Bier-Rechnung: Mit doppelter Ration schrieb Hitler „Mein Kampf“ - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Zweiter Weltkrieg
  4. Bier-Rechnung: Mit doppelter Ration schrieb Hitler „Mein Kampf“

Zweiter Weltkrieg Landsberger Rechnungen

Mit doppelter Bier-Ration schrieb Hitler „Mein Kampf“

Während seiner Haft in Landsberg 1923/24 versorgte sich Hitler auf eigene Kosten. Die Abrechnungen, die erst jetzt bekannt werden, entlarven den vermeintlichen Abstinenzler als tüchtigen Trinker.
Leitender Redakteur Geschichte
Nicht trocken: Hitler im Kreis seiner Gefolgsleute (v. r.): Friedrich Weber, Rudolf Heß, Hermann Kriebel und Emil Maurice in Landsberg 1924 Nicht trocken: Hitler im Kreis seiner Gefolgsleute (v. r.): Friedrich Weber, Rudolf Heß, Hermann Kriebel und Emil Maurice in Landsberg 1924
Nicht trocken: Hitler im Kreis seiner Gefolgsleute (v. r.): Friedrich Weber, Rudolf Heß, Hermann Kriebel und Emil Maurice in Landsberg 1924
Quelle: picture-alliance / akg-images

Absolute Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich eine Tugend, doch allzu häufig ist sie nicht. Gerade gegenüber dem Finanzamt sagen nicht allzu viele Steuerpflichtige immer und ausnahmslos die Wahrheit. Doch dreiste Lügen können gefährlich sein, vor allem, wenn sie durch Papiere leicht widerlegt werden können.

Adolf Hitler jedoch hatte Glück und kam durch. Ende Oktober 1925 behauptete er gegenüber dem Finanzamt München: „Ich schränke meine persönlichen Bedürfnisse gezwungenermaßen so weit ein, dass ich als vollständiger Antialkoholiker und Nichtraucher in den bescheidensten Gaststätten esse.“

Damit wollte er belegen, dass die Zweifel der Behörde an seinen Angaben zum Lebensunterhalt unberechtigt seien. Die Finanzbeamten akzeptierten das offenbar; auch wenn es weiterhin Auseinandersetzungen um die Steuerpflicht des seinerzeit staatenlosen NSDAP-Chefs gab, stellten sie doch seine persönlichen Ernährungsgewohnheiten nicht infrage.

Diese Dokumente aus Hitlers Gefangenen-Personalakte in Landsberg tauchten 2010 auf einer Auktion wieder auf. Der Freistaat Bayern beschlagnahmte sie. 2015 hat sie der Nürnberger Archivdirektor Peter Fleischmann ediert
Diese Dokumente aus Hitlers Gefangenen-Personalakte in Landsberg tauchten 2010 auf einer Auktion wieder auf. Der Freistaat Bayern beschlagnahmte sie. 2015 hat sie der Nürnberger Ar...chivdirektor Peter Fleischmann ediert
Quelle: picture alliance / dpa

Dabei hätten sie nur einmal in der Festungshaftanstalt Landsberg nachfragen müssen, in der Hitler vom 11. November 1923 bis 20. Dezember 1924 wegen seines gescheiterten Putsches unter äußerst komfortablen Bedingungen einsaß. Zu seinem Häftlingspersonalakt, der 2010 aufgetaucht war und jetzt, fünf Jahre später, erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich wird, gehört nämlich auch eine „Guthabenliste“ für seine letzten knapp sechs Haftmonate. Es handelt sich um eine Aufstellung, die der Justizwachtmeister Franz Hemmrich führte und in der er täglich den Stand von Hitlers Privatkasse notierte sowie dessen Einkäufe.

Es handelt sich um neun beidseitig beschriebene Blätter, die genau auflisten, wofür Hitler in Landsberg Geld ausgab. Der Nürnberger Staatsarchivchef Peter Fleischmann, der die jetzt vorgestellte Edition des Dokuments und weiterer Unterlagen zu Hitlers Haftzeit mustergültig besorgt hat, addiert die Einkäufe allein für die in diesem Konvolut dokumentierten knapp sechs Monate, wobei es größere Lücken im November und im Dezember gab:

Peter Feischmann: „Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24: Der Gefangenen-Personalakt Hitler nebst weiteren Quellen aus der Schutzhaft-, Untersuchungshaft- und Festungshaftanstalt Landsberg“. (Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch. 552 S., 59 Euro)
Peter Feischmann: „Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24: Der Gefangenen-Personalakt Hitler nebst weiteren Quellen aus der Schutzhaft-, Untersuchungshaft- und Festungsha...ftanstalt Landsberg“. (Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch. 552 S., 59 Euro)
Quelle: Ph. C. W. Schmidt

„Beachtlich war der Verbrauch an Butter (34 Kilogramm), Zucker (45 Kilogramm), Eiern (515 Stück), Kartoffeln (50 Kilogramm) und Zitronen (88 Stück). Ansonsten bezog Hitler noch Nudeln (schwarze und weiße Fadennudeln, Spaghetti, Makkaroni), Erbsen (ein Kilogramm), Zwiebeln (2,5 Kilogramm), Reis (3,5 Kilogramm), Salatöl, Essigessenz, Suppenwürfel, Bohnenkaffee (5 Pfund), Kondensmilch (eine Dose), Vanille und Zimt (50 Gramm).“

Weiterhin notierte Hemmrich den Erwerb von insgesamt 31 Liter Spiritus, die für die Zubereitung der Speisen und zum Kochen von Kaffee verwendet worden sein dürften. Aus der Anstaltsküche bezog der gescheiterte Putschist offenbar nicht viel außer Brot: „Selbstversorgung“ auf eigene Kosten war ein Privileg der Insassen der Festungshaftanstalt, deren Aufenthalt hinter Gittern als „ehrenvoll“ galt.

