Vor 25 Jahren wurde der Reichstag an den Deutschen Bundestag �bergeben / Als Berlin Bonn wurde - Architektur und Architekten - News / Meldungen / Nachrichten - BauNetz.de
RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Vor_25_Jahren_wurde_der_Reichstag_an_den_Deutschen_Bundestag_uebergeben_8567146.html

19.04.2024

Als Berlin Bonn wurde

Vor 25 Jahren wurde der Reichstag an den Deutschen Bundestag �bergeben


Heute vor 25 Jahren wurde das von Norman Foster umgebaute Reichstagsgeb�ude in Berlin dem Deutschen Bundestag �bergeben. Unser Autor erinnert an die erinnerungspolitischen Debatten um das Geb�ude und den architektonischen Paradigmenwechsel von der Bonner zur Berliner Republik.

Von Nikolaus Bernau

Kein Bau der 1990 entstandenen neuen Bundesrepublik hatte und hat einen solchen Erfolg wie der Radikalumbau des Reichstagsgeb�udes nach Pl�nen des Briten Norman Foster. Genau heute vor 25 Jahren nahm Bundestagspr�sident Wolfgang Thierse (SPD) den Schl�ssel zum neuen Haus entgegen. Formal war damit der Umzug des Parlaments aus Bonn nach Berlin abgeschlossen. Seitdem ist der Gang auf die gl�serne Kuppel ein �Must� jedes Berlin-Besuchs. Fast vergessen sind die heftigen Debatten, die in den 1990er Jahren um den tiefgreifenden Umbau des kaiserzeitlichen Monumentalgeb�udes von Paul Wallot mit seinen in den 1960er-Jahren nach Pl�nen Paul Baumgartens entstandenen Interieurs gef�hrt wurden. 

Die Kernfrage war: Wie �berf�hrt man die Architekturtradition der �provisorischen� Hauptstadt Bonn � die seit 1949 und aus dem Trauma des Versagens 1933 gewachsen war und allgemein als akzeptabel, oft sogar als kulturell und politisch richtig empfunden wurde � in die neue bundesrepublikanische, alte preu�ische, Reichs- und DDR-Hauptstadt Berlin? Hier ging es, nachdem der Bundestag 1991 mit knapper Mehrheit den Umzug des ganzen Parlaments und wesentlicher Teile der Regierung beschloss, um eine hochpolitische Identit�tsfrage: Was will die neue Bundesrepublik sein?

Bonner Bundesbauten

Die alte Bundesrepublik hatte ausgerechnet unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und entgegen aller seiner Wiedervereinigungsrhetorik begonnen, Bonn zur �richtigen� Hauptstadt auszubauen. Dazu geh�rten Museen f�r Kunst- und Kulturgeschichte, neue Bauten f�r Ministerien, vor allem aber das Parlamentsgeb�ude nach Pl�nen des 2022 verstorbenen Joachim Sch�rmanns sowie der neue Plenarsaal von G�nter Behnisch (dem anl�sslich des 100. Geburtstags vor zwei Jahren durch Veranstaltungen und Publikationen breit gedacht wurde). Was wurde �ber diesen Bau gestritten! Es ist noch im Nachvollzug vierzig Jahre sp�ter eine Lust, die damaligen Debatten zu rekonstruieren. Es ging um Denkmalschutz und wie man diesen mit den Anforderungen einer neuen Zeit verbindet. Nicht zuletzt aber um die Symbolik des Neuanfangs 1949 im alten, straff wie ein Klassenzimmer geordneten Bundestagssaal, in dem die Deutschen Demokratie lernten. Aber kann man Demokratie bauen, gar Geschichtsbewusstsein durch Abriss demonstrieren, wie der 2016 verstorbene Architekt und SPD-Abgeordnete Peter Conradi vehement behauptete?
 
Als die Mauer fiel, waren die meisten dieser Bonner Neubauten mitten in der Realisierungsphase � und alle wurden fertiggestellt. Denn wann h�tte jemals eine deutsche Verwaltung den Stopp eines Bauprojekts beschlossen, nachdem seine Finanzierung gesichert ist? Im R�ckblick war das die richtige Entscheidung, sicherte sie doch Bonn jene r�umlichen Infrastrukturen, die die gewesene Hauptstadt ben�tigte, um perspektivisch als politisches Zentrum etwa f�r die UNO zu gedeihen. Damals wurde der Weiterbau in Bonn von vielen Berlin-Bef�rworter*innen und Ostdeutschen jedoch als Symbol daf�r gesehen, dass �der Westen� nicht im Geringsten bereit sei, die deutsche Vereinigung als ein Projekt beider Republiken zu sehen.

Reichstagswettbewerb 1992

 
Das Resultat des internationalen Wettbewerbs f�r den Umbau des Reichstagsgeb�udes in Berlin von 1992 war bemerkenswert. Die Jury verweigerte sich klug der politischen Entscheidung, zeichnete allerdings nur ausl�ndische Architekten aus. Dieses Votum wurde als Symbol der besonderen Lage auch der neuen Bundesrepublik gesehen. Ihr Entstehen war schlie�lich nur deswegen m�glich, weil die vier Alliierten Sowjetunion, USA, Gro�britannien und Frankreich zustimmten und weil Bundeskanzler Kohl endlich die von Stalin 1945 zwischen Deutschland und Polen gezogene Oder-Nei�e-Linie als endg�ltige Grenze anerkannte. Dar�ber hinaus aber gab die Jury die eigentliche Entscheidung, welche Haltung der k�nftige Reichstag symbolisieren solle, zur�ck an die Politik.
 
Im Wettbewerb gab es am Schluss drei B�ros, die zu einer �berarbeitung aufgefordert wurden. Der Brite Norman Foster schlug ein den ganzen Reichstag �berspannendes �Tankstellendach� vor und spiegelte damit die Machbarkeits- und Technikeuphorie der Zeit wider. Der Spanier Santiago Calatrava wollte wieder eine zentrale Kuppel, wie sie Wallot urspr�nglich gebaut hatte. Auf diese sollten riesige Foyerhallen zulaufen; alles in Form von walfischskelettartigen Konstruktionen, f�r die Calatrava bekannt ist. Der Niederl�nder Pi de Bruijn orientierte sich am Vorbild von Brasilia. Er wollte vor das historische Geb�ude einen neuen Plenarsaal setzen � selbstverst�ndlich asymmetrisch versetzt, um jede Andeutung von Hierarchie zu vermeiden.

Nach heftiger Debatte votierte der Bundestag f�r Foster. Auch deshalb, da dieser inzwischen versprochen hatte, eine angemessene Kuppel an Stelle des Tankstellendachs zu planen. Vor allem aber entsprach Foster mit seiner demonstrativen Neuerungs- und Zukunftsfreude genau dem, was die alte Bundesrepublik in ihren Staatsarchitekturen ausgedr�ckt haben wollte: den Beginn einer neuen Zeit und den �sthetischen Ausdruck der 1945 von den Westalliierten regelrecht geschenkten Demokratie. Perfekt zeigt sich diese Haltung � die bundesweit auch viele Arbeits�mter, Schulen, Hochschulen, Ministerien, selbst das Kanzleramt in Bonn pr�gte � etwa im Stuttgarter Landtag, der 1961 inmitten des Schlossgartens eingeweiht wurde.
 
Fosters Entwurf

Foster gelang es, zusammen mit der Baukommission des Bundestags die Kernelemente der Bonner Parlamentsbauten und des Reichstagsumbaus von Baumgarten aus den 1960er Jahren in den neuen Reichstag zu transferieren. Er setzte auf Transparenz, k�hle Farben, gro�e Fenster sowie eine Ausstattung mit dezidiert avantgardistischer Kunst. Ebenfalls wichtig: die anti-hierarchische Bestuhlung des Plenarsaals sowie die M�glichkeit f�r die B�rger*innen, ihren Abgeordneten zumindest im Grundsatz beim Arbeiten zuzusehen. So sehr sich Baumgartens, Behnischs und Fosters Parlamentss�le �sthetisch auch unterscheiden � in diesen Elementen liegen sie sehr nahe beieinander.

In Berlin wurde auch eine Schlussfolgerung aus der symbolisch durchaus problematischen, kreisrunden Sitzanordnung in Behnischs Bonner Plenarsaal gezogen. Denn diese demonstriert eine Einheit von Regierung und Parlament, die als Ausdruck des f�r die deutsche Geschichte zwar charakteristischen, aber keineswegs immer positiven Harmoniestrebens gesehen wurde. In Berlin wurde deshalb ein Kompromiss gefunden, indem der halbrunden Anordnung der Abgeordnetensitze die �Gegenkurve� f�r das Pr�sidium und die Regierungsb�nke gegen�bergestellt wurde.

