Der deutsche Universalgelehrte des Mittelalters

Albertus Magnus: Der heilige Magier

Veröffentlicht am 15.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wusste dieser Mann zu viel? Kaum etwas, das der Volksglaube Albertus nicht zutraute: magische Beschwörungen, brodelnde Zaubertränke und weissagende Sterndeutung. Heute wird der Dominikaner als Kirchenlehrer und Patron der Naturwissenschaftler verehrt.

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"Da ist der Mann, der alles weiß" – so tuschelten bereits verängstigte Zeitgenossen über Albertus (um 1200-1280). Sein schier unglaubliches Wissen war den Menschen unheimlich. Die Verbindung mit volkstümlichen Sagen verwandelte Albertus nach seinem Tod daher in einen zu fürchtenden Magier, der Flüche beherrscht und Zaubertränke mischt. Im alpinen Raum kursierten auf sogenannten "Albertitafeln" sogar Darstellungen, auf denen Albertus beschwörend eine geweihte Hostie zum Reden zwingt. Erst im 20. Jahrhundert entdeckte die Kirche Albertus wieder für sich – und ernannte ihn zum Patron der Naturwissenschaftler. Wer war nun der "wahre" Albertus?

Eine unbekannte Jugend

Über Albertus' Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt. Er wurde um 1200 in Lauingen an der Donau als Sohn eines staufischen Beamten geboren und entstammte wohl dem niederen Adel. Als junger Mann zog er in das norditalienische Padua, wo er erste Studienerfahrungen sammelte: Zunächst wahrscheinlich die damaligen Grundlagenfächer Grammatik, Logik und Rhetorik, vielleicht aber auch zusätzlich Jura und Medizin. Vor allem aber machte der junge Albertus dort eine Bekanntschaft, die sein Leben für immer verändern sollte.

Bild: ©picture alliance/imageBROKER/Kiedrowski, R.

Der Innenhof der historischen Universität von Padua. Hier traf Albertus auf den Dominikaner Jordan von Sachsen.

In Padua traf Albertus auf seinen Landsmann Jordan von Sachsen, den zweiten Ordensmeister des neu gegründeten Dominikanerordens. Dessen Predigt bewegte Albertus so sehr, dass er dem intellektuell geprägten Bettelorden beitrat und nach Köln zog. Dort absolvierte er das Noviziat und die theologische Ausbildung. Aus dem begabten Schüler wurde schnell selbst ein Lehrer: In den 1230er unterrichtete Albertus in verschiedenen deutschen Konventen der Dominikaner. Zu seinen Stationen zählten Hildesheim, Freiburg im Breisgau und Regensburg. In dieser Zeit verfasste er sein erstes Hauptwerk: De natura boni (Über die Natur des Guten).

Doch aus diesem Ordenstalent sollte mehr werden, entschieden seine Oberen. Anfang der 1240er sandten sie Albertus als ersten deutschen Dominikaner zum Promotionsstudium an die Universität in Paris. Hier schlug das akademische Herz Europas, hier diskutierte die intellektuelle Elite und tauschte neue Ideen aus. Albertus erhielt hier nicht nur die Doktorwürde, sondern vollendete gleichzeitig sein schriftstellerisches Frühwerk: Seine sechsteiligen "Summa Parisiensis" behandelte unter anderem die Sakramente sowie die Menschwerdung und Auferstehung Christi. Im Jahr 1245 übernahm er den dominikanischen Lehrstuhl für "Nicht-Franzosen" in Paris. In dieser Position zählte er am 15. Mai 1248 auch zu den Unterzeichnern der Verurteilung des Talmud, eines der wichtigsten Traditionswerke des Judentums.

Rückkehr nach Köln

Kurz darauf kehrte Albertus mit seinem begabtesten Schüler Thomas von Aquin nach Köln zurück. Im Auftrag der Ordensleitung baute Albertus dort das erste Generalstudienhaus der Dominikaner im deutschsprachigen Raum auf, aus dem sich später die Universität von Köln entwickelte. Doch ruhiges Arbeiten war Albertus dort nicht vergönnt: Gleich zweimal musste er zwischen dem machtbewussten Erzbischof Konrad von Hochstaden und den nicht minder freiheitsliebenden Kölner Bürgern vermitteln. Im Jahr 1254 war Albertus gezwungen, seine Vorlesungen zeitweise ganz auszusetzen. Als unfreiwilliger Provinzial der deutschen Ordensprovinz zog er zu Fuß quer durch Europa, um Dominikanerklöster zu visitieren und den jungen Orden vor Papst Alexander IV. zu verteidigen. Erst nach Ende seiner dreijährigen Amtszeit konnte Albertus nach Köln zurückkehren.

Trotz allem begann Albertus in diesem bewegten Jahrzehnt sein philosophisches Großprojekt: die Kommentierung des (damals bekannten) aristotelischen Gesamtwerks. Es waren turbulente Zeiten in der europäischen Geisteswelt: Nach Jahrhunderten des Neuplatonismus, einer christlichen Adaption des antiken Philosophen Platon, waren über arabische Übersetzungen Werke des ebenfalls antiken Philosophen Aristoteles wieder auf dem Kontinent aufgetaucht. Durften Christen diesen heidnischen Schriftsteller überhaupt rezipieren? Die einen übernahmen Aristoteles unkritisch, die anderen lehnten ihn vehement ab. Für Albertus waren das beides keine Optionen. Er war überzeugt: Europa braucht Platon und Aristoteles.

