sachliche romanze (nicht von erich kästner)

 

bild von karen vidals (@unlicensedkarebear)

 

Vorstellung

JIA, Trauerrednerin in Ausbildung
YUNJI, Präparationsassistent in Ausbildung
KHAI, tot 

 

All You Can Eat. 3,2 Sterne: unerschöpfliche Servietten, Glas ohne Salzrand.

Yunji tastet seinen Oberbauch nach leeren Orten ab. Jia dreht ihre Gabel mehrmals auf seinem Teller. Eine Wimper liegt auf ihrer kleinen Nasenbrücke. Yunji überlegt noch, was er sich von dieser wünschen will. 

JIA: Üben wir zusammen?

YUNJI: Reden?

Er setzt sich aufrecht. Seine aufgetauten Hände verweilen auf dem glatten Stoffbezug des Stuhls, bevor er sich für ein Glasschälchen Fruchtkompott entscheidet und einen benutzten Teelöffel von Jia. 

YUNJI: Du, ich kann nicht gut reden.

JIA: Nein, du erzählst, ich rede.

Mit einer weißen, bereits ölig-orange betupften Serviette wischt sie sich über die Lippen. Ihre Wangen sind noch rosig vom Dampf des Essens. Jia denkt an die schlagende Abendkälte, wenn sie diesen Ort verlassen werden und atmet versehentlich tief Hitze ein.

JIA: Erzähl nichts Sachliches.

YUNJI: Das kann ich nicht so gut. Persönliches.

Er legt sein Glas Wasser am Mund an, aber trinkt nicht.

YUNJI: Khai. Ein Junge. Ein junger Mann? Er hat in einer Goldschmiede angefangen. 

JIA: Ein Schmuckstück, das mit Schmuckstücken arbeitet.

YUNJI: Schreib nicht sowas.

JIA: Ich denke laut. 

YUNJI: Blonde Haare, kurz. Seine Kopfhaut hatte tiefe Rillen, als ob jemand mit einem Kamm immer wieder und viel zu stark über dieselben Stellen gefahren wäre. Ich denke-

JIA: Zu körperlich.

YUNJI: Ah.

Jia tippt die Oberfläche eines kleinen Schälchens Kondensmilch mit ihrem Ringfinger an. Sie weiß nicht mehr, wofür sie gedacht war.

JIA: Und Familie?

YUNJI: Entfernt.

JIA: Und sonst?

YUNJI: Sonst. Gute Wirbelsäule, normale Arme und Beine, ich weiß nicht. Schöne Schultern.

JIA: Ich meine, was mochte er? 

YUNJI: Geraten? Perlenfädeln, kleines. Vielleicht hat er Knöpfe gesammelt. Sonst. Braune Augen. Sehr symmetrische Muttermale. Keine Geschwister.

JIA: Eine kleine Trauerfeier dann.

YUNJI: Magst du das mehr? Vor kleinem Publikum zu sprechen? Familie, meine ich.

Jia weiß die Antwort nicht. Yunji nimmt ihre benutzte Serviette in die Hand und versucht, einen Hut zu falten, vielleicht schafft er auch ein Schiff.

JIA: Ich bin ein bisschen traurig. 

YUNJI: Ist das gut? Fürs Reden? 

JIA: Schon. 

YUNJI: Ich auch. Ich bin ein bisschen traurig. 

JIA: Das ist gut, fürs Essen.

Sie greifen nach den schlecht bedeckten Erdbeerspießen, die Yunjis langer Arm zwischen vielen kurzen Armen am Schokobrunnen gedreht hatte.

JIA: Mir fällt nichts ein zu ihm.

YUNJI: Nichts?

JIA: Deine Informationen sind normale Arme.

YUNJI: In die man sich nett hätte einhaken können?

JIA: Und normale Beine, auf deren Schoß man sich nett hätte setzen können?

YUNJI: Ungefähr.

Yunji legt sein Glas Wasser am Mund an, tut wieder so.

JIA: Du hast geraten, er mag Perlen.

YUNJI: Ja.

JIA: Und mag Erdbeeren? Am Brunnen?

YUNJI: Eher Weintrauben.

Ein junger Mann räumt ihren Tisch ab. Beide lächeln zögerlich, er auch.

JIA: Jemand, der auf Fotos Hasenohren macht?

YUNJI: Nicht mutig genug.

JIA: Sich verschluckt und versucht nicht zu husten?

YUNJI: Ja, so jemand.

JIA: Ich vermisse ihn.

Kurz vor 22 Uhr gehen beide Händewaschen, pressen eingeseiftes Papier gegen ihre Lippen und legen sich die Haare richtig. Yunji will sich nichts mehr wünschen. Jia streicht die Wimper von ihrem Nasenrücken und pustet, doch sie bleibt an ihrer Fingerspitze kleben. Es drückt in der Brust, in den Bäuchen auch, dort restlos.

 
 

ein text von vy vincent (@vy8vincent)
ein bild von karen vidals (@unlicensedkarebear)


 
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