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1 Einleitung

Internationale Organisationen (IOs) sind wichtige Akteure in der internationalen Politik. Sie setzen Themen auf die Agenda, vereinbaren neue internationale Normen und Regeln und überwachen auch deren Umsetzung. Früher wurden IOs aus zwei verschiedenen Motiven heraus gegründet. Erstens sollten sie den Frieden wahren oder wiederherstellen. Hier sei exemplarisch der Wiener Kongress 1814/1815 genannt, in dessen Rahmen die europäischen Großmächte ein Konsultationssystem einsetzten. Ein anderes Beispiel stellt der 1918 gegründete Völkerbund dar, der zwar den Zweiten Weltkrieg nicht verhindern konnte, aber dennoch aufgrund seines partiellen Kriegsverbots eine wichtige normative Weiterentwicklung darstellte. Zweitens sind internationalen Organisationen gegründet worden, um Wirtschaftsbeziehungen besser zu gestalten (Rittberger und Zangl 2003, S. 84). Hierzu sollten und sollen Harmonisierung von Transportwesen, von Nachrichtenübermittlung, Urheberrecht oder Eichwesen vereinbart werden. Diese beiden Typen von Organisationen, also solche, die (primär) den Frieden sichern und solche, die Wirtschaftsbeziehungen erleichtern sollen, sind mit der Gründung der Vereinten Nationen (United Nations, UN) erstmals in einer Organisation zusammengeführt worden. Die UN verfolgen sowohl das Ziel „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ wie auch den „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern“ (Präambel der UN-Charta).

Die Gründung der Vereinten Nationen im April 1945 ist in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein in der Geschichte der internationalen Politik: Erstmals wurde eine internationale Organisation etabliert, die mehrere Politikfelder abdeckt. Fast alle Staaten der Welt sind Mitglied in den UN, so dass man von einer universellen internationalen Organisation sprechen kann. Weiterhin sind die UN die erste Organisation, die die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt universell verbietet, womit sie ein Gewaltverbot einführt, welches über das reine Kriegsverbot hinausgeht. Die UN sind schließlich eine internationale Organisation, die nicht nur einen Beitrag zur Abwesenheit von Gewalt und Krieg (negativer Frieden), sondern darüber hinaus auch zur Überwindung von struktureller Gewalt (positiver Frieden) leisten möchte. Sie strebt an, „Strukturen [zu] etablieren, die bessere Lebensbedingungen für die Menschheit ermöglichen“ (Brühl und Rosert 2014, S. 29).

„Die UN“ ist eigentlich in dreifacher Hinsicht ein irreführender Begriff. Erstens wäre es präziser von der „UN Familie“ oder dem „System der Vereinten Nationen“ zu sprechen. Schließlich bestehen die UN aus fünf aktiven Hauptorganen (dies sind der Sicherheitsrat, die Generalversammlung, der Wirtschafts- und Sozialrat, das Sekretariat und der Internationale Gerichtshof; nicht mehr aktiv, aber formal noch existent ist der Treuhandrat) und zahlreichen Programmen (wie dem Umwelt- oder Entwicklungsprogramm), Nebenorganen (exemplarisch seien die Sanktionsausschüsse genannt) und Sonderorganisationen (darunter die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation sowie die Weltgesundheitsorganisation). Zweitens ist es aus der Perspektive der Theorien der Internationalen Beziehungen strittig, ob internationale Organisationen überhaupt als eigenständige Akteure auftreten können, nur Foren des internationalen Austausches zwischen den Staaten darstellen oder gar nur Instrumente der mächtigen Staaten sind (Archer 1992). Diesen drei Rollenbildern lassen sich, grob vereinfacht, Theorieschulen zuordnen: Institutionalistische und sozialkonstruktivistische Ansätze argumentieren, dass internationale Organisationen Akteure sein können, liberale Ansätze verstehen IOs als Foren, neorealistische Ansätze hingegen sehen Staaten als Akteure an, die internationale Organisationen als Instrumente nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Vereinten Nationen können demnach je nach „theoretischer Brille“ unterschiedliche Rollen einnehmen (Rittberger et al. 1997). Schließlich steht „die UN“ für zwei verschiedene Akteurskollektive bzw. zwei verschiedene Identitäten. Die „First UN“ (Claude 1996, S. 290) setzt sich aus den Mitarbeitenden in der Verwaltung und den Sekretariaten der UN zusammen, also auch dem UN-Generalsekretär und seinen StellvertreterInnen. Sie hat ein (bürokratisches) Eigeninteresse. Die „Second UN“ hingegen ist geprägt durch das Kollektiv der Mitgliedsstaaten (Claude 1996, S. 291).

Im Folgenden verwende ich der Lesbarkeit halber dennoch den Begriff „die UN“. In den Mittelpunkt dieses Beitrags stelle ich das Verhältnis der Vereinten Nationen zu Konflikten. Der Zugriff ermöglicht es, drei Schneisen in die Arbeit der UN bzw. die Sichtweise auf die UN zu schlagen. Zunächst nehme ich den Beitrag der UN zur Konfliktbearbeitung in den Blick. Ich skizziere das Instrumentarium, das die UN laut Satzung zur Bearbeitung gewalttätiger Konflikte haben, und zeichne nach, wie dieses in den letzten Jahren angepasst und erweitert wurde (Abschn. 2). Anschließend beleuchte ich, wie die weltpolitischen Konflikte, der Ost-West- und der Nord-Süd-Konflikt, die Arbeitsweise der UN beeinflusst haben (Abschn. 3). Schließlich skizziere ich einen Konflikt, der die Arbeit der UN zukünftig stärker beeinflussen kann, nämlich die umfassendere Zusammenarbeit mit privaten Akteuren (Abschn. 4). Hier gibt es kontroverse Auffassungen darüber, ob diese die Legitimität und die Effektivität der UN erhöht oder umgekehrt aushöhlt.

2 Konfliktbearbeitung durch die UN – Die UN als Friedensorganisation

Das Ziel, den Frieden und die internationale Sicherheit zu schützen, ist zentral für die UN. Auch wenn sie wichtige Arbeit in anderen Politikfeldern geleistet haben, insbesondere der Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltpolitik, so ist die Friedenssicherung doch der Kernbereich der Organisation. Die UN sollten dabei gewisse Fehler der Vorgängerinstitution, dem Völkerbund, nicht wiederholen (Abschn. 2.1). Daher wurde u. a. ein umfassenderes System kollektiver Sicherheit in der UN-Charta verankert (Abschn. 2.2), das jedoch aufgrund des Ost-West-Konfliktes nicht zur Umsetzung kam. Die UN reagierten darauf, indem sie ein neues friedenspolitisches Instrumentarium entwickelten, die sogenannten Blauhelme (Abschn. 2.3). Vor wenigen Jahren reagierten die UN zudem auf die veränderte Konfliktlage, nämlich das vermehrte Auftreten von innerstaatlichen Konflikten, in denen massiv Menschenrechte verletzt werden, mit einer weiteren Neuentwicklung: der Norm der Schutzverantwortung (Abschn. 2.4).

2.1 Lehre aus dem Völkerbund: Institutionelle Weiterentwicklung mit den Vereinten Nationen

Die UN werden gerne als Kind des Völkerbundes bezeichnet (z. B. Alger 2005, S. 485), weil sie mit diesem einiges gemeinsam haben. Erstens ähneln sich beide Organisationen hinsichtlich ihrer Gründungsgeschichten: Sie sind jeweils aus der Erfahrung eines Weltkriegs heraus entstanden. Die initiierenden Staaten waren davon überzeugt, dass sie die Gräuel eines weiteren Weltkriegs zukünftig verhindern wollten. Daher begannen die Verhandlungen zur Gründung der beiden IOs schon während der Kriegszeit. Die Satzung des Völkerbundes (VB) wurde sodann als Teil der Versailler Friedenskonferenz 1919 verabschiedet. Mit der Gründung des VB sollte u. a. die Geheimdiplomatie abgeschafft und sollten nationale Minderheiten und Flüchtlinge geschützt werden. Die Charta der Vereinten Nationen ist in ihren Grundsätzen während des Zweiten Weltkriegs ausgehandelt worden. In der Atlantik-Charta von August 1941 legten Großbritannien und die USA nicht nur fest, dass sie gemeinsam militärisch gegen das Deutsche Reich vorgehen wollten, sondern vereinbarten darüber hinaus, dass sie eine internationale Organisation gründen wollten, die auf dem Prinzip der Selbstbestimmung der Völker beruhen, den freien Welthandel stärken und die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben sollte (Opitz 2002, S. 11). Unterzeichnet wurde die Charta der Vereinten Nationen jedoch erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nämlich im Juni 1945 in San Francisco. Statt wie beim VB die neue internationale Organisation direkt an den Friedensvertrag zu koppeln, ist der Gründungsakt der UN ein eigenständiger.

Beide internationale Organisationen verkörpern zweitens ein System kollektiver Sicherheit. Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass der Krieg gegen einen Staat als ein Angriff auf alle Mitglieder der Organisation angesehen wird. Die Satzung des Völkerbundes legte dies in Artikel 11 fest. Demnach wurde es als Angelegenheit des gesamten VB gewertet, wenn ein Bundesmitglied von einem Krieg oder einer Kriegsbedrohung betroffen war. Der Generalsekretär des VB hätte, wenn er von einem Mitglied gerufen worden wäre, den VB einberufen können, der dann die Möglichkeit gehabt hätte, ökonomische Sanktionen zu verhängen. Bei den Vereinten Nationen verpflichten sich alle Mitgliedsstaaten, internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen (Art. 2(3) UN-Charta) – der Einsatz von Gewalt ist damit verboten (Art. 2(4) UN-Charta). Dem Sicherheitsrat kommt dabei die Aufgabe zu, eine Bedrohung oder den Bruch des Weltfriedens festzustellen und sodann geeignete Mittel festzulegen. (Art. 39 UN-Charta). Hierunter fallen neben wirtschaftlichen Sanktionen auch militärische Maßnahmen (Art. 43 UN-Charta).

