Dass erfolgreiche Feldherren nicht unbedingt Schlachten in vorderster Linie erleben oder selbst Truppen in den Kampf geführt haben müssen, machte 1862 die Ernennung Helmuth von Moltkes (1800–1891) als Chef des preußischen Generalstabes deutlich. Denn König Wilhelm I. stattete den General mit dem Recht aus, in seinem Namen allen Truppen des Feldheeres Befehle zu erteilen. Damit war aus einer untergeordneten Abteilung des Kriegsministeriums die militärische Schaltzentrale der preußischen Armee geworden.
„Der Entschluss des Königs bezeichnete den Beginn der eigentlichen Laufbahn eines der besten Strategen der Neuzeit“, urteilte der amerikanische Historiker Gordon A. Craig. Sein größter Sieg sollte Moltke am 2. September 1870 gelingen. Bei Sedan dirigierte er die preußisch-deutschen Armeen so, dass die französische Châlons-Armee am Abend die Waffen strecken musste und mit ihr Kaiser Napoleon III. in die Gefangenschaft ging. Sein Regime brach zusammen.
Dabei hatte Moltke nie ein größeres Feldkommando innegehabt. Der Spross aus mecklenburgischem Adel erhielt seine Ausbildung und Beförderung zum Sekondeleutnant in der dänischen Armee. 1822 wechselte er in preußische Dienste, seit 1833 gehörte er dem Generalstab an, 1835 bis 1839 beriet er die osmanische Armee, 1857 übernahm er die Leitung des preußischen Generalstabes. In dieser Funktion zog er eine Gruppe handverlesener Offiziere heran, die den Krieg nicht als Mutprobe oder Husarenstück, sondern als Wissenschaft verstanden. Aufmarschpläne zum Beispiel wurden bis ins letzte Detail entworfen, die sämtliche Möglichkeiten von Eisenbahn, Technik und Logistik stets im Auge behielten.
Im Krieg gegen Dänemark 1864, vor allem aber gegen Österreich und seine Verbündeten 1866 bewies Moltke, dass er in der Schlacht stets die Fähigkeit besaß, ohne Zögern zu entscheiden, in welcher Richtung am zweckmäßigsten vorzugehen sei und überdies auch die Willensstärke bewies, auf der Ausführung seiner Entschlüsse gegenüber seinen Kommandeuren zu bestehen. Craig zitiert Otto von Bismarck, der über Moltke urteilte: „unbedingt zuverlässig, dabei kühl bis ins Herz“.
Das zeigte sich auch im Krieg von 1870/71. Obwohl Frankreich seine Mobilmachung vor den deutschen Truppen begonnen hatte, waren diese früher kampfbereit und zwangen Napoleons Armeen in allen Grenzschlachten zu Rückzug. Während die Armée du Rhin in Metz eingeschlossen wurde, gliederte Moltke seine Verbände so um, dass 250.000 Soldaten die Châlons-Armee verfolgen konnte. Deren Ziel war eigentlich der Entsatz von Metz, doch gelang es den Deutschen, sie nach Norden auf die alte Festung Sedan an der Maas abzudrängen. Dort wurden die Franzosen am 2. September fast vollständig eingeschlossen.
Abgesehen von den schweren Kämpfen um den Ort Bazeilles am frühen Morgen verzichtete Moltke auf große Infanterieangriffe, sondern attackierte die Franzosen mit seiner modernen Artillerie. Manche seiner Batterien, die mit gezogenen Hinterladergeschützen aus Krupp-Stahl ausgerüstet waren, verschossen an diesem Tag mehr als 700 Salven. Das Inferno, das das Grauen des Ersten Weltkriegs ahnen ließ, zwang das französische Oberkommando, Kapitulationsverhandlungen aufzunehmen.
Damit wurde Moltke betraut. Der Schriftsteller Emile Zola hat in seinem Roman „Der Zusammenbruch“ die Szene aus französischer Sicht beschrieben: „Ein furchtbarer Mensch, dieser General von Moltke, hart und dürr, mit seinem bartlosen Chemiker- und Mathematikergesicht, der die Schlachten vom Hintergrund seines Arbeitszimmers aus mit Algebrahieben gewann! Sofort habe er großen Wert darauf gelegt festzustellen, dass er die verzweifelte Lage der französischen Armee kenne: keine Lebensmittel, keine Munition, die Demoralisierung und das Durcheinander, die völlige Unmöglichkeit, den eisernen Ring zu sprengen, in dem sie eingeschlossen war ... Bismarck, der aussah wie eine gutmütige Dogge, pflichtete ihm lediglich bei.“
So ganz stimmte das nicht. Obwohl Moltke bestrebt war, das Monopol über die militärischen Operationen in der Hand zu halten, bewies der preußische Ministerpräsident und spätere Reichskanzler genügend Willen und Durchsetzungskraft, um dem Primat der Politik Geltung zu verschaffen. Das war schwer genug. Bismarcks Nachfolgern im Kanzleramt war dies nicht mehr gegeben. Die Machtstellung der Militärs in Deutschland wurde die Hypothek von Moltkes Ruhm.
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