Die K-Frage
 
Im Zentrum der �ffentlichen Debatte aber stand die �Kuppelfrage�. Sollte der Reichstagsbau dieses traditionelle W�rdesymbol wiedererhalten? Sollte der Bundestag es f�r sich beanspruchen? Oder sollte er das ganz unbedingt, wie der Berliner Architektur- und Parlamentshistoriker Michael Cullen einforderte? In den 1960ern war man sich beim Wiederaufbau der vom Zweiten Weltkrieg schwer gezeichneten Ruine einig: Nein, das passt nicht, ist zu hierarchisch, zu kaiserlich, zu viel alte Machtdemonstration. Um diese Perspektive zu zementieren lie� Baumgarten direkt die tragende Hauptkonstruktion der kaiserzeitlichen Kuppel abrei�en. Zwanzig Jahre sp�ter war die Kuppelfrage wieder offen. Nicht zuletzt die Postmoderne er�ffnete hier neue Perspektiven.
 
Wichtig wurde damit auch das historische Argument: Betrachtete sich die neue Berliner Bundesrepublik als Nachfolgerin des Kaiserreichs und seiner nationalistischen Staatswerdung, als Nachfolgerin der weithin als gescheitert geltenden Weimarer Republik, oder als Nachfolgerin der alten Bonner Bundesrepublik? Welche Rolle sollte das Erinnern an das Scheitern der Demokraten 1933 spielen? Immerhin hatte sich nur die Sozialdemokratie damals gegen die Selbstentmachtung des Parlaments gewehrt. Welche Rolle sollte das Erinnern an den Reichstagsbrand spielen? Und welche die Eroberung des Geb�udes durch die Rote Armee 1945, die den Reichstag zum Denkmal der Befreiung und Niederlage Deutschlands schlechthin machte?

Durch die Bonner Debatten war der damalige Bundestag architekturmethodisch bestens ger�stet. Auch das sieht man dem Reichstag an, in dem beispielsweise die kyrillischen Inschriften aus den ersten Friedenstagen 1945 erhalten blieben. Nicht zuletzt sieht man es an der Interpretation des W�rdesymbols Kuppel. Sie wurde zum begehbaren Eventraum und zum Zeichen eines weiteren Neuanfangs Deutschlands.
 
Der lange Weg nach Westen

Fosters Entwurf war der perfekte architektonische Ausdruck jenes �langen Wegs nach Westen� der Deutschen, den der Historiker Heinrich August Winkler kurz nach der �bergabe des Reichstags in seinem monumentalen, immer noch unbedingt lesenswerten Buch beschrieb. Die Dauerdebatte seit der Kaiserzeit, ob es eines deutschen Sonderwegs bed�rfe angesichts der f�deralen Struktur des Landes, der Vielfalt seiner politischen Traditionen und der Lage im Zentrum Europas, war durch diese Weiterf�hrung der Bonner Architekturtraditionen wenigstens architektursymbolisch und f�r das Parlament entschieden.
 
Auch das d�rfte es dem damals durchaus nicht kleinen Lager der Umbaukritiker*innen leichter gemacht haben, Fosters Entwurf zuzustimmen. Tats�chlich blieben am Ende vom Wallot-Baumgarten-Reichstag kaum mehr als die Au�enw�nde und einige Tragpfeiler stehen! Parlamentsverwaltung, Baukommission und Architekt glaubten, nur so die Platzbed�rfnisse f�r die Debatten des Parlaments, seiner Fraktionen und seiner Aussch�sse erf�llen zu k�nnen. Dass f�r diese eigentlichen Motoren der Parlamentsarbeit zus�tzliche Neubauten neben dem Reichstag entstehen m�ssten, wurde allerdings auch schnell klar. So wie auch klar wurde, dass der sehr westdeutsche Vorschlag, alle Geb�ude aus Nazi- und DDR-Zeit f�r den Bundestag nicht zu nutzen, pragmatisch absurd und symbolisch ahistorisch ist: Die neue Bundesrepublik ist eben Erbin gleich zweier Diktaturen.

