OFDb - Am Rande der Angst (2018) - Eine Kritik von McClane
Review

Schielte man bei dem US-Thriller „Am Rande der Angst“ überdeutlich auf den chinesischen Markt oder floss über eine der vier beteiligten Produktionsfirmen chinesische Kohle in den Film? Jedenfalls besetzte man die im Westen völlig unbekannten Lin Shen und Zhu Zhu in Hauptrollen, schrieb das Drehbuch auf Basis einer Story von Daxing Zhang und besetzte diverse amerikanische B-Fressen für einen Wiedererkennungsfaktor.
Das chinesische Ärztepaar Patrick (Lin Shen) und Laura Chen (Zhu Zhu) rettet dem schwerverletzten US-Geschäftsmann Michael Dwyer (Rockmond Dunbar) bei einer Not-OP das Leben, woraufhin dieser seine Retter nach seiner Gesundung zu einem Wochenende in seiner Jagdhütte einlädt. Patrick ist nicht so begeistert, dass Michael ihn mit auf die Jagd nimmt und ein Reh mit einer Armbrust erlegt – ob der Mann konsequenterweise auf Vegetarier ist oder glaubt, dass Tiere in Schlachthöfen zu Tode gestreichelt werden, lässt das Script offen. Allerdings ist das Reh anfangs noch nicht tot, denn der im Herzen steckende Bolzen verschließt die Wunde und ermöglicht das Weiterleben. Da ist klar, dass dieser Fun Fact später wichtig werden muss.
Irgendwo im gleichen Wald starten der Gangster Jack Pryor (Robert Patrick) und seine Truppe die Gefangenenbefreiung von Victor Novak (Robert Knepper). In einer Ist-das-noch-Härte-oder-schon-Sadismus?-Szene werden nicht nur die Wärter gekillt und der zur Zusammenarbeit gezwungene Insider unter den Wachen regelrecht hingerichtet, sondern man versenkt den Gefängnisbus samt angeketteter Sträflinge noch in einem See. Dummerweise geht dabei das Fluchtfahrzeug in die Binsen, sodass unsere als Sadisten eingeführte Schurkentruppe dringend Ersatz braucht.

Der Weg führt sie zu Michaels Hütte, wo sich die ungebetenen Gäste breit machen, einen Komplizen zwecks Abholung anrufen und Patrick beim Versuch von Gegenwehr niederstechen. Da sie aber das Messer drin lassen (man denke an das Reh), ist dieser aber gar nicht hinüber und kann als Totgeglaubter die Pläne der Schurken sabotieren…
Regisseur Bobby Roth inszenierte mehrere Folgen von „Prison Break“ und konnte mit Robert Knepper, Rockmond Dunbar, Amaury Nolasco und Jodi Lyn O’Keefe gleich vier Regulars der Serie für „Am Rande der Angst“ gewinnen. Dunbar lächelt sich durch seine wenigen Szenen zum Paycheck, Nolasco macht Laune als impulsiver Wüterich und O’Keefe als Gangsterbraut ist eher mäßig überzeugend. Knepper besetzte man gegen den Strick: Sein Victor ist ein Gentleman-Gangster innerhalb der ganzen Sadisten, also das Gegenteil von T-Bag aus „Prison Break“, aber auch das spielt er auch ganz gut. Am meisten Eindruck hinterlässt jedoch Robert Patrick als Oberschurke mit fieser Ader und fiesen Sprüchen. Ganz und gar nicht eindrucksvoll dagegen ist das chinesische Hauptdarstellerduo, das sich blass und farblos durch den Film laviert, dessen Stars sie eigentlich sein sollen.
Freilich gibt das Drehbuch von Scott Barkan und Gregg Zehentner auch nicht unbedingt das dankbarste Arbeitsmaterial an die Hand. Laura ist das passive Frauchen zum In-Gefahr-Geraten, die lediglich einmal die Gauner mit (intra- wie extradiegetischem) Overacting ablenken darf. Patrick dagegen ist wie eine Mischung Ghandi, Mutter Teresa und MacGyver; einer, der Menschen aus Passion im OP das Leben rettet, Tiere totschießen doof findet und nur widerwillig zu Gewalt greift, um die Menschen zu beschützen, die er liebt. Seine ersten Gegner haben immerhin die praktische Angewohnheit sich in Nahkämpfen selbst zu entleiben, wenn sie ausrutschen und in Rehgeweihe fallen oder sich den Kopf aufschlagen. Später hat der Pazifismus allerdings Sendepause, denn dann entdeckt Patrick, dass er Leute umnieten doch ganz geil findet, wenn er die Schurken mit Batteriesäure vergiftet oder ohne mit der Wimper zu zucken überfährt. Aber die habe sich ja auch mehrfach als den Tod verdienende Sadisten erwiesen, die eiskalt Menschen umbringen, anderen Leuten die Zigarren wegrauchen und selbstgetöpferte Geschenke kaputtmachen.

