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1 Einleitung

Das Völkerrecht stellt die Summe der Regeln über die Beziehungen zwischen Staaten, internationalen Organisationen, anderen Völkerrechtssubjekten untereinander und der für die Völkerrechtsgemeinschaft relevanten Rechte und Pflichten des Einzelnen dar. Traditionell ging es dabei um die Bindungen von Staaten nach außen. Seit 1945 entwickelt sich das internationale Recht in eine Richtung, die zunehmend auch die Bindung staatlicher Gewalt nach innen in den Blick nimmt. Hier prägen vor allem die Menschenrechte das Völkerrecht. Als (passive) Schutzobjekte des Völkerrechts können Individuen schon länger identifiziert werden. Als aktive Völkerrechtssubjekte hingegen gelten Einzelpersonen erst, seit ihnen unmittelbare Klagebefugnis im Rahmen von zwischenstaatlichen (regionalen) Menschenrechtsschutzverträgen eingeräumt wurde sowie der Normierung individueller internationaler Strafrechtsverantwortlichkeit (Völkerstrafrecht). Was den räumlichen Geltungsbereich des Völkerrechts angeht, so lässt sich zwischen universellem, d. h. weltweit geltendem Völkerrecht wie der UN-Charta und regional geltendem Völkerrecht, wie etwa der Europäischen Konvention für Menschenrechte, unterscheiden.

Dabei herrschen grundsätzlich zwei leitende Prinzipien, die dem Völkerrecht als einem „Koordinationsrecht unter Gleichen“ seinen Geltungsgrund verschaffen: Das Konsensprinzip besagt, dass Rechte und Pflichten grundsätzlich aus zwischenstaatlichen (bi- oder multilateralen) Vereinbarungen entstehen. Das Prinzip der Gegenseitigkeit, das Staaten zur Rechtstreue treibt, beruht auf dem politischen Risiko, selbst einmal auf die Einhaltung einer vertraglichen Regel durch das Gegenüber angewiesen zu sein.

Die Bedeutung des Völkerrechts reicht dabei von der Ordnungsfunktion der Stabilisierung zwischenstaatlicher (Rechts-)Beziehungen, über die Prävention, Beilegung und Nachsorge von Konflikten, bis hin zum Schutz der Menschenrechte (Herdegen 2015, S. 44–46). Hierzu kamen und kommen nach und nach Bereiche wie der Aufbau einer Weltwirtschaftsordnung oder der (globale) Umweltschutz. In jedem Fall ist das Völkerrecht eine Ordnung, die auf Werten basiert. Dies lässt sich aus der Gesamtschau der UN-Charta, der Rechtsprechung internationaler Gerichte, Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung sowie einem weitgespannten Netz multilateraler Verträgen erkennen. Aufgrund seines dezentralen Charakters weist das Völkerrecht nicht den Grad an Einheitlichkeit und Geschlossenheit eines nationalen Rechtssystems auf. Die zunehmende Diversifikation, Expansion und damit einhergehende, potentielle Fragmentierung des Völkerrechts in voneinander mehr oder weniger unabhängige Einzelbereiche, ist in den letzten Jahren verstärkt diskutiert worden.

2 Historie

Der Beginn der modernen Völkerrechtsgeschichte fällt mit dem Westfälischen Frieden von 1648 zusammen: Nach dem Ende des mittelalterlichen Personalverbandes markierte der Westfälische Friede die Geburtsstunde des heutigen souveränen Territorialstaates. Reichsstände konnten nun auswärtige Bündnisse schließen und das Völkerrecht entstand als Ordnungssystem voneinander unabhängiger Nationalstaaten. Was damals als ausschließlich auf dem Willen von Staaten beruhendes System begann und de facto auf einem Kriegsführungsrecht basierte, entwickelte sich nach und nach weiter (Peters 2012, S. 13). Das Dogma der moralischen Neutralität von Krieg und Frieden (Stein und von Buttlar 2012, S. 6), das jede militärische Interessendurchsetzung als legitim betrachtete, wurde zugunsten internationaler Ideen durchlässiger. Durch zahlreiche (Handels-)Verträge entstand ein stärkerer Kooperationscharakter, der erste internationale Organisationen wie etwa die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (1815 bzw. 1831, Mannheimer Akte) oder 1874 den Weltpostverein hervorbrachte. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Völkerbund als ein von der Weltfriedensidee getragener Verband und als zeitgeschichtlicher Vorläufer der Vereinten Nationen geschaffen. Ein weiterer Versuch die internationale Ordnung zu stabilisieren, war der Briand-Kellogg-Pakt von 1928: Ein Vertrag zur Ächtung des Krieges, der zur Grundlage des späteren Gewaltverbots der UN-Charta wurde. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges wurden auf der Grundlage des Verbots militärischer Gewalt zwischen Staaten (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta – als Gewaltverbot geht dieses umfassendere Verbot noch über das Kriegsverbot des Briand-Kellogg-Pakts hinaus) die Vereinten Nationen geschaffen. Eine Relativierung des Prinzips staatlicher Souveränität erlaubte insbesondere das in der Charta verankerte System kollektiver Sicherheit. Dieses blieb aber in der Zeit des Kalten Krieges und der dadurch bedingten Blockade des Sicherheitsrates, zunächst weitgehend wirkungslos.

Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs begünstigte auch den (konzeptuellen) Siegeszug der internationalen Menschenrechte und ging der Dekolonisierung voraus. Letzteres entfachte die Tendenz, die euro-zentristische Interpretation der Völkerrechtsgeschichte als zumindest unvollständig zu verwerfen (Fassbender und Peters 2013, S. 2). Nachdem der UN-Sicherheitsrat seit 1989 wieder handlungsfähig(er) wurde, stellte den nächsten Wendepunkt der internationalen Ordnung die durch die Globalisierungstendenzen initiierte Entstehung von Global-Governance-Regimen dar. Das originäre Völkerrechtssubjekt – der Staat – verlor als Konzept durch den globalisierungsbedingten Verlust an Einflussmöglichkeiten teilweise an Bedeutung. In jedem Fall ist zu konstatieren, dass sich entgegen der gängigen Meinung einer progressiven Linearität des Völkerrechts, ein großer Teil seiner Geschichte nicht ohne Antipode schreibt: Der Schutz und die Verbreitung von Interessen und Werten dominierte – wie jede annähernd politische Materie – auch die Geschichte des Völkerrechts (Koskenniemi 2002, S. 3).

3 Rechtsquellen

In Abwesenheit einer internationalen Legislative erzeugen im Völkerrecht in erster Linie die Nationalstaaten das Recht. Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs kodifiziert die einzelnen Rechts(entstehungs)quellen.

3.1 Völkerrechtliche Verträge, Art. 38 I lit. a IGH-Statut

Eine zentrale Rechtsquelle des Völkerrechts sind internationale Verträge: Ein rechtsgeschäftliches Zusammenwirken zwischen Staaten. Erforderlich ist demnach ein Konsens, der sich sowohl bi- als auch multilateral bilden kann. Dass völkerrechtliche Verträge die wichtigste – und deshalb auch die erstgenannte – Rechtsquelle sind, symbolisiert nicht zuletzt den Primat des politischen Staatswillens in der internationalen Ordnung und die Souveränitätsdynamik, die sie beherrscht. Die Regeln über den Abschluss, die Geltung und Beendigung völkerrechtlicher Verträge sind ihrerseits kodifiziert: In der Wiener Konvention über das Recht der Verträge von 1969 (WVK), der Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen von 1986 (WVKIO) und im Wiener Übereinkommen über die Staatennachfolge in Verträge von 1978 (WÜSV). Die mit Abstand größte Bedeutung kommt dabei der WVK zu. Sie enthält die grundlegendsten Regelungen über völkerrechtliche Verträge und kodifiziert in weiten Teilen schon vor 1969 bestehendes Völkergewohnheitsrecht. Zentral für das Vorliegen eines völkerrechtlichen Vertrags ist hiernach der Wille des Völkerrechtssubjekts, sich rechtlich zu binden, also die „intendierte Verbindlichkeit der Absprache“. Hiervon zu unterscheiden sind unverbindliche „Memoranda of Understanding“ (MOUs) und sogenannte gentlemen’s agreements (politische Absichtserklärungen). Die WVK enthält weiterhin Regeln zur Wirksamkeit, Auslegung, Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und Kündigung von Verträgen sowie zur Zulässigkeit von Vorbehalten. Die beiden tragenden Säulen der Konvention bilden die Rechtsprinzipien der Vertragsfreiheit und der Vertragsbindung. Das Völkerrechtssubjekt – im Regelfall der Staat – darf sich frei entscheiden, ob, wann, mit wem und worüber es einen Vertrag abschließt. Auch die Regeln der WVK sind letztlich dispositiv und damit verhandelbar. Die wichtigste Einschränkung dieses völkerrechtlichen Äquivalents der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit zwischen Privatrechtssubjekten stellt das „zwingende Völkerrecht“ (jus cogens) dar. Dies sind Regeln, die für das grundlegende Zusammenleben der Staaten unabdingbar sind, damit nicht zur Disposition stehen und deshalb jegliche entgegenstehende Vereinbarung verbieten. Welche konkreten Regeln Teil dieses Kanons sind, ist nicht klar definiert. Ihre Anzahl ist aber gering und beinhaltet jedenfalls das Gewaltverbot, elementare Menschenrechte, das Verbot des Völkermords, der Rassendiskriminierung sowie das Verbot des Sklavenhandels. Ein in Kraft getretener Vertrag muss nach Treu und Glauben erfüllt werden (pacta sunt servanda).