Damit geht drittens einher, dass beide Organisationen dafür stehen, dass durch sie der gewaltsame Konfliktaustrag überwunden werden sollte. Mit dem Völkerbund wurde erstmals der Versuch unternommen, ein System kollektiver Sicherheit zu verankern; zudem wurde erstmals der Krieg verboten – wenn auch nur partiell: Demnach war Krieg nur dann noch eine legitime Handlungsoption, wenn sich die Mitglieder des Völkerbundes an die vorgesehenen Verfahren gehalten hatten, die auch eine Dreimonatsfrist (cooling off des Konfliktes) beinhaltete (Delbrück 1999, S. 142). Umfassend wurde der Krieg erst 1928 mit dem Briand-Kellogg-Pakt verboten. Die UN gehen über das Kriegsverbot noch hinaus und haben das umfassendere Gewaltverbot verankert. Demnach ist die Androhung von und der Einsatz mit militärischer Gewalt verboten. Zudem ist das System kollektiver Sicherheit in besserer Form verankert worden.

Zu den Parallelen zählen ferner noch, dass es gewisse institutionelle Ähnlichkeiten gibt. Beide IOs verfügten über bzw. haben eine Versammlung und einen Rat. Die UN haben jedoch ein viel stärker ausdifferenziertes Institutionengefüge verankert, was auch mit dem umfassenderen Mandat der Organisation zusammenhängt. Die zum Teil unklaren Kompetenzzuschreibungen der Organe des Völkerbundes haben die UN durch klare Mandatszuschreibungen überwunden. Weiterhin handelt es sich bei den UN um eine universelle Organisation, da im Gegensatz zum Völkerbund (fast) alle Staaten Mitglied sind. Die Möglichkeit aus der Weltorganisation auszutreten, wie sie beim VB verankert war, ist bei den UN nicht mehr gegeben.

2.2 Kollektive Sicherheit durch die Vereinten Nationen

Ein System kollektiver Sicherheit ist ein nach innen, also auf die Mitgliedsstaaten, gerichtetes System. Es soll den Kriegsausbruch dadurch verhindern, dass jedes Mitglied weiß, dass es bei einem Angriff von allen anderen Mitgliedern, und nicht nur dem angegriffenen Staat, (militärische) Reaktionen erwarten muss. Diese Aussicht soll potenzielle Angreifer von einer aggressiven Handlung abbringen. Das System baut also darauf auf, dass ein potenzieller Angreifer weiß, dass auf seine Handlung von allen anderen Mitgliedern der Organisation reagiert werden wird – und er diese Reaktionen fürchtet.

Das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen baut auf dem Gewaltverbot auf (Art 2(4) UN-Charta). Die Staaten verpflichten sich, internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen (Art. 2(3) UN-Charta). Es gibt nur zwei Ausnahmen vom Gewaltverbot. Zum einen hat ein Staat in dem Fall, dass er bewaffnet angegriffen wird, ein individuelles oder kollektives Selbstverteidigungsrecht. Bis der Sicherheitsrat aktiv wird, darf er eigenständige Maßnahmen ergreifen, welche er dem Sicherheitsrat anzeigen muss. Zum anderen kann der Sicherheitsrat kollektive Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta ergreifen, um den Weltfrieden zu wahren oder wiederherzustellen. Er kann wirtschaftliche oder politische Sanktionen verhängen (Art. 40 UN-Charta) oder militärische Maßnahmen ergreifen (Art. 41 UN-Charta).Footnote 1

Ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt, entscheidet der Sicherheitsrat (Art. 39 UN-Charta). Ihm kommt somit eine große Bedeutung im Bereich der Friedenssicherung zu. Seine 15 Mitglieder entscheiden bei Verfahrensfragen mit einfacher Mehrheit, bei substanziellen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit. Das bedeutet, dass keine Entscheidung gegen den Willen eines der fünf ständigen Mitglieder (Permanent Five, P5: China, Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA) getroffen werden darf. Legt einer der fünf Staaten ein Veto ein, so ist der Resolutionsvorschlag gescheitert. Die nichtständigen Mitglieder werden dagegen durch die Generalversammlung nach einem Regionalschlüssel gewählt (Wunderlich 2009, S. 3).

Der Sicherheitsrat nutzt das Instrumentarium der kollektiven Zwangsmaßnahmen erst seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes in größerem Umfang. Zuvor, also in der Zeit zwischen 1945 und 1989, verhängte er lediglich zwei Mal wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, nämlich gegen die Politik des Ian Smith-Regimes im ehemaligen Rhodesien (1968) und gegen das Apartheidregime in Südafrika (1963–1994). Außerdem beschloss er zwei Mal militärische Maßnahmen, nämlich zu Korea (1950/1951) und zum Kongo (1960). In allen anderen Fällen blockierte einer der beiden Antagonisten, also die USA oder die UdSSR, eine Resolution, indem er ein Veto einlegte. Dies geschah, sobald eine der beiden Einflusssphären betroffen war. Daher verabschiedete der Sicherheitsrat in der Zeit von 1956–1989 durchschnittlich nur 15 Resolutionen pro Jahr (Wallensteen und Johanson 2004, S. 18). Über 200 Resolutionsentwürfe traten dagegen nicht in Kraft.

Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes sind zwei Änderungen zu beobachten. Erstens verabschiedet der Sicherheitsrat generell mehr Resolutionen. Die Zahl der Vetos nahm um 80 % ab (Cockayne und Malone 2005, S. 335), in den letzten fünf Jahren wurde durchschnittlich nur eine Resolution pro Jahr durch ein Veto blockiert. Zweitens hat der Sicherheitsrat bedeutend häufiger das Instrumentarium der kollektiven Sicherheit angewandt. Allein in den Jahren 1990–2005 verhängte er 15 Mal Wirtschaftssanktionen (Cortright et al. 2007, S. 249). In den letzten drei Jahren (2011–2013) bezogen sich über die Hälfte der Resolutionen auf das Kapitel VII, ermöglichten also kollektive Zwangsmaßnahmen.Footnote 2

Die Möglichkeit der individuellen wie kollektiven Selbstverteidigung ist in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach ergriffen worden. Mit dem Verweis auf (angebliche) Hilferufe von Staaten schickten u. a. die Sowjetunion Truppen nach Ungarn (1956) und Afghanistan (1980) oder die USA in den Libanon (1958). Daher bezeichnet Ernst-Otto Czempiel (1994, S. 101) die Selbsthilfeklausel der UN-Charta auch als „willfähriges und manipulierbares Aushängeschild.“ Seine Kritik geht allerdings noch darüber hinaus. Das ganze System kollektiver Sicherheit sei ein Mythos, der „niemals funktioniert hat und auch gar nicht funktionieren kann“ (Czempiel 1994, S. 25). Entweder halten sich alle an das Gewaltverbot, dann ist das System der kollektiven Sicherheit überflüssig, oder aber die Staaten halten sich nicht daran, dann ist dies jedoch ein Ausdruck davon, dass das System nicht funktioniert. Berthold Meyer (2011, S. 482) argumentiert ähnlich, indem er feststellt: „[S]oweit und solange ein potenzieller Friedensbrecher an das Funktionieren des in der UN-Charta beschriebenen Systems kollektiver Sicherheit glaubt, lässt er sich von ihm abschrecken.“ Sobald er aber diesen Glauben nicht hat, entfaltet das System keine eigene Dynamik.

Die Frage, ob diese Einschätzung empirisch haltbar ist, wird kontrovers diskutiert. Zwar ist es den UN nicht gelungen, den Ausbruch von Kriegen oder noch umfassender von gewaltsamen Konflikten zu verhindern – so gab es allein im Jahr 2013 nach Berechnungen des Heidelberger Instituts für Konfliktforschung 414 Konflikte, von denen 45 sehr gewaltsam ausgetragen wurden; darunter elf zwischen Staaten (HIIK 2014) –, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Kriege und gewaltsamen Konflikte ohne die UN bedeutend höher ausgefallen wäre. Hierzu hat auch die institutionelle Weiterentwicklung beigetragen, die die UN implementiert hat.

2.3 Friedensmissionen als Weiterentwicklung des friedenspolitischen Instrumentariums

Um der „Tatenlosigkeit des Sicherheitsrates“, die während und aufgrund des Ost-West-Konfliktes bestand, ein Ende zu setzen (Czempiel 1994, S. 51), schuf der damalige Generalsekretär Dag Hammarskjöld das Instrument der Friedensmissionen (Peacekeeping Operations, PKO). Ursprünglich stand es dafür, dass peacekeeper mit der Zustimmung der Konfliktparteien zwischen eben diesen positioniert wurden, um einen bestehenden Friedensvertrag bzw. ein Waffenstillstandsabkommen zu überwachen. Die auch als Blauhelme bezeichneten peacekeeper waren unparteilich, sie setzten Gewalt nur zur Selbstverteidigung ein; die operative Leitung lag in der Abteilung für Friedenssicherung des UN-Sekretariats, also innerhalb der Vereinten Nationen. Die Blauhelm-Missionen bauten auf dem Prinzip einer „kooperativen Friedenswahrung“ (Vogler 1990, S. 18) auf, das so nicht in der UN-Charta verankert war. Am ehesten lassen sich die Friedensmissionen zwischen Kapitel VI der UN-Charta, der friedlichen Streitbeilegung, und Kapitel VII, dem Einsatz von Zwangsmaßnahmen, einordnen. Zwischen 1948 und 1988 entsandten die UN 17 solcher Friedensmissionen (Doyle und Sambanis 2007, S. 328–332). Ein Beispiel für diese Friedensmissionen war die UNEF (United Nations Emergency Force), die im Suez-Konflikt 1956 die Einhaltung des Waffenstillstandes und den Abzug der israelischen, britischen und französischen Truppen aus Ägypten überwachen sollte und zudem als Puffer zwischen den israelischen und ägyptischen Truppen stand (Krasno 2004, S. 229). Weitere Friedensmissionen wurden in die Länder des Nahen Ostens, aber auch Afrikas und Asiens entsandt, in denen die Entkolonialisierung zu Konflikten führte, an denen die Großmächte kein Interesse hatten (Mingst und Karns 2007, S. 94).

