Protokoll einer Selbstzerstörung: „Königin“ mit Trine Dyrholm

Protokoll einer Selbstzerstörung: „Königin“ mit Trine Dyrholm

Beruflich vertritt die Anwältin Anne (Trine Dyrholm) Missbrauchsopfer, privat geht sie eine Beziehung zu ihrem minderjährigen Stiefsohn ein. Das verstörende Familiendrama „Königin“ der dänisch-ägyptischen Regisseurin May el-Toukhy.

Eine verhängnisvolle Affäre: Anne (Trine Dyrholm) mit ihrem Stiefsohn Gustav (Gustav Lindh)
Eine verhängnisvolle Affäre: Anne (Trine Dyrholm) mit ihrem Stiefsohn Gustav (Gustav Lindh)Squareone

Anne ist Rechtsanwältin an der Seite des angesehenen Arztes Peter, mit dem sie zwei Töchter hat, Frida und Fanny, und eine Villa im Grünen bewohnt. In den gut geölten, unaufregenden Familienalltag gerät Bewegung, als Peter seinen halbwüchsigen Sohn Gustav aus einer früheren Beziehung ins Haus holt, weil der mal wieder von irgendeiner Schule geflogen ist.

Gustav hat keinen Bock auf Familienanschluss und lässt sich das auch anmerken, Anne mag sich die Störung ihres häuslichen Friedens nicht gefallen lassen und versucht, den widerspenstigen Jungmann ins Boot zu holen. Ein Bemühen zwischen Benimm-Ansage, Bestechung und Umwerben, das Wirkung zeitigt und schwerwiegende Folgen hat. Denn Anne ist stark und selbstsicher und überzeugt, ihr Leben fest im Griff zu haben – und im Bewusstsein ihrer vermeintlichen Unangreifbarkeit verhebt sie sich an der Situation.

Wie kommt denn das? Denn Anne ist eben auch nicht mehr die Jüngste und ihre Ehe mit Peter ist von Routine geprägt und überhaupt würde sie sich gerne einmal wieder als Frau spüren und wo ist eigentlich die Leidenschaft geblieben, wo sind Spannung und Abenteuer? Es ist eine Geschichte von sexueller Übergriffigkeit und Machtmissbrauch, die die dänisch-ägyptische Regisseurin May el-Toukhy in ihrem vielfach preisgekrönten zweiten Spielfilm erzählt.

Und wer darin das Sagen hat, das macht der Titel „Königin“ unmissverständlich klar: Anne ist jene Königin, die das Bauernopfer fordert, weil sie der Versuchung der eigenen Eitelkeit erliegt und die resultierenden Konsequenzen nicht tragen will. Womit sie im Übrigen nicht alleine ist; der eigentliche Schrecken dieses Films geht von der unheimlichen Front aus, die die Erwachsenen gegen die Kinder bilden.

Letztlich dreht sich alles um Besitzstandssicherung und die Wahrung eines komfortablen Status quo, an dessen Erreichen man schließlich jahrelang gemeinsam gearbeitet hat. Wo im Zweifelsfall die Allianzen liegen und wie rasch und wie leicht dabei die Moral über Bord gehen kann, das präpariert el-Toukhy in „Königin“ mit schmerzhafter, mitunter fast schon grausamer Aufrichtigkeit heraus.

Was auf diese Weise entsteht, ist eine Familientragödie von geradezu antiker Wucht, vorangetrieben von archaischen Leidenschaften, Tabubrüche nicht scheuend. Und getragen von der großen dänischen Mimin Trine Dyrholm in der Titelrolle, die sich einmal mehr um rein gar nichts schert und sich absolut furchtlos in das komplexe Charakterporträt einer stolzen Frau verkrallt, die furios scheitert – womit wiederum Dyrholm einen furiosen schauspielerischen Erfolg feiert.

Königin
Dänemark 2019. Regie: May el-Toukhy. Darsteller: Trine Dyrholm, Gustav Lindh, Magnus Krepper u.a., 127 Minuten, Farbe. Streaming: „Dronningen“, ab 5. Mai 2020 auf Movies online.