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Bayer gab Lipobay bis kurz vor Rückruf als Gratisprobe ab

Gesundheitsexperten wollen Frühwarnsystem für gefährliche Arzneimittel schaffen - Gesundheitsökonom Karl Lauterbach: "Internationale Zusammenarbeit fördern"

Trotz des Skandals um den Cholesterinsenker Lipobay wollen 40 Prozent der über 60-jährigen Deutschen ihren Medikamentenkonsum nicht verändern, ergab jetzt eine Umfrage im Auftrag von "Bild" und MDR. Knapp ein Fünftel der 1100 Befragten gaben an, sie wollten künftig auf Naturheilmittel ausweichen.

Mit Lipobay werden weltweit bislang 52 Todesfälle in Verbindung gebracht. Das Leverkusener Pharmaunternehmen Bayer hatte das Medikament daher am 8. August vom Markt genommen. Kritisiert wird jetzt vor allem die Informationspolitik des Konzerns. "Bayer hat nicht korrekt, nicht präzise und nicht zeitentsprechend informiert", sagte Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, am Wochenende dem Fernsehsender N-tv.

Als Konsequenz aus dem Lipobay-Fall werde es eine Gesetzesänderung geben, so Schröder. "Wir werden dafür sorgen, dass die präzise, rechtzeitige und belastbare Information künftig Chefsache ist." Zudem solle ein internationaler Datenaustausch aufgebaut und intensiviert werden. Der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach macht die "mangelhafte Zusammenarbeit der internationalen Zulassungsbehörden" für das Lipobay-Debakel mitverantwortlich.

Lauterbach bemängelt zudem, dass bei der Einführung von neuen Medikamenten Langzeitstudien fehlten, mit denen sich der Nutzen, aber auch das Nebenwirkungsrisiko ermitteln ließen. Der SPD-Gesundheitsexperte Horst Schmidbauer fordert daher den Aufbau eines "Frühwarnsystems für Nebenwirkungen". Die Arbeiten am Konzept so genannter Pharmakovigilanz-Zentren sollte vorangetrieben werden. Der Hannoveraner Pharmakologe Professor Jürgen C. Frölich schlägt vor, die 28 deutschen Fakultäten für Klinische Pharmakologie in ein solches Frühwarnsystem einzubinden.

Unterdessen wehrt sich die deutsche Ärzteschaft gegen die Vorwürfe der Bestechung im Zusammenhang mit der Verschreibung bestimmter Medikamente. Rolf Hoberg, Vizechef des AOK-Bundesverbands, erklärte dagegen, auf Grund der Verordnungen der Ärzte sei genau nachzuvollziehen, in welchen Gebieten Werber der Pharmaindustrie unterwegs waren. Noch wenige Tage vor dem Rückruf von Lipobay habe Bayer Gratisproben an Ärzte abgegeben, berichtet das Nachrichtenmagazin "Focus". So habe Bayer Ärzten des oberbayerischen Landkreises Ebersberg das Medikament gratis zur Verfügung gestellt, um im Rahmen eines Modellprojekts die Anwendung von Lipobay zur Vorbeugung gegen Schlaganfälle und geistigen Verfall im Alter zu testen.

Bei der Senkung des Bluttfettspiegels seien Medikamente jedoch immer nur die zweitbeste Lösung, erklärt Heidi Braunewell von der Reformhaus-Fachakademie in Oberursel. Studien hätten gezeigt, dass leicht bis mäßig überhöhte Cholesterinwerte mit der richtigen Ernährung und ausreichender Bewegung dauerhaft um zehn bis 20 Prozent gesenkt werden können.

Meist ist ein überhöhter Cholesterinspiegel durch Übergewicht bedingt. Wichtig sei es daher, das Körpergewicht zu normalisieren, sagt Antje Zellmer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn. Sie empfiehlt Gemüse, Fisch, Kartoffeln und Hülsenfrüchte. Tierische Fette sollten durch pflanzliche Fette ersetzt werden. Und: Ein einziges Eigelb deckt den Tagesbedarf an Cholesterin.

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