Da viele Normen der WVK parallel auch Normen des Völkergewohnheitsrechts darstellen, finden sie so Eingang in die Vertragspraxis fast aller Staaten. Obwohl kaum 60 % der Staaten die WVK ratifiziert haben, spielen die in ihr enthaltenen Regelungen deshalb auch zwischen Nicht-Vertragsstaaten, wie auch in Bezug auf völkerrechtliche Verträge die vor dem Inkrafttreten der WVK geschlossen wurden, eine große Rolle.

3.2 Völkergewohnheitsrecht, Art. 38 I lit. b IGH-Statut

Das Völkergewohnheitsrecht kann universell oder aber nur für eine bestimmte Region gelten. Es besteht aus zwei Elementen: Einerseits einer allgemeinen Übung (Staatenpraxis bzw. consuetudo) und andererseits deren Anerkennung als rechtlich gebotene Praxis (opinio juris). Die Spannbreite der „allgemeinen Übung“ umfasst dabei jegliches staatliche Handeln und gegebenenfalls sogar Unterlassen. Beispiele hierfür sind Verwaltungsakte, Gesetzgebungsakte, Entscheidungen und andere Akte der Justiz sowie vor allem auch völkerrechtliche Verträge (Zimmermann et al. 2012, S. 815). Um die Voraussetzungen zu erfüllen, muss die Praxis drei Merkmale aufweisen: Dauerhaftigkeit, Einheitlichkeit und Verbreitung, d. h. der überwiegende Teil der betroffenen Staaten muss an der Praxis beteiligt sein. Diese Kriterien müssen allerdings relativ zu der in Rede stehenden Praxis beurteilt werden, weshalb die Qualifizierung einer Norm als Gewohnheitsrecht sehr umstritten sein kann.

Die Übung muss darüber hinaus auch als rechtlich geboten anerkannt sein. Regeln, die ausschließlich aus diplomatischer Höflichkeit (courtoisie) oder politischer Opportunität befolgt werden, genügen diesem Maßstab nicht. Wichtig ist eine übereinstimmende Grundhaltung der Staatengemeinschaft (Stein und von Buttlar 2012, S. 41). Die rechtliche Meinung eines einzelnen Staates ist irrelevant. Ein Staat kann aber durch ausdrücklichen und beharrlichen Protest (für sich selbst) die Bindung an entstehendes Gewohnheitsrecht ausschließen (persistent objector). In einem solchen, auf der Grundlogik der Staatensouveränität basierenden Fall, fehlen bezüglich des protestierenden Staates beide Entstehungsvoraussetzungen des Gewohnheitsrechts. Dieser Schutz greift aber nicht, wenn ein Staat die Bildung einer Norm schweigend hingenommen hat.

3.3 Allgemeine Rechtsgrundsätze, Art. 38 I lit. c IGH-Statut

Die allgemeinen Rechtsgrundsätze, welche die Verträge und das Gewohnheitsrecht bei lückenhafter Rechtslage ggf. ergänzen, werden aus den nationalen Rechtsordnungen (bzw. deren grundlegenden Wert- und Systementscheidungen) entlehnt. An dieser Stelle sei auf das Problem hingewiesen, dass diese Prinzipien zumeist dem kontinental-europäischen sowie anglo-amerikanischen Rechtsraum entliehen sind und durch die Kolonialgeschichte globale Ausbreitung fanden. Auf euro- und anglo-zentristische Legitimitätsdiskussionen sei hier aber nur verwiesen (Fassbender und Peters 2013, S. 4). Den relevantesten allgemeinen Rechtsgrundsatz stellt der Grundsatz von Treu und Glauben dar. Ein genauer Abriss dieses Grundsatzes ist aufgrund seines kasuistischen Charakters schwierig. In jedem Fall umfasst er aber das Verbot des Rechtsmissbrauchs und den Einwand des widersprüchlichen Verhaltens. Weitere nationale Prinzipien dieser Art sind z. B. die Schadensersatzpflicht bei Vertragsverletzungen, die Erstattung ungerechtfertigter Bereicherung, Verjährung und grundsätzliche Billigkeitserwägungen.

3.4 Hilfsquellen, Art. 38 I lit. d IGH-Statut

Keine eigenständigen Rechtsquellen, sondern vielmehr sogenannte „Rechtserkenntnisquellen“, stellen richterliche Entscheidungen und „Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler“ dar. Hierbei handelt es sich um Auslegungshilfen. Denn Entscheidungen internationaler Gerichte können zwar kein Völkerrecht erzeugen (sie wenden es nur an), gleichwohl stellen internationale Gerichte durchaus relevante Akteure im Fortentwicklungsprozess des internationalen Rechts dar. Insbesondere IGH-Entscheidungen können – z. B. durch die Qualifizierung einer Norm als Völkergewohnheitsrecht – Klarheit schaffen und als Entwicklungskatalysator wirken. Die Völkerrechtslehre als zweite Auslegungshilfe spielt vornehmlich als Nachweis für die Existenz von Gewohnheitsrecht eine Rolle, soweit sie eine allgemeine Rechtsüberzeugung widerspiegelt.

4 Akteure

Völkerrechtssubjekte sind die Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten. Sie sind dem Völkerrecht als Ordnung unmittelbar unterworfen. Wer diese Beschreibung erfüllt, ist eine der Dynamik der Rechtsentwicklung unterworfene Frage. Während traditionell in erster Linie die Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkannt waren, hat sich seit 1945 die Zahl der Akteure mit (partieller) Völkerrechtssubjektivität erhöht.

4.1 Der Staat

Die Staaten sind nach wie vor die zentralen Akteure und die einzigen originären Rechtssubjekte der internationalen Ordnung. Staatlichkeit bestimmt sich nach ganz einhelliger Meinung nach der sogenannten Drei-Elemente-Lehre (Jellinek 1914, S. 369). Danach ist ein Staat ein Herrschaftsgebilde, das auf einem Staatsgebiet über ein Staatsvolk effektive Staatsgewalt ausübt. Ein Staatsvolk ist die Summe der Staatsangehörigen innerhalb einer Herrschaftsordnung. Sprache, Ethnie und Kultur spielen keine Rolle, wobei ein Minimum an Zusammengehörigkeit(sgefühl) im Rahmen eines Personenverbands wohl vorausgesetzt werden kann. Das Staatsgebiet ist das Territorium des Staates, also ein Segment der Erdoberfläche inklusive darüber liegender Luftsäule und darunterliegendem Erdreich einschließlich des Küstenstreifens von 12 Seemeilen (Herdegen 2015, S. 75–76). Territoriale (Grenz)streitigkeiten spielen für die Feststellung des Vorhandenseins eines (Kern-)Staatsgebiets keine Rolle. Effektive Staatsgewalt liegt vor, wenn die Organe des Herrschaftsgebildes in der Lage sind, staatliche Ordnungsfunktionen wahrzunehmen, also sowohl das System nach innen aufrechtzuerhalten, als auch nach außen handlungsfähig zu sein. Die Staatsform – Demokratie oder Diktatur – ist hierbei irrelevant. Ausschlaggebend für die Feststellung von Staatlichkeit ist allein die effektive Kontrolle über Gebiet und Volk. Bürgerkriege, soziale und politische Unruhen, schwere Krisen sowie selbst der weitgehende Wegfall staatlicher Hoheitsgewalt führen nicht zum Verlust der Staatsqualität. Obwohl in Somalia in den 1990er - Jahren über Jahre keine effektive Herrschaftsgewalt ausgeübt wurde, wurde die (fortbestehende) Staatlichkeit Somalias in diesem Zeitraum nicht bezweifelt. Entscheidend bestimmt wird diese Logik von dem Wunsch nach Rechtssicherheit in den internationalen Beziehungen und dem stabilen Bestand von Rechtssubjekten der internationalen Ordnung. Für eine bestimmte Übergangszeit kann die Staatsgewalt demnach fingiert werden.

Auch für die Entstehung eines Staates sind die Voraussetzungen der Drei-Elemente-Lehre zu prüfen. Da auf der Erde kein unbeanspruchtes Territorium mehr für die originäre Staatsgründung zur Verfügung steht, ist nur noch eine Veränderung der bestehenden Staatsaufteilung möglich. Die Entstehung neuer Staaten ist auf mehreren Wegen denkbar. Zunächst ist zwischen den Optionen der Integration (Zusammenschluss bestehender Staaten) und der Desintegration (Teilung eines zuvor einheitlichen Staates) zu unterscheiden. Eine Integration kann wiederrum zum einen durch eine gleichrangige Fusion (Bildung eines Neustaates durch bestehende/alte Staaten) oder eine Inkorporation (Aufnahme eines oder mehrerer Staaten durch einen „Grundstaat“) zustande kommen. Beispiele für eine Fusion waren die Entstehung der „Vereinigten Arabischen Republik“ durch den Zusammenschluss Ägyptens und Syriens 1958 oder die Gründung des Deutschen Reiches 1871. 1990 wurde die DDR von der BRD inkorporiert.