Über das, was in den Stuben des Hitler-Flures aus den erworbenen Lebensmitteln gekocht wurde, besteht keine Klarheit. Fleischmann dürfte aber recht haben mit seinem Kommentar: „Die aufgeführten Mengen“ dürften „für eine weitgehend eigenständige, wenngleich recht einseitige Ernährung ausgereicht haben“.

Interessanter ist allerdings, was Hitler noch einkaufen ließ: Bier. Im Juli sind 62 Flaschen, im August 47, im September 60 und im Oktober wieder 47 Flaschen vermerkt. Für November gibt es kaum Einträge, im Dezember sind bis eine Woche vor Weihnachten 34 Flaschen vermerkt. Es handelte sich um Halbliterflaschen; Hitler trank also durchschnittlich knapp einen Liter am Tag. Dass das Bier tatsächlich für ihn bestimmt war, lässt sich daraus schließen, dass Hemmrich eigens vermerkte, wenn gelegentlich eine der dann drei täglich bezogenen Flaschen für Hitlers Freund Emil Maurice, später SS-Mitglied Nr. 2, gedacht war.

34 Flaschen bis 17. Dezember: Hitler Ende 1924 vor einem Tor der Stadt Landsberg
34 Flaschen bis 17. Dezember: Hitler Ende 1924 vor einem Tor der Stadt Landsberg
Quelle: picture alliance / Mary Evans Pi
Anzeige

Das war ein Verstoß gegen die Regeln in Landsberg, denen zufolge Insassen „sich täglich einen halben Liter Bier oder einen viertel Liter Wein zum alsbaldigen Genuss“ anschaffen durften. Wein übrigens kaufte Hitler niemals, während seine Mitgefangenen ihn durchaus dem Bier vorzogen.

Nun galt und gilt Bier in Bayern (wie auch im Rheinland und anderen Regionen) eher als Grundnahrungsmittel denn als Alkohol. Auch ist ein regelmäßiger Verbrauch von knapp einem Liter pro Tag zwar nicht förderlich für die Gesundheit, aber auch nicht zwangsläufig gefährlich. Er liegt jedoch weit über dem statistisch greifbaren durchschnittlichen Pro-Kopf-Konsum an Bier in Deutschland, der seinen Höhepunkt 1980 mit knapp 150 Litern pro Jahr erreichte, also 0,4 Litern am Tag.

Adolf Hitlers perverse Fantasien

Nachdem der Freistaat Bayern eine Wiederveröffentlichung von Hitlers „Mein Kampf“ lange verhindert hatte, erschien im Januar 2016 eine kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte. WELT-Geschichtsredakteur Sven-Felix Kellerhoff kennt die Abgründe der antisemitischen Hetzschrift.

Quelle: Die Welt

Ob der Bierverbrauch einen Einfluss auf die Entstehung seiner Hetzschrift „Mein Kampf“ hatte, ist unklar. Im Gegensatz zu dem, was etwa Hemmrichs Kollege, Justizwachtmeister Otto Lurker, 1933 in einer schnell zusammengeschriebenen Broschüre über Hitlers Haftzeit kolportierte, diktierte der Häftling in Wirklichkeit ja keineswegs sein Buch dem Mitinsassen Rudolf Heß immer abends bis tief in die Nacht. Vielmehr tippte Hitler den Text des ersten Bandes eigenhändig auf einer Schreibmaschine, die ihm eine Gönnerin in die Festhaftanstalt geschickt hatte. Ohne Zweifel liest sich der vor Hass triefende Text so, als wäre er im Vollrausch geschrieben – doch wahrscheinlicher ist, dass Hitler dazu auch ohne Alkohol in der Lage gewesen ist.

Mit der Selbstdarstellung von Ende Oktober 1925, ein „vollständiger Antialkoholiker“ zu sein, jedenfalls passt sein nachweislicher Biereinkauf in der Haft schlecht zusammen. Natürlich wäre es theoretisch möglich, dass er seine Trinkgewohnheiten unmittelbar nach der Entlassung aus Landsberg auf Bewährung radikal umgestellt hat. Dafür gibt es jedoch keine Indizien.

Und da sich der Chef der wiedergegründeten NSDAP fortan (wie auch schon oft vor dem Putschversuch) am liebsten von reichen Gönnern in gutbürgerliche Lokale wie das „Café Heck“, den „Schelling-Salon“ oder die „Osteria Bavaria“ einladen ließ, gibt es auch keine Belege darüber, was er selbst dort getrunken hat.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema