Erstmal sind das wunderschöne Bände, größer als erwartet, gediegen ausgestattet, satztechnisch eine Meisterleistung, jede Seite mehrspaltig, bis zu neun Textblöcke pro Seite, der Originaltext verschwindet fast in dem Gewusel an Anmerkungen, wäre er nicht dicker gedruckt. Zwei Lesebändchen pro Band. Lange Einleitung zur Entstehungsgeschichte und etwa 220 Seiten Anhang: Namen-/Ort-/Sachregister etc., eine riesige Bibliographie (vor allem Nachkriegsliteratur, aus der Zeit selbst eher wenig) und auch ein paar Bilder. Man wollte wohl eine betont nüchterne Ausstattung, herausgekommen ist aber doch eine bibliophile Ausgabe. Außerordentliche Sorgfalt bis ins Detail: so wurde ein bereits ausgewählter Schrifttyp wieder verworfen, als sich herausstellte, dass sein Erfinder in den 30er Jahren dem System zu nahe stand.Die kritische Edition behandelt den Text als historische Quelle, aber auch als Symbol ("Gral des Bösen"), das bis heute nachwirkt. D.h., die Herausgeber wollten den Text nicht nur wissenschaftlich aufbereiten, sondern auch Stellung beziehen, was heißt: Satz für Satz analysieren und bewerten. Das liest sich dann selbst wie eine "Abrechnung", wie ein Großversuch, den Autor in möglichst jedem Satz zu widerlegen - eine Leseerfahrung der besonderen Art und nicht ganz unproblematisch, denn natürlich gibt es auf 800 Seiten 'Mein Kampf' auch einige zutreffende Beobachtungen und Aussagen Hitlers. Das ist den Kommentatoren durchaus bewusst, diese Stellen werden auch kommentiert, allerdings in einer Weise, die Hitlers Sätze lediglich inhaltlich bestätigt, jedoch die positive Aussage: 'Hier hatte Hitler recht' konsequent vermeidet. Weiterhin wird in den Kommentaren deutlich: Hitlers Überlegungen waren keineswegs originell, sondern kursierten z.T. bereits seit dem 19. Jahrhundert in der völkischen Bewegung in und auch ausserhalb Deutschlands. Zum anderen wird Hitler bevorzugt mit Quellen aus seiner Zeit widerlegt, so galt etwa schon in den 20er Jahren die völkische Rassentheorie als wissenschaftlich unseriös. Die Korrektur falscher oder einseitiger Darstellungen steht also im Vordergrund, erläutert werden u.a. auch ideengeschichtliche Wurzeln des Werkes, seine Rezeption in den 20er Jahren und die Nachwirkung, d.h. inwieweit die Ideen aus Mein Kampf ab 1933 politisch realisiert wurden. Erkenntnisse aus zahllosen Pubikationen zur NS-Zeit wurden in den Anmerkungen verarbeitet, daher überaus lehrreich. Großartige Ausgabe, und lange überfällig. Der Verlagspreis von 59 Euro ist natürlich völlig unangemessen - d.h. viel zu niedrig! Wissenschaftliche Ausgaben in ähnlicher Ausstattung können schon mal 200 Euro pro Band kosten...dagegen stand wohl die Absicht, die Bände nicht nur Spezialisten, sondern einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür ist dann allerdings eine Startauflage von 4 oder 5000 wiederum viel zu niedrig...der Bugrim-Verlag ist um raschen Nachdruck bemüht.