Auch bei einer Dismembration (Aufteilung, Zergliederung) erringen die einzelnen abgespaltenen Gebilde Staatsqualität und Völkerrechtspersönlichkeit, wobei allerdings der bisherige Staat untergeht (Aufspaltung der Tschechoslowakei in die Tschechische und Slowakische Republik 1993). Die Sezession unterscheidet sich von der Dismembration insofern, als dass ungeachtet der Abspaltung eines Teilgebiets von einem Staat der bisherige Staat erhalten bleibt. Die Sezession des Südsudan vom Sudan im Jahr 2011 ist beispielhaft. Im September 2014 wurde in Schottland ein Referendum über eine mögliche Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich abgehalten, dessen Folgen ähnlich hätten ausfallen können. Umstritten ist die Frage nach einem Recht auf Abspaltung in Fällen in denen – anders als etwa im Falle des Schottland-Referendums – der Gesamtstaat in eine solche Sezession nicht einwilligt. Ein generelles Recht auf Abspaltung sieht das Völkerrecht nicht vor. Diskutiert wird allerdings, ob es in Extremfällen, namentlich bei schwersten Menschenrechtsverletzungen und massiver Unterdrückung ein Recht auf Abspaltung gibt. Der IGH hat diese Frage im Falle des Kosovo offengelassen. Im Falle der Abspaltung der Krim von der Ukraine 2014 fehlte es bereits an den Voraussetzungen eines solchen Rechts.

Auch der Untergang von Staaten richtet sich nach den oben genannten drei Elementen. Allerdings entfaltet sich gerade hier das oben angesprochene Bestandsinteresse der Staatengemeinschaft. Erst nachdem nachgewiesen ist, dass es keinerlei Möglichkeit mehr gibt, den Elemente-Dreiklang (insbesondere die Staatsgewalt) wieder herzustellen, gilt die Völkerrechtssubjektivität als verloren. Wie am Beispiel des gescheiterten Staates Somalia bereits dargestellt wurde, sieht die Staatengemeinschaft, selbst im Falle eines vollständigen Wegfalls der Staatsgewalt über einen längeren Zeitraum, diese Möglichkeit noch nicht notwendigerweise als ausgeschlossen an. Innere Veränderungen von Regierungssystemen spielen für den Fortbestand des Staates als Völkerrechtssubjekt keine Rolle; auch nicht wenn Revolutionen gänzlich veränderte Strukturen hervorbringen. Genauso wenig spielen militärische Kapitulationen und Besatzungen eines Territoriums, wie etwa die alliierte Besatzung Deutschlands 1945, eine Rolle. Eine bei territorialen und politischen Umstrukturierungen immer wieder diskutierte Frage, ist die nach der (Relevanz einer) Anerkennung neuer Herrschaftsgebilde durch die Staatengemeinschaft sowie durch einzelne Staaten. Das Völkerrecht verleiht einer einzelstaatlichen Anerkennung keine konstitutive, sondern lediglich deklaratorische Wirkung. Die mehrheitliche Anerkennung innerhalb der Staatengemeinschaft kann allerdings insoweit konstitutiv wirken, als sie Zweifel bezüglich der Staatsqualität ausräumen kann.

4.2 Internationale Organisationen

Internationale Organisationen (IOs) sind durch völkerrechtlichen Vertrag zwischen mehreren Völkerrechtssubjekten errichtete, auf Dauer angelegte Institutionen, die mithilfe ihrer Organe die ihnen zugewiesenen (überstaatlichen) Aufgaben wahrnehmen. Ihr Aufgabenspektrum und mithin ihre Bedeutung wachsen mit fortschreitender Globalisierung und spiegelbildlich zu der globalisierungsbedingten Abnahme einzelstaatlicher Wirkungsmacht. Abgesehen von frühen Formen internationaler Organisationen wie etwa der Flusskommissionen des 19. Jahrhunderts, beginnt ihre moderne Geschichte mit dem Völkerbund (1920) und der Internationalen Arbeitsorganisation (1919). Heute stellen die Vereinten Nationen und die (supranationale) Europäische Union eine bemerkenswerte Weiterentwicklung dar. Um als internationale Organisation qualifiziert zu werden, bedarf es a) eines Gründungsvertrages zwischen mindestens zwei Völkerrechtssubjekten und b) der inneren Fähigkeit durch ihre Organe einen nach außen umsetzbaren Willen zu bilden. Der Gründungakt stellt den Aufbau sowie die durch die Organisation dauerhaft zu erfüllende(n) Aufgabe(n) (Organisationszweck) und das hierfür erforderliche Verfahren fest. Hier besteht ein erheblicher Unterschied zwischen den verschiedenen IOs: Die Spannbreite der zugewiesenen Aufgaben und Kompetenzen reicht von ausschließlichen Koordinierungsaufgaben (OECD) bis zur supranationalen Wahrnehmung genuiner Ordnungsfunktionen (EU). Die Handlungsformen der IOs reichen demnach ebenfalls von unverbindlichen Empfehlungen (Resolutionen der UN-Generalversammlung) bis zu durchsetzbaren Zwangsentscheidungen (Friedenssicherungsmaßnahmen des Sicherheitsrats) und – im Falle der EU – Rechtsakten mit unmittelbarer Geltung in den innerstaatlichen Rechtsräumen der Mitgliedstaaten (EU-Verordnungen).

Internationale Organisationen haben partielle Völkerrechtssubjektivität. Diese kann ihnen entweder in ihrem Statut ausdrücklich verliehen werden (wie etwa in Art. 47 EUV bzgl. der EU) oder sich aus der Rechte- und Pflichtenzuweisung implizit ergeben (wie im Falle der Vereinten Nationen). Im Gründungsvertrag ist häufig auch die Grundlage für die Privatrechtssubjektivität der Organisation angelegt, um in dem Land, in dem sie errichtet wurde am nationalen Rechtsverkehr teilzunehmen (z. B. Grundstücke zu mieten). Diese nationale Rechts- und Geschäftsfähigkeit wird zur Wahrung der Funktionalität der Organisation aber zumindest als implied power verstanden.

Was den inneren Aufbau angeht, so findet sich meist ein repräsentatives Hauptorgan, also ein Organ in dem alle Mitglieder vertreten sind (UN-Generalversammlung) und in dem grundsätzlich das Prinzip der souveränen Gleichheit herrscht. De facto-Unterschiede (z. B. Größe der Bevölkerung, politisches Gewicht, Finanz- und Wirtschaftskraft etc.) werden teilweise durch andere Organe (UN-Sicherheitsrat) oder eine unterschiedliche Stimmengewichtung (EU) ausgeglichen. Die äußere Handlungsfähigkeit wird durch Exekutivorgane sichergestellt (UN-Sekretariat, EU-Kommission). Weit entwickelte Organisationen besitzen häufig ein für die Streitbeilegung zuständiges Justizorgan (Gerichte wie der IGH und der EuGH). Auch die Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung in IOs können je nach Organisation ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Beitragszahlungen werden meist jährlich nach einer bestimmten Quote festgesetzt und können sowohl auf finanzieller Leistungsfähigkeit basieren, als auch ein fester Anteil am Gesamthaushalt der Organisation oder am BIP sein.

4.3 NGOs

Nicht-staatliche Organisationen (eng. Non-Governmental Organisations (NGOs)) sind privatrechtliche Gebilde, die international in unterschiedlichsten Themengebieten arbeiten und wirken. Zu ihren Betätigungsfeldern gehören unter anderem die Menschenrechte (Amnesty International, Human Rights Watch), Entwicklung (Brot für die Welt), und der Umweltschutz (Greenpeace). Zwar fehlt NGOs die Völkerrechtssubjektivität. Besondere Bedeutung haben allerdings NGOs, denen durch einen Beobachter- oder Konsultativstatus bei internationalen Organisationen prozedurale und materielle Mitwirkungsrechte verliehen wurden. Ebenfalls als Parallelentwicklung zur Globalisierung – und zwar als Gegentendenz zum Machtausbau internationaler Organisationen – symbolisiert das zunehmende Maß an relevanter NGO-Arbeit den Bedeutungsgewinn der internationalen Zivilgesellschaft. Ob das einen Zuwachs an demokratischer Legitimation im Bereich Global Governance oder ein Defizit darstellt, da NGOs keine prozess-demokratische Legitimation besitzen, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Ihre Funktion erfüllen sie jedenfalls hauptsächlich auf zwei Aktivitätsebenen: a) Fact-Finding: Sogenannte „Schattenberichte“, wie etwa im Bereich der Menschenrechte die Berichte von Amnesty International, spielen als Gegengewicht zu den oft euphemistischen Staatenberichten beim UN-Menschenrechtsrat in Genf eine instrumentale Rolle. b) Standard-Setting: Durch Hinweise auf Problemstellungen und die Ausarbeitung von Mindeststandards, diesbezüglicher Lobbyarbeit bei staatlichen und internationalen Entscheidungsträgern und gesellschaftliche Aufklärungsarbeit, nehmen NGOs zum Teil erheblichen Einfluss auf internationale Rechtsetzungsprozesse. Insbesondere die Vereinten Nationen multiplizieren diesen Effekt durch institutionalisierte Mitwirkungsrechte in relevanten Gremien und auf multilateralen Konferenzen.

4.4 Andere Akteure

Neben Staaten, internationalen Organisationen und NGOs gibt es noch eine begrenzte Anzahl anderer (partieller) Völkerrechtssubjekte.