Das Fresko "die Schule von Athen" von Raffael zeigt die Philosophen der griechischen Antike.
Bild: ©picture-alliance / akg-images

Aristoteles – ja oder nein? Im 13. Jahrhundert löste die europäische "Wiederentdeckung" des antiken Philosophen heftige Diskussionen aus.

Albertus bemühte sich um eine Verbindung zwischen neuplatonisch geprägter Theologie und Aristoteles. So entwickelte er sich zum kritischen Experten für den heidnischen Philosophen, der dessen Werke zusammenfasste, kommentierte und sogar ergänzte. Albertus' Schriften lesen sich wie eine philosophische Enzyklopädie seiner Epoche. In seiner Auseinandersetzung mit aristotelischer und arabischer Philosophie entwickelte der Dominikaner eigene akademische Visionen: Er schrieb über Logik, Ethik und Metaphysik, aber auch Psychologie und Anthropologie.

"Lieber will ich Dich tot auf der Bahre liegen sehen als auf dem Bischofsstuhl von Regensburg."

Erneut kamen das Lehren und Forschen in Köln zu einem jähen Ende: Anfang 1260 erreichte Albertus ein päpstliches Schreiben, das ihn zum Bischof von Regensburg ernannte. Albertus' Ordensoberer hatte eine klare Meinung dazu und schrieb: "Lieber will ich Dich tot auf der Bahre liegen sehen als auf dem Bischofsstuhl von Regensburg." Doch für Albertus hatte Gehorsam gegenüber dem Papst Vorrang und er übernahm das chaotische Bistum. Er ordnete die Vermögen, leitete Reformen ein und musste wieder als Friedensstifter agieren. Auf seinen Bischofsreisen trug der bescheidene Dominikaner weiterhin die Fußbekleidung der Bauern, was ihm den spöttischen Beinamen "Bischof Bundschuh" einbrachte. Nach nur drei Jahren sah Albertus seine Arbeit als beendet an und reichte beim Papst sein Rücktrittsgesuch ein.

Bild: ©picture alliance/ mageBROKER/BAO

Wie auf diesem Holzschnitt trat Albertus auch als Wanderprediger auf.

Doch schon nach einer kurzen Zeit wissenschaftlicher Aufgaben an der römischen Kurie hatte der Papst eine neue Aufgabe für Albertus und ernannte ihn 1263 zum Kreuzzugprediger für Deutschland und Böhmen. Die Kreuzzugsidee hatte sich damals schon längst überlebt, doch Albertus fügte sich und wanderte predigend durch Europa. Nach dem Tod des Papstes legte Albertus sein ungeliebtes Amt sofort nieder. Doch immerhin konnte er die langen Reisen nutzen – zur intensiven Naturbeobachtung.

Denn auch auf diesem Gebiet hatten Aristoteles' Schriften die europäische Geisteswelt auf den Kopf gestellt. Während der Neuplatonismus dazu tendierte, die Welt als eine nicht zu fassende und sich stets verändernde Realität zu verstehen, war Aristoteles von ihrer Untersuchbarkeit überzeugt. Seine systematischen Kategorisierungen machen ihn zu einem antiken Vorgänger moderner Wissenschaftler. Auch Albertus war von diesem empirischen Ansatz überzeugt und versuchte ihn mit großem Aufwand auch seinen Zeitgenossen nahezubringen. Damit legte Albertus überhaupt erst die argumentativen Grundlagen für das, was heute als Naturwissenschaften gilt.

Vom Wissenschaftler zum Magier

Kaum eine Disziplin, mit der sich Albertus nicht auseinandersetzte: Als Geograph wies er nach, dass die Erde eine Kugel sein müsse, er kategorisierte detailliert die europäische Tier- und Pflanzenwelt, verfasste mathematische Schriften und besaß ein eigenes physikalisches Labor. Anstatt wie damals üblich überlieferten Autoritäten einfach zu glauben, prüfte der kritische Albertus selber und führte zahllose Experimente durch. Daneben blieb er begeisterter Theologe, dessen Bibelauslegungen statt nach (neuplatonischen) Allegorien nach dem Literalsinn suchten.

Dass volkstümliche Legenden ausgerechnet Albertus zu einem zwielichtigen Magier erklärten, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. So unterschied er in der Sternenkunde zwischen magischer Astrologie und nüchterner Astronomie, um Letztere wissenschaftlich untersuchen zu können. Und Albertus war zwar tatsächlich fasziniert von Chemie und Mineralogie, sah die vergeblichen Bemühungen goldgieriger Alchemisten jedoch kritisch.

Bild: ©picture-alliance/akg-images

Im Schatten seines berühmten Schülers Thomas von Aquin

Nach weiteren Stationen in Würzburg, Straßburg und Pommern lehnte Albertus eine erneute Lehrstuhlberufung nach Paris ab und kehrte 1270 nach Köln zurück, wo er ein letztes Mal im Machtkampf zwischen dem Erzbischof und Bürgern der freien Reichsstadt vermitteln musste. Er starb am 15. November im Kölner Dominikanerkloster. Mit der Zeit verhallte der Ruhm des großen Universalgelehrten – er verschwand im Schatten seines berühmten Schülers Thomas von Aquin.

Albertus habe eine redende Bildsäule gezaubert, die sein Schüler Thomas zerstörte, so fasste es der Volksglaube sinnbildlich in einer Legende zusammen. Bis ins 19. Jahrhundert kursierten magische Texte, die irrtümlich Albertus zugeschrieben wurden. Erst Papst Pius XI. entdeckte diese "Säule der Gelehrsamkeit" wieder: Am 16. Dezember 1931 sprach er Albertus heilig und erklärte ihn zum Kirchenlehrer.

Von Valerie Mitwali