Im schicksalhaften Nebel: Der isländische Film „Weißer weißer Tag“

Im schicksalhaften Nebel: Der isländische Film „Weißer weißer Tag“

Ingimundurs Frau ist gestorben. Da taucht eine Videokassette auf, die sein Bild von ihr schmerzlich verändert. Der Regisseur Hlynur Palmason erzählt eine Geschichte, in der der Tod die Liebe nicht beendet.  

Reykjavik-Ingimundur baut ein Haus. Er setzt neue Fenster ein, deckt das Dach, dämmt die Außenwände und installiert eine Küchenzeile. Seine Tochter soll mit ihrer Familie in dieses Haus einziehen, das er auf den Resten eines alten Hofs errichtet. Ingimundur baut gegen den Verfall. Mit all seiner körperlichen Kraft und einem geradezu religiösem Eifer stemmt er sich gegen das, was vergeht und bereits vergangen ist. Ein Haus für die Familie zu bauen, ist die Aufgabe, die ihn davon abbringt, sein eigenes Leben betrachten zu müssen. Seine Enkelin Salka (Ída Mekkín Hlynsdóttir) ist die einzige Besucherin auf der Baustelle, zu der er noch immer ein inniges Verhältnis pflegt. Die restliche Familie, die sich der Trauer längst geöffnet hat, ahnt, dass seine Routine nur die Standfestigkeit und Sicherheit vortäuscht, die der Patriarch mit dem Tod seiner Frau für immer verloren hat.

Ída Mekkín Hlynsdóttir und Ingvar Eggert Sigurðsson in "Weißer weißer Tag".
Ída Mekkín Hlynsdóttir und Ingvar Eggert Sigurðsson in "Weißer weißer Tag".Foto: Join Motion Pictures

Quälende Botschaft aus dem Jenseits

Ihren tödlichen Unfall zeigt der Film bereits in der Eröffnungssequenz. Im dichten Nebel kommt ihr Auto von der Straße ab und stürzt einen Abhang hinunter. Es ist der sagenumwobene isländische Nebel, der, einer Legende nach, nur an Tagen auftaucht, an den die Lebenden mit den Toten sprechen. Tatsächlich bringt aber nicht der Mythos, sondern eine schlichte Videokassette eine Botschaft aus dem Jenseits. Das Magnetband projiziert das Unbehagen auf den Fernsehbildschirm, das bis dahin Edmund Finnis disharmonischer Streichersoundtrack in den Film hinein trug.

Das Video zeigt Ingimundurs Frau beim Sex mit einem anderen Mann. Fassungslos blickt der Witwer auf die Bilder, die aus dem Jenseits direkt in sein Leben greifen. Keine der Fragen, die er sich nun stellt, kann seine Frau ihm noch beantworten. So nutzt er, von der Botschaft aus dem Jenseits getrieben, seinen Status als (vorübergehend freigestellter) Polizist, um den Liebhaber seiner Frau ausfindig zu machen. Regisseur Hlynur Palmasson folgt den Rachegelüsten seines Protagonisten jedoch nicht anhand der klassischen Genremotive. „Weißer weißer Tag“ reflektiert Liebe, Trauer und Rache nicht allein aus der Subjektiven. Nicht der Affekt, sondern die lang währende Emotion gibt das quälende Gefühl wieder, das der Protagonist wie einen Stein mit sich trägt.

Die Bilder von Kamerafrau Maria von Hausswolff finden ein Abbild von Ingimundurs Seelenzustand in der schroffen und doch so lebendigen isländischen Landschaft, die im dichten, weißen Dunst unterzugehen droht. Wieder und wieder kehrt der Nebel auch nach dem Schicksalstag zurück. Er verzehrt die Umwelt, das Bauprojekt des Witwers und schließlich den Witwer selbst, der sich langsam im Wahn seiner Rachevorstellung verliert. Nicht noch einmal mit seiner Frau sprechen zu können, sie nicht fragen zu können, warum sie ihn betrogen hat, macht den Schmerz der Trauer unerträglich. Doch genau in diesem Schmerz, der die Trauernden aus dem Jenseits heimsucht, liegt auch die Schönheit dieses Films verborgen. Denn er steht als Beweis dafür, dass die Liebe die Trennlinie zwischen Tod und Leben nicht nur im Mythos überschreitet.

Weißer weißer Tag Island 2019. Regie & Buch: Hlynur Palmason; Darsteller: Ingvar Sigurdsson, Ída Mekkín Hlynsdóttir, Hilmir Snær Guðnason, Bjorn Ingi Hilmarsson u.a.; 104 Min.; Farbe. FSK ab 12