  1. 4.4.1

    Das Individuum ist heute als Völkerrechtssubjekt anerkannt. Während auf völkerrechtlicher Ebene Rechte von Einzelpersonen lange Zeit alleine (mediatisiert) durch den Staat geltend gemacht werden konnten, gibt es heute zahlreiche völkerrechtliche Regeln, die dem Individuum unmittelbar Rechte und Pflichten verleihen. Bezüglich der Rechte sind hier vor allem die Menschenrechte zu nennen. Besonders deutlich wird der Subjektcharakter des Einzelnen, wenn das Völkerrecht es ihm ermöglicht vertragliche Rechte vor internationalen Gerichten einzuklagen bzw. vor internationalen Kommissionen geltend zu machen. Eine große Rolle spielen hier die Individualbeschwerde der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie das Beschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsausschuss des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte. Individuelle Verantwortlichkeiten kristallisieren sich deutlich im Völkerstrafrecht heraus, im Rahmen dessen Individuen vor diversen internationalen Strafgerichten und Tribunalen für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen bestraft werden können. Die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio legten nach dem zweiten Weltkrieg hierfür den Grundstein und führten über die durch den Sicherheitsrat ad hoc eingerichteten Straftribunale für Jugoslawien und Ruanda zur Einrichtung des permanenten Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Da die rechtliche Einbeziehung des Individuums in Völkerrechtsstrukturen allerdings immer noch nur auf Teilbereiche beschränkt ist, spricht man von einer partiellen Völkerrechtssubjektivität.

  2. 4.4.2

    Multinationale Unternehmen (eng. Multinational Corporations (MNCs)) sind international hoch relevante Akteure. Dies wirft zweierlei Fragen auf: Einerseits nach den Rechten der MNCs in Staaten, in denen sie tätig sind (Schutz vor Enteignungen), und andererseits nach den die Wirkungsmacht dieser Unternehmen einhegenden (insb. menschen- und umweltrechtlichen) Pflichten. Nach herrschender Meinung kommt den MNCs bislang allerdings keine Völkerrechtssubjektivität zu. Dies führt zu der Problematik, dass ein Gaststaat einem (nach nationalem Recht geschlossenen) Vertrag mit einem MNC durch Änderung seines nationalen Rechts die Grundlage entziehen kann, weswegen MNCs an völkerrechtlichen Stabilisierungsklauseln interessiert sind (Stein und von Buttlar 2012, S. 171). Zwischenstaatliche Investitionsschutzabkommen, d. h. völkerrechtliche Verträge die zwischen Staaten zum Schutz von MNCs abgeschlossen werden, können diese Schutzlücke schließen. Völkerrechtlich interessant ist vor allem auch die Frage nach den Pflichten wirkmächtiger MNCs. Das Bestreben MNCs Völkerrechtssubjektivität zuzuerkennen, basiert auch auf dem Wunsch, sie unmittelbar an internationale Standards in den Bereichen Menschenrechte, Transparenz, Korruptionsbekämpfung und Umweltschutz zu binden. In diesem Zusammenhang sind in der jüngeren Vergangenheit – unterhalb der Schwelle des bindenden Völkerrechts – eine Reihe von Verhaltenskodizes und Kontrollmechanismen erstellt worden: z. B. der auf Selbstverpflichtung beruhende UN Global Compact oder die OECD-Guidelines for Multinational Enterprises. Grundlegendes Prinzip all dieser Bemühungen ist das vor allem in den letzten Jahren an Bedeutung gewinnende Prinzip der „corporate social responsibility“. Dieses Prinzip materialisiert sich deutlich in den „Guiding Principles on Business and Human Rights“, die vom UN-Sonderberichterstatter John Ruggie aufgestellt wurden. Die Machtdynamiken ändern sich allerdings nur langsam. Unverbindliche Empfehlungen und Feststellungen dominieren die Materie.

  3. 4.4.3

    Der Heilige Stuhl (nicht zu verwechseln mit dem Staat Vatikanstadt) besitzt traditionell Völkerrechtspersönlichkeit. Er unterhält diplomatische Beziehungen mit den meisten Staaten und hat Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen. Eine seiner wichtigsten Rollen ist die Schlichtung bei zwischenstaatlichen Streitigkeiten, erwachsen aus der Schiedsrichterrolle des Papsttums im Mittelalter (Kempen und Hillgruber 2012, S. 47–48). Die katholische Kirche hat damit, verglichen mit anderen Religionen, eine herausgehobene Stellung im Völkerrecht.

  4. 4.4.4

    Partielle Völkerrechtssubjektivität besitzt auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), ein privatrechtlicher Verein in der Schweiz. Gegründet wurde das IKRK 1863 von Henry Dunant, der 1901 den ersten jemals verliehenen Friedensnobelpreis erhielt. Das IKRK selbst wurde im Laufe der Zeit für seine humanitäre Arbeit ebenfalls bereits dreimal mit dem Preis ausgezeichnet. Durch das III. und IV. Genfer Abkommen des humanitären Völkerrechts sowie das I. Zusatzprotokoll wurden ihm eigene humanitäre Aufgaben und Kompetenzen in bewaffneten Konflikten übertragen. Mit Sitz in Genf und 80 internationalen Vertretungen, arbeitet es in über 50 Staaten und stellt damit eine der wichtigsten globalen Hilfsorganisationen und den zentralen Akteur im Bereich des humanitären Völkerrechts dar.

  5. 4.4.5

    Aufständischen und Befreiungsbewegungen wird in Zeiten bewaffneter Konflikte ebenfalls eine eingeschränkte Völkerrechtssubjektivität zuerkannt. Ziel ist die Bindung dieser Entitäten an das humanitäre Völkerrecht.

5 Zentrale Regelungsbereiche

Obwohl das Völkerrecht keine willkürliche Sammlung von Normen ist und auch durchaus sinnvolle hierarchische Beziehungen zwischen einzelnen Normen bestehen, steht es in seiner Einheitlichkeit den nationalen Rechtsordnungen in weiten Teilen nach (Koskenniemi 2006, S. 7). In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kam es zu einer zunehmenden Vergrößerung des Umfangs des Völkerrechts aufgrund fortschreitender Globalisierung und damit einhergehenden globalen Problemstellungen, die nach internationalen Lösungsansätzen verlangten. Da der internationalen Ordnung eine zentrale legislative Hauptinstanz – „ein Parlamentsäquivalent“ – fehlt, wurden Probleme dezentral und teilweise unkoordiniert geregelt, was zu einer gewissen Fragmentierung des Völkerrechts führte. Statt einem kohärenten Regelungssystem finden sich nun zahlreiche internationale Bereiche mit eigenen Prinzipien und Institutionen. Diese Entwicklung bringt zwei Phänomene hervor: sogenannte self-contained regimes, d. h. mehr oder weniger geschlossene und alleinstehende Regelungsregime sowie regional oder funktional beschränkte Vertragssysteme. Es wird sich zeigen, inwiefern diese Diversifikationsdynamik den Herausforderungen einer pluralistischen Welt konstruktiv begegnen und zur Schaffung eines größeren kohärenten Korpus des allgemeinen Völkerrechts beitragen kann.

5.1 Verfassung

Die Vorstellung eines Rechtssystems beginnt gewöhnlich mit seiner Verfassung. Eine solche fehlt dem Völkerrecht. Die Charta der Vereinten Nationen kommt dem Konzept einer internationalen Verfassung am nächsten. Grund dafür ist die hohe Dichte von besonders grundlegenden Normen. Insbesondere die Prinzipien des Art. 2 UN-Charta – vor allem die souveräne Gleichheit aller Staaten und das Gewaltverbot – können als völkerrechtliche Grundprinzipen betrachtet werden. Gemäß ihrem Art. 103 geht die Charta auch allen völkerrechtlichen Verträgen vor. Die Tatsache, dass aktuell 193 Staaten UN-Mitglieder sind und diesen Vorrang somit anerkannt haben, unterstreicht den universellen Charakter der Charta. Einer Gesamtschau der in der Charta enthaltenen Normen kann durchaus auch ein Anspruch auf „Weltgeltung und Allgemeinverbindlichkeit“ (Peters 2012, S. 139) entnommen werden.

5.2 Regelungsbereiche

Das Völkerrecht umfasst unterschiedlichste Regelungsbereiche von denen im Folgenden nur eine kleine Auswahl dargestellt werden soll.

  1. 5.2.1

    Ein zentraler Bereich des internationalen Rechts ist das Wirtschaftsvölkerrecht. Es regelt die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit von Staaten, aber teilweise auch diejenige von privaten Wirtschaftssubjekten. Im Zentrum der aktuellen Weltwirtschaftsordnung steht die Welthandelsorganisation WTO. Sie fußt auf der Annahme, dass der Abbau von Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen langfristig dem Wohlstand aller Länder zu Gute kommt. Diese Tendenzen der Handelsliberalisierung verfolgen neben der WTO auch regionale Freihandelszonen wie die Europäische Union (im weltweit höchsten Maße), das „North American Free Trade Agreement (NAFTA)“ zwischen den USA, Kanada und Mexiko, der südamerikanische Andenpakt und der Mercosur. Darüber hinaus kommt dem Thema Investitionsschutz im Völkerrecht eine immer größere Bedeutung zu. Bilaterale Investitionsschutzverträge stehen an der Tagesordnung. Inhalt sind meist die Inländergleichbehandlung, Schutzpflichten des Gaststaates und Ausgleichspflichten bei Eigentumsentzug. Hier geht es oft nicht mehr nur um den Schutz getätigter Investitionen, sondern auch um den Zugang zum Markt des Gaststaates. Geschützt werden soll vor Enteignungen und solchen Maßnahmen, die einer solchen de facto gleichstehen. Das International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) legt Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten bei.