Mit der Zeit wurden die Grenzen der Blauhelmmissionen offensichtlich. Sie eigneten sich nur für die Friedenssicherung nach zwischenstaatlichen Kriegen, in denen zwei klar voneinander abgrenzbare Konfliktparteien miteinander gekämpft hatten. In innerstaatlichen Kriegen, wie bspw. dem Kongo-Krieg Anfang der 1960er-Jahre, stießen die Friedensmissionen sehr schnell an ihre Grenzen. Die Blauhelme wurden im Kongo als eine Konfliktpartei wahrgenommen, weshalb die kongolesische Regierung eine Mandatsverlängerung 1964 ablehnte (Debiel 2003, S. 66).

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und mit dem damit einhergehenden wandelnden Konfliktgeschehen – es brachen zunehmend innerstaatliche Kriege aus – veränderten sich auch die Friedensmissionen. Aus analytischen Gründen spricht man daher von drei Generationen, die der ersten, den klassischen Blauhelmen, folgten (Doyle 1999; Doyle und Sambanis 2007). Ende der 1980er-Jahre wurden Blauhelmeinsätze der zweiten Generation eingeführt. Bei den sogenannten multidimensionalen Friedensmissionen übernahmen die Blauhelme – zusätzlich zur Überwachung der Einhaltung eines Waffenstillstands bzw. eines Friedensvertrags – die Aufgabe, den Frieden zu implementieren. Blauhelme wirkten bei der Demobilisierung von ehemaligen Kombattanten mit, unterstützten Flüchtlinge bei der Umsiedlung und halfen beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen. Über die Funktion des peacekeeping hinaus überwachten die Blauhelme aber auch die Einhaltung bzw. die Implementierung von Menschenrechten, begleiteten Wahlprozesse und wirkten an der ökonomischen Transformation mit (Doyle 1999, S. 448). Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Einsatz stellt die UNTAG (United Nations Transition Assistance Group, 1989–1990) dar, die Namibias Überführung in die Unabhängigkeit unterstützte.

Es zeigte sich nachfolgend, dass nicht immer alle Konfliktparteien mit den Mandaten bzw. dem Entsenden der Friedensmissionen konform gingen. Zum Teil wurden die Blauhelmsoldaten daran gehindert, ihr Mandat in vollem Umfang zu erfüllen. Soldaten wurden sogar tätlich angegriffen. Der Sicherheitsrat reagierte auf diese Entwicklung, indem er zunehmend sogenannte robuste Mandate nach Kapitel VII der UN-Charta, die den Einsatz von Waffengewalt zur Durchsetzung der Aufgaben erlaubten, erteilte (Johnstone et al. 2005, S. 248). Bei robusten Friedensmissionen konnten die UN zu Waffen greifen, um etwa Hilfsgüter auszuliefern, Menschenrechte zu schützen oder auch den Wiederaufbau von instabilen Staaten (failed states) zu unterstützen. Die robusten Mandate wurden auch infolge von massiver Kritik an den UN, die zwischenzeitlich als „überforderte Weltorganisation“ (Debiel 1998, S. 451) bezeichnet wurden, erlassen. Der Vorwurf war, dass die UN tatenlos bei Bürgerkriegen zugesehen habe, statt zumindest die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Ein Beispiel für eine Mission der dritten Generation war die UNOSOM II-Mission in Somalia. Sie hatte die Aufgabe, den Waffenstillstand zu sichern und darüber hinaus die einander bekämpfenden Milizen zu entwaffnen sowie Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung zu verteilen. Nachdem 24 pakistanische Blauhelmsoldaten umgebracht wurden, verloren die Blauhelme ihre Unabhängigkeit und wurden nachfolgend abgezogen (Gareis und Varwick 2006, S. 130).

Die vierte Generation von Friedensmissionen haben die UN entsandt, da nach Kriegen eine institutionelle, materielle und ideelle Transformation notwendig ist, um insbesondere in ehemaligen Bürgerkriegsgesellschaften einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten (Friedenskonsolidierung). Die Blauhelme haben dabei ein multidimensionales Mandat, das die Option zu robusten Maßnahmen umfasst. Die Blauhelmsoldaten sollen etwa für die Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration von ehemaligen Kombattanten verantwortlich sein, sie sollen den Aufbau staatlicher Strukturen unterstützen, so dass diese dann öffentliche Güter zur Verfügung stellen oder Projekte im sozio-ökonomischen Bereich initiieren können, damit die Zivilgesellschaft in die Lage versetzt wird, Konflikte selbst friedlich zu bearbeiten (Barnett et al. 2007, S. 37). Damit haben sich die UN vom „Ordnungshüter zum Ordnungsstifter“ entwickelt (Haedrich 1994, S. 54). Dies führte zu einem erhöhten Ressourcenbedarf: Zwischen 1999 und 2010 nahm die Zahl des Personals um den Faktor acht zu, das Budget hat sich verzehnfacht (Benner et al. 2011, S. 3). Einige der multidimensionalen Friedensmissionen setzen die UN zusammen mit anderen Akteuren wie Regionalorganisationen oder in Zusammenarbeit mit der Weltbank um. Die UNMIL (United Nations Mission in Liberia) ist ein Beispiel für eine solche Mission. Der blutige Bürgerkrieg in Liberia, der fast 150.000 Menschen das Leben kostete und bei dem rund 850.000 Menschen in die Nachbarländer flohen, wurde durch den Friedensvertrag von Accra 2003 beendet. Die UN entsandten gemeinsam mit ECOWAS (Economic Community of West African States) eine Mission mit der Aufgabe, den Friedensvertrag zu überwachen und die Übergangsregierung in der Friedenskonsolidierung zu unterstützen.

Die vier Generationen von Friedensmissionen sind in Reaktion auf das sich verändernde Konfliktgeschehen entstanden. Da es aktuell neben den Bürgerkriegen aber nach wie vor zwischenstaatliche Kriege gibt, werden auch heute noch Friedensmissionen eingesetzt, die vom Mandat her der ersten Generation zuzuordnen sind. Insofern ist der Generationenbegriff einerseits irreführend, da eine neue Generation nicht mit dem Ende einer älteren einhergeht. Andererseits ist er hilfreich, da er deutlich macht, dass die Aufgaben der Blauhelme immer komplexer geworden sind. Sie sind heute in allen Phasen der friedlichen Konfliktbearbeitung aktiv: der Krisenprävention (vorbeugenden Diplomatie), der Friedensschaffung (peacemaking), der Friedenssicherung (peacekeeping) und der Friedenskonsolidierung.

Die Unterscheidung dieser vier Phasen der Konfliktbearbeitung hat der damalige UN Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali in seinem Bericht „Agenda für den Frieden“ 1992 eingeführt, um die Vielseitigkeit der UN-Aktivitäten in der Konfliktbearbeitung systematisierend zu benennen. Er betonte damals, dass die Prävention und die Friedenskonsolidierung ausgebaut werden müssten. Weiterhin wies er dem Sicherheitsrat eine wichtige Rolle in der Friedenspolitik zu. Demnach sollte der Rat und nicht etwa einzelne, sich selbst mandatierende, Staaten über Krieg und Frieden entscheiden.

2.4 Die Responsibility to Protect – Schutzverantwortung als neue Norm

In den 1990er-Jahren nahm die Kritik an der Konfliktbearbeitung durch die UN massiv zu. Die UN griffen zu spät in gewaltsame Auseinandersetzungen ein bzw. ergriffen nur unzureichende Maßnahmen, um die Bürgerkriege in Ruanda, Somalia und dem ehemaligen Jugoslawien zu beenden. Sie verloren an Glaubwürdigkeit. Zudem intervenierten einzelne Staaten militärisch in Bürgerkriege, ohne ein Mandat des Sicherheitsrates zu haben und begründeten diesen „neuen Interventionismus“ (Debiel und Nuscheler 1996) mit der Notlage der Bevölkerung bzw. mit massiven Menschenrechtsverletzungen.

Zunehmend wurde deutlich, dass zwei zentrale Normen der internationalen Politik miteinander in Konkurrenz stehen: Die Norm der Souveränität der Staaten und die Norm des Menschenrechtsschutzes. Einem klassischen Souveränitätsverständnis folgend, fällt der Schutz der Menschenrechte in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Gemäß Art. 2(7) UN-Charta ist ein Eingreifen in die inneren Angelegenheiten nicht erlaubt; beruhen doch die UN auf dem Grundsatz der „souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“ (Art. 2(1) UN-Charta). Zugleich legt die UN-Charta jedoch fest, dass die Menschenrechte zu achten und zu verwirklichen sind. Die massive Verletzung von Menschenrechten wurde ab den 1990er-Jahren auch als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit gewertet. Erstmals war dies im Rahmen des Irakkriegs 1991 der Fall. Der Sicherheitsrat klassifizierte die grenzüberschreitenden Flüchtlingsströme der überwiegend kurdisch-irakischen Bevölkerung, die infolge der Giftgasangriffe ihre Heimat verließen, als eine Bedrohung des regionalen Friedens (S/RES/688 vom 05. April 1991). Er forderte den Irak auf, die Lage der Bevölkerung zu verbessern und humanitären Organisationen Zugang zu den Flüchtlingen zu ermöglichen. Nachfolgend beriefen sich Großbritannien und die USA auf diese Resolution und setzten militärische Gewalt ein, um die ebenfalls vom Sicherheitsrat verhängte Flugverbotszone durchzusetzen. Während die Entscheidung des Sicherheitsrates im Frühjahr 1991 noch umstritten war, weil dies von einigen Mitgliedern als eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten angesehen worden war, wurde rund ein Jahr später im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien nicht mehr die Frage diskutiert, ob die massive Verletzung von Menschenrechten eine Gefahr für Frieden und Sicherheit darstellt, sondern nur noch wie man intervenieren sollte (Brühl und Peltner 2015, S. 224). Es fand also eine Verschiebung der Bedeutung zentraler Normen der internationalen Politik statt: Souveränität verlor an Bedeutung, die Einhaltung der Menschenrechte wurde hingegen als wichtiger eingeschätzt.

