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Meinung

Warum die Schuldenbremse die Krise noch verschlimmern kann

Bundesfinanzminister Christian Lindner beharrt auf der Einhaltung der Schuldenbremse. Das könnte die bestehende Krise noch verschärfen und die Gefahr einer Rezession erhöhen.
von Gustav Horn · 26. September 2022
Wie geht es weiter mit der Schuldenbremse? Fiskalische Flexibilität ist das Gebot der Stunde und kein starres Festhalten an ökonomischen Glaubenssätzen, meint Ökonom Gustav Horn.
Wie geht es weiter mit der Schuldenbremse? Fiskalische Flexibilität ist das Gebot der Stunde und kein starres Festhalten an ökonomischen Glaubenssätzen, meint Ökonom Gustav Horn.

Wir leben in einer schwierigen Zeit. Eine Kaskade von Energiepreisexplosionen hat begonnen und droht Haushalte selbst mit guten mittleren Einkommen, Unternehmen und Handwerk in einen finanziellen Abgrund zu stoßen. Die Bundesregierung hat bereits mit mehreren Maßnahmenpaketen auf diese Lage reagiert. So wurden z.B. spürbare Einmalzahlungen an Beschäftigte, Rentner*innen und Studierende beschlossen und teilweise  bereits ausgezahlt. Jedoch sind sich alle einig. Angesichts der Massivität der Preissprünge vor allem beim Gas reicht dies nicht aus.

Es steht also zu erwarten, dass noch erhebliche weitere finanzielle Anforderungen auf den Bundeshaushalt zukommen, um die Energiekrise in den Griff zu bekommen. Hinzu dürften im Zuge einer aufkeimenden Rezession erhöhte Ausgaben für die soziale Sicherung anfallen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die berechtigte Frage, ob das Geld im Bundeshaushalt hierfür ausreicht oder ob der Bund neue Schulden aufnehmen muss. Und ist das, mit Blick auf die Schuldenbremse, überhaupt erlaubt?

Der Denkfehler des Finanzministers

Der Bundesfinanzminister behauptet tapfer, dass genügend Geld vorhanden ist, um die Schuldenbremse trotz schwieriger Wirtschaftslage im kommenden Jahr einzuhalten. Daran kann man mit Fug und Recht zweifeln. Für diese Aussage spricht zwar, dass der Staat eindeutig ein Inflationsgewinner ist, weil die Steuereinnahmen insbesondere aus der Mehrwertsteuer merklich steigen. Schließlich profitiert hier der Staat von jeder Preiserhöhung. Allerdings steigen auch die Kosten seiner Ausgaben mit der Inflation, weil z.B. Bauvorhaben teurer werden. Dazu kommen noch die beträchtlichen Kosten der Wirtschaftskrise.

Damit stellt sich sehr wohl die drängende Frage, was tun, wenn das Geld nicht reicht. Der Finanzminister besteht auch unter diesen Umständen auf Einhaltung der Schuldenbremse, notfalls müssten eben an anderer Stelle Ausgaben gekürzt werden. Er begründet das vor allem damit, dass nur mit einem sparsamen Staat die Inflation effektiv bekämpft werden könnte. Es geht ihm also nicht nur um die rechtliche geforderte Einhaltung der Schuldenbremse, sondern auch um einen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität. 

Dieser Forderung liegt aber ein Denkfehler zugrunde. Der Finanzminister geht offensichtlich davon aus, dass die deutsche Wirtschaft überhitzt ist, weil die Preise derzeit  stark steigen. Dies zeige,  dass die Nachfrage an Gütern das Angebot deutlich übersteigt.   Daher sollte der Staat die Nachfrage dämpfen und auf diese Weise der Inflation den Boden entziehen.

Ein sparender Staat vergrößert die Rezessionsgefahr

Dies Analyse ist leider in einem entscheidenden Punkt falsch: Die deutsche Wirtschaft ist nicht überhitzt, sondern steuert auf eine Rezession zu. Die Preissteigerungen sind nicht das Ergebnis einer überschäumenden Nachfrage, sondern eines geschrumpften Angebots. Die wechselseitigen Sanktionen mit  Russland haben vor allem das Angebot an Gas verknappt und es entsprechend  an den Märkten verteuert. Da Gas an vielen Stellen unserer Wirtschaft ein unumgänglicher Energieträger ist, strahlen diese Preissteigerungen auf nahezu alle Bereiche der Wirtschaft aus. Dieses Umfeld steigender Preise wird zudem von vielen Unternehmen dazu genutzt, ihre Gewinnmargen auszudehnen. 

Die Preissteigerungen haben nunmehr ein Ausmaß angenommen, dass sowohl die Kaufkraft der privaten Haushalte erodiert ebenso wie die Rentabilität vieler Unternehmen. Das ist der Kern der Rezessionsgefahr, in der wir uns gerade befinden. Ein sparsamer Staat würde diese Gefahren aber sogar verstärken, wenn er durch Ausgabenkürzungen Haushalte und Unternehmen noch stärker belastet. Das bedeutet, Haushalte geraten finanzielle Schwierigkeiten, Unternehmen gehen pleite und Menschen werden arbeitslos. Zur Freude von Wladimir Putin würden wir die wirtschaftlichen Schäden der Sanktionen sogar noch selbst  verstärken. Das hilft weder uns noch der Ukraine.

Jetzt ist eine Finanzpolitik aufmerksamer Gelassenheit gefordert. Sie muss angesichts der krisenhaften Entwicklung einerseits gelassen sein und keine hektischen Sparmanöver durchführen, die die Krise nur verstärken. Zur Not muss die Schuldenbremse eben auch im kommenden Jahr ausgesetzt werden. Die Finanzpolitik muss aber auch aufmerksam bleiben, um jeder unerwarteten Änderung im Krisenverlauf angemessen begegnen zu können. Fiskalische Flexibilität ist das Gebot der Stunde und kein starres Festhalten an ökonomischen Glaubenssätzen.        

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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