  2. 5.2.2

    Ein weiterer zentraler Regelungsbereich des Völkerrechts sind die Menschenrechte, die sich seit dem Ende des zweiten Weltkrieges auf internationaler Ebene rasant entwickelt haben. Der heutige Entwicklungsstand lässt sich zunächst durch eine (vereinfachte) Klassifizierung in drei (teilweise kontroverse) Kategorien beschreiben: Die erste Generation der Menschenrechte sind die politischen und bürgerlichen Rechte (Abwehr- und Freiheitsrechte als Schutz des Einzelnen gegen den Staat), gefolgt von den wirtschaftlich, sozialen und kulturellen Rechten der zweiten Generation, die Gleichheits- und Teilhaberechte darstellen. Die neuste und in Bezug auf die rechtlichen Inhalte umstrittenste dritte Generation der Menschenrechte beinhaltet Gruppenrechte, d. h. Rechte die kollektiv wahrgenommen werden wie z. B. das Recht auf Entwicklung.

    Im Kontext der Menschenrechte spielt das Konzept der Wirkung erga omnes eine wichtige Rolle. Es besagt, dass einige Verpflichtungen von Staaten gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft bestehen und nicht nur gegenüber einzelnen anderen Staaten. Dies gilt für alle Normen des zwingenden Völkerrechts, wozu auch elementare menschenrechtliche Verpflichtungen gehören. Im Falle der Verletzung einer erga omnes-Norm kann somit jedes Mitglied der Staatengemeinschaft den verletzenden Staat zur Rechenschaft ziehen und eine Beendigung der Verletzungshandlung verlangen.

    Schutzsysteme für Menschenrechte existieren sowohl auf universeller als auch auf regionaler Ebene. Auf universeller Ebene gibt es neben der in einer Resolution der Generalversammlung enthaltenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – zusammen werden diese drei Dokumente informell als „International Bill of Human Rights“ bezeichnet noch sieben weitere universelle Menschenrechtsschutzverträge wie etwa das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung oder die Anti-Folterkonvention. Die Einhaltung dieser Verträge wird von unterschiedlich ausgeprägten Berichts- und Beschwerdemechanismen überwacht. Hinzu kommt auf universeller Ebene der UN-Menschenrechtsrat, der im Wege einer universellen, periodischen Überprüfung regelmäßig die Menschenrechtssituation in allen UN-Mitgliedstaaten überprüft und sich im Rahmen der sogenannten „special procedures“ einzelnen Staaten und bestimmten Themen mit besonderer Aufmerksamkeit zuwenden kann. Regional ist der Schutz der Menschenrechte zum Teil noch stärker ausgeprägt: Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) beinhaltet ein Individualbeschwerdeverfahren an dessen Ende ein für die Mitgliedstaaten verbindliches Urteil gegen den verletzenden Staat steht. Daneben finden sich die Amerikanische Menschenrechtskonvention, die Afrikanische Charta der Rechte des Menschen und der Völker sowie die Arabische Charta der Menschenrechte.

  3. 5.2.3

    Das humanitäre Völkerrecht gelangt in Zeiten bewaffneter Konflikte zur Anwendung. Es beinhaltet humanitäre Mindeststandards und zielt darauf ab, militärische Operationen im bewaffneten Konflikt rechtlich einzuhegen. Es fokussiert sich insbesondere auf den Schutz von am Kampfgeschehen nicht aktiv beteiligten Personen, namentlich der Zivilbevölkerung sowie Kranken und Verwundeten. Es kodifiziert z. B. die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilpersonen und die Beschränkung auf bestimmte Kampfmittel und Angriffsziele im Rahmen der Kampfführung. Kern ist damit die Minimierung menschlichen Leids in bewaffneten Konflikten. Wichtige Rechtsquellen dieser Rechtsordnung sind neben den Haager Abkommen von 1899 und 1907 vor allem die vier Genfer Abkommen von 1949 sowie die beiden Zusatzprotokolle von 1977.

  4. 5.2.4

    Das Völkerstrafrecht befasst sich mit der Bestrafung von Individuen, die international geschützte Rechtsgüter verletzen, indem sie eines der folgenden Verbrechen begehen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und neuerdings auch das Verbrechen der Aggression.

  5. 5.2.5

    Das Umweltvölkerrecht ist ebenfalls ein sehr junges Teilrechtsgebiet des Völkerrechts. Es basiert insbesondere auf den Prinzipen der Rücksichtnahme, dem Verbot auf fremdem Staatsgebiet schwere Umweltschäden zu verursachen (Schädigungsverbot), dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung sowie dem Prinzip der Vorbeugung und Risikovorsorge sowie der fairen Beanspruchung von natürlichen Ressourcen. Wichtige Rechtsquellen sind vor allem das Rahmenabkommen von Rio über Klimaveränderungen von 1992, das Übereinkommen von Rio über die biologische Vielfalt von 1992 und das Kyoto-Protokoll zur Reduzierung von Treibhausgasen von 1997.

6 Ausgewählte aktuelle Fragestellungen

6.1 Humanitäre Intervention und Responsibility to Protect

Eine als mögliche Ausnahme vom Gewaltverbot viel diskutierte Frage ist die seit den 90er - Jahren verstärkt in die Diskussion geratene Frage nach einem Recht auf humanitäre Intervention: Das (unilaterale) militärische Eingreifen eines Staates bzw. einer Staatengruppe zum Schutz der Menschenrechte der Bevölkerung eines anderen Staates im Falle schwerster Menschenrechtsverletzungen ohne ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrats. Da als einzige geschriebene Ausnahmen zum Gewaltverbot das Selbstverteidigungsrecht und Maßnahmen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta zugelassen sind, regt sich gegen das Konzept starker Widerstand. Als Gegenargumente werden vor allem die Absolutheit des Gewaltverbots und der Primat der Staatensouveränität angeführt. Befürworter der humanitären Intervention verweisen dagegen auf die Wertegebundenheit der Völkerrechtsordnung, in deren Zentrum mittlerweile die Menschenrechte stehen. Der NATO-Einsatz im Rahmen des Kosovokriegs 1999 zum Schutz der albanischen Bevölkerung erfolgte ohne ein entsprechendes UN-Mandat. Dies stellte für die Befürworter einer humanitären Intervention ein wichtiges Indiz dar, dem Bevölkerungsschutz im Rahmen der Abwägung zwischen Menschenrechten und der politischen und territorialen Souveränität des verletzenden Staates, den Vorrang einzuräumen. Allerdings haben sich im Zusammenhang mit dem NATO-Einsatz nur die USA, das Vereinigte Königreich und Belgien ausdrücklich auf ein Recht zur (unilateralen) humanitären Intervention berufen. Ein gewichtiger Kritikpunkt an jeglichen weiteren Ausnahmen zum Gewaltverbot ist die damit einhergehende erhebliche Missbrauchsgefahr, wie auch die aktuellen Geschehnisse auf der Krim belegen. Ein Recht auf (unilaterale) humanitäre Intervention ohne entsprechende Mandatierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird vor diesem Hintergrund von der ganz überwiegenden Zahl der Staaten zu Recht verneint.

Das Prinzip der Schutzverantwortung - die „responsibility to protect“ - steht mit dem Konzept der humanitären Intervention in engem Zusammenhang. Dieses Prinzip wurde 2001 von der International Commission on Intervention and State Sovereignity (ICISS) entwickelt und auf dem Millenniums-Gipfel 2005 von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen anerkannt. Das Prinzip beinhaltet zwei Ebenen: 1) die primäre Verantwortung eines jeden Staates seine Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen und derartige Verbrechen präventiv zu verhindern (wobei die internationale Gemeinschaft aufgerufen wird, Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Primärverantwortung zu unterstützen) und 2) die sekundäre Verantwortung der internationalen Gemeinschaft in Fällen in denen ein Staat seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird. Zu beachten ist allerdings, dass eine auf Kapitel VII der UN-Charta beruhende Resolution des Sicherheitsrates ausdrücklich zur Voraussetzung eines kollektiven Einschreitens seitens der Staatengemeinschaft gemacht wird. Unilaterale humanitäre Interventionen lassen sich also auch über das Prinzip der Schutzverantwortung völkerrechtlich nicht rechtfertigen.

Insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Syrien und des ungeachtet der humanitären Katastrophe in Syrien blockierten Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, wurde und wird das Konzept der Schutzverantwortung aktuell wieder verstärkt diskutiert. Die Rechtslage hat sich allerdings bislang nicht geändert. Nach wie vor gilt, dass ohne ein entsprechendes Mandat des Sicherheitsrates keine völkerrechtsgemäße Intervention in Syrien möglich ist, auch wenn die sonstigen Schutzverantwortungsvoraussetzungen erfüllt sind. Dass diese Situation abermals besonders drastisch die Tragik der Blockade des Sicherheitsrates und seine Reformbedürftigkeit manifestiert, ist an dieser Stelle nicht weiter auszuführen.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Was der responsibility to protect an rechtlichem Fundament fehlt, kompensiert sie durch politische Gestaltungskraft. Ihr ist zumindest eine Steigerung der Menschenrechtssensibilität von Staatengemeinschaft und globaler Zivilgesellschaft zu verdanken. Damit geht ein ernstzunehmender politischer Handlungsdruck in Krisensituationen und die gesteigerte Legitimität von Entscheidungen für entsprechend mandatierte Militäreinsätze einher (Brozus und Schaller 2013, S. 8–9).

