Seit Wochen kriege ich oft eine Frage gestellt: Ist es peinlich, was Politikerinnen und Politiker auf Tiktok posten? Zum Beispiel machte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer mit ihrem Video Schlagzeilen, in dem sie zum Lied Barbaras Rhabarberbar tanzt. Ein Krone-Kommentar nannte das "peinlich und ungebührlich". Ja, solche Videos stoßen manche vor den Kopf, aber ich sehe das entspannter. Es ist gut, wenn Parteien derzeit mit Tiktok experimentieren, auch wenn sie kuriose Formate ausprobieren. Denn das sind Lernmomente, um zu testen, welche Videos Resonanz erzeugen und wie man der FPÖ reichweitenstarke Inhalte entgegensetzen kann.

Wir haben als Gesellschaft ein Problem: Auf Tiktok gibt es eine starke rechte bis rechtsextreme Szene. Doch gerade diese Plattform beeinflusst, was Jugendliche über die Welt erfahren, welche Wertvorstellungen sie mitbekommen. In Deutschland sorgte es für Entsetzen, dass die AfD weit vor den anderen Bundestagsparteien auf Tiktok liegt. In Österreich gibt es Parallelen: Nimmt man die Accounts der Parteispitzen, liegt Herbert Kickl vorn. Er hat 63.500 Followers, auf Platz zwei liegt abgeschlagen ÖVP-Chef Karl Nehammer mit 7200 Followers, Kickl hat auch bessere Aufrufzahlen.

Früh und beharrlich

Der Erfolg hat zwei Gründe: Erstens ist die FPÖ beharrlich und war früh dabei. Das erfolgreichste Video Kickls stammt aus der Corona-Zeit und behandelt die Impfpflicht. Kickl konnte schon zu einer Zeit Fans sammeln, da war manch ein anderer Parteichef noch nicht einmal registriert. Zweitens zeichnet sich Rechtspopulismus durch Emotionalisierung, deftige Sprache und Wir-gegen-die-Botschaften aus. Provokative, auch aufwühlende Videos, wo Menschen hängenbleiben, passen gut zur Logik des Tiktok-Algorithmus.

Um das Feld nicht Parteien zu überlassen, die zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus oszillieren, gibt es in Deutschland mittlerweile den Hashtag #ReclaimTiktok. Auch der 65-jährige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist als @teambundeskanzler dort und setzt auf Humor. In einem Video sieht man den Userkommentar: "Olaf, blinzel zweimal, wenn du dazu gezwungen wurdest." Olaf Scholz lacht herzhaft (blinzelt nicht).

Humor und Inhalt

Wichtig ist: In Österreich gibt es Erfolgsmomente, die zeigen: Die FPÖ muss nicht Platz eins belegen. Im März postete die Justizministerin Alma Zadić ein virales Tiktok-Video mit 725.000 Aufrufen. Kein einziges Video von Kickl erzeugte im ersten Quartal diese Reichweite. Wohlgemerkt: Auch andere Parteien verbuchen Tiktok-Erfolge (etwa durch Karoline Edtstadler von der ÖVP oder den Neos-Abgeordneten Yannick Shetty). Zadićs Video sagt viel aus: Es setzt auf Humor, sie macht sich als "Ministerin mit Balkanwurzeln" über Stereotype lustig, redet zwischendurch Bosnisch. Es geht hier aber auch um Inhalt: Man sieht eine erfolgreiche Frau mit Migrationshintergrund, die selbstbewusst auftritt und sich nicht scheut, ihre Muttersprache zu sprechen.

Abseits der großen rechten Blase haben gerade linke oder liberale Parteien die Chance, auf Tiktok ein Publikum zu finden. Denn Themen wie Rassismus, LGBTIQ-Rechte oder Feminismus werden dort stark diskutiert – damit sich junge Leute in der Demokratie vertreten fühlen, ist es gut, wenn die Parteien mitreden, notfalls mittanzen. (Ingrid Brodnig, 16.5.2024)

Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer auf Tiktok.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz.
Justizministerin Alma Zadić.