Barsbüttel
© Gemeinde Barsbüttel Räder rattern über Kopfsteinpflaster, es riecht nach Pferdemist, Hammerschläge dröhnen aus der Schmiede. Barsbüttel ist ein schleswig-holsteinisches Dorf wie aus dem Bilderbuch. Werner Schlüter († 2015) erinnert sich gern an diese Zeiten, die längst vergangen sind: Barsbüttel ist kein Dorf mehr, Barsbüttel ist eine typische Gemeinde im Randgebiet um Hamburg.
Die Pferdewagen sind Autos gewichen, statt der Fachwerkhöfe säumen Reihenhäuser den Rand der Hauptstraße und anstelle des Kaufmanns gibt es Supermärkte. Werner Schlüter liebt Barsbüttel immer noch, auch wenn die dörfliche Idylle nur noch vereinzelt aufblitzt. „Ich habe hier schon als vierjähriger Steppke gespielt – nun lebe ich als 80-Jähriger wieder im Ort, und es gefällt mir gut“, sagt der Senior, der sich immer noch aktiv in die Gestaltung der Gemeinde einmischt. Deshalb ist er unter anderem Vorsitzender des Seniorenbeirats.
© Gemeinde BarsbüttelMenschen seiner Altersgruppe treffen sich im heutigen Barsbüttel am Soltausredder im Bürgerhaus. In dem fünf Jahre alten Kulturzentrum des Ortes bringen die Gemeindebücherei, Kunstausstellungen, Volkshochschulkurse, soziale Betreuungsangebote sowie ein Café die Bürger zusammen.Wenn Werner Schlüter am Bürgerhaus steht, dann wächst hier in seiner Erinnerung saftig grünes Gras. „Da war damals der Schäfer mit seiner Herde“, erinnert sich der Rentner, der vor rund 60 Jahren als Knecht bei einem Barsbütteler Bauern anfing.
Langsam fährt er in seinem Auto durch den Soltausredder, der heute zur Erich Kästner Gemeinschaftschule führt. Schlüter zweigt an der Schwimmhalle ab, der Weg führt durch mit Einfamilienhäusern bebaute Seitenstraßen, schließlich vorbei am Kindergarten. „Hier waren nur Felder, und dort, da war unsere Rübenmiete, da haben wir in Gräben die Rüben gelagert – Kühlhäuser gab es ja noch nicht“, sagt er und zeigt auf schmucke Vorgärten hinter sauber gekehrten Gehwegen. Ihre Felder von damals haben die Bauern längst verkauft. Denn in den Nachkriegsjahren brauchten die Menschen Wohnraum, und fanden ihn zum Teil in Barsbüttel. Flüchtlinge bauten hier ihre neue Heimat auf, ihre Herkunft aus Ostpreußen und Schlesien verraten Straßennamen wie Danziger Straße oder Waldenburger Weg.
An der Ecke „Alte Landstraße“, die einst nach Hamburg führte, findet Werner Schlüter noch ein Stück Historie: Das prächtige Fachwerkhaus ist erhalten geblieben. Heute hat dort ein Jurist seine Kanzlei. „Und vorher war darin eine Zahnarztpraxis“, erzählt Schlüter, der sich an das Haus erinnert, als dort weder Schreibtisch noch Behandlungsstuhl, sondern schlichtweg ein Futtertrog stand. Schräg gegenüber in der heutigen Autowerkstatt war die Schmiede: „Der Schmied war ein Tüftler, er hat eine Kartoffelpflanzmaschine erfunden“, erzählt Schlüter und macht Halt vor einem noch klein gewachsenen Lindenbaum.
„Die Linde hier war über 100 Jahre alt, wurde 1871 zur deutschen Reichgründung gepflanzt – leider war sie krank und musste gefällt werden. Zum Glück wächst nun eine neue Linde heran“, sagt Schlüter und zeigt auf die Poller rund um den Baum. Sie spiegeln wechselvolle deutsche Geschichte: Kleine Farbpigmente auf den inzwischen gereinigten grauen Steinen zeigen unterschiedliche politische Couleur: „Die Kommunisten haben die Poller rot angemalt, die Nazis dann braun – und nach dem Ende des Dritten Reichs wurden sie weiß gestrichen.“
Die Fahrt über die Hauptstraße führt Werner Schlüter vorbei am ehemals Kratzmannschen Hof, hier bezog er als Knecht seine erste Kammer, heute hat dort die Musikschule in der Nr. 25 ihren Sitz. Schräg gegenüber war die Reeperbahn Barsbüttels, auf der Arbeiter einst die Seile wanden, heute ist dort ein verwachsener Pfad. Wo früher der prächtige Barsbütteler Hof stand, hat nun ein kleines Nahversorgungszentrum seinen Platz, dahinter stehen Wohnhäuser dicht an dicht. „Der Hof wäre ein wundervoller Sitz für die Verwaltung gewesen“, sagt Schlüter mit leuchtenden Augen: „Er war einfach so schön.“
© Gemeinde BarsbüttelDie Gemeindeverwaltung befindet sich jedoch rund hundert Meter weiter im Rathaus im Stil der 70er Jahre. „Ich erinnere mich noch an den Umzug“, sagt Schlüter und fährt über kleine Nebenstraßen ins dichte Grün. Ein herrschaftliches Backsteingebäude blitzt durch die Bäume: „Hier im Jugendhof am Bondenholz war vorher die Verwaltung, da habe ich auch gearbeitet und zwar für den gemeindlichen Bauhof“, erzählt Schlüter und zeigt auf den malerischen Innenhof, wo allein ein leerer Brunnen steht. „Da oben, im Rittersaal, waren auch die Sitzungen.“
Heute gehört das Gebäude, ursprünglich Jagdsitz des Hamburger Industriellen Tonio Riedemann (Esso), später NS-Schulungszentrum, dann Treff der Jugendbewegung und schließlich Verwaltungssitz, einem Privatmann. Durch den verwilderten Park rund um das Anwesen schlendert Schlüter immer noch gern, auch wenn das Vogelgezwitscher inzwischen vom permanenten Brummen der Fahrzeuge auf den angrenzenden Autobahnen A1 und A24 untermalt wird.
Barsbüttel hat sich zwar verändert, manche Dinge bleiben jedoch gleich: Als Vierjähriger brachte Schlüter seinem Vater das Essen im warmen Henkeltopf ins Kalksandsteinwerk. Auch heute riecht es an diesem Ort noch nach Essen, und zwar aus Schlüters offener Balkontür in der Buchenstraße. Wenn er von dort hinunter blickt, sieht er kein staubiges Sandsteinwerk mehr, sondern grüne Wiese. Aber sein Gefühl für Barsbüttel ist damals wie heute das Gleiche: „Hier fühle ich mich wohl.“