6.2 Die Rolle des Völkerrechts bei der Gewährleistung der Stabilität, Integrität und Funktionsfähigkeit des Cyberspace

In den letzten Jahren ist das Thema „Cybersicherheit“ in den Fokus internationaler Sicherheitspolitik gerückt (British National Security Strategy 2010) und damit einhergehend die Frage nach der Anwendung des Völkerrechts im digitalen Raum. Dabei hat sich die völkerrechtliche Diskussion zunächst recht einseitig auf das Thema „Cyberwarfare“ und militärische Abwehrmaßnahmen im Falle von Cyberattacken konzentriert. Im Zuge der NSA-Affäre sind mittlerweile aber auch zahlreiche andere völkerrechtliche Fragestellungen in den Vordergrund der Diskussion gerückt, wie insbesondere die Frage nach der Geltung und Anwendbarkeit der Menschenrechte im Cyberspace. Weitgehende Einigkeit besteht mittlerweile dahingehend, dass der digitale Raum kein rechtliches Vakuum ist und völkerrechtliche Regelungen grundsätzlich auch im Cyberspace zur Anwendung gelangen. Schwieriger zu beantworten und bislang noch nicht abschließend geklärt ist allerdings die folgende Frage: Wie wirken sich die besonderen, technischen Strukturbedingungen des Cyberspace – etwa die Grenzenlosigkeit des virtuellen Raums, der keine geographischen Grenzen kennt und in dem alles mit allem vernetzt ist und in dem sich etwaige Angreifer oftmals nicht mit der gebotenen Rechtssicherheit identifizieren lassen – auf die Anwendung einzelner Völkerrechtsregeln aus?

Zunächst einmal ist die grundsätzliche Sichtweise auf das Problemfeld zu klären. Bis dato wurde der Bereich zwischenstaatlicher Cyber-Sicherheit vorwiegend aus einer militärischen Perspektive betrachtet. Im Fokus stand insbesondere die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta als Reaktion auf einen Cyber-Angriff gerechtfertigt ist. Einem Cyber-Angriff fehlt zwar das traditionell erforderliche physisch-kinetische Element eines bewaffneten Angriffs, welchen Art. 51 erfordert. In Anbetracht des beträchtlichen Schadens den ein solcher Angriff anrichten kann, muss aber eine Äquivalenzbetrachtung vorgenommen werden: Ein Cyber-Angriff kommt einem bewaffneten Angriff gleich, wenn seine Folgen einem konventionellen Angriff durch kinetische Kraft vergleichbar sind (Joyner und Lotrionte 2001, S. 863). Derselben Logik folgt das Selbstverteidigungsrecht auch bei Angriffen mit biologischen und chemischen Waffen. Bislang hat keine der bekannt gewordenen Cyberattacken (einschließlich der Stuxnet-Attacke gegen den Iran) diese kritische Schwelle erreicht. Daran gemessen erscheint die Diskussion um das militärische Selbstverteidigungsrecht teilweise überzogen auch wenn zuzugeben ist, dass sich Cyberangriffe mit verheerenderen Folgen für die Zukunft nicht ausschließen lassen.

Das Hauptproblem im Zusammenhang mit der Frage nach einem Recht auf (militärische) Selbstverteidigung gegen relevante Cyberattacken ist ohnehin die Frage der Zurechnung. Denn um eine Handlung einem anderen Staat oder ggf. einem nicht-staatlichen Akteur zurechnen zu können, ist es zunächst erforderlich, sowohl die handelnden Akteure, als auch ihre Verbindung zu einem Staat zu identifizieren. Selbst wenn die physische Quelle des Angriffs mit Sicherheit lokalisiert werden kann, bleibt die Schwierigkeit des „human machine gap“, d. h. die Schwierigkeit die Person, die den Angriff initiiert hat, zu identifizieren (Geiß und Lahmann 2013, S. 623; Gaycken 2011, S. 94). Nur soweit dieser erste forensische Schritt gelingt, stellt sich die Frage inwiefern das Verhalten der für den Angriff verantwortlichen Person(en) einem Staat zugerechnet werden kann. In diesem Kontext taucht ein weiteres Problem auf: Die Selbstverteidigung muss dem Angriff zeitlich unmittelbar folgen. Im Regelfall wird es aber – soweit es überhaupt gelingt – einige Zeit dauern, bis die Handelnden identifiziert sind (Tallinn Manual 2013, S. 66). Hinzu kommen ungelöste Fragen der Beweisführung: Welchen Anforderungen müsste der Beweis der Identität gerecht werden (Geiß und Lahmann 2013, S. 623)? Ob sich das Identifikationsproblem in Zukunft einfach durch technischen Fortschritt lösen lassen wird, bleibt abzuwarten. Aktuell stellt es jedenfalls ein ungelöstes Problem der Anwendung von Art. 51 UN-Charta im Cyberkontext dar.

Da aktuelle Cyberattacken ohnehin regelmäßig weit unterhalb der Schwelle eines das Selbstverteidigungsrecht auslösenden bewaffneten Angriffs bleiben, wird auch die Möglichkeit des Ergreifens von (nicht-militärischen) Gegenmaßnahmen als Reaktion auf staatlich organisierten Datendiebstahl und -manipulation diskutiert. Art. 24 der ILC Articles on State Responsibility ermöglicht die Ergreifung von Gegenmaßnahmen. Dies sind einseitige, nicht-militärische Reaktionen eines Staates gegenüber einem anderen Staat, die isoliert betrachtet rechtswidrig, aber als Gegenreaktion auf eine ihrerseits rechtswidrige Handlung gerechtfertigt sind. Wenn beispielsweise ein Staat im Rahmen einer Cyberattacke das Interventionsverbot gegenüber einem anderen Staat verletzt, könnte dieser andere Staat zu entsprechenden Gegenmaßnahmen (Repressalien) greifen. In der dezentralisierten Rechtsordnung des Völkerrechts stellen Gegenmaßnahmen einen Durchsetzungsmechanismus dar (Zoller 1984, S. 137). Die Reaktion des geschädigten Staates darf allerdings nicht gewaltsam sein und muss auf verhältnismäßige Weise die Beendigung des illegalen Handelns und die Rückkehr auf den Boden des Rechts des verantwortlichen Staates zum Ziel haben. Sie darf keinen Strafcharakter besitzen. Andererseits steht den Staaten ein weites Spektrum an potentiellen Gegenmaßahmen zur Verfügung. Auf einen Cyberangriff muss nicht mit einem Cyberangriff reagiert werden. Er kann auch mit anderen völkerrechtswidrigen Reaktionen beantwortet werden, vorausgesetzt diese sind verhältnismäßig.

Das Zurechnungsproblem besteht zwar grundsätzlich auch hier, allerdings muss im Gegensatz zu Art. 51 der Charta nicht notwendigerweise die Verantwortung für den illegalen Akt per se nachgewiesen werden. Da gewohnheitsrechtlich jeder Staat positiv verpflichtet ist, Angriffe gegen andere Staaten von seinem Territorium aus zu verhindern, reicht es hier aus, wenn die Verletzung einer Sorgfaltspflicht zur Verhinderung des Cyber-Angriffs nachgewiesen werden kann (Geiß und Lahmann 2013, S. 635). Dieses no harm-principle hat auch die UN-Generalversammlung bekräftigt, als sie Staaten dazu drängte, sicherzustellen, dass ihre Gesetze und Anwendungspraxis Rückzugsgebiete (safe havens) für diejenigen eliminieren, die Informationstechnologien kriminell missbrauchen (UN GA Res. 55/63, 4 Dezember 2000).

Eine zweite Alternative stellt die Notstandsregelung des Art. 25 der ILC Articles on State Responsibility dar. Staaten dürfen unter engen Voraussetzungen schwerwiegende Notfälle beheben, selbst wenn sie dabei völkerrechtliche Pflichten gegenüber anderen Staaten verletzen. Es geht also – anders als bei den Gegenmaßnahmen – nicht darum, Druck auf einen bestimmten Angreifer bzw. Völkerrechtsverletzer auszuüben, um diesen zu rechtstreuem Verhalten zu zwingen. Vielmehr geht es im Rahmen des Notstands darum, einen akuten Notfall abzuwenden. Aufgrund der Missbrauchsanfälligkeit des Konstrukts (Heathcote 2010, S. 492) sind die Voraussetzungen des Notstands sehr hoch: Es muss sich um ein grundlegendes Interesse des reagierenden Staates handeln, welcher in erheblicher Gefahr schwebt, wobei der Schaden unmittelbar bevorstehen muss (z. B. der Schutz essentieller digitaler Infrastruktur). Wann eine derartige Gefahr tatsächlich vorliegt, kann angesichts der technischen Eigenheiten im Netz (z. B. Ermittlung eines Sicherheitsbruchs in einem wichtigen System) mitunter schwer zu beurteilen sein. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm ist eine Notstandshandlung jedenfalls im Zweifel nicht gestattet und darf in keinem Fall gewaltsam sein (Tallinn Manual 2013, S. 39). In der Gesamtschau ist deshalb auch dieser Anknüpfungspunkt im Cyberkontext wenig ergiebig. Versuchen, den Anwendungsbereich des Notstands im Zusammenhang mit Cyberangriffen auszuweiten, wie sie in letzter Zeit insbesondere in den USA diskutiert wurden, sollte aufgrund der hohen Missbrauchsgefahr bei der Anwendung der Notstandsregelung entgegengetreten werden.