Die massive Kritik an der Arbeit der UN und die Unklarheit, wie mit der Bedeutungsveränderung von Normen umgegangen werden sollte, führte dazu, dass der damalige Generalsekretär Kofi Annan die Staatengemeinschaft dazu aufrief, Vorschläge zu erarbeiten, wie angemessen auf Notlagen reagiert werden sollte. Die kanadische Regierung berief daraufhin eine zwölfköpfige Expertenkommission ein, die International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS). Diese legte ein Jahr später ihren Bericht vor, in dem sie das Konzept der „Responsibility to Protect“, der Schutzverantwortung, vorschlug (ICISS 2001). Demnach haben Staaten die Verantwortung und Verpflichtung, bei massiven Menschenrechtsverpflichtungen aktiv zu werden. Sie sind verantwortlich, das Entstehen gewaltsamer Konflikte zu verhindern (responsibility to prevent). Falls dies misslingt, haben sie eine Pflicht, zum Schutz der Menschenrechte militärisch einzugreifen (responsibility to react) und nach einer solchen Intervention die Pflicht zur Friedenskonsolidierung (responsibility to rebuild). Militärische Maßnahmen dürfen nur ergriffen werden, wenn in einem großen Umfang der Verlust von Menschenleben oder auch ethnische Säuberungen verhindert werden können.

Der Bericht der ICISS hat die Diskussionen in den UN stark beeinflusst. Letztendlich lehnten sie das breite, von der ICISS vorgeschlagene Verständnis von Schutzverantwortung ab und verpflichteten sich nur zu einem engeren. Demnach hat jeder einzelne Staat die Pflicht, seine Bevölkerung zu schützen. Die internationale Gemeinschaft kann hier ggf. unterstützend tätig werden. Kommt ein Staat seiner Pflicht nicht nach, so wird die Staatengemeinschaft selbst aktiv und kann hierzu friedliche oder Zwangsmaßnahmen ergreifen. Zu dieser engen Definition der Responsiblity to Protect (R2P) kam es, weil einigen Staaten die von der ICISS vorgeschlagene Norm zu restriktiv, anderen zu vage erschien (Brühl und Rosert 2014, S. 152). Die USA hätten individuelle Entscheidungen über Interventionen einer solchen allgemeinen Regel gegenüber bevorzugt; zudem fühlten sie sich in ihrem Handlungsspielraum beeinflusst (Bellamy 2006, S. 151). Russland und China dagegen befürchteten einen generellen Trend zu mehr Eingriffen in innere Angelegenheiten (Wheeler 2005). Diese Einschätzung teilten auch einige Länder des globalen Südens, die einen neuen Interventionismus in ihre Staaten befürchteten (Ramcharan 2007, S. 440).

Seit der Verabschiedung der Schutzverantwortungsnorm im Rahmen des sogenannten Reformgipfels 2005 hat die UN-Generalversammlung mehrfach über dieses Thema diskutiert. Ausgangspunkt ist dabei der jährliche Bericht des Generalsekretärs zur R2P. In seinem ersten Bericht griff er hierbei die Idee der drei Phasen, die der ICISS-Bericht vorgeschlagen hatte, auf und betonte, dass die Prävention, die gemeinsame Reaktion und die Friedenskonsolidierung als drei gleichberechtigte Säulen anzusehen sind. Dies stellt eine Konkretisierung der ursprünglich vereinbarten Regelung dar, und es schlossen sich fast alle Staaten diesem Verständnis an (Bellamy 2011, S. 43).

Auch der Sicherheitsrat hat über die R2P diskutiert. Hierbei waren konzeptionelle Fragen jedoch zweitrangig. Wichtiger ist und war die Frage der Anwendung der R2P. Hier legte der Sicherheitsrat ein inkonsistentes Verhalten an den Tag (Brühl und Rosert 2014, S. 155): Während er in einigen Konflikten, ausgehend von der R2P, Maßnahmen ergriff, so in Kenia 2008, der Elfenbeinküste 2010 oder Libyen 2011, blieb er bei anderen Konflikten inaktiv. So verhängte der Sicherheitsrat keine Maßnahmen im Sinne der R2P in Georgien 2008, in Myanmar 2008 und Syrien (bis heute), obwohl jeweils einzelne Staaten auf die Norm der Schutzverantwortung hingewiesen haben. Nachfolgend skizziere ich den prominentesten Fall der Anwendung der R2P, Libyen, und den aktuellsten der fehlenden Anwendung der R2P, Syrien.

Im März 2011 verhängte der Sicherheitsrat erstmals gegen den expliziten Willen eines existierenden Staates, Libyen, militärische Zwangsmaßnahmen, indem er eine Flugverbotszone einrichtete (S/RES/1973; siehe auch Brühl und Peltner 2015, S. 228). Diese sollte die von dem damaligen Präsidenten Muammar al-Gaddafi angekündigten gewaltsamen Angriffe auf die Oppositionsbewegung verhindern. Im Vorfeld war es schon zu mehreren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Opposition, die sich im Rahmen des Arabischen Frühlings auch in Libyen gebildet hatte, und den Regierungskräften gekommen. Gaddafi hatte im Februar das Militär angewiesen, mit Gewalt gegen die demonstrierende Opposition vorzugehen (Geiß und Kashgar 2011, S. 99). Dies war von mehreren Regionalorganisationen, darunter dem Golfkooperationsrat und der Arabischen Liga, verurteilt worden, sie forderten ein Eingreifen der UN. Als Gaddafi Mitte März ankündigte, die von den Regimegegnern gehaltene Stadt Bengasi anzugreifen und brutal gegen diese vorgehen zu wollen, betätigte er sich „ungewollt als Protagonist der Schutznorm“ (Müller 2011, S. 6). Der Sicherheitsrat reagierte, indem er die Resolution 1973 verabschiedete. Dabei enthielten sich die ständigen Mitglieder Russland und China sowie die temporären Mitglieder Brasilien, Indien und Deutschland der Stimme. Die NATO-Staaten legten das Mandat der Resolution sehr weit aus. Sie griffen nicht nur die libysche Luftwaffe an, sondern zerstörten auch schwere Waffen auf dem Boden. Dies, sowie allgemein der Versuch einen Regimewechsel herbeizuführen, war aus Sicht Russlands und Chinas nicht von der Resolution 1973 gedeckt (Bellamy und Williams 2011, S. 845). Sie kritisierten, dass das Ziel, die Zivilisten zu schützen, dem Regimewechsel geopfert worden sei (Zeit online 2011).

Die Kritik einiger Staaten an der zu weiten Auslegung des UN-Mandats wirkte sich in den nachfolgenden Diskussionen über die Situation in Syrien aus. Auch hier kam es im Rahmen des Arabischen Frühlings im Frühjahr 2011 zu Demonstrationen. Der Präsident unterdrückte die Oppositionsbewegung gewaltsam, woraufhin verschiedene Gruppierungen ebenfalls zur Gewalt griffen. In dem sich dann entwickelnden Bürgerkrieg leidet die Zivilgesellschaft bis heute extrem. Die UN schätzen, dass über 190.000 Menschen durch den Bürgerkrieg gestorben sind; mehr als drei Millionen Menschen haben Syrien verlassen, darüber hinaus gibt es rund 6,5 Mio. Binnenflüchtlinge. Obwohl der Menschenrechtsrat schon im August 2012 aufgrund eines Berichts seiner Beobachtergruppe feststellte, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und schwerste Menschenrechtsverletzungen vorliegen (A/HCR/21/50 vom 16. August 2012), hat der Sicherheitsrat keine Zwangsmaßnahmen ergriffen. Da die beiden ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland und China jeweils Vetos einlegten oder diese schon im Vorfeld ankündigten, kam die Norm der Schutzverantwortung nicht zum Einsatz. Der Sicherheitsrat verurteilte zwar die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, knüpfte aber keine militärischen Maßnahmen daran (S/RES/2042 vom 12. April 2012 sowie S/RES/2139 vom 22. Februar 2014). Nach dem Giftgas-Einsatz im August 2013, in dessen Folge rund 1400 Zivilisten starben, verurteilte der Sicherheitsrat den Einsatz von chemischen Waffen und stellte ein völkerrechtswidriges Handeln fest. Er forderte Syrien zur Vernichtung der Waffen auf und kündigte an, im Falle der Nichtbefolgung der Resolution Maßnahmen nach Kapitel VII verhängen zu wollen. Da Syrien aber am 14. September der Chemiewaffen-Konvention beitrat und mit den Inspektoren zusammenarbeitete, waren hier keine weiteren Schritte erforderlich. In den letzten Monaten ist es durch den Vormarsch der Truppen des „Islamischen Staates“ zu einer dramatischen Regionalisierung bzw. Internationalisierung des Bürgerkriegs gekommen, die eine Konfliktbeilegung durch die UN sehr unwahrscheinlich macht. Russland und China nehmen von ihrer Blockade-Politik keinen Abstand. Die R2P kommt also auch in absehbarer Zukunft nicht zum Einsatz.