Abrisse und Neubauten als Spiegel der Politik

 
Nur wenige Regierungsbauten aus der DDR fielen schlie�lich der Spitzhacke zum Opfer. Erstens der in jeder Hinsicht als unpassend empfundene wei�e Riesenriegel des Au�enministeriums der DDR am Kupfergraben. Zweitens � aus politischen Gr�nden � der Palast der Republik, obwohl er nach der Asbestsanierung ohne Weiteres h�tte weiter verwendet werden k�nnen. Drittens,  Teile des Bauministeriums der DDR an der Breiten Stra�e.

Alle anderen Geb�ude aus der Zeit zwischen 1933 und 1989 wurden �bernommen und weiter genutzt � in den meisten F�llen jedoch erst nach erheblichen Sanierungen und Umbauten. Beispiele sind das heutige Au�enministerium, das Wirtschaftsministerium oder die Bundestagsbauten Unter den Linden, obwohl sie durch die darin gef�llten Entscheidungen oder auch nur ihre Architektursprache als belastet galten. Wer heutzutage beispielsweise vor dem einstigen Bildungsministerium der schrecklichen Margot Honecker (Unter den Linden Ecke Wilhelmstra�e) steht, ahnt nichts von dessen Vergangenheit.
 
Wie radikal diese Architekturpolitik das Selbstbewusstsein der Politiker*innen und der B�rokratie in Frage stellte, zeigten die dem Reichstag folgenden Bundes-Neubauten. Das Paul-L�be-Haus von Stefan Braunfels gleicht mit seinen runden T�rmen einem gewaltigen Motor. Und das Bundeskanzleramt von Axel Schultes und Charlotte Frank wirkt im Vergleich zu Fosters Reichstag geschlossen und machtvoll.

Immerhin sind dies noch hervorragende Architekturen, im Unterschied zu der in Beton gegossenen, st�dtebaulich ph�nomenal passiv-aggressiven Machtanma�ung der B�rokratie, die sich vor allem in dem von Kleihues + Kleihues entworfenen Riesenbau des Bundesnachrichtendienstes an der Chausseestra�e, aber auch im nur wenig zur�ckhaltenderen Neubau des Bundesinnenministeriums von M�ller Reimann Architekten ein Denkmal setzte. Genauso wie die aktuell laufende Erweiterung des Bundeskanzleramts w�ren sie mit ihrer massigen Form und der konsequent b�rger- wie stadtfeindlichen Haltung in der �alten Hauptstadt� Bonn schlichtweg undenkbar gewesen.


Kommentare:
Kommentare (4) lesen / Meldung kommentieren

Reichstagsgeb�ude nach dem Umbau von Norman Foster. Foto: Wikimedia Commons/ Jean-Pierre Dalb�ra/ CC BY 2.0 Deed

Reichstagsgeb�ude nach dem Umbau von Norman Foster. Foto: Wikimedia Commons/ Jean-Pierre Dalb�ra/ CC BY 2.0 Deed

Innenraum der Kuppel. Foto: Wikimedia Commons/ Ank Kumar/ CC BY-SA 4.0

Innenraum der Kuppel. Foto: Wikimedia Commons/ Ank Kumar/ CC BY-SA 4.0

Reichstag nach Bomben-Anschlag 1929. Foto: Wikimedia Commons/ Bundesarchiv, Bild 102-08328 / CC BY-SA 3.0 DE

Reichstag nach Bomben-Anschlag 1929. Foto: Wikimedia Commons/ Bundesarchiv, Bild 102-08328 / CC BY-SA 3.0 DE

Die Ursachen f�r den Reichtagsbrand 1933 wurden nie endg�ltig gekl�rt. Das Geb�ude blieb bis nach der Deutschen Wiedervereinigung (1990) eine Ruine. Foto: Wikimedia Commons/ Roger Wollstadt/ CC BY-SA 2.0

Die Ursachen f�r den Reichtagsbrand 1933 wurden nie endg�ltig gekl�rt. Das Geb�ude blieb bis nach der Deutschen Wiedervereinigung (1990) eine Ruine. Foto: Wikimedia Commons/ Roger Wollstadt/ CC BY-SA 2.0

Bildergalerie ansehen: 8 Bilder

Alle Meldungen

<

19.04.2024

Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar

Baustellenbesuch mit herrmann+bosch architekten

19.04.2024

Aufgestockter Klangk�rper

Konzertsaal in Mainz von mamuth

>
BauNetz Themenpaket
Produktion war gestern
baunetz CAMPUS
Urban MYCOSkin
baunetz interior|design
Flicken, l�ten, schrauben
BauNetz Xplorer
Ausschreibung der Woche