Zielführender erscheint ein anderer Ansatz: Die internationale Sorgfaltspflicht (due-diligence Verpflichtung) andere Staaten nicht zu schädigen – ein Grundstandard staatlichen Verhaltens im internationalen Kontext – sollte die rechtliche Leitlinie sein. Sie stellt einen Verhaltens- und keinen Ergebnismaßstab dar und richtet sich damit nach dem spezifischen Kontext (Geiß und Lahmann 2013, S. 653). Verstanden wird darunter das Erfordernis eines Verhaltens, das von jedem Staat unter den gegebenen Umständen vernünftigerweise erwartet werden kann (Koivurova 2012, S. 236). Dieser Maßstab muss allerdings für den Cyberkontext erst noch präzisiert werden. Einige allgemeine Leitlinien bietet das Völkerrecht aber bereits heute. UN-Organe haben im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Maßstäbe aufgestellt, die m. E. auch für den Cyberspace fruchtbar gemacht werden können: Staaten müssen terroristische Handlungen kriminalisieren und verfolgen, mit anderen Staaten kooperieren, Informationen austauschen, und die Nutzung des eigenen Territoriums als Ausgangsbasis für terroristische Aktivitäten verhindern (UN GA Res. 49/60 (9. Dezember 1994); UN SC Res. 1267 (15. Oktober 1999)). Weiterhin verlangt das unter der Ägide des Europarats 2001 verabschiedete Übereinkommen zur Bekämpfung von Computerkriminalität die Kriminalisierung fast aller Arten von Cyber-Angriffen im nationalen Recht.

In Bezug auf die Menschenrechte im Cyberspace hat der UN-Menschenrechtsrat 2012 bestätigt, dass die Menschenrechte online genauso wie offline gelten. Zudem hat sich der UN-Sonderberichterstatter für die Meinungsfreiheit eingehend mit staatlichen Überwachungsmaßnahmen im Internet und ihren Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit („chilling effect“) beschäftigt. Im Zuge der NSA-Affäre wurde auf Betreiben Deutschlands und Brasiliens 2013 eine Resolution der UN-Generalversammlung zum Schutz der Privatsphäre im Netz angenommen (UN GA Res. 68/45 (20. November 2013)). Diese Resolution, die letztlich auch mit der Zustimmung der USA verabschiedet werden konnte, markiert einen ersten, wichtigen Schritt in Richtung eines besseren Schutzes der Menschenrechte im Netz. Gleichwohl bleiben zur Zeit noch viele Fragen offen, und es besteht weiterer Handlungsbedarf auf dem Weg zur Etablierung globaler Datenschutzstandards. Die traditionell weitverbreitete Auffassung, wonach (zwischenstaatliche) Spionage völkerrechtlich nicht verboten ist, lässt sich angesichts der technischen Möglichkeiten zur massenhaften Ausspähung einzelner Bürger nicht unbenommen auf moderne Formen der „Spionage“ übertragen.

Die Loslösung der Diskussion um ein Völkerrecht des Netzes vom militärischen Paradigma erlaubt eine umfassendere Sicht auf aktuelle Sicherheitsfragen und verschiebt den Schwerpunkt der Diskussion von Repressionsmaßnahmen zu Fragen der Prävention und der Präzisierung friedensvölkerrechtlicher Regelungen im virtuellen Raum. Um staatliche Sicherheitssysteme zu stärken, Datendiebstahl zu kriminalisieren, Systemintrusionen zu verhindern etc., ist insbesondere die Präzisierung der staatlichen Sorgfaltspflichten (due-diligence-Verpflichtungen) ein Schritt in die richtige Richtung und womöglich eine Vorstufe zu künftigen, völkervertraglichen Regelungen des Cyberspace.

6.3 Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus

Obgleich das Problem des internationalen Terrors mit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine Wendung nahm, beschäftigte das Thema die Staatengemeinschaft schon lange vor der Jahrtausendwende und insbesondere in den 80er Jahren. In dieser Zeit wurde die Herausforderung aber noch als „kontextbasierte Frage“ begriffen. Eine einheitliche Verurteilung des Terrors, wie sie in der heutigen „Anti-Terror-Gemeinschaft“ erfolgt, fehlte (Tams 2009, S. 363). Eine umfassende Anti-Terror-Konvention steht zwar noch aus, aber viele Staaten sind im Laufe der Jahre Verträge mit weitreichenden Anti-Terror-Regeln eingegangen. Seit dem 11. September haben sich auf internationaler Ebene zwei wesentliche Vorgehensweisen bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus herausgebildet. Der UN-Sicherheitsrat hat eine Reihe von (nicht-militärischen) Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ergriffen. Militärische Maßnahmen wurden hingegen in erster Linie unilateral – durch einzelne Staaten oder Staatenkoalitionen – und auf Grundlage des Selbstverteidigungsrechts vorgenommen.

Der Sicherheitsrat hat seit dem 11. September eine aktive Rolle im Kampf gegen den Terror angenommen. Dem zu Grunde liegt zunächst seine Einstufung des internationalen Terrorismus als Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit gemäß Art. 39 UN-Charta (siehe etwa Res. 1377/2001 und 1456/2003). Damit hat der Sicherheitsrat die rechtliche Grundlage für ein weitreichendes Netz nicht-militärischer Durchsetzungsmaßnahmen geschaffen. In bisweilen großzügiger Interpretation (bis hin zur Überdehnung) seiner eigenen Kompetenzen hat der Sicherheitsrat unter anderem Strafverfolgungs- und Auslieferungspflichten angeordnet. Er ist vor allem mit Res. 1373 auch rechtssetzend tätig geworden und hat über die Jahre ein weitreichendes Sanktionsregime, insbesondere Reiseverbote und Kontensperren, gegen Einzelpersonen verhängt. Viele dieser weitreichenden Maßnahmen sind auch auf Kritik gestoßen. Ungeachtet der mit den Sanktionen verbundenen, weitrechenden Eingriffe in geschützte Rechtspositionen Einzelner, hat der Sicherheitsrat erst nach und nach und auf Druck von außen (siehe nur Kadi, EuGH, 18.07.2013 - C-593/10), gewisse Rechtsschutzmöglichkeiten in Bezug auf die verhängten Sanktionen implementiert (SC Res. 1904 (17. Dezember 2009) und 1989 (17. Juni 2011)).

Soweit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus militärische Maßnahmen ergriffen wurden, erfolgte dies zumeist unilateral und unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht in Art. 51 der UN-Charta. Dies hat eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich und den Modalitäten der Selbstverteidigung aufgeworfen, die noch nicht abschließend beantwortet sind und hier nur überblicksartig aufgeführt werden sollen (eingehend insbesondere Tams 2009). Die Anwendung des Selbstverteidigungsrechts im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus wirft zunächst die Frage auf, inwiefern Artikel 51 UN-Charta überhaupt Angriffe nicht-staatlicher Akteure erfasst. Zwar sprach der IGH in seinem Rechtsgutachten aus dem Jahr 2004 ausdrücklich nur von „staatlichen Angriffen“. Allerdings enthält der Wortlaut von Art. 51 UN-Charta diesbezüglich keinerlei Beschränkung und erfasst durchaus auch Angriffe nicht-staatlicher Akteure. Der IGH hat die Frage später auch offen(er) gelassen (Democratic Republic of the Congo v. Uganda, IGH-Urteil vom 19.12.2005). Nicht zuletzt im Lichte der Staatenpraxis spricht viel dafür, dass Art. 51 UN-Charta nach heutiger Lesart auch Angriffe nicht-staatlicher Akteure erfasst. Umstrittener ist dementsprechend auch die Frage, inwiefern ein bewaffneter Angriff eines nicht-staatlichen Akteurs einem Staat zuzurechnen sein muss bzw. inwiefern zwischen dem nicht-staatlichen Akteur und seinem Aufenthaltsstaat (d. h. dem Staat auf dessen Staatsgebiet die militärische Selbstverteidigungsaktion ggf. stattfinden würde) eine Verbindung bestehen muss und nach welchen Kriterien diese Zurechnung bzw. Verbindung zu bestimmen ist. Während traditionell darauf abgestellt wurde, ob ein Staat effektive Kontrolle über einen nicht-staatlichen Akteur ausübt (Nicaragua v. The United States of America, IGH-Urteil vom 27. Juni 1986), wird heute zumeist auf weniger strenge Kriterien, wie Komplizenschaft oder das zur Verfügung stellen eines „Rückzugsgebietes“ abgestellt. Harold Koh, Rechtsberater des US State Department, konstatierte in einer Rede 2010, dass die USA das Recht hätten, sich durch gezielte Tötungen von hochrangigen Al-Qaida-Offizieren, die aktuell Angriffe planen, zu verteidigen, wenn das Land, in dem sich das Individuum aufhält, nicht willens oder fähig ist, die von der Person ausgehende Gefahr zu unterdrücken.