Libyen gilt als Turning Point für die R2P, da seitdem zunehmend über die Frage diskutiert wird, was man denn ursprünglich vereinbart habe (Badescu und Bergholm 2009, S. 290–291) und wie eine angemessene Reaktion auf massive Menschenrechtsverletzungen aussehen kann (Brühl und Peltner 2015). Die bestehende Formulierung der R2P von 2005 erscheint im politischen Prozess zu vage (Zifcak 2010, S. 523). Einen Vorstoß, mehr prozedurale Klarheit zu schaffen, machte Brasilien. Ausgehend von der eigenen Unzufriedenheit mit dem Vorgehen gegen Gaddafi legte Brasilien im November 2011 das Konzeptpapier „Responsibility while Protecting“ vor. Demnach sollen alle drei Säulen der R2P nacheinander angewendet werden, militärische Maßnahmen sollen demnach nur die letzte Wahl sein. Bevor militärische Maßnahmen angewendet werden dürfen, soll eine Analyse potenzieller Konsequenzen eines Militäreinsatzes erfolgen. Die anderen Staaten reagierten verhalten auf den Vorschlag. Es gilt also zu beobachten, wie die Norm in den nächsten Jahren angewendet wird und ob es eine Präzisierung gibt.

3 Konflikte in den Vereinten Nationen

Die UN sind nicht nur ein Akteur, der Einfluss auf das Konfliktgeschehen ausüben will. Sie sind zugleich auch ein Forum, innerhalb dessen Konflikte ausgetragen werden, wie ich in diesem Abschnitt aufzeige. Wie schon angedeutet, hat der Ost-West-Konflikt einen großen Einfluss auf die Arbeitsweise des Sicherheitsrates gehabt (Abschn. 3.1). Aber auch die zweite große Konfliktlinie, der Nord-Süd-Konflikt, hat die Tätigkeit der UN beeinflusst – und zwar insbesondere die der Generalversammlung (Abschn. 3.2). Schließlich gibt es auch kleinere Konfliktlinien, die die Besetzung von neuen Gremien wie dem Menschenrechtsrat oder die Debatte um die Reform des Sicherheitsrates betreffen (Abschn. 3.3).

3.1 Der Ost-West-Konflikt blockiert die Arbeit des Sicherheitsrates

Schon direkt nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich eine Konfliktkonstellation, die die internationale Politik der nächsten vier Dekaden stark beeinflussen sollte: Der Ost-West-Konflikt. Im Kern war er ein ordnungspolitischer Konflikt (Senghaas 1988, S. 31). Es gab von den beiden Hauptprotagonisten, den USA und der Sowjetunion, unterschiedliche Vorstellungen über die „wünschbare politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung“ (Senghaas 1988, S. 31). Während auf der einen Seite die Demokratie und die „dezentrale Konkurrenzökonomie“ als der Königsweg angesehen wurde, stellte die andere Seite die „Diktatur des Proletariats“ und die hochzentralisierte Planwirtschaft als den richtigen Weg dar (Senghaas 1988, S. 31). Schon Ende der 1940er-Jahre setzte die Rüstungskonkurrenz ein, die zu einer Aufrüstung beider Seiten, jeweils als Nachrüstung propagiert, führte.

Der Konflikt prägte auch die Arbeit der UN, da sich anfangs fast alle Staaten der einen oder anderen Seite zugehörig fühlten. Bis Mitte der 1950er-Jahre stellten die westlichen Staaten rund zwei Drittel aller UN-Mitglieder. Daher erhielten Resolutionen, die von den USA und ihren Verbündeten in die Generalversammlung eingebracht wurden, fast automatisch eine Mehrheit. Nur in drei von 100 Resolutionen unterlagen die USA (Hüfner und Martens 2000, S. 14). Die USA trugen in dieser Zeit fast 40 % zum regulären UN-Budget bei und leisteten darüber hinaus durch freiwillige Beitragszahlungen von teils über 50 % zu den Sonderorganisationen einen entscheidenden Beitrag zur Arbeitsweise der Weltorganisation (Hüfner und Martens 2000, S. 14). Sie verfügten somit in einigen Institutionen der UN-Familie über eine Art finanzielle Vetomacht. Im Sicherheitsrat sind die USA wie auch Frankreich, Großbritannien, China und Russland eine Vetomacht, können also inhaltliche Entscheidungen blockieren.

Genau diese Veto-Option nutzten die beiden Staaten während des Ost-West-Konflikts ausgiebig. Sie legten zwischen 1945 und 1990 insgesamt 297 Vetos ein (Armstrong et al. 1996, S. 68), wobei zwei Phasen der besonders intensiven Blockade zu unterscheiden sind. In der ersten Dekade nach Gründung der UN verhinderte die Sowjetunion mit insgesamt 80 Nein-Stimmen ein Tätigwerden des Sicherheitsrates. Sie lehnte dabei auch einige Aufnahmeanträge von Staaten in die UN ab, darunter Portugal und Transjordanien. Die USA nutzen die Veto-Option erst später und legten ihr erstes Veto 1970 ein. Sie verhinderten so die Verurteilung des rassistischen Minderheitenregimes in Südrhodesien (Hüfner und Martens 2000, S. 69). Die amerikanische Politik führte zum zweiten Höhepunkt der Sicherheitsratsblockade, der in den Jahren 1976–1985 zu verzeichnen war. In den 1970er-Jahren verhinderten die USA 21 Mal die Verabschiedung von Resolutionen, die Sowjetunion stimmte nur sieben Mal mit Nein. Diese Tendenz hielt auch in den 1980er-Jahren an. Der Sicherheitsrat verkam während des Ost-West-Konfliktes somit zu einem „Forum ideologischer Schaukämpfe“ (Wolf 2005, S. 33).

Bis in die 1960er-Jahre hinein wurden mehr Resolutionen durch ein Veto abgelehnt, als positive Entscheidungen des Sicherheitsrates getroffen wurden. Dass sich dies nachfolgend änderte, ist auch ein Ausdruck von veränderten Arbeitsgewohnheiten des Gremiums. Der Sicherheitsrat hielt insbesondere seit den 1980er-Jahren viele informelle Konsultationen ab. Zeichnete sich in den informellen Sitzungen ab, dass eines der ständigen Mitglieder einer Resolution nicht zustimmen würde, so wurde die Resolution erst gar nicht offiziell vorgelegt und zur Abstimmung gestellt, sondern schon vorher zurückgezogen.

Mit dem Amtsantritt Michail Gorbatschows als neuem Präsidenten der Sowjetunion 1985 nahmen die Spannungen zwischen Ost und West ab. Er initiierte u. a. Gespräche über die Abrüstung von atomaren Mittelstreckenraketen in Europa und ließ zu, dass die osteuropäischen Staaten eine eigene politische Entwicklung vollzogen. Das Ende des Ost-West-Konfliktes wirkte sich auch unmittelbar auf die Arbeit der UN aus. Die Blockadepolitik im Sicherheitsrat wurde überwunden. Daher stieg die Zahl der verabschiedeten Resolutionen stark von durchschnittlich 15 auf 60 pro Jahr an (Wallensteen und Johansson 2004, S. 18).

3.2 Der Nord-Süd-Konflikt bringt Spannungen in die Generalversammlung

Die zweite große Konfliktlinie, die die Arbeit der UN stark beeinflusste und in Teilen auch heute noch beeinflusst, war bzw. ist der Nord-Süd-Konflikt. Hierbei ist vorweg zu attestieren, dass die beiden Gruppen sehr heterogen zusammengesetzt sind und sie zukünftig noch heterogener werden. Dennoch vereinheitlichend von dem Norden bzw. Süden zu sprechen ist nur möglich, wenn „kontextspezifische Fragen im Umgang mit der Politik oder den Problemen einzelner Länder“ im Mittelpunkt stehen (Brock und Liste 2012, S. 648). Zudem sind auch die subjektiven Zuordnungen der Staaten, die in den 1960er-Jahren insbesondere über die „Idee des dritten Weges“, also einer Alternative zwischen Ost und West, gegeben war, relevant (Brock und Liste 2012, S. 650). Um die soziale Konstruktion und Heterogenität der Begriffe Nord und Süd offenzulegen, hat sich der Begriff des globalen Nordens bzw. des globalen Südens durchgesetzt. Schließlich geht es eben nicht um eine geographische Zugehörigkeit zu einer Hemisphäre, sondern um soziale und ökonomische Spezifika der Staaten.

Die Länder des globalen Südens hatten sich zunächst außerhalb der UN zusammengeschlossen, um mit einer gemeinsamen Stimme sprechen zu können. Der Ausgangspunkt war die Bandung Konferenz 1955, auf der sich eine „asiatisch-afrikanische Solidargemeinschaft“ von 29 Staaten bildete, die sich dem „Sog der Ost-West-Polarisierung“ entziehen wollte (Brock und Liste 2012, S. 646). Daraus entwickelte sich die „Bewegung der Blockfreien“, die 1961 in Belgrad gegründet wurde. Kurz darauf schlossen sich diese Staaten am Rande einer UNCTAD-Konferenz zur Gruppe der 77 (G-77) zusammen, um ihre entwicklungspolitischen Anliegen gemeinsam zu vertreten (Weiss et al. 1997, S. 215). Die G-77 tritt bis heute in den UN auf. Sie gibt ihre Stellungnahmen zumeist unter dem Namen der „G-77 plus China“ ab.

