Filmrezension: Blutige Seide
 
M�rz 2001

Blutige Seide

Mario Bava darf als einer der begabtesten italienischen Regisseure betrachtet werden. Nicht wenige, die mit ihm gearbeitet haben, behaupten auch heute noch, er sei ein Genie gewesen. Dass ihm die Aufmerksamkeit der Kritik bislang noch nicht so zuteil geworden ist, wie seinen Zeitgenossen Fellini, Visconti, Pasolini oder Leone, liegt wohl vor allem an den Stoffen seiner Filme. Bava drehte Unterhaltungsfilme - Schauergeschichten, die er mit einer publikumswirksamen Mischung aus Sex & Crime anreicherte. Sein visuelles Gesp�r, sein Talent im Umgang mit der Kamera machen aus diesen B-Film-Stoffen jedoch opulente Werke f�r das Auge und entf�hren den Zuschauer in eine Welt, die mal an den Surrealismus gemahnt, mal vom englischen gothic-horror inspiriert ist.

In einem Modesalon wird eines der Models von einem maskierten Killer brutal ermordet. Die Polizei steht vor einem R�tsel: Die Stammg�ste des Salons, Models, Designer und Gesch�ftsleute h�llen sich in Schweigen. Als das Tagebuch der Toten auftaucht, scheint die L�sung bevorzustehen, doch wieder schl�gt der M�rder zu, das Tagebuch verschwindet.

Die Liste der Verd�chtigen wird l�nger und l�nger. Ist Frank, der Ex-Freund des ersten Opfers, der T�ter, der in Drogendelikte verwickelt ist? Oder ist es Peggy, die in der Ermordeten die einzige Mitwisserin ihrer Abtreibung sehen musste? Oder Max, der zwielichtige Ehemann von Christiana, der Besitzerin des Salons? Der italienische Originaltitel deutet den weiteren Verlauf der Handlung an - sechs Frauen f�r den M�rder - wer muss dem Killer noch zum Opfer fallen, bevor dieser gefasst wird?

Mit "Blutige Seide" schuf Mario Bava nicht nur einen Film, sondern ein ganzes Genre: den sogenannten "giallo". "Giallo" hei�t schlicht "gelb" und bezieht sich auf die Seitenf�rbung italienischer Schundromane, die dem "giallo"-Film als inhaltliche Vorlagen dienten. So ist die Richtung dieser Filme recht eindeutig vorgegeben: Ein meist maskierter, behandschuhter M�rder t�tet in oftmals surrealer Weise sch�ne Frauen. Die Morde sind dabei h�ufig sexuell motiviert. So weit, so einfach. Doch in der formalen Gestaltung gehen die besten "giallos" weit �ber das Niveau des thematisch �hnlichen Slasher-Horrorfilms hinaus. Bavas "Blutige Seide" ist eines der besten Beispiele f�r diese These.

Vor allem Hitchcocks "Psycho" und der "Duschmord" gelten als Inspirationsquellen f�r Bavas Film. Bava schwebte vor, einen ganzen Film um mehrere solcher �sthetisierten Mordszenen zu drehen. Was wie der Einfall eines beliebigen B-Movie-Regisseurs klingt, muss unter der Regie von Bava zu einer einzigartigen Finger�bung in Sachen Stil werden. In wundersch�nen Bildern, gepr�gt durch die beinahe barock anmutenden Settings und mit einem meisterhaften Einsatz von Farbe, Licht und Kamera ger�t "Blutige Seide" vom verquasten Thriller zur faszinierenden Reise in eine Welt, in der psychische St�rungen ganz reale Auswirkungen haben. Sigmund Freud h�tte seine Freud(e) an diesem Film gehabt, dessen Symbolik niemals aufgesetzt wirkt. Hier sei stellvertretend das Puppenmotiv erw�hnt, das in "Blutige Seide" schon fast zum Leitmotiv wird und dem Film von Anfang an eine fremde, unheimliche Atmosph�re verleiht. Aber auch Bavas Einf�lle zum Thema Voyeurismus und Film-Sehen sind bemerkenswert und sollen nicht unerw�hnt bleiben.

In den sadistischen, nervenzerrenden, jedoch niemals �ber die Grenzen des ertr�glichen gehenden Mordszenen (immerhin ist der Film 40 Jahre alt) und in der psychologischen Ausrichtung des Films bedient sich Bava, wie schon erw�hnt, beim gothic-horror. In diesem Genre fordern die Geister der Vergangenheit ihren Tribut in der Gegenwart und meist k�ndet sich das Grauen auf vielf�ltige Weise an. Aber auch Anleihen vom "Whodunit", sinngem�� �bersetzt mit "wer-war-es?", dessen bekannteste Vertreter wohl die zahlreichen Agatha-Christie-Verfilmungen sind, finden sich in Bavas Film, vor allem in dessen erster H�lfte. Dieser Strang wird von Bava jedoch zurecht fallengelassen. Kein Polizist kommt dem blutigen Treiben auf die Schliche, vielmehr l�st sich das Problem (im wahrsten Sinne des Wortes) von selbst.

Bavas Filmen, da macht auch "Blutige Seide" keine Ausnahme, m�gen nicht die besten Drehb�cher zu Grunde liegen und man wird von ihnen auch nicht intellektuell �berfordert werden. Trotzdem ist Bavas Kino einzigartig, un�bertroffen und wird mit wachsender Reife immer besser und wichtiger. Filme dieser Art werden heute nicht mehr gedreht und so ist es ein faszinierendes Erlebnis, einen Film wie "Blutige Seide" zu sehen und sich in eine andere Zeit entf�hren zu lassen. In jener Zeit konnte man einen Film wie diesen drehen, einen Film, aus dem man sich wirklich jedes Bild an die Wand h�ngen k�nnte und man brauchte daf�r nicht mehr als sagenhafte 150.000 $. Das ist kein Wunder, sondern vielmehr Beleg f�r das Genie eines Mario Bava.  

Oliver N�ding / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Blutige Seide
(Sei donne per l'assassino)

BRD/I/F 1964
Regie: Mario Bava; Produzenten: Armando Govoni, Georges C. Stilly; Kamera: Ubaldo Terzano; Drehbuch: Marcello Fondato, Giuseppe Barilla;
Darsteller: Cameron Mitchell (Max Morlacchi), Eva Bartok (Christiana), Thomas Reiner (Kommissar Silvestri), Lea Kr�ger (Greta), Mary Arden (Peggy), Luciano Pigozzi (Cesare Lazzarini) u.a.

L�nge: 85 Minuten; FSK: ab 16 Jahren.



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"Horrorfilme funktionieren immer. Aber in Zyklen. Wenn ein Horrorfilm gut l�uft, machen Leute viele Horrorfilme, �berladen den Markt, bis da zu viele Horrorfilme sind, und die Leute werden mit dem Drehen von Horrorfilmen herunterfahren. Und dann beginnt es von Neuem."

Regisseur, Schauspieler und Produzent Roger Corman (5. April 1926 - 9. Mai 2024)

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