„Der Junge muss an die frische Luft“ – Filmstart, Trailer & Kritik - WELT
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Film Hape Kerkeling im Kino

Hans-Peter, der Pierrot des Pottes

Redakteur Feuilleton
„Der Junge muss an die frische Luft“ – so wuchs Hape Kerkeling auf

Hape Kerkeling wuchs in Recklinghausen auf. Seine Kindheit war von den Depressionen seiner Mutter geprägt, die er mit Humor aufhellen wollte. Das Aufmunterungstalent des Jungen wird zunehmend gefordert, kann ihren Selbstmordversuch aber natürlich nicht verhindern.

Quelle: Warner

Autoplay
Zum Weihnachtsfest hat Caroline Link die Kindheitserinnerungen von Hape Kerkeling verfilmt. „Der Junge muss an die frische Luft“ hätte schlimm werden können. Es ist schön schlimm, wie die Geschichte.

„Wenn du weißt, watt de willst“, sagt die Frau, die in einer offenen Kutsche huldvoll winkend und mit schwarzem Hut auf dem Kopf an jubelnden Leuten vor geduckten Häusern durchs Ruhrgebiet rollt, „dann mach et einfach. Und kümmer dich nicht, was die Leute sagen.“ Zu ihrem Enkel sagt sie das. Wir schreiben das Jahr 1972. Das Ruhrgebiet hat noch keine Ahnung, dass es mal Zukunftswerkstatt wird. Bonanzaräder mit Bananensattel werden gefahren und Mopeds und Autos ohne Filter und ohne jegliches Feinstaubgewissen. Der Enkel ist ein bisschen pummelig. Hans-Peter heißt er. Acht Jahre ist er alt. Er wird mal einer der lustigsten Menschen, die Deutschland je hat lustig sein und werden lassen.

Weil er sich an das hält, was Omma Änne ihm geraten hat, weil er sich eigentlich schon als Dreikäsehoch entschieden hat, nicht unfreiwillig komisch zu sein, sondern seine komische Figur bewusst und für jeden Scheiß einzusetzen, mit dem man Menschen glücklich und heiter machen kann. Weil er den Menschen ganz nah kam, ganz nah war und sie genauso liebte, wie er sie zauselte. Und weil – wie bei jedem wirklich guten Clown – der Humor des Hape Kerkeling aus dem schwärzesten Humus der Verzweiflung gewachsen ist.

„Der Junge muss an die frische Luft“ heißt die Geschichte von Omma Änne und Omma Bertha, von Mutter Margret, von den Tanten und Cousinen und dem ganzen Rest der bis an den Rand des für den Mittelstand gerade noch Erträglichen durchgeknallten Familie, die Kerkeling 2014 aufgeschrieben hat. Die Geschichte wurde fast noch ein größerer Bestseller als „Ich bin dann mal weg“, Kerkelings spirituelle Wanderung den Jakobsweg hinunter. Das muss natürlich verfilmt werden, wie „Ich bin dann mal weg“ verfilmt wurde. Da machte sich Devid Striesow in Kerkelings Wanderstiefeln auf den Weg nach Santiago di Compostela, und man trug vom Sehen kaum Blasen davon.

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Darauf, dass Kerkelings Erzählung davon, wie er wurde, was er so lange war, bis er sich vor vier Jahren zum 50. Geburtstag selbst seinen Abschied von der Bühne schenkte, kein Desaster würde, hätte man lieber nicht gewettet. Bis klar war, dass Caroline Link, die deutsche Meisterin in filmischer Familienaufstellung, sich dieser nur allzu leicht ins vintagehaft verkitschte Wohlfühlkino umkippenden Dramödie annehmen würde. Könnte gut gehen, ging – das darf man mal vorwegnehmen – gut. Sehr gut.

„Der Junge muss an die frische Luft“ ist – so was brauchen wir gegenwärtig gerade sehr – ein Sommerfilm. Das Licht in den Bildern ist wunderbar warm. Ein bisschen wie das, was Vadders Super-8-Kamera aufs heimische Großleinwandhandtuch warf, sieht es noch aus. Das Licht und die Wärme sind gleich da, tragen den Film, halten ihn hell und leicht selbst dann noch, wenn die Verdunkelung über verrückte Familie kommt.

Wie die Bilder hält auch die Ausstattung uns Kerkelings Geschichte auf angenehme Halbdistanz. Kein toter Disney-Park einer verlorenen Kumpelwelt ist das rekonstruierte Recklinghausen, durch das Caroline Link Hape, seine Ommas und Tanten kutschieren, tanzen, gehen, fahren lässt. Man kann sich gar nicht sattsehen an den Dingen von damals, den Details, möchte den Film anhalten und seinen Kindern erzählen und sich zum Affen machen. Wie ein gut renovierter Opel Rekord hat dieses Diorama aber Gebrauchsspuren, es lebt, es erzählt Geschichten hinter den Geschichten.

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Die eigentliche Geschichte, um die alles kreist wie um eine schwarze Sonne, ist die Geschichte einer Depression. Die Geschichte des zunehmend verzweifelten Ringens eines kleinen Jungen mit ausgepichtem Showtalent, irrwitziger Imitationswut und überbordendem Witz, dem nichts peinlich ist und nichts peinlich genug, um die Seele seiner Mutter. Caroline Link baut das sorgfältig auf, Luise Heyer spielt das Müdewerden, das Sich-von-der-Welt-allmählich-Verabschieden von Hapes Mutter so dezent, so anrührend, so voller Verständnis für ihre furchtbare Krankheit, als wollten sie und Caroline Link ihrem echten Sohn ein Versöhnungsangebot machen. Den sie ohne Umarmung, ohne Gutenachtkuss neben sich im Bett liegen hatte, als sie die Schlafmittel nahm, an denen sie starb.

Alles – das Licht, die Stadt, die Geschichte, die Mutter, das ganze liebevoll gespielte Personal –, alles allerdings wäre nichts ohne Julius Weckauf. Der hat sich gegen 5000 andere durchgesetzt. Der machte im Laden seiner Mutter immer den Clown wie Hape das im Laden seiner Omma tat. Und so, dass die Leute ihm dringend rieten, sich doch zum Casting zu melden. Wie alles an diesem Film lässt Caroline Link auch Julius Weckauf immer ganz genau bis kurz vor jene Kante gehen, hinter der sein Hans-Peter ins Knallchargenhafte, ins Klischee, ins Rührgebiet geplumpst wäre. So muss er gewesen sein, dieser Hans-Peter. So muss es gewesen sein damals bei den Kerkelings im ewigen Sommer über dem Ruhrgebiet.

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