Sigmund Freud: Die Traumdeutung

Sigmund Freud Traumdeutung

Träume beschäftigen uns, individuell wie kollektiv. Bereits aus dem Alten Ägypten sind sog. Traumbücher überliefert, die nicht nur Träume dokumentieren, sondern auch und vor allem Schlüssel zu ihrer Deutung bieten wollen. Der Glaube an die Bedeutung unserer nächtlichen Erlebnisse ist bis heute nicht verschwunden – manche sehen in ihnen Vorausdeutungen der Zukunft, andere Verarbeitungen des Vergangenen. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, versteht seinen Ansatz der Traumdeutung als Bruch mit der bis dahin vorherrschenden Tradition. Beinahe 100 Seiten der Traumdeutung widmet Freud den vor ihm populären Forschungs- und Theorieansätzen. Hierbei unterscheidet er primär zwei Pole: eine Tradition, die im Traum ein Abfallprodukt des Gehirns sieht, und eine solche, die eine Dechiffrierung über einen festen Symbolkatalog anstrebt – was in der Tradition der altägyptischen Traumbücher steht. Freuds Werk, das den Traumdiskurs in Populärkultur und Alltag bis heute nachhaltig geprägt hat, versteht sich als revolutionär: Der Traum ist – anders als zuvor angenommen – ein erfüllter Wunsch. Doch was genau soll das heißen und wie begründet Freud seine These? Der vorliegende Beitrag möchte einen ersten Über- und Einblick ermöglichen.

Modelle der Psyche – Ausgangspunkte für die Traumdeutung

Um Freuds Ausführungen in der Traumdeutung einordnen zu können, ist ein grundlegendes Verständnis über den von ihm skizzierten Aufbau der menschlichen Psyche unabdingbar. Insbesondere das topographische und das Instanzenmodell der Psyche sollten zur besseren Einordnungen der Ausführungen zum Traum kurz vorgestellt werden.

Das topographische Modell der Psyche

Für das Verständnis der Traumdeutung zentral ist Freuds topographisches Modell der Psyche. Freud geht davon aus, dass neben dem Bewussten ein Vor- und ein Unbewusstes existieren. Während das Bewusste all jene Gedanken und Wahrnehmungen umfasst, die in vollem Maße zugänglich sind, ist das Unbewusste der Ort der Triebe, des Verdrängten usw. Im psychoanalytischen Verständnis macht das Unbewusste den Menschen zum größten Teil aus: Sein Inhalt ist weitaus umfassender als der des Bewussten und steuert das Verhalten in erheblichem Maße. Das Vorbewusste hingegen ist in Freuds Modell weniger interessant; hierunter werden alle Kenntnisse und Erinnerungen gefasst, die bei Bedarf abgerufen werden können, ansonsten jedoch nicht im Bewusstsein sind.

Bezüglich der Träume nimmt Freud an, dass sie größtenteils aus dem Unbewussten heraus entstehen. Das topographische Modell muss vor diesem Hintergrund als Prämisse der weiteren Ausführungen zum Traum und seiner Bedeutung verstanden werden.

Das Instanzenmodell der Psyche

Einen weiteren wesentlichen Ausgangspunkt der Gedanken Freuds stellt das Instanzenmodell der Psyche dar. Auch hier arbeitet er mit einer Dreiteilung des psychischen Systems: Neben dem Ich existieren das Es sowie das Über-Ich. Während das Es Sitz der Triebe und Wünsche ist, ist das Über-Ich zu verstehen als Sitz internalisierter Normen und Werte. Beide konkurrieren darum, das Ich zu besetzen, und damit ihre Wirkkraft zu entfalten.

Der Traum als Wunscherfüllung

Wird der Traum als wesentlich beeinflusst durch das Unbewusste verstanden, so erlaubt das auch Aufschluss über die Art der Wünsche, die er erfüllt. Es handelt sich bei diesen um solche, die uns im Wachleben nicht bewusst sind. Über den Wunsch ist darüber hinaus im Instanzenmodell ein klarer Bezug zum Es gegeben, der später noch von Bedeutung sein wird. Freuds Diktum, der Traum sei eine Wunscherfüllung, ist bei alldem ein apodiktisches: „Wenn man die hier angezeigte Methode der Traumdeutung befolgt, findet man, daß der Traum wirklich einen Sinn hat […]. Nach vollendeter Deutungsarbeit läßt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen“ (Freud: 140).

Dass eine solche Aussage vehementen Einspruch auf sich ziehen wird, lag auch für Freud nahe: Was etwa ist mit Albträumen? Mit Angstträumen, aus denen wir schweißgebadet erwachen? Mit dem Traum von ausfallenden Zähnen oder unserem eigenen Tod? Freud sieht hierin keinesfalls Ausnahmen; er versucht vielmehr darzulegen, „daß auch peinliche und Angstträume sich nach der Deutung als Wunscherfüllungen enthüllen“ (Freud: 152). Das offensichtliche Spannungsverhältnis zwischen dieser These und dem Phänomen der Angstträume versucht Freud durch Verweis auf die sog. Traumentstellung zu lösen. Angstträume sind für ihn in diesem Sinne ein Anlass zur Differenzierung der ursprünglichen These der Wunscherfüllung.

Die Traumentstellung

So erkennt Freud an, dass bei Weitem nicht jeder Traum angenehm ist. Viele erscheinen schmerzhaft, einige belanglos, manche schlicht irritierend. Hierin sieht er einen Hinweis darauf, dass zwischen dem manifesten Trauminhalt und dem dahinter stehenden latenten Traumgedanken eine Kluft besteht. Was aber sorgt dafür, dass nicht der eigentliche Traumgedanke, der Sinn des Traums, klar zu erkennen ist, sondern bloß eine entstellte Version dessen?

Freud sieht eine Parallele zum Phänomen der Zensur und führt aus: „Wo die Wunscherfüllung unkenntlich, verkleidet ist, da müßte eine Tendenz zur Abwehr gegen diesen Wunsch vorhanden sein, und infolge dieser Abwehr könnte der Wunsch sich nicht anders als entstellt zum Ausdruck bringen“ (Freud: 158). Diese Parallelisierung mit dem Phänomen der Zensur bringt ihn zur Annahme zweier separater psychischer Mächte, „von denen die eine den durch den Traum zum Ausdruck gebrachten Wunsch bildet, während die andere eine Zensur an diesem Traumwunsch übt und durch diese Zensur eine Entstellung seiner Äußerung erzwingt“ (Freud: 160). Die innere Gespaltenheit des Menschen, dessen Psyche sich aus mehreren Subsystemen zusammensetzt, führt also dazu, dass unsere Wünsche im Traum nicht deutlich zum Ausdruck kommen, sondern auf merkwürdige Weise verzerrt werden. Das lässt sich rückbeziehen auf das Instanzenmodell der Psyche: Die aus dem Es stammenden Wünsche können sich – da es nicht alleine herrscht – nicht ohne Weiteres im Ich niederschlagen. Freud führt für diesen Umstand die Begriffe des Lust- und des Realitätsprinzips ein. Das Lustprinzip ist das Funktionsprinzip des Es: reine Wunscherfüllung und Triebbefriedigung ohne Rücksicht auf Verluste. Das Realitätsprinzip hingegen dient der Eindämmung des Lustprinzips in Bahnen, die das physische wie soziale Überleben des Individuums ermöglichen. Am Traum lässt sich das Freud zufolge besonders deutlich illustrieren (Freud: 161), was auch darauf zurückzuführen ist, dass das Realitätsprinzip im Schlaf weniger stark regiert als während es Wachlebens – das Lustprinzip schafft es hier eher, einzelne Wünsche an der Zensur vorbeizuschmuggeln.

Verschiebung und Verdichtung als Mechanismen der Traumentstellung

Die Entstellung durch die Zensur, die sog. Traumarbeit, erfolgt jedoch nicht ungeregelt, sondern folgt – das schließt Freud wie die gesamte Theorie aus der Beobachtung der Träume von Patient*innen wie seiner selbst – gewissen Regeln: den Regeln von Verschiebung und Verdichtung. Aus einem Wunsch wird durch Verschiebung und Verdichtung ein Traum, der nur noch sehr entfernt auf den hinter ihm stehenden Wunsch hinweist.

