Archäologie: Was in 1.000 Jahren von uns bleiben wird

Die Archäologie hilft uns anhand von Funden aus vergangenen Zeiten, das Leben unserer Vorfahren zu rekonstruieren. Doch was werden zukünftige Archäologen über uns denken? Von verlorenen digitalen Welten und Tausende Jahre altem Glas.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 17. Mai 2024, 08:23 MESZ
Eine heruntergekommene alte Fabrikhalle.

Welche unserer Objekte und Gebäude werden zukünftigen Generationen von Forschenden zur Verfügung stehen? Und wie werden sie unsere Welt sehen?

Foto von Annemarie Ullmann / Adobe Stock

Archäolog*innen können die vergangene Welt anhand verschiedenster Funde rekonstruieren. Mehrere hunderttausend Jahre alte Knochen und Werkzeuge erzählen ihnen etwas über das Leben der frühen modernen Menschen, einige hundert Jahre alte Funde offenbaren die Gewohnheiten unserer Vorfahren im Mittelalter – und selbst jüngere Bauten wie die Berliner Mauer geben auch heute noch Geheimnisse über die Vergangenheit preis.

Doch wie werden zukünftige Archäolog*innen unsere moderne Welt rekonstruieren? Welche Objekte werden die Jahrhunderte überdauern und in Zukunft für Spekulationen sorgen?

Archäologische Ausgrabungen in 1.000 Jahren

Die Archäologin Valerie Elena Palmowski beschäftigt sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit diesem Thema. Aktuell ist sie Akademische Rätin auf Zeit in der Abteilung für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Uni Bonn. „Wenn man sich auf der Welt umsieht, wird schnell klar, was unter den derzeitigen Umständen am wahrscheinlichsten erhalten bleiben wird“, sagt sie. Laut der Forscherin sind das unter anderem Plastik, einzelne Metalle und Knochen sowie Gebäude aus Stein. Eine Rolle spielt dabei der Zustand der Böden: In sauren Böden halten sich beispielsweise Metalle weniger lang, eine Entwicklung, die auch aktuell zu beobachten ist.

Finden werden zukünftige Archäolog*innen die überdauernden Materialien zum Beispiel in unserem Abfall. Dieser bietet in der aktuellen Archäologie einen der besten Einblicke in das Alltagsleben der Vergangenheit und wird laut Palmowski auch in Zukunft relevant sein. Essgewohnheiten, Recycling- und Entsorgungsstrategien, aber auch soziale Unterschiede können anhand dieser Funde rekonstruiert werden. Auch außer Gebrauch geratene Gegenstände wie Werkzeuge, Geschirr und andere alltägliche Utensilien werden einiges über unsere Gewohnheiten verraten. Beispielsweise über den Fortschritt unserer technischen Geräte oder unser Freizeitverhalten. „Was wird wohl aus verschiedenen Kronkorkensorten, Kaugummiresten oder Plastikverpackungen abgeleitet werden?“, fragt Palmowski.

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    Materialien, die viele Jahrhunderte überdauern

    Besonders häufig werden künftige Archäolog*innen bei ihrer Arbeit wohl auf Plastik stoßen. Bis heute kann man nicht genau sagen, wie lange dieser erst etwa 160 Jahre alte Kunststoff braucht, um vollständig zersetzt zu werden. Aktueller Forschung zufolge brauchen manche Gegenstände aus Plastik bis zu 500 Jahre, um abgebaut zu werden. Vor allem, weil der Trend aktuell zu haltbarerem Plastik geht. Mikroplastik wird sich sogar noch länger in der Erde und den Ozeanen finden lassen: Bis zu 1.000 Jahre können die kleinen Partikel laut einigen Studien überdauern. Ob sich dieser Trend in Anbetracht des gegenwärtigen Umdenkens hin zu mehr Nachhaltigkeit fortsetzen wird, ist allerdings eine andere Frage.

    BU: Unsere exzessive Herstellung von Plastik hat einige Forschende bereits dazu bewegt, ein neues geologisches Zeitalter einzuläuten: Das Anthropozän, also das Zeitalter des Menschen, das unter anderem durch die Veränderung und Verschmutzung der Umwelt aufgrund von Plastik charakterisiert wird.

    Foto von Daniil / Adobe Stock

    Je nach Art können moderne Glasgegenstände sich sogar noch länger erhalten. Neben Gebäuden und Gegenständen aus Stein sowie Keramik, beispielsweise sehr heiß gebrannte Ziegel, werden Glasobjekte unter den Dingen sein, die Archäolog*innen noch in entfernter Zukunft von uns finden werden. Moderne, qualitativ hochwertige Glasflaschen können beispielsweise bis zu 4.000 Jahre alt werden, bevor sie vollständig zersetzt sind. Im Weinmuseum des Historischen Museums der Pfalz kann man aktuell eine 1.700 Jahre alte Flasche Wein mit noch vorhandenem flüssigen Inhalt bestaunen – den sogenannten Römerwein von Speyer. Mindestens so lange werden also auch einige unserer modernen Glasbehältnisse ,überleben‘ können und Informationen über unseren modernen Weinbau oder das Bierbrauen verraten. 

    Der Römerwein von Speyer wurde im Jahr 1867 entdeckt und erlaubte den Forschenden, die ihn fanden, einen Blick in die Vergangenheit vor ganzen 1.700 Jahren.

    Foto von Peter Haag-Kirchner / Historisches Museum der Pfalz / nat.museum-digital.de/object/ 11309

    Neben diesen Gegenständen werden auch einige unserer modernen Bücher in Zukunft noch im Original erhalten sein. Unter vorteilhaften Bedingungen und je nach Beschaffenheit können sie über 1.000 Jahre alt werden. Die Schriften werden Forschenden dabei helfen, ihre Funde um wichtige Informationen wie politische Entwicklungen und Ansichten zu erweitern.

    Wichtige Orte in der Zukunft: Gebäude und Friedhöfe

    Neben Gegenständen werden Archäolog*innen vermutlich auch Gebäudereste ausgraben. Dabei kommt es laut Palmowski darauf an, wie das jeweilige Gelände in den Jahrhunderten nach uns genutzt wird. „Generell haben bereits heute in die Erde eingetiefte Strukturen eine bessere Erhaltungschance als obertägige Strukturen“, sagt sie. Es könne auch sein, dass Gebäude abgerissen und überbaut werden oder Flächen wie beim Braunkohletagebau großflächig abgetragen werden – in letzteren bleibt keinerlei archäologische Substanz zurück. Doch auch die Weiternutzung der Fläche nach dem Tagebau gibt Aufschluss über die Denkweise der Menschen, beispielsweise dann, wenn zerstörte Landstriche renaturiert werden.

    Sowohl diese Flächen als auch die erhaltenen Gebäude und Ruinen können in Zukunft viel über unsere Gesellschaft aussagen. Archäolog*innen können so beispielsweise die Siedlungsdichte an bestimmten Orten bestimmen, die Strukturierung der Landschaft erfassen oder anhand der Größe und Lage von Gebäuden deren gesellschaftliches Ansehen nachvollziehen. 

    Außerdem werden Forschende anhand der Art und Weise, wie unsere Städte aufgebaut waren – mitsamt Infrastruktur und öffentlichen Plätzen –, unsere Gesellschaftsstrukturen erschließen können. Dazu gehören Friedhöfe, auf denen zukünftige Forschende vermutlich ebenfalls Grabungen durchführen werden – ähnlich wie wir es heute bei nur wenigen Jahrhunderten alten Gräberfeldern tun. Dort, so Palmowski, werden womöglich unsere Bestattungsriten im Mittelpunkt der Forschung stehen. Eine der zentralen Fragen könnte laut der Archäologin dann sein, womit der Rückgang von Körperbestattungen zugunsten von Brandbestattungen zusammenhängt.

    Mithilfe der Untersuchung von Knochen und Zähnen können Forschende außerdem unseren Gesundheitszustand, unsere Sportlichkeit oder die Verbreitung von Krankheiten nachvollziehen. Darüber hinaus können Gräberfelder auch etwas über Konflikte und den Zusammenhalt unserer derzeitigen Gesellschaft erzählen – zum Beispiel über unsere Kriege und die Erinnerungskultur an Krisen. Anhand dieser werden Forschende Vermutungen über unser Zusammenleben und unsere politischen Entscheidungen aufstellen können.

    Anhand von Skeletten können Forschende nicht nur Alter, Geschlecht und Körpergröße einer Person nachvollziehen, sondern auch ganze Krankheitswellen und die DNA der Opfer rekonstruieren. Wie in diesem Massengrab des East Smithfield Friedhofs, auf dem Opfer der Pest aus den Jahren 1348 und 1349 untersucht werden.

    Foto von Museum of London Archaeology, MOLA

    Was bleibt von der digitalen Welt?

    Doch wie sieht es mit digitalen Daten und dem Internet aus? Viele unserer persönlichen Informationen wie Fotos, Dokumente und Nachrichten sind heute nicht mehr analog gespeichert. Je nachdem, wie die Daten aufbewahrt werden, können sie so schnell verloren gehen – vor allem, wenn keine Updates von Soft- und Hardware gemacht werden. Viele SD-Karten haben beispielsweise nur eine Lebensdauer von etwa 10 Jahren, externe Festplatten oftmals sogar weniger. Was von unserer digitalen Welt in Zukunft noch zur Verfügung steht und welche Daten man retten können wird, lässt sich deshalb nur erraten.

    Projekte wie das Internet Archive in San Francisco kümmern sich bereits jetzt um die Erhaltung solcher Daten im Rahmen einer digitalen Bibliothek. Andere Projekte bemühen sich um die Erhaltung von Daten auf physischen Datenträgern und forschen gleichzeitig an Wegen, solche Datenträger noch länger haltbar zu machen. Denn sollten unsere digitalen Welten in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen, wird wohl auch die Rekonstruktion unseres Lebens weniger akkurat – und wichtige Aspekte unseres Zusammenlebens werden den Forschenden für immer verborgen bleiben.

    Wer wird sich an uns erinnern?

    Doch werden sich die Menschen in Zukunft überhaupt noch für die Vergangenheit interessieren? Palmowski ist zuversichtlich. „Sicherlich werden sich Methoden wandeln und Erklärungsmodelle dem Zeitgeist sowie dem zukünftigen Erkenntnisstand angepasst werden, die Neugier darauf ‚wie es früher war‘ werden wir uns aber bestimmt erhalten“. Wie genau die Archäolog*innen in 1.000 Jahren unser Leben rekonstruieren werden, lässt sich nicht konkret vorhersagen – und richtet sich auch danach, wie sich die Menschheit weiterentwickelt und welche Technologien unsere Nachfahren besitzen. 

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