Darüber hinaus wird insbesondere auch die zeitliche Dimension des Selbstverteidigungsrechts kontrovers diskutiert und zwar sowohl was Selbstverteidigungsmaßnahmen im Vorfeld eines bewaffneten Angriffs angeht, als auch in Bezug auf die Dauer der Selbstverteidigung bei einem bereits erfolgten Angriff. Obwohl die Angriffe vom 11. September mehr als zehn Jahre zurückliegen, stützen die USA zum Teil noch heute militärische Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung auf das durch die Angriffe vom 11. September seinerzeit ausgelöste Selbstverteidigungsrecht (Resolutionen 1368 und 1373).

In Bezug auf Vorfeldmaßnahmen hatte sich die Regierung George Bushs in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom 20.9.2001 für ein Recht auf präemptive (vorbeugende) Selbstverteidigung ausgesprochen (sog. Bush-Doktrin), wonach militärische Einsätze zum Schutz nationaler Interessen auch angesichts einer nur abstrakten Gefährdungslage (Zeit und Ort der Tat sind ungewiss) erlaubt sein sollten. Eine derartige carte blanche zur militärischen Gewaltanwendung hat die Staatengemeinschaft nicht anerkannt. Ein Recht auf präemptive Selbstverteidigung gestattet das Völkerrecht nicht. Die Problematik der zeitlichen Aus- und Überdehnung des Selbstverteidigungsrechts besteht allerdings weiterhin. Insbesondere im Zusammenhang mit gezielten Tötungen durch Drohnen versuchen amerikanische Regierungsvertreter der Obama-Administration, die zeitliche Dimension des Selbstverteidigungsrechts zu erweitern. Eric Holder, „Attorney General“ der USA, hat in einer Rede im März 2012 bestätigt, dass ein „window of opportunity“ zur Tötung einer Person, die in Zukunft potentiell desaströse Angriffe gegen die USA verüben könnte, dem für die Selbstverteidigung erforderlichen Gegenwärtigkeitskriterium genügen kann. De iure hat die Obama Regierung sich damit von der Bush-Doktrin der präemptiven Einsätze zwar entfernt, de facto aber führt sie diese Doktrin unter anderem Namen in weiten Teilen fort (Gray 2013, S. 19).

Eine weitere Problematik bezüglich der zeitlichen Dimension des Selbstverteidigungsrechts ergibt sich, wenn man annimmt, dass eine Vielzahl kleinerer terroristischer Anschläge im Sinne einer nadelstichartigen hit-and-run-Taktik, die für sich genommen allesamt die Schwelle zum bewaffneten Angriff im Sinne von Artikel 51 jeweils nicht erreichen, in der Gesamtschau das Selbstverteidigungsrecht auslösen können („accummulation of events doctrine“). Mit dieser Doktrin ließe sich eine Art Dauergefahr konstruieren, die potentiell einen permanenten Rückgriff auf das Selbstverteidigungsrecht gestatten würde. Militärische Selbstverteidigung muss aber angesichts des prinzipiellen Gewaltverbots in Artikel 2 (4) der UN-Charta die absolute Ausnahme bleiben. Ansätzen, Artikel 51 in eine globale Gefahrenabwehrklausel zur standardmäßigen militärischen Gefahrenabwehr umzufunktionieren, ist daher eine Absage zu erteilen. Von alledem nicht beeinträchtigt sind allerdings solche präventiven Selbstverteidigungsmaßnahmen, durch die ein unmittelbar bevorstehender Angriff abgewehrt werden soll, z. B. bei einer Konzentration gegnerischer Truppen an der Landesgrenze. Solche präventiven Selbstverteidigungsmaßnahmen, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer akuten Gefahr stehen, sind – je nach Lage des Einzelfalls – völkerrechtlich zulässig.

Am kontroversesten diskutiert werden derzeit gezielte Tötungen. Gemäß der Definition des UN-Sonderberichterstatters über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen sind gezielte Tötungen die vorsätzliche Anwendung tödlicher Gewalt durch einen Staat, um bestimmte Personen außerhalb seiner Verwahrung zu eliminieren (Philip Alston, UN Doc A/HRC/14/24/Add.6). Hierzu gehören sowohl Drohneneinsätze und „kill or capture raids“ durch bewaffnete Militärtruppen (wie die Tötung Osama Bin Ladens 2011 in Pakistan durch US Navy Seals), als auch Tötungen durch Geheimdienste (wie die gezielte Tötung des Hamas Militärführers Al-Mahbouh durch Israel in einem Hotel in Dubai 2010). Die bereits angesprochenen Versuche amerikanischer Regierungsvertreter, das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta auszuweiten, stehen insbesondere im Zusammenhang mit Drohneneinsätzen. Da es bei dem Selbstverteidigungsrecht allerdings lediglich um die Frage geht, ob ein Staat militärische Gewalt ausnahmsweise auf dem Territorium eines anderen Staates ausüben darf, stellt sich im Zusammenhang mit Drohneneinsätzen auch noch die weitergehende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Völkerrecht die Anwendung letaler Gewalt gegen bestimmte Einzelpersonen gestattet. Prinzipiell gilt, dass das Völkerrecht das gezielte Töten eines Menschen allenfalls im Kontext eines bewaffneten Konfliktes und gemäß den Vorgaben des humanitären Völkerrechts gestattet. Außerhalb von bewaffneten Konflikten sind gezielte Tötungen grundsätzlich verboten. Aus diesem Grund kommt der Frage nach den (rechtlichen) Grenzen moderner Konflikte und dem geographischen Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts aktuell große Bedeutung zu. Zwar spricht die Regierung Obama anders als die Regierung Bush heute nicht mehr von einem „global war against terror“, allerdings geht auch die Regierung Obama davon aus, dass sie sich in einem weltweiten Konflikt mit Al-Qaida befindet und Drohneneinsätze zur gezielten Tötung von Terroristen daher auch außerhalb von Kampfzonen und potentiell weltweit vorgenommen werden dürfen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Sichtweise nicht haltbar. Das humanitäre Völkerrecht ist als Notfallrechtsordnung in seiner Anwendung nur unter den extremen (Gewalt-)Bedingungen eines bewaffneten Konfliktes gerechtfertigt und daher auch geographisch auf Situationen extremer Gewalt zu beschränken. Eine globale Anwendung des humanitären Völkerrechts – noch dazu im Zusammenhang mit einem Gegner wie Al-Qaida, der aufgrund seiner dezentralen Struktur (jedenfalls heute) die Anforderungen an die für einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt stets erforderliche organisierte Gruppe nicht erfüllt – kommt dagegen nicht in Betracht.

7 Fazit

„Sich mit Völkerrecht auseinandersetzen, bedeutet, an die Grenzen des Rechts zu gehen“ (Paulus 2007, S. 695). Angesichts des dezentralen Charakters des Völkerrechts und deutlicher Fragmentierungstendenzen, den in vielen Bereichen schwach ausgestatteten Durchsetzungsmechanismen und nicht zuletzt angesichts zahlreicher Bestrebungen der jüngeren Zeit, das Völkerrecht in seinem Kernbereich, dem Gewaltverbot, teilweise aufzuweichen, fällt es in der Tat nicht schwer, das Völkerrecht kritisch zu betrachten. Das Konzept der Staatensouveränität ist durchlässiger geworden. Aber angesichts der seit Jahren stagnierenden Bemühungen die Vereinten Nationen zu reformieren, hat sich ein „globaler Letztentscheider“ bislang nicht herausgebildet. Gleichzeitig waren die Perspektiven für das Völkerrecht kaum jemals besser. Angesichts der sich stetig verdichtenden internationalen Beziehungen ist die Staatengemeinschaft auf die ordnende Kraft des Völkerrechts unmittelbar und in zunehmend verstärktem Maße angewiesen. Dementsprechend erstreckt sich das Völkerrecht über die klassischen Regelungsbereiche der Diplomatie und des Seerechts hinaus heute auch auf Bereiche wie den Gesundheits- und Katastrophenschutz, den Investitionsschutz, das Völkerstrafrecht sowie den Weltraum und den virtuellen Raum. Zudem hat das Völkerrecht heute weitreichende Implikationen auch für den innerstaatlichen Rechtsraum, wie in Deutschland insbesondere die Diskussion um den Bau der Waldschlösschen Brücke exemplarisch gezeigt hat. Im Zuge dieser Expansion materiell-rechtlicher Regelungsbereiche stellen sich zunehmend Fragen nach der Legitimation des Völkerrechts, der Stellung der Zivilgesellschaft im Völkerrecht und den Ordnungsmodellen, welche die verschiedenen Teilbereiche des Völkerrechts ordnend zusammenhalten.

Speziell mit Blick auf Deutschland hat der Bundespräsident anlässlich der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 für eine stärkere Einmischung und Einsatzbereitschaft Deutschlands auf globaler Ebene plädiert (Bundespräsident Gauck am 31.01.2014 in München). Auch der deutsche Außenminister ist der Meinung, Deutschland sei zu groß und zu wichtig, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren (Rede Steinmeiers anlässlich der Eröffnung der Review 2014 Konferenz). Dem ist vollumfänglich zuzustimmen. Bevor allerdings über ein stärkeres (militärisches) Engagement Deutschlands nachgedacht wird, wäre es wünschenswert, wenn Deutschland und Europa bei der Fortentwicklung und Gestaltung des Völkerrechts sowie der Klarstellung der rechtlichen Grundlagen solcher Einsätze eine erhöhte Einsatzbereitschaft an den Tag legen würden.