Die Verschiebung besteht dabei darin, dass die Bedeutung eines wichtigen Ereignisses A sich überträgt auf ein eigentlich unbedeutendes Ereignis B. Im Traum wird dann letzteres in Erscheinung treten; gemeint ist jedoch ersteres. In Freuds Worten: „Wir deuten somit die Tatsache, daß der Trauminhalt Reste von nebensächlichen Erlebnissen aufnimmt, als eine Äußerung der Traumentstellung (durch Verschiebung) und erinnern daran, daß wir in der Traumentstellung eine Folge der zwischen zwei psychischen Instanzen bestehenden Durchgangszensur erkannt haben“ (Freud: 190).

Hinzu kommt die Verdichtung, die letztlich eine Straffung bedeutet: „Der Traum ist armselig, knapp, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken“ (Freud: 282). Der recht elaborierte Traumgedanke muss gestrafft werden, um die Zensur passieren und in den Traum eingehen zu können.

Hinzu kommen Rücksicht auf Darstellbarkeit und Verwendung von Symbolen. Die Rücksicht auf Darstellbarkeit ist dabei äußerst naheliegend: Ein Traum ist visuell und kann entsprechend nicht aus reinen Abstrakta bestehen. Der latente Traumgedanke muss folglich so gefasst werden, dass er filmartig darstellbar ist.

Freuds Traumdeutung: Wirkung und Kritik

Die Wirkung der Thesen Freuds ist unbestritten. Kaum eine Theorie hat die Populärkultur und Alltagssprache im 20. Jahrhundert so stark beeinflusst wie die Psychoanalyse. Im heutigen Sprachgebrauch finden sich etliche Begriffe psychoanalytischen Ursprungs – und auch unser alltägliches Nachdenken über Träume ist geprägt von Freud Theorie, wenngleich meist von deutlich simplifizierten Annahmen ausgegangen wird.

Doch wie steht es um die Haltbarkeit der Thesen Freuds? Um die Stichhaltigkeit der vorgelegten Argumente? Tatsächlich ist auffällig, dass Freud, der immer wieder von einer Methode der Traumdeutung spricht, eine ebensolche im gleichnamigen Werk zu keinem Zeitpunkt vorlegt. Zu finden sind stattdessen unzählige beispielhafte Analysen von Träumen Freuds wie seiner Patient*innen. Diese folgen jedoch keinem festgelegten Muster, was die Reproduktion des Vorgehens verunmöglicht. Auffällig ist in diesem Zusammenhang ferner, dass Freud seine assoziativen Schlüsse selten argumentativ untermauert – stattdessen wird von einer Art Selbstevidenz der teilweise anekdotischen Schilderungen ausgegangen. Wissenschaftlich in einem heutigen Sinne ist Freuds Vorgehen damit keineswegs.

Besonders deutlich wird das, wenn Freud offensichtliche Angstträume seiner Patient*innen dadurch als Wunschträume zu enttarnen gedenkt, dass er hinter ihnen den Wunsch, er, Freud, habe mit seiner These unrecht, stehen sieht (Freud: 167). Sein Punkt ist hier selbstimmunisierend: Entweder der Traum bringt einen Wunsch zum Ausdruck oder gerade der Umstand, dass er das nicht tut, verweist auf einen unbewussten Wunsch.

Hinsichtlich der Funktion des Traumes besteht in der heutigen Psychologie und Neurowissenschaft keine Einigkeit. Eine rege Forschung im Bereich des Traumschlafs findet jedoch statt; Freuds Orientierung an der Rückführung des Traumes auf eine hinter ihm stehende Bedeutung spielt dabei jedoch keine Rolle mehr. Die Forschung konzentriert sich stattdessen auf Fragen der Funktion des Traumes, auf seine neurophysiologische Genese oder – etwa in der Sportwissenschaft – auch auf seine Nutzbarmachung im Rahmen des Kompetenzausbaus.

Literatur
Freud, Sigmund (1972): Die Traumdeutung. Studienausgabe. Frankfurt am Main. [orig. 1899].