Der Worpsweder Chris Alexander ist auf den Bühnen der Welt zuhause
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Der Worpsweder Chris Alexander Halb Wagner, halb Shakespeare

Opern und Theater, Wagner und Shakespeare, Seattle und Weyerdeelen. Der Schauspieler, Autor und Regisseur Chris Alexander ist auf den Bühnen der Welt zuhause - und in Worpswede daheim.
16.12.2021, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Halb Wagner, halb Shakespeare
Von Lars Fischer

Worpswede. Es ist eine "wall of fame", die im Flur von Chris Alexanders Haus in Weyerdeelen hängt. Unzählige Fotos hat er an die Wand gepinnt, von Verwandten, Freunden und Weggefährten, die Übergänge sind manchmal kaum auszumachen. Immer wieder seine verstorbene Frau, die Schauspielerin Hille Darjes, ihre Großtante Tille Modersohn über allen, dazwischen er als King Lear und der gemeinsame Sohn Roland als Kind; mit der Familie im Garten, mit Kollegen der Shakespeare Company und irgendwo eine kleine, handschriftliche Notiz von Wieland Wagner. Alexander ist Schauspieler, Regisseur, Stückeschreiber und -übersetzer. Sein Leben findet auf den Bühnen dieser Welt statt, in Theatern und Opernhäusern – und zuhause in Worpswede. Während der Pandemie umso mehr dort.

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Chris Alexander sagt, das sei schon so okay, er müsse nicht um jeden Preis inszenieren, zumal ihm immer häufiger Stücke angeboten würden, die er schon mal gemacht habe. Seine bislang letzte Arbeit war 2019 "Parzival" in Seattle, wo der Deutsch-Amerikaner seit zwei Jahrzehnten regelmäßig tätig ist. Er ist ein Kind der Bühne, und das ist ihm wohl in die Wiege gelegt worden. Beide Eltern sind Opernsänger und haben Engagements in Salt Lake City, als Chris 1948 in Provo/Utah geboren wird. Die Familie des Vaters stammt aus Deutschland, der Opa ist Diplomat und sieht den Zweiten Weltkrieg rechtzeitig herannahen. Er holt die Familie in die USA und quittiert seinen Dienst. Die Entlassungsurkunde von NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop hat Alexander noch irgendwo – aber nicht an der Wand.

"Sänger werde ich nicht!"

Mit sechs Jahren kommt Chris nach Europa, erst in die Schweiz, wo sein erkrankter Bruder in einem Davoser Sanatorium behandelt wird  ("ein bisschen wie auf Thomas Manns 'Zauberberg'"), dann nach Deutschland. Die Eltern haben wechselnde Engagements, die Familie zieht hinterher. Theaterleute sind eben ein reisendes Volk. Bald nach dem Stimmbruch wird dem Sprössling klar, Sänger wird er nicht! Aber die Bühne hat auch ihn gepackt, er studiert Schauspiel, wechselt aber bald vom Rampenlicht auf den Regiestuhl.

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In Kiel lernt er Hille Darjes kennen, geheiratet wird aber erst Jahre später – wie seine Eltern in New York. Trauzeugen haben die beiden nicht mitgebracht, aber das geht anderen Paaren auch so. Also hilft man sich gegenseitig aus, und so bezeugen eine Frau aus Sambia und ein Ire das Glück der beiden Mimen. Gemeinsam bleibt allen der Hochzeitstag. Zusammen geht das Ehepaar nach Castrop-Rauxel, mehr Gegensatz zu New York ist kaum denkbar. "Es war ein Kaff und es stank", erinnert sich Alexander, aber das Theater sei sehr progressiv gewesen.

Die Bremer Company

Anfang der 1980er-Jahre entsteht der Wunsch im Ensemble, ein freies Theater zu gründen. Und auch der Schwerpunkt ist klar: Nach drei Shakespeare-Inszenierungen will man mehr. Gemeinsam mit Kollegen wie Rainer Iwersen, Norbert Kentrup und Dagmar Papula machen sich Darjes und Alexander auf die Suche und landen im Norden – der Auftakt für die Bremer Shakespeare Company. Der Standort scheint günstig, mit der Eröffnung des Schauspielhauses sind die Kammerspiele in der Böttcherstraße frei, und das Ehepaar kann auf dem großen Hof der Familie Darjes in Weyerdeelen unterkommen. Hier wie da ist Paula Modersohn-Becker nicht weit, in Bremen mit ihrem Museum, in Worpswede mit ihrer Familie: Darjes ist ihre Großnichte.

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Aber wie seine Frau bleibt auch Chris Alexander nur ein paar Jahre bei der Company, dann gehen sie wieder andere Wege. Die Faszination für Shakespeare lebt bis heute, eigentlich habe der englische Autor schon um 1600 alle dramatischen Themen ausgiebig verhandelt, ist Alexander überzeugt: "Kein anderer kommt da ran, er ist der bis heute unübertroffener Weltmeister." Shakespeares Pandemie war die Pest, auch das elisabethanische Theater kannte schon den Lockdown, ein großes Werk darüber ist vom Dichter aber nicht überliefert. "Shakespeare in trouble" heißt dagegen ein Stück von Alexander, sein Kommentar zum größten Dramatiker der Literaturgeschichte.

Pilgern nach Bayreuth

Der andere prägende Lieferant von Stoffen für die Bühne ist Richard Wagner. Schon Alexanders Großvater ist noch im 19. Jahrhundert regelmäßig Gast im Festspielhaus von Bayreuth, der Vater wird dort in den 1960er-Jahren engagiert und Chris Alexander volontiert bei Wieland Wagner, dem Enkel des Komponisten, der ihm seinerzeit die Notiz schreibt, die noch heute an der Wand hängt. Der Theatermacher wendet sich nach der Shakespeare Company vermehrt wieder der Oper zu und mit dem Jahrtausendwechsel auch wieder den USA. Die Arbeit für die erste Inszenierung in Seattle beginnt im Januar 2000, die Millennium-Nacht verbringen Alexander und Hille Darjes mit einem Privatfeuerwerk von Bill Gates über dessen Heimatstadt.

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Zuletzt hat Alexander sein Stück "Rechtsaußen" in der Bötjerschen Scheune auf die Bühne gebracht und warnt darin deutlich vor politischen Tendenzen, die der Familie Wagner oft erschreckend vertraut waren. Wenn die Pandemie im Griff ist, werde er sicher auch wieder inszenieren, aber vor allem wolle er reisen, sagt er. Sein Sohn Roland – ebenfalls ein Künstler, der die Spiegelfiguren in der Worpsweder Landschaft schuf, – lebt in Shanghai, da möchte Alexander sich gern mal länger umschauen. Und zuhause hält den 73-Jährigen sein Hund in Bewegung. Oder er zeichnet Collagen mit Motiven aus der Kulturgeschichte. In der Mitte seines aktuellen Blatts ist William Shakespeare nicht zu übersehen.

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