Dass Patrick als seine Heldentaten mit Messer im Herz und am Rande der Erschöpfung (weniger am Rande der Angst) vollbringt, gehört zu Blödheiten des an Idiotie nicht armen Scripts. So bietet „Am Rande der Angst“ eines der sinnlosesten Ablenkungsmanöver der Filmgeschichte: Mit Rotwein simuliert Patrick eine Blutspur, lockt einen Gangster aus dem Haus und versteckt sich in der Nähe. Allerdings verfolgt dies keinen Zweck, denn er lockt den Schurken nicht weit von sich weg, er will ihm nicht auflauern und der Geisel-Gattin hilft die kurze Abwesenheit des Gangsters auch nicht weiter. In einer unfreiwillig komischen Szene erscheint dem mit dem Tode kämpfenden Patrick eine Kitsch-Vision der eigenen Ehefrau, um ihn zum Weiterkämpfen zu animieren, was an eine ähnliche Brechreizszene aus „World Trade Center“ erinnert. Das Ende ist dann auch noch einmal absoluter Megakitsch mit Schnulzenballade im Hintergrund, was so gar nicht zu dem vorigen Home-Invasion-Szenario mit Metzelgangstern passen möchte.
Große Action darf man nicht erwarten. Den größten Stunt gibt es mit der Busversenkung zu Beginn, ansonsten gibt es kurze Konfrontationen, die aufgrund des Everyman-Status von Patrick weder zu ausladend noch zu spektakulär ausfallen. Dass er trotz Messer im Herz die gestandenen Gangster im Nahkampf überwältigt, wirkt trotzdem wenig glaubhaft. Ansonsten ist viel Leerlauf angesagt, wenn sich die Gangster untereinander streiten oder Patrick den x-ten Schwächeanfall wegen seiner Verletzungen hat, wobei das Publikum letzten Endes doch weiß, dass er diesen bald überwinden wird. Andernfalls wäre der Film ja ohne einsatzfähigen Protagonisten und dementsprechend schnell vorbei.

Immerhin gelingt Bobby Roth die eine oder andere handwerklich ganz gut gemachte Spannungspassage, wenn Patrick mit den Gangstern Katz und Maus spielt und sich auf engem Raum verstecken muss. Manchmal treffen sich aber auch das Spannende und das unfreiwillig Komische, etwa in jener Szene, in der Patrick unter ein Bett abtauchen muss, auf dem Nick (Amaury Nolasco) und Gina (Jodi Lyn O’Keefe) kurz darauf Sex haben wollen. Das Gerammel droht das Messer tiefer ins Herz von Patrick zu treiben, was der Film überzeugend als Gefahr darstellt. Mit einem Lachknaller endet die Szene jedoch: Nick ist so enthusiastisch dabei, dass er seiner Lady doch glatt den Löres ungefragt in die Hintertür reinschieben will, der Schlingel. „It’s not your birthday“, quiekt die Gangsterbraut entrüstet und entscheidet sich für den Coitus Interruptus, woraufhin die Gefahr gebannt ist.
So ungewollt lustig diese Szene ist, so gehört sie doch wenigstens zu den memorablen Momenten in diesem faden Thriller-Einerlei. Die Bösen sind immerhin herrlich schmierig, gehen dann allerdings auch in erwartbarer Reihenfolge drauf. Der fahrige Junkie geht natürlich als erstes drauf, die großen Sadisten hebt man sich für den Schluss auf. Wobei die Gangster so freundlich sind, dass sie in den passenden Momenten das Zielen und Schießen verlernen, nachdem sie vorher gar nicht schlecht darin waren. Auch sonst sind Überraschungen in diesem Schema-F-Thriller nicht zu finden, dafür jede Menge Längen, wenn die Zeit zwischen den kurzen (und teilweise sehr forcierten) Spannungspassagen mal wieder mit Füllmaterial zugekleistert wird.

So bleibt mau gescripteter Home-Invasion-Thriller mit fade geschriebener und schlecht gespielter Hauptfigur, vorsehbarer 08/15-Handlung und klaffenden Logiklücken. Ein paar charismatische, aber sträflich unterforderte Charakterfressen und die immerhin ganz saubere Produktion von „Am Rande der Angst“ sammeln kleine Pluspunkte, insgesamt aber ein fader Home-Invasion-Thriller, neben dem Michael Ciminos artverwandter und bei der zeitgenössischen Kritik verhasster „24 Stunden in seiner Gewalt“ fast schon wie Oscar-Material aussieht.

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