkeit nur unzureichend wiedergeben. So ist insbesondere die Rolle der Bildung von Aerosolen, also Schwebeteilchen wie Rußpartikel, etc., unklar. Diese haben eine eher kühlende Wirkung, aber sowohl die künftige Entwicklung der Menge an Aerosolen als auch deren Einfluss auf das Klima ist ungewiss.

Daneben gibt es viele andere Unsicherheitskomponenten, etwa Rückkopplungseffekte durch Wolkenbildung. Rückkopplungseffekte können die Temperaturveränderung abmildern oder verstärken und sind in den Modellen zur Berechnung der CO2-Budgets ebenfalls nur unzureichend berücksichtigt. Wieviel Treibhausgase in Zukunft noch ausgestoßen werden dürfen, hängt nicht zuletzt auch davon ab, welche Möglichkeiten es künftig geben wird, der Atmosphäre Treibhausgasemissionen zu entziehen, etwa durch Aufforstung von Wäldern oder andere Maßnahmen, mit denen sogenannte negative Emissionen einhergehen. Diese kleine Aufzählung an das Klima beeinflussenden Faktoren illustriert, mit welch hoher Unsicherheit die Quantifizierung eines globalen CO2-Budgets verbunden ist.

„et“: Wie sinnvoll bzw. schwierig sind die Berechnung und Fixierung von nationalen und sektoralen CO2-Budgets?

Frondel: Der hohe Grad an Unsicherheit bezüglich des globalen Emissionsbudgets lässt das Ableiten nationaler oder gar sektoraler CO2-Budgets als fragwürdiges Unterfangen erscheinen. Ausgehend vom globalen CO2-Budget von 800 Mrd. t, das vom IPCC für eine 67 %ige Erreichung einer Temperatur von deutlich unter 2 Grad (1,75 Grad) angegeben wurde, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) dennoch ein nationales CO2-Budget für Deutschland bestimmt. Demnach dürfen ab dem Jahr 2020 in Deutschland insgesamt nur noch 6,7 Mrd. t CO2 emittiert werden. Zur Bestimmung dieses Wertes wurde jedem Erdenbürger dieselbe Pro-Kopf-Emissionsmenge zugebilligt und der Anteil der Deutschen an der Weltbevölkerung mit rund 1,1 % berücksichtigt.

„et“: Was würde das für Deutschland konkret bedeuten?

Frondel: Würden in Deutschland weiterhin unverändert 0,71 Mrd. t CO2 ausgestoßen, wie dies im Jahr 2019 geschah, wäre das Budget von 6,7 Mrd. t bereits im Jahr 2029 aufgebraucht. Nach Berechnungen des SRU fällt der mit Deutschlands Klimazielen korrespondierende CO2-Ausstoß jedoch etwa doppelt so hoch aus als das Budget von 6,7 Mrd. t. Mit diesem Vergleich legt der SRU nahe, die nationalen Klimaschutzziele zu verschärfen. Allerdings ist der Verteilungsschlüssel einheitlicher Pro-Kopf-Emissionen bei der Ableitung eines mit den Zielen des Paris-Abkommens kompatiblen nationalen CO2-Budgets fraglich.

„et“: Was erscheint Ihnen am Budgetansatz besonders kritikwürdig?

Frondel: Es ist vor allem zu kritisieren, dass mit dieser mechanistischen Art der Festlegung nationaler Emissionsbudgets das Mitspracherecht von Politik und Gesellschaft bei der Vorgabe der künftigen nationalen Klimaschutzbemühungen vollkommen ausgehebelt würde. Darüber hinaus wird nicht berücksichtigt, dass es bei Klimaschutzbemühungen Interaktionen zwischen den Ländern gibt und ein Vorpreschen Deutschlands nicht unbedingt zu verstärkten Bemühungen anderer Länder führt. Im Gegenteil: Dies könnte zu geringeren Anstrengungen andernorts führen. Das zeigt: Das wichtigste Ziel aller klimapolitischen Anstrengungen muss sein, für internationale Kooperation zu sorgen. Ohne diese können die Emissionen global nicht gesenkt werden – und nur darauf kommt es an! Kooperation entsteht jedoch nicht durch ein Flickwerk selbstgesteckter nationaler und sektoraler Mengenziele oder durch notorisch ineffektive Subventionen.

„et“: Was spricht denn noch dagegen?

Frondel: Gegen die Festlegung nationaler Emissionsbudgets spricht neben der Verteilungsproblematik vor allem, dass damit die Handelsströme von Gütern in keiner Weise berücksichtigt werden. Dieses Defizit ist für eine Nation wie Deutschland, die starken internationalen Handel betreibt, offenkundig besonders bedeutsam und sollte Grund genug dafür sein, das Konzept nationaler oder gar sektoraler Emissionsbudgets bei den nationalen Klimaschutzbemühungen nicht weiter zu verfolgen. Es ist aus ökonomischer Sicht, besonders aus Kosteneffizienzgründen, bedauerlich genug, dass im Klimaschutzgesetz individuelle Ziele für jeden einzelnen Sektor bis zum Jahr 2030 festgelegt wurden. Ein solch kleinteiliger, planwirtschaftlicher Ansatz widerspricht vollkommen dem ökonomischen Prinzip, die Emissionen möglichst dort zu verringern, wo es am kostengünstigsten ist.

„et“: Gibt es für die Festlegung von nationalen Emissionsbudgets einen „gerechten“ Verteilungsschüssel?

Frondel: Ein Festlegen von nationalen Emissionsbudgets und Klimaschutzzielen auf Basis einheitlicher Pro-Kopf-Emissionen entspricht nicht unbedingt einem fairen Verteilungsschlüssel. Ginge es danach, wäre das Budget der Industrieländer im Vergleich zu ihrem derzeitigen Emissionsniveau extrem knapp. Das verdeutlichen die obigen Zahlen für Deutschland. Demgegenüber wäre das Budget der ärmsten Länder der Welt extrem großzügig – auch wenn für die Zukunft wachsende Pro-Kopf-Emissionen zu erwarten sind. So würden Länder wie Äthiopien, Pakistan, Bangladesh und etliche andere Budgets erhalten, die höchstwahrscheinlich auch noch im Jahr 2050 ihren Bedarf deutlich übersteigen würden. Diese Beispiele zeigen, dass es sehr schwierig ist, wenn nicht gar unmöglich, einen gerechten Verteilungsschlüssel zu finden. Allein aus diesem Grund sollte darauf verzichtet werden, nationale Emissionsbudgets festzulegen.

„et“: Welchen Ansatz sollte man aus Ihrer Sicht stattdessen verfolgen?

Frondel: Es sollte auf einen weltweit einheitlichen CO2-Preis als aussichtsreiches Instrument zur Koordinierung der weltweiten Emissionsanstrengungen gesetzt werden, während Verteilungsprobleme mit Hilfe des Green Climate Funds gelöst werden. In diesen Fonds zahlen vor allem die Industrieländer ein, während ärmere Länder daraus Zahlungen erhalten können, etwa als Belohnung dafür, dass sie einen CO2-Preis entsprechend des global abgestimmten Preislevels etablieren. Anstatt über Mengenziele, sollte in der internationalen Klimapolitik künftig über global möglichst einheitliche CO2-Preise verhandelt werden, ergänzt durch konditionale Transfers, finanziert aus dem Green Climate Funds. 

„et“: Herr Prof. Frondel, vielen Dank für das Interview.

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et-Redaktion

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