Die Gründung der G-77 war eine Folge davon, dass zwar die Zahl der UN-Mitgliedsstaaten, die dem globalen Süden zuzurechnen sind, seit Gründung der Institution stark angestiegen war: von 30 Staaten bei der UN-Gründung über fast 70 Länder Anfang der 1960er-Jahre bis zu knapp 100 im Jahr 1970 (Brühl und Rosert 2014, S. 278). Diese Staaten fühlten sich jedoch trotz ihrer Stimmenmehrheit in der Generalversammlung ab 1955, dem Ende der Dominanz der USA (Armstrong et al. 1996, S. 88), nicht ausreichend in der Organisation repräsentiert. Durch den Zusammenschluss zur G-77 erhofften sie sich mehr Einflussnahme auf entwicklungspolitische Entscheidungen.

Diese sollten aus der Perspektive der G-77 in und durch die UN getroffen werden. Die UN sollten demnach die Weisungsbefugnis in Wirtschafts- und Entwicklungsangelegenheiten erhalten und zudem die Bretton-Woods-Organisationen überwachen können (Fomerand und Dijkzeul 2007, S. 564). Die Länder des globalen Nordens wollten dagegen die „harten“ ökonomischen Fragen außerhalb und unabhängig von den UN treffen, eben in den Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds sowie im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT). Den UN wollten sie die „weichen“ Felder der operativen Entwicklungszusammenarbeit (insb. Ernährung, Bildung und Gesundheit) zuweisen (Brühl und Rosert 2014, S. 262).

Aufgrund ihrer Stimmenmehrheit und des verabredeten Vorgehens gelang es den Ländern des globalen Südens nachfolgend in verschiedenen UN-Gremien Beschlüsse zu verabschieden, die in ihrem Interesse lagen. Sie überstimmten schlichtweg die Staaten des globalen Nordens. Der wichtigste Austragungsort des Nord-Süd-Konfliktes war und ist dabei die Generalversammlung. Zwar werden Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auch im Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) behandelt. Dieses Hauptorgan steht aber schon fast seit seiner Gründung in der Kritik, weil es einerseits ein komplexes und unüberschaubares System an Unterorganen und Programmen geschaffen hat, das es nur unzureichend koordiniert (Brühl und Rosert 2014, S. 267). Andererseits kann der ECOSOC nur Berichte entgegennehmen und Empfehlungen abgeben. Die Generalversammlung verabschiedet hingegen Resolutionen, die freilich im Gegensatz zu denen des Sicherheitsrates völkerrechtlich nicht verbindlich sind.

Die Generalversammlung hat schon 1948 betont, dass die ökonomische Entwicklung der Länder des globalen Südens gestärkt werden muss, auch weil der geringe Lebensstandard die Stabilität der entsprechenden Staaten reduziert. Die Frage, wie wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben werden kann, wurde jedoch aus Nord- und Südperspektive sehr unterschiedliche beantwortet. Vereinfacht ausgedrückt: Während erstere für eine Liberalisierung des Handels eintrat, forderte letztere andere Rahmenbedingungen des Wirtschaftens. Mit der Stimmenmehrheit der Entwicklungsländer legte die Generalversammlung im Jahr 1970 fest, dass die Industrieländer mindestens 0,7 % ihres Bruttosozialproduktes für öffentliche Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen müssen (A/RES/2626 (XXV) vom 24. Oktober 1970). Auf diese Resolution nehmen verschiedene UN-Gremien bis heute Bezug und leiten eine Handlungsnotwendigkeit ab. Das Ziel ist aber nur von wenigen Staaten erreicht worden. Es gilt „als Symbol für das Missverhältnis zwischen Anspruch, blumigen Erklärungen und der Wirklichkeit“ (Gareis und Varwick 2006, S. 230).

Weiterhin verabschiedete die Generalversammlung Resolutionen zur Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung (A/RES/3201 und A/RES/3202 vom 01. Mai 1974). Demnach sollten die Rohstofferlöse stabilisiert werden, wozu spezielle Abkommen geschlossen bzw. integrierte Rohstoffprogramme etabliert werden sollten. Es sollte für die Länder des Südens vermehrt Ausnahmen vom GATT geben, ausländische Direktinvestitionen sollten stärker kontrolliert, Schulden erlassen und mehr Technologie transferiert werden. Schließlich sollten die Entwicklungsländer mehr Stimmgewichte in IOs haben (Mingst und Karnst 1995, S. 121). Gegen die Stimmen des Westens nahm die Generalversammlung im selben Jahr die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten an (Res. 3281 (XXIX)). Hierin wurden die souveränen Entscheidungen der Staaten über ökonomische Fragen betont und festgehalten, dass es ein Recht zur kompensationslosen Verstaatlichung von Unternehmen gibt, dass das Verhalten transnationaler Unternehmen zu regulieren ist und dass die Rohstoffproduzenten sich vereinigen (Brühl und Rosert 2014, S. 280). Die Industrieländer verweigerten sich bis auf kleinere Zugeständnisse, wie der Aussetzung der GATT-Reziprozität, den grundlegenden Reformen und versuchten die „Handlungsmacht der UN umso stärker zu begrenzen, je stärker die Entwicklungsländer versuchten, sie in eine globale Entwicklungsorganisation zu verwandeln“ (Fomerand 2004, S. 170).

Mit der Stimmenmehrheit der Länder des globalen Südens wurden zudem neue UN-Institutionen gegründet, wie das Welternährungsprogramm (1961), die Handels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD (1964) und das Entwicklungsprogramm (1965). Die neuen Institutionen sollten teils im operativen Bereich tätig sein, wie das Welternährungs- und das Entwicklungsprogramm, teils sollten sie den Raum für grundlegende Debatten und Strategien liefern. Für letztere Idee steht die UNCTAD, die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung. Sie wurde bewusst in Konkurrenz zum GATT gegründet, in dem sich die Länder des globalen Südens unterrepräsentiert fühlten. Diese erhofften sich von der neuen Institution eine bessere Vertretung ihrer Interessen sowie eine stärkere Integration in die Weltwirtschaft. Die UNCTAD stand in den 1960er- und 1970er-Jahren für eine interventionistische Wirtschaftspolitik, da die Mehrheit ihrer Mitglieder die Machtdisparitäten des Marktes anprangerten. Nach dieser Blütezeit verlor die UNCTAD an Bedeutung. Die Länder des globalen Nordens beendeten infolge der Schuldenkrise der 1980er-Jahre die Debatte um eine marktregulierende Neuordnung der Weltwirtschaft (Brühl und Rosert 2014, S. 271). Heute steht die UNCTAD für ihre analytischen Kompetenzen und ihre Kapazitäten in der technischen Zusammenarbeit.

Der Nord-Süd-Konflikt bestimmt die Arbeit der UN heute nur noch in einem eingeschränkten Maße. Dies liegt zum einen daran, dass die Macht der Länder des globalen Südens tendenziell eher ab- als zugenommen hat, was auch an ihrer starken Ausdifferenzierung liegt. Zum anderen kann die Verabschiedung der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Zäsur angesehen werden. Statt makroökonomische Wachstumsziele auszugeben, wie sie auch in den von der UN Generalversammlung ausgerufenen Entwicklungsdekaden verankert worden sind, sollen nun acht konkrete Ziele im Bereich der Armutsreduzierung und sozialen Entwicklung bis zum Jahr 2015 erreicht werden. Diese Ziele gelten für alle Staaten. Zwar ist – zu Recht – kritisiert worden, dass ein reduktionistisches Verständnis von Armut als Einkommensarmut und von extremer Armut als Mangelerscheinung vorliegt, sowie dass die Verantwortung des globalen Nordens für die Situation des Südens nicht thematisiert wird, jedoch gilt der Ansatz, über konkrete Ziele eine Verbesserung der Situation zu erlangen, als so erfolgreich, dass die Staaten derzeit in verschiedenen Gremien über eine Fortschreibung bzw. Fortentwicklung der MDGs verhandeln. Dabei soll auch die nachhaltige Entwicklung verankert werden.

3.3 Konflikte einzelner Staaten mit den UN

Unter den heute 192 Mitgliedsstaaten der UN hat es immer einige gegeben, die mit bestimmten Entscheidungen oder Resolutionen der Institution nicht zufrieden waren. Wenn diese Unzufriedenheit massiv wurde, genügte es den Staaten nicht, gegen eine Entscheidung zu stimmen. Sie suchten andere, öffentlichkeitswirksamere Wege der Missfallensbekundung: Sie hielten Beitragszahlungen zurück, blieben demonstrativ einzelnen Sitzungen fern oder ließen ihre Mitgliedschaft in den UN völlig ruhen.

Die weitreichendste Distanzierung eines Staates von einer internationalen Organisation, den Austritt, sieht die UN-Charta dagegen nicht vor. Austreten können Staaten nur aus den Sonderorganisationen der UN. Dies sind formal eigenständige Organisationen, die außerhalb der UN gegründet worden sind und daher über eigene Mitgliedschafts- und Organisationsstrukturen sowie ein unabhängiges Budget verfügen. Sonderorganisationen gibt es z. B. im Bereich des Finanzwesens (Internationaler Währungsfonds und Weltbank), im technischen Bereich (wie den Weltpostverein oder die Weltorganisation für Meteorologie) sowie im sozialen, kulturellen und humanitären Bereich (z. B. die Weltgesundheitsorganisation). Mit den UN sind die derzeit siebzehn Sonderorganisationen über Verträge assoziiert. Es hat nur sehr wenige Austritte aus Sonderorganisationen gegeben. Hierbei nutzen v. a. die USA das Instrument der Missfallensbekundung. Sie sind 1977 aus der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labor Organization, ILO) ausgetreten und verkündeten Ende 1983 den Rückzug aus der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kunst (UNESCO). Inhaltlich begründeten sie das mit der pro-palästinensischen (und damit israelfeindlichen) Politik beider Organisationen (Armstrong et al. 1996, S. 101). Bei der UNESCO kam die amerikanische Kritik an der mit den Stimmen des globalen Südens und der UdSSR angenommenen „Neuen Weltinformations- und Kommunikationsordnung“ hinzu (Kittel 1995, S. 217).

