Wer darf Richard III. spielen? In Großbritannien wird zurzeit heftig über Shakespeares Titelhelden diskutiert, nachdem das berühmte Globe Theatre für das Casting zu „Richard III.“ kritisiert wurde. In einem Offenen Brief heißt es, man sei „empört und enttäuscht über die Besetzung dieser Rolle“. Weil Michelle Terry, die im Frühsommer den für seine Grausamkeit bekannten König spielen soll, eine Frau ist? Nein, weil sie nicht körperlich behindert ist.
„Richard III. ist eine ikonische behinderte Figur“, heißt es in dem Schreiben der Disabled Artists Alliance, das von zahlreichen Unterstützern unterzeichnet wurde. Richard sei eine der ersten Figuren, die die Auswirkungen einer behindertenfeindlichen Gesellschaft erlebt und dokumentiert habe. „Diese Rolle gehört zu uns. Es ist beleidigend und geschmacklos, wenn Richard von jemandem dargestellt wird, der nicht zur Community gehört.“
Die Argumentation schießt weit über das Ziel hinaus. Behinderte Schauspieler sollen gleichberechtigt sein und – wie Kate Mulvany 2017 oder Arthur Hughes 2022 – Richard III. spielen können. Die eigene Erfahrung kann dafür fruchtbar sein, ist aber nicht zwingend. Es gibt keinen exklusiven Zugang zu der Rolle, weil es im Theater um gespielte Erfahrung geht. Sonst müssten auch adelige Herkunft oder Morderfahrung abgefragt werden.
Der Rest ist Shakespeare
Wie man die Rolle des Richard gestaltet, ist bei jedem Schauspieler anders – das macht den Reiz aus. Körper und Geschlecht, soziale Herkunft und Beischlafvorlieben sind nicht ohne Einfluss, doch das Entscheidende sind sie nicht. Am Ende ist wichtig, was auf der Bühne passiert – in der großen Umcodierungsmaschine des Theaters. Wer aber Behinderung wie in dem Offenen Brief eine „geschützte Identität“ nennt, ersetzt das Spiel durch eine Festlegung.
Der Vielfalt behinderter Erfahrungen wird das nicht gerecht. Hughes hat eine angeborene Fehlbildung des Arms, Mulvany hat Schäden von einer Krebsbehandlung aus früher Kindheit. Und der historische Richard III. litt, wie man seit dem Fund seines Skeletts weiß, an einer wenig dramatischen Wirbelsäulenverkrümmung. Der Rest ist Shakespeare – und das ist ein Menschheitserbe, auf das keine geschützte Community Eigentumsansprüche erheben darf.
Bezeichnend für das identitätspolitisch Reflexhafte in der Debatte ist, dass der Protest nicht einmal abwarten wollte, wie das Globe Theatre den Stoff auf die Bühne bringt. Stattdessen wird der Probenprozess durch eine Vorverurteilung der Hauptdarstellerin empfindlich gestört. Dass das Theater und Terry betonen, behindertenfeindliche Darstellungen abzulehnen und sich für Gleichberechtigung einzusetzen, wird kaum noch wahrgenommen.