Innerhalb der UN-Familie selbst stehen den Mitgliedsstaaten nur die drei anderen Formen der Missfallensbekundung zur Verfügung. Recht häufig nehmen Staaten aus Protest gegen bestimmte Entscheidungen und Prozesse an offiziellen Sitzungen nicht teil. Beispielsweise blieben etliche westliche Staaten dem zweiten Teil der UN-Antirassismuskonferenz im Jahr 2009 fern. Sie protestierten damit gegen die antisemitischen Äußerungen des damaligen iranischen Präsidenten und brachten zudem ihre Missbilligung an der Position einiger islamischer Staaten, dass Kritik an Religionen nicht zulässig sei, zum Ausdruck (Petrova 2010, S. 145). Nur sehr wenige Staaten blieben dagegen mehreren Sitzungen einer Institution fern. Das bekannteste Beispiel ist die „Politik des leeren Stuhls“ der UdSSR zwischen Januar und August 1950. Die UdSSR prangerte die aus ihrer Sicht falsche Entscheidung des Sicherheitsrates an, dass China dort durch Taiwan vertreten war, indem sie den Sicherheitsratstreffen fernblieb (Brune 1996, S. 86).

Eine bedeutende Wirkung hat auch die dritte Form des staatlichen Protests gegen Entscheidungen der UN: Das Zurückhalten von Mitgliedsbeiträgen. Hier führte insbesondere die Politik der USA die chronisch unterfinanzierte Weltorganisation in den 1980er-Jahren an den Rand der Zahlungs- und somit auch Handlungsunfähigkeit. Mehrfach verknüpfte der US-Kongress Beitragszahlungen mit inhaltlichen Forderungen. Am weitreichendsten war die Entscheidung, die Beitragszahlungen von 25 % des UN-Budgets auf 20 % zu reduzieren. Hiermit wollten die USA eine neue, gewichtete Stimmverteilung in den UN etablieren, also Abschied von dem „one state – one vote“ Prinzip nehmen (Kassebaum-Amendment, Hüfner und Martens 2000, S. 70).

3.4 Konflikte um die angemessene Repräsentation in den UN

Konflikte gab es in den UN auch immer wieder über die Frage, wie eine angemessene Repräsentation der Mitgliedsstaaten in den Gremien mit begrenzter Mitgliedschaft aussehen soll. Wenngleich einige Institutionen nur eine begrenzte Mitgliedschaft haben, wie beispielsweise der ECOSOC, so manifestierten sich die Konflikte an zwei Gremien: Dem Sicherheitsrat und dem Menschenrechtsrat. In beiden Gremien werden Entscheidungen zu Themen höchster Relevanz getroffen, in beiden Gremien gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Mitgliedern.

Dem Sicherheitsrat gehören fünf ständige und zehn nichtständige Mitglieder an. Zu den fünf ständigen (Permanent Five, P5) zählen China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA. Die nichtständigen Mitglieder werden von der Generalversammlung auf die Dauer von zwei Jahren gewählt, wobei es einen regionalen Schlüssel gibt. Demnach stehen den afrikanischen und asiatischen Staaten zusammen fünf Sitze, der lateinamerikanischen und westlichen Gruppe je zwei und den osteuropäischen Staaten ein Sitz zu. Bis 1963 standen den P5 nur sechs nichtständige Mitglieder gegenüber. Aufgrund der damals stark gestiegenen Zahl von UN-Mitgliedern infolge der Dekolonisierung war eine Erweiterung des Sicherheitsrates nötig geworden. Hierzu musste die UN-Charta, in der die Zusammensetzung des Gremiums in Art. 23 festgehalten ist, mit einer Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung und des Sicherheitsrates, letzterer unter Zustimmung der P5, geändert werden. Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes gibt es immer wieder Bestrebungen, die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat wieder zu reformieren, da es eine Reihe von Kritikpunkten gibt: Die Zusammensetzung spiegelt die Konstellation nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Außerdem arbeitet der Sicherheitsrat zu langsam und noch dazu selektiv (mangelnde Effektivität), wichtige Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen (geringe Transparenz), und es fehlt eine Geschäftsordnung (bisher wird mit einer vorläufigen gearbeitet). Verschiedene Staaten haben sich in den letzten Jahren als geeignete Mitglieder des Sicherheitsrates selbst empfohlen, darunter Deutschland. Seit 1992 haben alle Bundesregierungen den Anspruch auf einen Sitz im Sicherheitsrat geäußert (Winkelmann 2006, S. 68). Im Vorfeld der als „Reformgipfel“ bezeichneten Generalversammlung im Herbst 2005 hatten Brasilien, Indien und Japan sich mit Deutschland zusammengeschlossen, um gemeinsam für eine Erweiterung des Sicherheitsrates einzutreten – und damit zugleich ihre Kandidatur für die neuen ständigen Sitze kundzutun. Ihr Vorschlag konnte sich jedoch nicht durchsetzen.

Der Menschenrechtsrat ist ein noch junges Gremium der UN-Familie, wurde er doch erst im Zuge des „Reformgipfels“ 2005 eingesetzt. Er tritt die Nachfolge der Menschenrechtskommission an, die zwischen 1947 und 2006 für die Förderung der Menschenrechte verantwortlich war. Der Kommission gehörten 53 Mitglieder an, die nach einem geographischen Proporz vom ECOSOC mit einfacher Mehrheit auf drei Jahre gewählt wurden. Somit waren auch immer wieder Staaten in der Kommission vertreten, die selbst die Menschenrechte verletzten. Der Kommission wurde vorgeworfen, statt der Menschenrechte die MenschenrechtsverletzerInnen zu schützen (Brühl und Rosert 2014, S. 224). Damit einhergehend wurden die politisierten Debatten und die Selektivität der Auseinandersetzung kritisiert. Abhilfe sollte daher eine neue, gestärkte Institution schaffen. Diesem Wunsch stand das Bestreben einzelner Staaten, die Souveränitätsrechte hochzuhalten, gegenüber. Daher ist das Mandat des Rates dem der Kommission relativ ähnlich. Als positive Weiterentwicklung ist die Einführung des Universal Periodic Review zu werten, nach dem regelmäßig die Menschenrechtsbilanz aller Staaten überprüft wird. In Bezug auf die Mitgliedschaft gab es ursprünglich zwei Bestrebungen: Man wollte ein kleineres, handlungsfähigeres Gremium schaffen, in dem zudem nur solche Staaten vertreten sein sollten, die die Menschenrechte einhalten. Das erste Ziel ist insofern umgesetzt, als dass die Mitgliederzahl von 53 auf 47 Staaten reduziert wurde. Die Verkleinerung ist deutlich geringer ausgefallen, als von einigen Staaten, wie z. B. den USA, gewünscht. Aber zumindest wurde erstmalig in der Geschichte der UN eine Institution verkleinert (Lauren 2007, S. 335). Das zweite Ziel hat sich ebenfalls nur in Teilen erfüllt. In den Rat wird ein Staat weiterhin mit einfacher Mehrheit gewählt, allerdings nicht mehr wie früher durch den ECOSOC, sondern aufgrund einer institutionellen Reform durch die UN-Generalversammlung. Hintergrund ist, dass der Menschenrechtsrat institutionell bei der Generalversammlung verankert wurde, um ihm mehr Sichtbarkeit zu geben. Damit benötigt ein Bewerber 97 Stimmen, um gewählt zu sein, nicht mehr nur 28. Nicht durchsetzen konnte sich der Vorschlag einer obligatorischen Überprüfung der Menschenrechtssituation in den Staaten, die sich um eine Mitgliedschaft bewerben. Daher ist den Bewerberstaaten nur mitgegeben worden, dass sie zu einer Liste von Menschenrechtskriterien bei ihrer Vorstellung Bezug nehmen sollen. In den geheimen Wahlen haben sich dann trotz dieser argumentativen Hürde Staaten, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind, durchsetzen können, wie etwa China, Saudi-Arabien oder Kuba.

4 Künftige Konflikte? Private Akteure und die Vereinten Nationen

Der Beitrag hat bislang Konflikte zwischen Staaten in den UN bzw. dem Verhalten der UN in zwischen- und innerstaatlichen Konflikten zum Inhalt gehabt. Bei den UN tummeln sich jedoch nicht nur VertreterInnen von Staaten, sondern auch solche von zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen. Diese beiden, jeweils intern auch heterogenen, Gruppen fasse ich unter dem Begriff der privaten Akteure zusammen. Generell ist der Trend festzustellen, dass die UN enger mit den privaten Akteuren zusammenarbeiten. Hierbei sind jedoch Unterschiede in den Politikphasen (Normsetzung, -umsetzung und -durchsetzung) und den Politikfeldern, sogenannte high-politics wie Sicherheits- und Wirtschaftspolitik und low-politics wie Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik, festzustellen. Relativ viel Einfluss können die privaten Akteure in der Normsetzung ausüben, weshalb dies ausführlicher dargestellt wird. Ihre Rolle in der Umsetzung oder Durchsetzung der internationalen Normen ist dagegen deutlich geringer. Eine wichtige Funktion ist hierbei, dass die privaten Akteure den UN Informationen zur Verfügung stellen, die dann entsprechend weiterverarbeitet werden. Ohne private Akteure wäre bspw. die Menschenrechtssituation in einzelnen Staaten nicht so gut dokumentiert.

Eine der wichtigsten Aufgaben der UN ist es, neue internationale Normen auszuhandeln, die das Verhalten der Staaten regulieren. In der Generalversammlung, dem ECOSOC, dem Menschenrechts- oder Sicherheitsrat werden Verhaltensstandards erarbeitet und in Resolutionen, Erklärungen oder Aktionsprogrammen festgehalten (Brühl und Rosert 2014, S. 366). Seit UN-Gründung an dürfen Nichtregierungsorganisationen (non-governmental organizations, NGOs) an Verhandlungen des ECOSOC und seiner untergeordneten Programme und Institutionen teilnehmen. Die Grundlage hierfür ist der Konsultativstatus, den der ECOSOC nach Art. 71 UN-Charta an NGOs verleihen kann. NGOs, die Kompetenzen im wirtschaftlichen und/oder sozialen Bereich haben, deren Ziele konform mit denen der UN sind, die Teile der Weltbevölkerung repräsentieren und die eine gewählte Außenvertretung haben, können demnach den zwischenstaatlichen Verhandlungen zuhören bzw. je nach Zuordnung zu einer von drei Stufen auch mündliche oder schriftliche Beiträge abgeben. Heute haben mehr als 4000 NGOs einen Konsultativstatus bei den UN inne (Stand: September 2014). Darüber hinaus ist es NGOs seit Ende der 1960er-Jahre gestattet, an UN-Weltkonferenzen teilzunehmen. Immer mehr NGOs haben diese Möglichkeit genutzt: Waren bei der Menschenrechtskonferenz in Teheran im Jahr 1968 50 NGOs präsent, so waren es vier Jahre später beim Umweltgipfel in Stockholm schon 250 NGOs. In den 1990er-Jahren nahm die Zahl deutlich zu: Mehrere tausend NGO-VertreterInnen fuhren zu den Weltkonferenzen, weitere Zehntausende nahmen an den parallel stattfindenden NGO-Gipfeln, auf denen alternative und meist auch radikalere Lösungen diskutiert wurden, teil. In der letzten Dekade sank die Zahl der NGOs zwar ab, aber es sind immer noch tausende von zivilgesellschaftlichen VertreterInnen, die weite Reisen hinter sich bringen, um Einfluss auf die Normsetzung in den UN zu nehmen (Brühl und Rosert 2014, S. 367).

Zusätzlich zum quantitativen Anstieg ist auch eine qualitative Veränderung zu beobachten: Die NGOs haben heute umfassendere Möglichkeiten, Einfluss auf die Diskussionen und damit die Entscheidungen der Staaten zu nehmen. Zumeist können die NGO-VertreterInnen zumindest an den offiziellen Plenarverhandlungen teilnehmen. Im Bereich der Umwelt- und Entwicklungspolitik können sie sich auch meist zu Wort melden, wobei häufig nur Gruppenstatements erlaubt sind. Auch an den Sitzungen des Menschenrechtsrats nehmen NGOs aktiv teil und diskutieren mit. Im Rüstungskontrollbereich haben sie dagegen kein Rederecht. Hier werden jedoch manchmal formal die Sitzungen unterbrochen oder eine Sondersitzung anberaumt, bei der dann auch ausgewählte zivilgesellschaftliche Gruppen sprechen dürfen. Der Sicherheitsrat ist das UN-Gremium, das sich bisher am wenigsten für NGOs geöffnet hat. Erst seit den 1990er-Jahren lädt er gezielt bestimmte NGOs zu Sitzungen ein, um von ihrer Expertise zu profitieren.

Auch VertreterInnen der anderen Gruppe privater Akteure, der Unternehmen, konnten ihre Position im Sicherheitsrat kundtun. Im Jahr 2004 wurde unter deutscher Präsidentschaft diskutiert, welche Rolle Unternehmen in der Konfliktprävention, aber auch der Konfliktbearbeitung und der Friedenskonsolidierung spielen können. Hierbei erhielt auch der Vorstandsvorsitzende von Siemens die Möglichkeit, seine Position darzulegen (S/PV.4943 vom 15.04.2004).

Heute arbeiten viele UN-Institutionen eng mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden zusammen. Dies ist bemerkenswert, weil die ersten Dekaden der UN-Geschichte von konflikthaften und teils offen feindseligen Beziehungen zwischen den UN und dem privaten Sektor geprägt waren (Brühl und Rosert 2014, S. 300). Insbesondere in den 1970er-Jahren standen transnationale Konzerne (transnational corporations, TNCs) am Pranger. Regierungen aus dem globalen Süden warfen ihnen u. a. vor, dass sie demokratische Reformen blockierten, die Arbeitskraft der heimischen Bevölkerung ausbeuteten, ohne sie an den Gewinnen zu beteiligen, und Raubbau an den natürlichen Ressourcen betrieben (Hummel 2004, S. 26). Sie stimmten daher für die unter Abschn. 3.2 erwähnte Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, die u. a. eine Regulierung von TNCs vorsah. Weiterhin wurde eine neue Institution geschaffen, die die Tätigkeiten der TNCs analysieren und darüber hinaus einen Verhaltenskodex für TNCs erarbeiten sollte (zunächst die Kommission, später das Zentrum zu TNCs). Weil die Unternehmen eine Regulierung ihrer Tätigkeiten aufgrund eingeschränkter Mobilität von Handels- und Kapitalströmen befürchteten, starteten sie in Zusammenarbeit mit konservativen US-Think-Tanks und der US-Regierung eine breit angelegte Anti-UN-Kampagne (Paul 2001, S. 104). Die Angriffe diskreditierten die UN als Ganzes, wobei insbesondere die entwicklungspolitischen Institutionen als besonders ineffektiv und ineffizient dargestellt wurden (Bennis 2001, S. 132).

Mit Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali begann eine Annäherung der UN an Unternehmen, die von seinem Nachfolger Kofi Annan weiter vorangetrieben wurde. Unternehmen werden seither nicht mehr als zu regulierende Instanzen angesehen, vielmehr ist nun ihre Mitwirkung an der politischen Regulierung erwünscht. Anfang der 1990er-Jahre wurde daher das Zentrum zu TNCs geschlossen. Beim Erdgipfel 1992 in Rio wurde die positive Rolle von Unternehmen in der nachhaltigen Entwicklung hervorgehoben. Als Meilenstein für das neue Miteinander von UN und Unternehmen gilt der Global Compact. Im Jahr 2000 verpflichten sich Unternehmen, aber auch mehrere NGOs und Verbände, zunächst zehn zentrale Normen aus den Bereichen Menschenrechtsschutz, Kernarbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung einzuhalten. Ihre hierzu ergriffenen Aktivitäten legen sie in selbst verfassten Fortschrittsberichten vor. Da der Global Compact als Lernwerkstatt konzipiert ist, gibt es keine Überprüfungsmechanismen seitens der UN. Weiterhin sind Unternehmen und Stiftungen im Ernährungs- und Gesundheitsbereich der UN sehr aktiv. So verfügt die Bill & Melinda Gates Foundation über mehr Mittel zur Bekämpfung von Malaria, HIV/Aids und Tuberkulose als die UN selbst.

Die Machtverhältnisse zwischen den UN und den mit ihr kooperierenden privaten Akteuren sind somit umstritten. Dies ist brisant, weil sich allgemein die Frage stellt, welche Interessen die privaten Akteure vertreten. Bei TNCs kann angenommen werden, dass sie profitorientiert arbeiten. Daher scheint auch eine Kontrolle der Unternehmen und nicht nur eine Regulierung mit Unternehmen sinnvoll zu sein. Zudem muss die Zusammenarbeit von NGOs und den UN kritisch beleuchtet werden. Auch NGOs vertreten partikulare Interessen. So gibt es etwa im Bereich der Regulierung des internationalen Waffenhandels sowohl humanitäre NGOs, die für eine stärkere Regulierung des Besitzes und des Transfers von Kleinwaffen eintreten, wie auch Rüstungsproduzenten, Sportschützenverbände oder andere Verbände, die eben diese Einschränkungen vermeiden wollen (Brühl und Rosert 2014, S. 373). Hinzu kommt, dass rund zwei Drittel der bei den UN akkreditierten NGOs aus den Industrieländern kommen. Selbst wenn sie aus dem globalen Süden kommen, vertreten sie nicht automatisch die Position der Landbevölkerung. Schließlich rekrutieren sie sich häufig aus den gut ausgebildeten Kreisen der Hauptstädte.

Zukünftig könnten die Konfliktlinien zwischen den verschiedenen privaten Akteuren zunehmen, da es zu einer Ausdifferenzierung der Gruppen kommt. Weiterhin sind Konflikte zwischen Staaten(gruppen) und den privaten Akteuren wahrscheinlich, weil die aktive Rolle der privaten Akteure zu Machtasymmetrien beiträgt.

5 Fazit

Die Vereinten Nationen sind die einzige globale Organisation mit einem breiten inhaltlichen Mandat. Insofern ist es wenig überraschend, dass zwischen ihren Mitgliedern sowie zwischen Mitgliedern und privaten Akteuren Konflikte ausbrechen. Diese sind jedoch aufgrund des institutionellen Rahmens alle gewaltfrei bearbeitet worden. Die Fähigkeit der UN, aktiv in zwischen- und innerstaatliche Konflikte einzugreifen, unterlag in den letzten Dekaden enormen Schwankungen. Nachdem der Sicherheitsrat lange Zeit durch den Ost-West-Konflikt blockiert war, gab es in den 1990er-Jahren die Hoffnung auf ein stärkeres Eingreifen der Weltorganisation. In diesem Zusammenhang ist auch die Erarbeitung der Norm der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) zu sehen. Heute ist das höchste friedenspolitische Gremium wiederum blockiert, so dass die UN weder im Ukraine- noch im Syrienkonflikt oder im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ eingreifen kann. Es steht zu hoffen, dass durch eine inklusive Politik die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates wieder miteinander arbeiten und die UN ihre vielfältigen Aufgaben wahrnehmen können.